"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem:einer Künstler:in oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der:die Gesprächspartner:in ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm:ihr das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
"In eine Plattenkiste greifen" – das ist für viele meiner Generation kein vertrautes Gefühl mehr. Klar, Vinyl kommt wieder, aber mal ehrlich: In meiner Jugend hat man Musik über das Internet gehört. Es funktioniert schon seit meiner Kindheit als unbegrenzter Zugang zur Musik. Das ist auch einer der Gründe, weshalb ich den ersten Song, den ich je von JPEGMAFIA gehört habe, so ins Herz geschlossen habe. Denn der Track "1539 N. Calvert" ist für mich ein Prachtexemplar für das, was ich "Internetmusik" nennen würde.
"Internetmusik" sind für mich Songs, die es so nur durch den Einfluss des Internets geben kann. Genau so wurde mir 2018 JPEGMAFIA als Musiker vorgestellt. Diese Beschreibung regte meine Fantasie an: Wie klingt wohl ein durchweg vom Internet geprägter Rapper? Wahrscheinlich unorthodox und schrill. Enttäuscht erkannte ich, dass ich mit dieser Vermutung daneben lag. Der Beat von "1539 N. Calvert" klingt nicht laut und überladen, sondern zahm und poppig. Dieser erste Eindruck hält jedoch nicht lange an. Da ist dieses nervöse Klicken, wo eigentlich die Hi-Hat sein sollte. Dann die Kick-Drum-Rolls, die eher nach einem Störgeräusch klingen, und Glitches, die den Grundrhythmus versetzen. Generell wirken die Drums zu hastig und trotzdem füllen sie die Leere des Beats kaum. Das ist wohl auch JPEGMAFIAs Absicht, der nicht nur rappt, sondern den Beat zudem selbst gebaut hat. Auch textlich geht es unkonventionell zu: Die Zeile "I need a bitch with long hair like Myke C-Town" sticht besonders heraus – eine Referenz an einen Internet-Musikblogger, der lange Dreadlocks trägt. Hier wird absichtlich mit Referenzen um sich geworfen, die jemand ohne Internetzugang nie verstehen könnte.
Zwar war mein Start mit "1539 N. Calvert" nicht so nervenaufreibend, wie ich mir erhofft hatte, doch das musste er auch nicht sein. Der Track diente für mich – genauso wie das Internet selbst – als Eingangstor zu den viel wilderen Tracks des Rappers. Nicht umsonst ist auf jedem Cover von JPEGMAFIA ein Mauszeiger zu sehen. Er prangt auf den Artworks wie ein Orden, der verifiziert: Das ist Internetmusik.
(Fejoso)