Am 31.08.2022 verkünden die Brote ihre Auflösung für Ende 2023 und schließen nach über 30 Jahren Bandgeschichte ein großes Rap-Kapitel. Mit "Brot weint nicht" liefern sie den Startschuss für das Finale ihrer Bandgeschichte. Schon seit Jahren wird die Band überwiegend als Popgruppe wahrgenommen: "Dieses Trio mit den eingängigen Hooks". Dass in den Broten jedoch wesentlich mehr Rap und HipHop steckt, als so mancher wahrhaben möchte, zeigt ein kurzer Blick in die Historie der Rapper. Und hier gibt es viel zu sehen – auch wenn nicht alles im Detail benannt werden kann: zwischen verrückten Ideen, erfolgreichen Singles, lustigen Albumtiteln und einer Rapgruppe, die ihren eigenen Platz gefunden hat.
Die 90er
Die Interviewfrage, die den Broten vermutlich am häufigsten gestellt wurde, ist: "Fettes Brot – wie kamt ihr auf den Namen?" Die Frage ist relativ einfach zu beantworten. Nach einem der ersten Auftritte – der bis dato – namenlosen Gruppe bewertet Rapkollege Spax den Gig als "fettes Brot". Unwissend darüber, dass man vielleicht ja tatsächlich mal "ernsthaft" Musik machen würde, entschließt man sich kurzerhand, Fettes Brot als Bandnamen zu verwenden.
Die wesentlich spannendere Geschichte bietet allerdings die Zusammensetzung der Band, die im Kern bis heute gleich geblieben ist. Oder, um es mit anderen Worten zu sagen: Der Kreis blieb stets klein. Offiziell wird die Band 1992 gegründet, damals noch zu fünft. Während sich Schiffmeister, Dokter Renz und König Boris schnell für Fettes Brot entscheiden, entschließen sich die beiden Schmidt-Brüder, andere Wege zu gehen. Die beiden waren gemeinsam mit Martin Vandreier aka Dokter Renz und Cram bereits zuvor in der Band Poets of Peeze, die englischsprachigen Jazzrap produzierte. Während sich Oliver Schmidt zunächst aus dem Musikgeschäft verabschiedet, ist Tobias Schmidt nur kurz darauf unter anderem Mitglied von Der Tobi & Das Bo beziehungsweise später Fünf Sterne Deluxe – eine Zusammenkunft, die es ohne das Umfeld der Brote nicht gegeben hätte – und Moonbootica geworden. Während König Boris vor seiner Zeit bei Fettes Brot "nur" als Bassist der Punkband Strawberry Power aktiv war, tobte sich Schiffmeister unter anderem mit seinem Bruder Ole und der Graffiti-Legende Daim in einer anderen HipHop-Disziplin aus und sollte erste Erfahrungen mit der Polizei machen, welche sich auf "Hier Drinne" nachhören lassen.
1993 fällt der Schwester des Mitbewohners von Schiffmeister das Pinneberger Tageblatt in die Hände, in dem Bands für einen Musiksampler aus Süd-Schleswig-Holstein gesucht werden. Die perfekte Möglichkeit für die Jungs aus Halstenbek, Pinneberg und Schenefeld, ihre Musik einem größeren Publikum zu präsentieren. Kurzerhand steckt Schiffmeister ihr erstes Demotape, bestehend aus Homestudio-Aufnahmen, in eine alte Brottüte und schickt diese an Jens Herrndorf. Dieser ist nicht nur für den ausgeschriebenen "Endzeit 93"-Sampler verantwortlich, auf dem die Brote ihre ersten zwei veröffentlichten Tracks "Schwarzbrot-Weißbrot" und "Schule der Gewalt" platzieren konnten, sondern wird nur wenig später Manager der Band.
Ende 1993 und Anfang 1994 produzieren die Rapper im Container-Studio in Hamburg-Bramfeld dann ihre erste EP "Mitschnacker". Auf dieser befinden sich unter anderem die "Definition von Fett" und der Posse-Track "Schlecht", auf dem Bo, Gubb, MC Rene, Mighty und Judge Dré alias Andre Luth, ihr damaliger Plattenlabelchef bei Yo Mama Records, gefeaturet sind. Obwohl André Luth damals deutscher Rapmusik ablehnend gegenübersteht, entschließt er sich, die EP zu veröffentlichen, vielleicht auch weil die einstige Band von Dokter Renz, Poets of Peeze, bereits eine EP bei Yo Mama Records veröffentlichte. Wie es der Zufall will, ist André Luth bis heute in "beratender Funktion" für die Brote aktiv. In dieser Zeit lernen sie im Container-Studio Mario von Hacht kennen, mit dem sie auch die folgenden Releases produzieren sollten, wodurch er sicherlich nicht ganz unschuldig am Sound von Fettes Brot in den 90ern ist.
