Genuss kann für jede:n etwas anderes bedeuten – ein gutes Glas Rotwein, ein Gericht, mit dem man positive Erinnerungen verknüpft, oder auch ein besonderes Musikstück. Insbesondere bei kulinarischen Genüssen ist nicht nur das Endergebnis, sondern der ganze Weg von der Vorbereitung bis hin zum Anrichten und anschließenden Essen für viele schon Teil des Erlebnisses. Ähnliche Mechanismen, wie sie bei diesem Prozess stattfinden, greifen ebenfalls beim Musikmachen. Auch dort spielen Kreativität und Emotionen beim Entstehungsprozess und dem fertigen Werk eine Rolle. Ein Künstler, der sowohl das Musizieren als auch das Kochen zelebriert, ist Moses Pelham. Einerseits hat er bis heute über zehn Millionen Tonträger verkauft, andererseits hat er gerade ein Kochbuch veröffentlicht, in dem er seine persönlichen Lieblingsrezepte teilt. Letzteres nahmen wir zum Anlass, um darüber zu sprechen, was Genuss für ihn persönlich bedeutet. Es ging außerdem um Philosophie, Gelassenheit und darum, wie sich sein Geschmack über die Jahre verändert hat.
MZEE.com: Genuss hat viele Facetten und kann in unterschiedlichen Lebensbereichen erlebt werden – von Kunst über Essen bis hin zu Natur. Wie würdest du diesen Begriff definieren?
Moses Pelham: (überlegt) Für mich ist Genuss etwas Sinnliches und hat auch mit Hingabe zu tun. Das Genießen geht mit Freude einher, doch man kann nicht pausenlos genießen. Ich fürchte, besondere Highlights kann es nur dann geben, wenn es auch etwas darunter gibt.
MZEE.com: Würdest du dich selbst als Genießer bezeichnen?
Moses Pelham: Ein Genießer ist wahrscheinlich jemand, der diese Highlights, bei denen wir eben waren, sucht, sich aber auch dessen bewusst ist, dass das gerade etwas Besonderes ist. Manchmal ist mir das bestimmt bewusst, aber oft genug auch nicht. Es gibt Dinge, die ich schätze und nach denen ich suche. Aber ehrlicherweise wusste ich so manchen Moment nicht zu schätzen und habe ihn demzufolge auch nicht genossen, als ich es hätte tun sollen. Obwohl es natürlich ein Ideal ist, ist es leider nicht immer möglich, die angezeigte Wertschätzung zu haben, was mir wirklich leid tut. Wir sind dafür verantwortlich, unser Glück zu erkennen, wenn es da ist. Im Nachhinein ist das immer schwierig. Natürlich kann man sagen, dass man den Urlaub genossen hat, aber das ist etwas anderes, als es in dem Moment aktiv zu tun. Ich habe noch eine Assoziation dazu, was einen Genießer ausmacht: Es hat etwas damit zu tun, dass man gewisse Dinge zelebriert. In dem Kochbuch, das ich kürzlich herausgebracht habe, gibt es ein Rezept für veganen Sauerbraten. Es dauert fünf Tage, bis er fertig ist. Den kannst du nicht essen, ohne zu zelebrieren. Bei der Zeit, die du gewartet hast, bei dem Aufwand, den du betrieben hast – den Braten musst du lange marinieren, am Abend vorher den Rotkohl vorbereiten. Wenn du das dann nicht genießt, dann weiß ich auch nicht. Das sollte dann schon ein kleines Event sein, zu dem man ein Glas Rotwein trinkt und das bessere Besteck rausholt, wenn man welches hat. (lacht)
MZEE.com: Etwas zu zelebrieren, kann auch bedeuten, Dinge für einen speziellen Anlass aufzuheben. Beispielsweise öffnet man den teuren Wein nicht, wenn man gerade einen Kochwein braucht, oder?
Moses Pelham: Aber der Genießer darf nicht zu lange warten, bis der Wein aufgemacht wird, glaube ich. Auch nicht nur nebenbei, aber du kennst sicherlich diejenigen, die auf den richtigen Moment warten, der natürlich nie kommt. Das eigentliche Abbild des Genießens und des Lebens ist, das gute Geschirr öfter zu nehmen und den geilen Wein zu trinken, während es noch geht. Es bringt niemandem etwas, wenn man nur wartet und den Wein zwar wertschätzt, aber nie trinkt. Aber das muss jeder selbst entscheiden. Es gibt bestimmt Leute, denen das Wissen, das sie diesen Wein besitzen, ausreicht. Das macht sie schon glücklich und sie müssen den gar nicht trinken. Das ist bestimmt auch eine Form von Genuss, aber es ist nicht das, was ich mit dem Wort assoziiere. So bin ich nicht.
