Kategorien
Kommentar

Homosexualität im Mainstream-​Rap – wo sind all die schwulen Rapper?

Homo­pho­bie ist in der deut­schen Rap-​Kultur lei­der noch immer an der Tages­ord­nung. Nur lang­sam erschei­nen homo- und bise­xu­el­le Künstler:innen im Main­stream auf der Bild­flä­che, und davon kaum männ­lich gele­se­ne. Doch soll­ten wir nicht schon viel wei­ter sein?

An die­ser Stel­le möch­ten wir Gedan­ken zu aktu­el­len Gescheh­nis­sen aus dem Deutschrap-​Kosmos zum Aus­druck brin­gen. Die jeweils dar­ge­stell­te Mei­nung ist die des:der Autor:in und ent­spricht nicht zwangs­läu­fig der der gesam­ten Redak­ti­on – den­noch möch­ten wir auch Ein­zel­stim­men Raum geben.

Im Fol­gen­den setzt sich unse­re Redak­teu­rin Emi­ly mit der Tat­sa­che aus­ein­an­der, dass es aus der Zeit gefal­len scheint, dass es im deut­schen Mainstream-​Rap kaum geoute­te männ­lich gele­se­ne homo- oder bise­xu­el­le Rapper:innen gibt.

 

Heut­zu­ta­ge schlie­ßen sich deut­scher Rap und nicht-​heteronormative Vor­stel­lun­gen von Sexua­li­tät zum Glück nicht mehr aus. Rapper:innen wie bad­mómzjay, Yec­ca und Nura ste­hen offen zu ihrer Sexua­li­tät und the­ma­ti­sie­ren die­se in ihrer Musik. Trotz­dem fühlt es sich so an, als wäre es immer noch uncool, homo- oder bise­xu­ell und männ­lich zu sein. Und das ist ein­fach nicht mehr zeitgemäß.

Zum einen wird dies­be­züg­lich im Rap noch mit vie­len Belei­di­gun­gen um sich gewor­fen. Zum ande­ren leben im Main­stream vor allem weib­lich gele­se­ne Rapper:innen offen homo- oder bise­xu­ell. Es scheint, dass dies auch mit einer gewis­sen Feti­schi­sie­rung zu tun hat. Etwa dann, wenn sich zwei Frau­en küs­sen. Einer Frau, die sich als bise­xu­ell outet, wird außer­dem häu­fig nach­ge­sagt, sie befän­de sich nur in einer Pha­se. Kurz: Die sexu­el­le und roman­ti­sche Bezie­hung zwi­schen zwei weib­lich gele­se­nen Per­so­nen wird kaum ernst genom­men. Mög­li­cher­wei­se ist es genau des­we­gen für die­se Per­so­nen ein­fa­cher, sich zu outen – was ein ziem­lich absur­der und trau­ri­ger Grund wäre. Eine homo­se­xu­el­le Bezie­hung zwi­schen zwei männ­lich gele­se­nen Per­so­nen hin­ge­gen ist eine ernst­haf­te Bedro­hung für die gesell­schaft­li­che Vor­stel­lung von Männ­lich­keit und Hete­ro­nor­ma­ti­vi­tät. Aber kann das erklä­ren, war­um es im deut­schen Mainstream-​Rap kei­ne oder kaum männ­lich gele­se­ne homo- oder bise­xu­el­le Rapper:innen gibt? Wer muss zur Ver­ant­wor­tung gezo­gen wer­den, damit sich end­lich etwas ändert?