Spätestens 1994 geht es für die Brote im Livegeschäft so richtig los: Von Jams über Auftritte in Jugendzentren bis hin zu Festivals ist alles dabei. Sollte eines der drei Brote mal ausfallen, wissen sie sich schnell zu helfen. Boris kleine Schwester Nina Lauterbach aka Heißes Eisen übernimmt in den ersten Jahren die Rolle des Ersatz-MCs und begleitet die Band. Kein Wunder, dass sie auf dem ersten Album der Brote 1995 "Auf einem Auge blöd … (aber der Erfolg gibt uns Recht)" einen Part auf dem Track "Friedhof der Nuscheltiere" rappt. Dieser ist von ihrem Bruder geschrieben und sie damit eine der ersten Rapperinnen, die in Deutschland aktiv ist. Unter anderem Sido erklärt das Debüt-Album der Brote als das Album seiner Jugend. Parallel zur Veröffentlichung des Albums geht die Band mit der Klasse von 95 auf Tour, auf deren Sampler sie ebenfalls musikalisch vertreten sind. Die Single "Nordisch by Nature" sticht aus dem Debüt-Album der Gruppe besonders hervor und erklimmt Platz 17 der Charts. Diese sind damals in der Rapszene noch verpönt und so wird der Erfolg der Band fortan kritisch und missgünstig von einigen Mitstreiter:innen begutachtet. So hält Dokter Renz selbst retrospektiv fest: "Mit diesem frischen Hit 'Nordisch by Nature' im Rücken hatten wir mit einem Mal ein ganz anderes Standing. […] Da war bestimmt ein gewisser Neidfaktor dabei." Die Brote entscheiden sich zu dem aus heutiger Sicht unverständlichen Move, die Single vom Markt zu nehmen und eine entsprechende Todesanzeige zu schalten, damit "Fettes Brot leben kann". Der Hauptgrund dafür ist die Angst vor Kredibilitätsverlust und der Möglichkeit, nur noch als "norddeutsches Blödelrapband-One-Hit-Wonder" wahrgenommen zu werden. Schon die Produktion des Posse-Tracks grenzt an ein Wunder. Insgesamt werden an einem Tag 14 Stimmen auf nur neun Spuren aufgenommen, unter anderem von Fischmob, Jan Delay, Tobi und Bo. Zudem trifft hier auch DJ Rabauke auf die Brote und ersetzt fortan den DAT-Rekorder bei Auftritten und wird ihr Live-DJ. "Nordisch" enthält zudem Strophen auf vier Sprachen: Deutsch, Plattdeutsch, Niederländisch und Dänisch.
Die Single vom Markt zu nehmen, ist eine gute Idee, die jedoch zum Scheitern verurteilt ist. "Nordisch" darf auf keiner Setlist fehlen und selbst die amerikanische Inspirationsquelle, die Rapgruppe Naughty by Nature, erfährt von der Existenz des Tracks. Den Status als "One-Hit-Wonder" sind die Brote allerdings spätestens ein Jahr später los: "Es ist 1996" und die Brote schreiben einen Hit. "Jein" sprengt den Erfolg von "Nordisch by Nature" und erhält ein Musikvideo, für dessen Dreh extra nach Mexiko geflogen wird. Der Song ist für acht Wochen das erfolgreichste deutschsprachige Lied in den Singlecharts und dementsprechend die erfolgreichste Single des Albums "Außen Top Hits, innen Geschmack". Doch der wahre Geschmack verbirgt sich im Inneren der Platte. Sie enthält Tracks zu den verschiedensten Themen und spannende Features, unter anderem von Max Herre, Teilen vom Blumentopf und Dendemann beziehungsweise seinen damaligen Rapcrews. Letzterer bezeichnet die Brote als seine "Hamburger Familie", die ihn nicht nur mit auf Tour nimmt, sondern auch für die Zusammenkunft mit DJ Rabauke sorgt, mit dem Dendemann später das Duo Eins Zwo gründet. Um die Promotion des Albums abzurunden, entsteht noch fix die "Fettes Brot Partei", während die Rapper in ihrem Musikvideo die "Silberfische in meinem Bett" in Los Angeles beseitigen. Zudem moderiert die Band ihre erste Radioshow "Forellentee" zwischen 1996 und 1998. "Forellentee" ist zudem der Name ihres eigenen Magazins, das zu dieser Zeit an Fans verschickt wird, um über neue Musik oder Merch zu berichten.
