"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem Künstler oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der Gesprächspartner ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
"Es ist 1996" – und ich habe einen Ohrwurm. Mit "Außen Top Hits, innen Geschmack" führen Fettes Brot den einzigartigen Style des Debütalbums "Auf einem Auge blöd" fort und heben diesen sogar auf ein neues Level. Der Titel des Albums könnte nicht treffender sein: "Jein" überschattet zwar die übrigen Tracks, aber im Inneren der Platte entfaltet sich erst die vollständige Geschmacksexplosion der Brote.
Wer sich für perfekte Storyteller interessiert, ist hier an der richtigen Adresse. Egal, ob die drei MCs sich über die "perfekte" Beziehung von "Supermann und Mondgesicht" belustigen oder König Boris vom schlimmsten Tag seines Lebens mit seinen immer wiederkehrenden Feinden – den Silberfischen – erzählt. Die Storys sind stets mit einem Augenzwinkern versehen, schließlich sind Boris, Björn und Martin für ihren humoristischen Ansatz mit witzigen Wortspielen bekannt. Diese Kombi findet unter anderem auf "…und ich geh nicht zum Arzt" mit Arme Ritter ihren Platz. Mit Zeilen wie "Ich liebe an mir jeden Fitzel Putenschnitzel, den ich mir aus meinen Zahnzwischenräumen rauskitzel'" flowt Dokter Renz locker über den Kopfnicker-Beat und lässt mich bei jedem Hören aufs Neue darüber lachen. Die Blödelrap-Erfinder befassen sich aber auch mit ernsten Themen. "In ist" ist unter anderem eine eiskalte Abrechnung mit der Musikindustrie, die sich ihren Geschmack von Hypes und Trends diktieren lässt und lediglich ans große Geld denkt – ein Thema, das kaum aktueller sein könnte, blickt man in die hiesige Playlist-Landschaft. Noch ehrlicher wird es mit "Kleines Kind": "Noch einmal das Wissen, ich bin nicht schuld dran." Der melancholische Track beschreibt den ewigen Wunsch, wieder ein unbekümmertes Kind zu sein – fernab von Alltagsstress und depressiven Episoden. Insgesamt bilden alle Songs der LP eine perfekte Einheit, nicht zuletzt, weil sie von den Broten überwiegend selbst produziert wurden.
Ich, als "Mikrokosmonaut", der Star Wars genauso liebt wie Björn Beton, verpasse mir mit diesem Album gerne mal eine "Schocktherapie". Wie effektiv diese ist, "werden wir dann mal sehen". Aber egal, denn seit spätestens 1996 ist klar: "In der Not ist Fettes Brot dein Rettungsboot."
(Alec Weber)