MZEE.com: Überfluss kann dafür sorgen, dass man etwas weniger wertschätzt. Zum Beispiel fühlen sich Sonnenschein und blauer Himmel anders an, nachdem es lange bewölkt und regnerisch war.
Moses Pelham: (lacht) Es gibt Leute, die genau aus diesem Grund nach Kalifornien ziehen. Sie wollen nicht warten, bis mal wieder schönes Wetter ist. Ich habe gerade eine Podcast-Folge mit meinem Kollegen Jan Wehn aufgezeichnet. Darin haben wir darüber gesprochen, dass in den vergangenen Wochen zwei Leute, die wirklich große Beiträge zur Frankfurter Musikszene geleistet haben, verstorben sind. Beide Todesfälle kamen für mich völlig überraschend. Das war mir wieder eine Mahnung, das Leben wertzuschätzen, bevor es vorbei ist. Die Endlichkeit der Dinge macht in gewisser Form ihren Wert aus. Ich finde es so schade, dass es den Tod braucht, um das Leben zu schätzen. Oder den Mangel, damit man den Wein, den es nur an einem Tag im Jahr gibt, zu würdigen weiß. Ich versuche sehr positiv zu sein, versteh mich nicht falsch. Dennoch hat es auch eine gewisse Tragik. Würde ich vor die Wahl gestellt werden, einmal im Leben diesen besonderen Wein zu trinken oder jeden Abend einen einfachen Wein, dann nehme ich den einfachen. Das ist mehr meine Vorstellung von Leben.
MZEE.com: Das Genießen von besonderen Dingen geht oftmals mit Ritualen einher. Beispielsweise das Weihnachtsessen oder das Anstoßen mit Schaumwein zu besonderen Anlässen. Warum ist das so?
Moses Pelham: Dieses Feiern ist ja direkt an Genuss geknüpft. Wenn man Geburtstag hat, lässt man es sich halt auch gut gehen. Oder wenn die ganze Familie einmal im Jahr zusammenkommt und das in unserem Gespräch bereits bemühte gute Geschirr rausgeholt wird. (lacht)
MZEE.com: Ich würde gern mit dir darüber sprechen, dass Genuss auch einen kulturellen Aspekt hat. Gemeinschaftliches Essen zu zelebrieren, ist in allen Kulturen auf unterschiedliche Weise üblich.
Moses Pelham: Ich denke, das passiert, weil wir Nahrung brauchen. Es befriedigt ein elementares Bedürfnis, das wir alle haben, ebenso wie das Bedürfnis nach sozialer Bindung und Gemeinschaft. Die Idee, beides zu kombinieren und gemeinsam zu feiern, halte ich für naheliegend. Das ist ein großartiger Aspekt des Kochens im Allgemeinen: Es deckt Grundbedürfnisse ab und spricht dabei noch andere Sinne an. Das beschreibe ich auch in meinem Buch: Für einen anderen Menschen zu kochen, ist eine Bekundung von Liebe. Für sich selbst zu kochen, ist eine Form der Selbstliebe. Die Idee des Veganismus leidet genau darunter, weil wir aus einer Gesellschaft kommen, die das Schlachten eines Tieres für einen Ausdruck von Liebe hält. Natürlich nicht dem Tier gegenüber, aber den Menschen, die dann an dem Mahl, das daraus wurde, teilnehmen. Das wird in der Bibel oftmals beschrieben. Können wir damit bitte aufhören? Das ist doch fürchterlich. Wenn man dem ein Ende setzen möchte, wird man zum Miesmacher gegenüber denjenigen, die das als Ausdruck von Liebe sehen. Ich will niemandem diese Liebe vermiesen, denn ich verstehe das. Aber wir könnten auch zusammensitzen, die Gesellschaft voneinander genießen und etwas Geiles essen, ohne dass dafür andere Lebewesen gequält und getötet werden. Dann ist es für uns alle geiler, wenn du mich fragst.
MZEE.com: Gibt es bestimmte Rituale, auf die du besonderen Wert legst?
Moses Pelham: Da gibt es viele verschiedene. In meinem Musikzimmer zu sitzen und eine neue Platte das erste Mal auf Anschlag zu hören. Oder mich ins Bett zu legen und eine neue "Die drei ???"-Folge zu hören. Das ist ein Ritual, das ich seit meiner Kindheit beibehalten habe. Wenn ich allein esse, schaue ich gern Serien. Manche würden vielleicht sagen, dass das auch wieder eine mangelnde Wertschätzung gegenüber dem Essen ist. Aber ich feiere es, da zu sitzen, etwas Kurzweiliges zu schauen und dabei zu essen. Ich glaube, das liegt daran, dass ich das früher nicht durfte. (lacht) Ich beschreibe in dem Buch ein klassisches Winter-Klischee-Ritual: Durch den Schneematsch laufen, um Zutaten für Erbsensuppe zu kaufen. Das ist auch eine Form von Kultur. Außerdem ist es ein Zeichen dafür, dass man schon ein paar Jahre hier gelebt hat, sowas als Ritual zu begreifen. Das ist eine schöne Sache, finde ich.