1997 sind die Brote zu Gast bei den drei Fragezeichen in den Hörspielfolgen 76 und 79. Zum Glück revanchieren sich diese 1998 und finden die verlorenen Masterbänder des Albums "Fettes Brot lässt grüßen". Sie bilden mit ihren Skits eine witzige Klammer für das dritte Studioalbum der Brote. Das Albumcover enthält Referenzen an den Filmklassiker "Der Pate" und die legendäre Rapgruppe Public Enemy. Neben dem Kopfnickertrack "Können diese Augen lügen" stechen vor allem die Nicht-Rapfeatures mit Heinz Strunk und Tocotronic aus dem Album hervor und zeigen, dass die Brote nie viel von scheinbaren Genregrenzen hielten. Der Track mit der Rockband Tocotronic ist zudem eine Adaption des Bananarama-Songs "Robert De Niro is waiting". Auf die Brote wartet allerdings Nicolette Krebitz. Zu den Singles "Viele Wege führen nach Rom" und "Lieblingslied" entstehen zudem noch Musikvideos in Italien.
1999 kommt es dann zu einer zunächst seltsam erscheinenden Zusammenarbeit mit James Last. Denn ursprünglich sollte der Komponist lediglich einen Remix der Gruppe aufnehmen. Der gemeinsame, in Florida aufgenommene Song "Ruf mich an" ist ein soulig-jazziger Raptrack, der unter anderem zu gemeinsamen Auftritten in London führt. Der Song zeigt, dass Sample-Techniken – des Produzenten I.L.L. Will – und live aufgenommene Musik auch harmonisch bei der Produktion von Musik fusionieren können. Zu dieser Zeit trennt sich die Band von DJ Rabauke, der nun mit Dendemann als Eins Zwo unterwegs ist.
Die 2000er
Als Live-DJ ist ab 2000 DJ exel. Pauly mit den Broten unterwegs und darf sein Können gleich in Russland auf der Fettes Brot-Tour, in Kooperation mit dem Goethe-Institut, unter Beweis stellen. Mit im Gepäck haben die Brote hier ihre neueste Single "Da Draussen", die bis heute ihre Verwurzelung als Rapcrew zementiert und als Vorbote ihrer Anthologie "Fettes Brot für die Welt" fungiert. Auf dieser befinden sich, neben drei neuen Tracks, Demo- und Coverversionen, Remixe, unter anderem von den Beginnern, und bisher unveröffentlichtes Material wie der Song "Kleiner Nager" zusammen mit Tobi und Bo, einer Liebeserklärung an die Sendung mit der Maus.
2001 stellt vermutlich den härtesten Bruch in der Geschichte von Fettes Brot dar. Da man sich in der hiesigen Rapszene seit jeher zwischen den Stühlen befindet, entschließen sich die Brote, mit einem neuen "Demotape" den gänzlich eigenen Weg zu gehen. Der Plan sollte aufgehen, angebliche Rapgesetze werden gebrochen und ein eigener Sound kreiert. Das Demotape-Logo auf dem Albumcover ist eine Hommage an das "Home Taping Is Killing Music"-Logo aus den 80ern und stellt bis heute das Bandlogo dar. Mit "Schwule Mädchen", einer der Singles des Albums, erobern die drei Rapper zwei Worte zurück, die zu dieser Zeit in der Rapszene peinlicherweise als Beleidigungen genutzt wurden. Der Song sollte zumindest teilweise zu einem Umdenken innerhalb der Szene führen, da Rapper vermehrt, in Bezug auf den Song, auf ihre homophoben und sexistischen Lines von Journalist:innen angesprochen werden. "Wir sind zwar immer noch Feindbild für einige Rapper, aber so blöd war dann doch niemand, die Begriffe nochmal gegen uns zu richten", erinnert sich Björn Beton, zuvor als Schiffmeister bekannt, in einem Interview mit Sookee. Die Melodie der Hook des Songs etabliert sich nur wenig später zu einem Fan-Gesang des FC St. Pauli. Auch die zweite Single des Albums weißt einige Besonderheiten auf. König Boris adaptiert den Klassiker "The Joker" der Steve Miller Band. "The Grosser" – so der Name der Fettes Brot-Version – sollte zu einem der beliebtesten Livesongs der Brote in den folgenden Jahren werden.
