"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem:einer Künstler:in oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der:die Gesprächspartner:in ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm:ihr das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
Dank des Songs "Ottolenghi" stolperte ich 2019 das erste Mal über Loyle Carner. Ich war sofort hin und weg von dem jazzigen Sound, den Boom bap-Beats und vor allem seinem britischen Akzent. Als 2022 dann das Album "Hugo", auf dem er seine Beziehung zu seinem Vater behandelt, erschien, berührte es mich jedoch auf eine andere Weise ganz besonders. Das gesamte Album ist überaus hörenswert, jedoch hat mich der Song "Nobody Knows (Ladas Road)" am stärksten beeindruckt.
Auf dem Track erzählt der Rapper davon, wie schmerzhaft es ist, von einem Elternteil vernachlässigt zu werden und als Schwarzer Teenager mit weißen Eltern groß zu werden. Musikalisch untermalt wird dies durch ein Sample aus "Nobody Knows the Trouble I've Seen" von Pastor T. L. Barrett und dem Youth for Christ Choir. Durch die Kinderstimmen und den thematisch passenden Chorus wird eindrucksvoll untermalt, wie Benjamin Coyle-Larner sich als kleiner Junge gefühlt haben muss. Die Zeile "You can't hate the roots of the tree and not hate the tree. So how can I hate my father without hating me?" stammt zu Teilen aus einer Rede von Malcolm X. Loyle Carner überträgt diese Worte auf seine persönliche Geschichte und verarbeitet damit nicht nur seine Erfahrungen mit Rassismus, sondern auch, dass man sich seine Verwandten nicht aussuchen kann.
Loyle Carner gibt mit dem gesamten Album tiefe Einblicke in seine Gefühlswelt und bewegt durch die persönlichen Referenzen zu seiner Kindheit auf eine einzigartige und intensive Weise. Speziell der Song "Nobody Knows (Ladas Road)" fühlt sich trotz der schweren Themen wie eine musikalische Umarmung an, die einem im übertragenen Sinne das vermittelt, was man als Kind gebraucht hätte: Zuneigung und emotionale Nähe einer Bezugsperson.
(Malin Teegen)