Bereits in den 90er Jah­ren gab es in den USA einen Trend, bei dem man angeb­lich homo­se­xu­el­le männ­lich gele­se­ne Rapper:innen zwangs­ge­outet hat – ein ziem­lich para­do­xes Ver­hal­ten, wo doch das Inter­es­se an tat­säch­lich homo­se­xu­el­len Rapper:innen, gelin­de gesagt, sehr gering war. Eini­ge Leu­te berei­cher­ten sich an die­ser Sen­sa­ti­ons­geil­heit, indem sie Auf­merk­sam­keit gene­rier­ten und dar­aus finan­zi­el­le Vor­tei­le zie­hen konn­ten. So auch die dama­li­ge Radio­mo­de­ra­to­rin Wen­dy Wil­liams, die sämt­li­che popu­lä­re Rap­per der 90er Jah­re ver­däch­tig­te, homo­se­xu­ell zu sein. Zwar trenn­te sich ihr Sen­der 1998 von ihr, aber bald dar­auf konn­te sie sogar ins Fern­se­hen wech­seln, wo sie wei­ter durch que­er­feind­li­che Paro­len auf­fiel. Auf die­se Art und Wei­se Pro­fit aus dem Lei­den und der Ernied­ri­gung ande­rer zu schöp­fen, ist ein­fach wider­lich – aber lei­der auch nichts Neu­es. So ein Zwangs­ou­ting glie­dert sich eben gut in die mas­ku­li­ne "Fick dich-​Charakteristik" der Rap-​Kultur ein, wie Künst­le­rin Lia Sahin im Pod­cast "Quee­rer Deutschrap" sagt. Zugleich ver­such­ten Rap­per, die die­sem Phä­no­men zum Opfer fie­len, sich infol­ge­des­sen umso mehr als beson­ders männ­lich dar­zu­stel­len. Big Dad­dy Kane, dem genau das pas­sier­te, ließ sich dar­auf­hin nackt für das Play Girl ablich­ten und releas­te mit "Give It to Me" einen Song mit extra sexis­ti­scher Mes­sa­ge. Hier­bei ging es also nicht nur um Homo­pho­bie, son­dern auch um toxi­sche Männ­lich­keit, fasst Falk Schacht im genann­ten Pod­cast zusam­men. Ob Homo­pho­bie toxi­sche Männ­lich­keit för­dert oder umge­kehrt, ist dabei fast egal. Raus kommt auf jeden Fall eine gif­ti­ge Mischung, die für vie­le Men­schen gefähr­lich wer­den kann.

Auch hier­zu­lan­de hat­ten und haben es homo- und bise­xu­el­le Rapper:innen nicht leicht. Ope­ra­tor Bur­st­up, Mit­glied von Schön­heits­feh­ler, einer der ers­ten Rap-​Crews Öster­reichs, hat­te nie ein offi­zi­el­les Coming-​out, er lebt jedoch in einer offen homo­se­xu­el­len Bezie­hung. Des­we­gen erleb­te die Band bereits seit den 90ern struk­tu­rel­le Benach­tei­li­gun­gen wie durch nur zurück­hal­ten­den Sup­port und weni­ge Boo­kings, was ange­sichts ihres hohen Bekannt­heits­grads sehr auf­fäl­lig erschien. Sich dar­über mit ande­ren Betrof­fe­nen im deutsch­spra­chi­gen Raum aus­zu­tau­schen, war eben­falls nahe­zu unmög­lich, da es eine sol­che Ver­net­zung zu die­sem Zeit­punkt noch nicht gab. Auch wenn es in die­sem Fall kei­ne expli­zi­ten Anfein­dun­gen gab wie durch Wen­dy Wil­liams, zeigt das deut­lich, inwie­fern Sexua­li­tät eine Musik­kar­rie­re beein­flus­sen kann, obwohl eigent­lich die Kunst im Mit­tel­punkt ste­hen soll­te. Cir­ca zwan­zig Jah­re spä­ter schien es, als könn­te der ers­te als homo­se­xu­ell geoute­te deutsch­spra­chi­ge Rap­per den Durch­bruch in den Main­stream schaf­fen: Jui­cy Gay, der Cloud Rap à la Money Boy mach­te und sich in sei­nen Songs für eine Ent­ta­bui­sie­rung von Homo­se­xua­li­tät ein­setz­te. Ich fand sei­ne Idee, den Kool Savas-​Song "Schwu­le Rap­per" so umzu­schrei­ben, dass er dar­in mit zig deut­schen Rap­pern Sex hat, zwar nicht unbe­dingt cool, aber zumin­dest auf­rüt­telnd. Ähn­lich sagen auch Ebow und Soo­kee im Pod­cast "Quee­rer Deutschrap", dass sie Jui­cy Gays iro­ni­schen Ansatz in sei­nen Tex­ten nicht wirk­lich ernst neh­men konn­ten. Schließ­lich wur­de 2018 sogar bekannt, dass Jui­cy Gay gar nicht homo­se­xu­ell ist. Im Gegen­satz zu vie­len ande­ren Rap­pern hat er es aller­dings geschafft, sich 2022 für sein Ver­hal­ten zu ent­schul­di­gen und für sei­ne Feh­ler Ver­ant­wor­tung zu über­neh­men – nun als Jui­cy Süß.