2002 erfolgt die Veröffentlichung von "Amnesie". Der Film enthält, neben einer erneuten Veröffentlichung aller bisherigen Singles, die jüngste Single "Welthit". Zudem gibt es Musikvideos, TV-Ausschnitte und Behind the Scenes-Material der Brote zu sehen. Am Ende des Kurzfilms sind die Rapper zum Glück wieder von ihrer Amnesie geheilt und blicken in eine goldene Zukunft. 2003 gibt es dann einen der seltenen Battletracks zu hören. Gemeinsam mit Bela B. von Die Ärzte entsteht der Song "Tanzverbot (Schill to Hell)". "Merkt euch eins: Diese Stadt gehört uns und dieses Ding geht heute raus an den Sack, der sie bummst." Dieser "Sack" ist Ronald Schill aka Richter Gnadenlos, der unter anderem als Innensenator Hamburgs mit rechter und unsozialer Politik auffällig wurde. Bela B. und die Brote spenden alle Einnahmen der Single an jene Organisationen, die unter der Politik des Hamburger Senats leiden müssen, und der Song wird auf einigen Demonstrationen gespielt. Schill verliert noch im September 2003 seinen Posten als Innensenator.
2004 entscheidet sich die Band, ein eigenes Label zu gründen: die Fettes Brot Schallplatten GmbH. Neben den drei Rappern gehören zu diesem weiterhin ihr Manager Jens Herrndorff, André Luth von Yo Mama und später Rafael Mans, der sich speziell um das Merchandise der Band kümmert. Eine wegweisende Entscheidung, denn 2005 veröffentlichen die Brote eines ihrer erfolgreichsten Alben "Am Wasser gebaut" und zeigen, dass es dafür keine Majorlabels braucht. "Uns gemein ist ein Mangel an Selbstsicherheit und ein totales Desinteresse an unsensiblen Menschen. Wir glauben an Aufrichtigkeit und unsere Musik ist aufrichtig. Wir sind Rapper und Sample-Techniker und wir lieben diesen Scheiss nach wie vor", heißt es im Booklet des Albums. Mit "Am Wasser gebaut" gehen sie einen ähnlichen Weg wie Künstler, die Jahre später ebenfalls Rap und Popwelten verschwimmen lassen – unter anderem Peter Fox, Casper, Cro oder Marteria. Neben den Hits "Emanuela" – Platz eins in Österreich –, "Lauterbach" und "Falsche Entscheidung" befinden sich vor allem nachdenkliche Stücke auf dem Album. "Die meisten meiner Feinde", der Solotrack von Dokter Renz, sampelt Kool Savas. Dieser hatte speziell Dokter Renz immer wieder gedisst, da er Savas Ende der 90er zwar Raptalent attestierte, ihn aber parallel für seine homophoben und sexistischen Lines kritisierte. Der Coming of Age-Song zeigt erneut, wie weit die Brote 2005 über derlei Kleingeistigkeit der hiesigen Rapszene stehen. "An Tagen wie diesen", zusammen mit Pascal Finkenauer, sampelt Falcos "Jeanny". Dieses Sample wird 2017 noch zu einer spannenden Zusammenkunft führen. Der Song befasst sich mit Krieg, Terror, Hungersnöten, Ängsten und Abstumpfungssymptomen unserer Gesellschaft. Thematiken, die in den Jahren darauf von immer größerer Bedeutung werden sollten. Für das Musikvideo der Single "Emanuela" sind die Brote gemeinsam mit einem Spielmannszug durch Kapstadt in Südafrika gezogen. Dies sollte sich lohnen, denn sowohl in Deutschland als auch Österreich erreicht der Song Goldstatus.