MZEE.com: Ich kann mir vorstellen, dass es bei einem vollen Terminkalender nicht so leicht ist, sich die Zeit dafür zu nehmen. Zählt der Prozess vom Einkaufen über das Vorbereiten bis hin zum Kochen für dich zur Entspannung dazu?
Moses Pelham: Ganz und gar! Normalerweise koche ich nicht jeden Tag. Die Arbeit am Buch ist da eine Ausnahme. Sonst wird auch mal beim Lieferdienst bestellt. Das ist auch großartig, das will ich überhaupt nicht in Abrede stellen. Dennoch ist es etwas anderes, wenn du dir die Zeit genommen hast, die Zutaten zu besorgen und anschließend das, was du mit deinen eigenen Händen gemacht hast, mit lieben Menschen zusammen oder auch alleine genießt. Das ist doch klar. Ich finde, es hat beides seine Berechtigung, und ich möchte weder auf das eine noch das andere verzichten. Meistens koche ich nur am Wochenende. Aber das zu machen, finde ich großartig. Deshalb nenne ich das Buch auch mein Kinderkochbuch für Erwachsene. Die Rezepte sind nicht kompliziert. Ich kann dabei wunderbar abschalten. Während ich mich darauf konzentriere, Zwiebeln zu schneiden, mache ich nur das. Es gibt auch Leute, die davon gestresst sind. Für mich ist es eine Rückbesinnung auf elementare Dinge, anstatt die ganze Zeit angespannt zu sein. Ich habe das einfach gerne.
MZEE.com: Hat sich diese Gelassenheit, die du beschreibst, im Laufe deines Lebens verändert?
Moses Pelham: Ich mochte das schon immer. Schon früher waren die einfachsten Dinge und Rezepte etwas, das mich erdete und ich irgendwie genoss. Es gibt viele Gerichte in dem Buch, die nur 30 Minuten dauern. Es ist kein langer Weg von dem Moment, in dem du dich entscheidest, bis zum Ergebnis deiner Arbeit. Aber du siehst und schmeckst, was du getan hast. Das ist eine schöne Erfahrung.
MZEE.com: Gibt es vielleicht ein Gericht aus deiner Kindheit, was bei dir besonders schöne Erinnerungen hervorruft?
Moses Pelham: Ja, die Rezepte meiner Oma. Einige davon findet man auch im Buch. Ich empfehle zu den Rezepten immer auch ein Getränk, meistens ein bestimmtes Bier oder einen bestimmten Wein. Es gibt aber auch ein paar Gerichte, bei denen ich eine Kirschsaft-Schorle oder dergleichen empfehle, weil mich das, wie das Gericht, an meine Kindheit erinnert. Dadurch entsteht dann gerne auch mal ein kindliches Gefühl der Geborgenheit. Die Käsenudeln nach dem Rezept meiner Oma lösen das zum Beispiel in mir aus. Das ist völlig verrückt.
MZEE.com: Führt das Vorbereiten, also zum Beispiel das Kochen eines Gerichts, bei dir schon zu Genuss oder ist es eher das Essen selbst?
Moses Pelham: Diese Vorfreude – da steckt das Wort Freude ja schon drin – gehört für mich dazu. Ich fange Alfred Biolek-mäßig schon beim Kochen mit dem Trinken an. Bei mir ist das schon Teil des Events.
MZEE.com: Wie ist das bei dir, wenn du Musik machst? Genießt du das Musizieren oder das fertige Produkt mehr?
Moses Pelham: Kochen und Musizieren liegen in einigen Belangen für mich nah beieinander. Das ist so irre. Da wirken dieselben Mechanismen. Natürlich ist es geil, wenn man am Ende etwas hat, auf das man zurückblickt, und feststellt, dass dies das Ergebnis all der investierten Mühe ist. Es ist auch besonders schön, wenn man das dann mit anderen teilen kann. Aber der Weg dahin, wie wir eben besprachen, ist schon Teil des Festes. Die krassesten Sachen entstehen, wenn die Menschen dabei Spaß haben. So ist es mit der Kunst auch. Es gibt bestimmt Leute, die über handwerkliche Fähigkeiten verfügen und bei denen immer etwas Krasses rauskommt. Für mich sind die herausragenden Sachen aber die, bei denen die Person etwas aus intrinsischer Motivation geschaffen hat, und nicht, um mir das Stück zu geben.