Er hat so dafür gesorgt, dass wir hier zumin­dest über das The­ma spre­chen. Lil Nas X in den USA ist da schon deut­lich wei­ter. Er stieg als hete­ro­se­xu­el­ler Künst­ler in das Rap-​Game ein und oute­te sich am Höhe­punkt sei­ner Kar­rie­re als bise­xu­ell, was sei­nem Erfolg kei­ner­lei scha­de­te. Laut Ebow war sein Outing ein wich­ti­ger Schritt für alle quee­ren Artists und für die Musik­in­dus­trie gene­rell, da wir mit der Akzep­tanz sol­cher Künstler:innen im deutsch­spra­chi­gen Raum noch ein wenig hin­ter­her sei­en. Zwar gibt es auch hier offen homo­se­xu­el­le männ­lich gele­se­ne Rapper:innen. Dazu gehö­ren Ash M.O. und Kay Shang­hai, die – abge­se­hen von Jui­cy Gay – als die ers­ten homo­se­xu­el­len deutsch­spra­chi­gen Rapper:innen gel­ten. Aller­dings sind die­se in der Min­der­heit und wenig bis gar nicht im Main­stream vertreten.

All das hängt Ebow zufol­ge mit unse­ren alt­be­kann­ten, patri­ar­cha­len Struk­tu­ren zusam­men, wodurch die Musik­in­dus­trie noch immer ein Bild der Gesell­schaft und der Rea­li­tät wie­der­gibt, das von Miso­gy­nie, Sexis­mus und Homo­pho­bie geprägt ist. Musik­la­bels haben ein gro­ßes Inter­es­se dar­an, dass wei­ter­hin Songs pro­du­ziert wer­den, die Bil­der von Homo­pho­bie, tra­di­tio­nel­ler Rol­len­ver­tei­lung und toxi­scher Männ­lich­keit auf­recht­erhal­ten. Und die­se Bil­der wer­den von Rapper:innen im Main­stream wei­ter repro­du­ziert – durch Tex­te mit einem Männ­lich­keits­bild, in denen Frau­en objek­ti­fi­ziert und Reich­tum und Stär­ke in den Vor­der­grund gestellt werden.

All das recht­fer­tigt kei­nes­wegs das Ver­hal­ten die­ser Rapper:innen. Deren Tex­te beein­flus­sen vor allem jun­ge Konsument:innen, die sich mit der Musik iden­ti­fi­zie­ren, wodurch die­ses Ver­ständ­nis von Männ­lich­keit von Gene­ra­ti­on zu Gene­ra­ti­on wei­ter­ge­ge­ben wird. Wenn wir uns die­sen Pro­ble­men jedoch bewusst wer­den, kön­nen wir auch beein­flus­sen, wel­che Musik auf den Markt kommt. Bei­spiels­wei­se, indem wir das Werk von Rapper:innen wie Cas­per oder KUMMER mehr unter­stüt­zen, die sich kri­tisch mit unse­rer Vor­stel­lung von Männ­lich­keit auseinandersetzen.

Es scheint aktu­ell, dass eine weib­lich gele­se­ne bi- oder homo­se­xu­el­le Künstler:in für weni­ger Auf­ruhr sorgt, da sie unse­re patri­ar­cha­le Vor­stel­lung von Männ­lich­keit und Bezie­hun­gen weni­ger infra­ge stellt, als es männ­lich gele­se­ne bi- oder homo­se­xu­el­le Artists tun. Homo­se­xua­li­tät im Main­stream scheint also nur dann in Ord­nung zu sein, wenn es unse­re tra­di­tio­nel­len Rol­len­bil­der nicht zu stark durch­ein­an­der­bringt. Es muss sich in der Rap-​Kultur all­ge­mein etwas ändern, damit homo-, bise­xu­el­le und ande­re que­e­re Per­so­nen mit weni­ger Hass und Abnei­gung kon­fron­tiert wer­den. Dazu gehört auch, dass die aktu­ell ein­fluss­reichs­ten Mainstream-Rapper:innen sich ernst­haft mit den Fol­gen ihrer Tex­te aus­ein­an­der­set­zen und sich bemü­hen müs­sen, ihr Ver­hal­ten zu ändern. Nie­mand erwar­tet, dass das von heu­te auf mor­gen pas­siert. So ein Pro­zess braucht Zeit. Aber busi­ness as usu­al ist eben auch kei­ne Opti­on mehr.

(Emi­ly Niklas)
(Gra­fik von Dani­el Fersch)