2006 wird die Band D.O.C.H.! von der Fettes Brot Schallplatten GmbH gesignt. Nach medialen Verwirrungsspielchen ist jedoch schnell klar: Die angeblich neue Band sind die Brote selbst, die unter dem Pseudonym zwei Punktracks, gesungen von Dokter Renz, veröffentlichen und mit "Was in der Zeitung steht" sogar auf dem FIFA 07-Soundtrack landen. Zu dieser Zeit sind die Brote gemeinsam mit Bela B. die ersten prominenten Supporter von Viva con Agua und unterstützen fortan regelmäßig die Arbeit des Vereins, lange bevor eine Kooperation mit Viva con Agua als Prestigeaufwertung funktionieren konnte. So sind sie auch die offiziell ersten Zustifter der "Viva con Agua Stiftung". 2008 ist dann "Strom und Drang"-Zeit. Um das Album in einem "kleineren Rahmen" feiern zu können, geht es bereits 2007 unter dem Pseudonym "Bette Frost" auf Club-Tour. Das Album weist nicht nur einen elektronisch angehauchten Sound auf, sondern besticht auch durch eine enorme inhaltliche Bandbreite. "Ich lass dich nicht los" mit Pascal Finkenauer etwa erzählt die Geschichte eines unendlich verliebten Stalkers, während der "1€ Blues" gekonnt die hiesige Sozialpolitik auf die Schippe nimmt und König Boris mit seiner "Automatikpistole" unter anderem die Gewaltbereitschaft seiner Rapkollegen anprangert. Abgerundet wird das Release durch die beiden Hits "Erdbeben" und "Bettina, zieh dir bitte etwas an", der von dem Produzenten-Duo Modeselektor co-produziert ist.
Die 2010er
Anfang 2010 landen die Brote einen Coup mit der Veröffentlichung der beiden Livealben "Fettes" und "Brot". Beide Alben ziehen zeitgleich in die Top Ten der deutschen Albumcharts ein. Auf dem Album präsentieren die Rapper ihre gesamte musikalische Bandbreite, die zwischen 2008 und 2009 auf Tour mit der Band Nervenkostüm entstanden ist. Neben altbewährten Klassikern in neuem Gewand wie "Jein" befinden sich auch neu ausgekoppelte Singles und Coverversionen auf den Alben, unter anderem "Ich bin müde", "Amsterdam", "Kontrolle" und "My Way By Nature". Ende des Jahres fährt die Band mit knapp 300 Fans nach Amsterdam, um dort im Sinne des gleichnamigen Songs ein Konzert zu spielen.
2012 legt Fettes Brot eine kurze Bandpause ein, damit aus König Boris Der König tanzt wird. Mit seinem Album und vor allem Outfit – schwarzer Anzug, Hut mit Feder und ein geschminkter Stern über einem Auge – entführt uns der Musiker in eine Punk-Pop-Welt, die an die 80er Jahre erinnert. König Boris stellt jedoch schnell fest, dass eins nur eine Gesellschaft ist – im Sinne von Andy Warhol – und so kommt die Rapgruppe bereits 2013 mit "3 is ne Party" zurück. Der Sound der Platte orientiert sich ebenfalls an den 80ern, allerdings überwiegend an Elementen der damaligen Rapmusik und dem Discosound. Es ist ein Album voller Referenzen, die von D.A.F. über Sexual Harrassment bis zu Janet Jackson und A Tribe Called Quest reichen. Einen Gegenpol zu diesem Partysound bildet ausgerechnet die erfolgreichste Single des Albums, "Echo", die später Teil des Soundtracks der US-Serie "Better Things" wird. Für das Intro des Albums "Wackelige Angelegenheit" wagen sich Klaus & Klaus & Klaus mal wieder auf neues Terrain und drehen ein "Halt die Fresse"-Video für AGGRO.TV. Im Zuge des Releases des Albums geben die drei Rapper ein Konzert in der Roten Flora. "Brote Flora" wird aus Solidarität mit den Besetzer:innen des autonomen Kulturzentrums und trotz eines Hausverbots der Band, erteilt vom Besitzer der Immobilie, durchgeführt. Die Brote übertragen ihre Show am 03.11.2013 zudem auf eine Häuserwand am Schulterblatt, der Straße, in der die Rote Flora steht, was für ein mehrstündiges Verkehrschaos in der Schanze sorgt. Mit "3 Hamburger mit'm Monsterbass" legt die Band zudem ein von DJ exel. Pauly erstelltes Mixtape nach. Auf diesem befinden sich überwiegend Boom bap-lastige B-Seiten der Band aus vergangenen Tagen wie "Wär das nicht derbe", "Das Neuste", "Schlechtwetterfront" und "Der Hass Pt. 2".
2014 erscheint die "Toten Manns Disco"-EP, die es nicht digital gibt und auf nur 300 Exemplare limitiert ist. Auf dieser befindet sich neben einigen Remixen die jüngste Single "Fußballgott", die offizieller DFB-Fansong der WM 2014 ist. 2015 starten die Brote ihre zweite Radioshow "Was Wollen Wissen" gemeinsam mit Moderatorin Anne Radatz, die in mehreren Staffeln bis 2020 produziert wird. In dieser verkünden sie unter anderem, dass sie als "Teenager vom Mars" – mit Anfang 40 – unsere Gesellschaft untergraben und dieser alles nehmen werden, woran sie bisher geglaubt hat. Mit dem 2015 erscheinenden Album wirken die drei Rapper tatsächlich wie Aliens im Vergleich zu vielen ihrer Kolleg:innen. Sie fordern unter anderem zu bestehenden Schönheitsidealen ein "Gegenmodell", fressen unsere Autos auf und prangern an, dass alle jetzt nur noch Schlager hören. Aber auch für ernstere Themen ist Platz. Auf "Ganz schön low" rechnet König Boris mit Faschisten, Rassisten, Sexisten und Schlägern ab. Mit "Meine Stimme" ist dann auch mal wieder Zeit für einen Posse-Track, auf dem sich Fatoni, Felix Brummer und Kryptic Joe von Deichkind die Hände reichen. Abgerundet wird das Album durch die zugehörige EP "Erdbeerbowle", live aufgenommen in der eigenen Studioküche, lediglich begleitet von Taco van Hettinga – langjähriger Teil der Liveband der Brote – am Klavier und DJ exel. Pauly an den Percussions.
Nur ein Jahr später spielt Fettes Brot drei Konzerte in Hamburg unter dem Motto "Gebäck in the Days". Ziel ist es, endlich mal wieder Songs aus der Zeit zwischen 1992 und 2000 zu performen, die bereits seit Ewigkeiten überwiegend aus den Setlisten geflogen sind. Herausgekommen ist dabei ein Livealbum, das mit einigen Besonderheiten aufwartet. Bei "Definition von Fett" gibt es eine zusätzliche Strophe von Fatoni, in der dieser unter anderem erwähnt, dass er sich als Jugendlicher dauerhaft "Außen Top Hits, innen Geschmack" aus der Bibliothek auslieh. "Können diese Augen lügen" haben sie mit der Band Boy performt und den Song mit deren Hit "Little Numbers" kombiniert. Für "Wo die wilden Kerle wohnen" holen die Rapper nicht nur DJ Rabauke zurück ins Livegeschäft, sondern dichten dem Track eine zweite Strophe auf einem Trap-Beat hinzu.
Dank der bestehenden Connection durch das Sample für "An Tagen wie diesen", sind die drei Rapper 2017 zu Gast bei der Band des verstorbenen Falco, um beim Donauinselfest bei der "Wiederholung" des legendären Konzertes von 1993 mitzuwirken. Sie performen gemeinsam die Klassiker "Der Kommissar" und "Vienna Calling", die 2018 dann als Vinyl-Single von den Broten veröffentlicht werden. Zu dieser Zeit entsteht auch die Trap-Single "Popcorn" von Schönling Doris alias König Boris featuring Porky von Deichkind unter dem Aka Tino Turner. Zeitgleich ist die Band außerdem Mitgründer des Vereins "VIVA LA BERNIE", der zum Ziel hat, den Hinterhof in der Bernstorffstraße 117 in Hamburg vor amerikanischen Immobilienhaien zu retten. Der Hinterhof besteht nicht nur aus Wohnungen, sondern ist auch eine Kreativ- und Kulturstätte, in der sich unter anderem das Studio der Brote befindet.
2019 erfolgt dann die Veröffentlichung eines Buches zur eigenen Radioshow "Was Wollen Wissen" und des bisher letzten Studioalbums "Lovestory". Mit der Single "Du driftest der rechts" positioniert sich die Band erneut eindeutig gegen rechte Verschwörungstheoretiker:innen. Mit "Opa + Opa" zeichnen sie den fiktiven, aber schweren Lebensweg eines homosexuellen Paares nach. Abschließend karikieren sie sich selbst mit "Zwei Freunde und Du": "Dein Leben ist nicht so wie in Rapvideos: Du fährst kein dickes Auto und du gehst nicht auf Tour. Und du fragst dich: 'Was soll ich denn nur mit einer goldenen Uhr?' […] Keine Gang, keine Posse, keine Crew. Nur zwei Freunde und du, mit schiefer Fresse und schrägem Humor." Vielleicht ist der humorvolle Vinyl-Bonussong "Das verstimmte Klavier" bereits ein Hinweis auf eine mögliche Trennung, denn eine solche wird dort erzählt. "Wir machten große Kunst: subversiv und ziemlich clever! […] Doch wir sind immer noch wir."
2020er – und was die Zukunft bringt
Anfang 2020 wird es direkt mal wieder solidarisch und so stehen die drei Rapper gemeinsam mit DJ Dynamit für Fridays for Future auf der Bühne und nehmen selbstverständlich auch an deren Demonstration teil. Aufgrund des Pandemiebeginns kurz darauf muss die geplante Open Air-Tour zunächst auf 2021 verschoben und letztlich ganz abgesagt werden. Im August 2022 folgt dann die spontane Live-Rückkehr. Auf einer typischen Barkasse – motorisiertes Binnenschiff für Hafengebiete – fahren die Brote quer durch den Hamburger Hafen und spielen an vier Spots kleine Gurrilla-Konzerte. Damit machen sie erneut etwas Einzigartiges und sind die ersten Musiker, die eine rappende Hafenrundfahrt veranstalten. In der Woche darauf erfolgt dann mit "Brot weint nicht" die Bekanntgabe der Trennung. Und auch diese ist mal wieder voller Referenzen. Die Hook ist angelehnt an einen Klassiker von The Cure, das Singlecover erinnert an die Beatles. Im November erscheint das Re-Release vom "Demotape", ehe dann im Januar 2023 ihr Best Of-Album erscheinen soll. Mit diesem wird dann noch einmal mit allen Fans auf ihrer Abschiedstour im Frühling gefeiert werden. Das Finale der Tour findet selbstverständlich in Hamburg statt. Am ersten Septemberwochenende wird dort ein letztes Mal unter dem Titel "BROTSTOCK" die Bühne gerockt.
Es scheint nur schwer vorstellbar, dass wir von den drei Broten in Zukunft nichts mehr zu hören (und sehen) bekommen. König Boris hat sich bereits häufig solo ausgetobt und wird das vermutlich auch in Zukunft tun. Björn Beton ist ein einiziges Kreativbündel, arbeitet heimlich an mehreren EPs und schloss in diesem Jahr sein Filmstudium ab. Kein Wunder, war er bereits vorher Regisseur einiger Fettes Brot-Musikvideos und ist seit Mitte der 2000er in verschiedensten Funktionen am Star Wars-Fanfilm "Tydirum" beteiligt. Seinen ersten eigenen Kurzfilm "Cold Solutions" gibt es seit Anfang 2022 auch auf seinem YouTube-Kanal zu sehen. Dokter Renz kündigte bereits Ende 2020 sein erstes eigenes Singer-Songwriter-Album inklusive einer Liveperformance seines Tracks "Mittelfinger" an.
Fettes Brot hinterlässt nicht einfach nur eine Lücke, sondern auch ein Denkmal, das die Rapper 2023 vollenden werden. Oder, um es mit ihren eigenen Worten zu sagen: Fettes Brot schaufelt sich das Grab selbst, eröffnet parallel aber ein Museum, das "für immer immer" geöffnet bleibt. Bei den Broten "ist der Fehler King" und es geht stets darum, Haltung und Unterhaltung zu vereinen. Hier kommt man von Jams vor zehn Leuten hin zu Festivalheadliner-Shows und von kruden Songideen zu Charthits. Und das alles, ohne abzuheben. Hier wird das Tanzbein geschwungen, aber niemals nach unten getreten. Man zeigt sich stets solidarisch und ist in der Lage, über sich selbst und die eigenen Hater zu lachen. Vom ersten Beat bis zum letzten gerappten Wort ist stets alles DIY entstanden, schließlich ist man Musiker, Nerd und Fan durch und durch. Fettes Brot steht auch in Zukunft für Zusammenhalt, HipHop-Liebe und Kreativität. Danke Boris, Björn und Martin! "Nein, vergessen werden wir Euch nicht!"
(Alec Weber)
(Titelbild von Daniel Fersch)