MZEE.com: Wenn man Musik hört, sucht man manchmal nach Dingen, die in irgendeiner Form berühren oder etwas in einem auslösen, das man selbst verstärken will. Es muss beeindruckend sein, wenn das aus einem selbst kommt.
Moses Pelham: Für mich ist es das auf jeden Fall. Bevor ich anfange zu schreiben, suche ich nach einem Klang, einer Tonverbindung, einem kurzen musikalischen Turnaround oder irgendetwas, das mich so tief berührt, dass der Schreibprozess überhaupt erst in Gang kommt. Manchmal probiere ich tagelang alles Mögliche aus und es passiert nichts. Das ist der Witz an der Sache. Dass plötzlich etwas rauskommt. Für mich ist das immer wieder ein Wunder.
MZEE.com: Ist Kochen auch eine Art von Kunst für dich?
Moses Pelham: Darüber, was Kunst ist und was nicht, kann man natürlich vortrefflich streiten. Oder man kann auch sagen, dass es keinen Wert hat, darüber zu streiten, und es lassen. Ich bin eher zurückhaltend damit, Dinge als Kunst zu bezeichnen. Ehrlich gesagt missfällt mir der inflationäre Gebrauch des Begriffs ziemlich.
MZEE.com: Ich frage, weil du gerade sagtest, dass Musikmachen und Kochen für dich so nah beieinander liegen.
Moses Pelham: Es lebt beides von einer Form der Komposition. Eine Zutat, die du hinzugibst, kann den ganzen Track oder deine Suppe versauen und du kannst alles wegschmeißen. Eine weitere Gemeinsamkeit ist, dass es irgendwann weniger darum geht, was du willst, sondern was das Ding braucht. Du musst dich dem unterordnen, wenn das Projekt etwas werden soll. Dennoch tue ich mich schwer damit zu sagen, dass Kochen Kunst ist. Für mich kann es keine Kunst sein, wenn nicht der Wunsch der Entäußerung besteht. Natürlich könnte man argumentieren, dass man durch das Gericht eine bestimmte Botschaft vermitteln wollte. Ich habe schon unfassbar aufwändige Sachen gegessen, bei denen ich nicht weiß, wie man sie herstellt. Es erfordert viel Vorbereitung und du musst es unzählige Male durchgeführt haben, bevor du es auf dieses Level bringen kannst. Aber Kunst?
MZEE.com: Sowohl Kochen als auch Kunstschaffen erfordern ein hohes Maß an Zuwendung, oder?
Moses Pelham: Du hast Jahre deines Lebens, in denen du das wiederholen musstest, gegeben, um auf dieses Level zu kommen. Das respektiere ich, aber ich habe ein Problem mit der inflationären Nutzung des Begriffs Kunst. Es gab früher die Fernsehsendung "ZDF-Hitparade", moderiert von Dieter Thomas Heck. Da sind Leute mit Vollplayback aufgetreten. Er hat sie dann als Interpreten und nicht als Künstler anmoderiert. Heute nennt sich jeder Künstler, aber das ist aus meiner Sicht nicht richtig. Es gibt ein Hesse-Zitat, in dem es um Kunst im Allgemeinen geht. Er sagt sowas wie: Die Dichtung müsse ihren Wert darin erweisen, dass sie beim Überwinden des Schweren hilft. Das ist für mich ein Merkmal von Kunst. Man kann natürlich sagen, dass ein Gericht auch Trost spenden kann und beim Ertragen des Schweren hilft. Ich weiß nicht, warum wir diese Diskussion führen müssen und will darüber nicht streiten. Ich würde sagen, es ist keine Kunst und dennoch großartig.
MZEE.com: Gibt es noch weitere Parallelen zur Musik für dich?
Moses Pelham: Es gibt wenig, das Erinnerungen so gut konserviert wie Gerüche oder Musik. Also zum Beispiel ein Lied, das dich zurück in die 80er versetzt. Oder Kaugummis, deren Geschmack mich gedanklich sofort wieder nach Amerika bringt. Genauso wie Root Beer. (lacht) Ich hasse es, aber einmal kurz kosten und sofort wieder sechs Jahre alt sein.
MZEE.com: Hat Genuss für dich mit Ästhetik zu tun?
Moses Pelham: Das gehört schon dazu. Ästhetik ist eines der Mittel. Übrigens gilt es wieder für die Kunst, mit der ich mich beschäftige, sowie für das Essen. Es gibt Fälle, in denen man bewusst auf die Ästhetik verzichtet, weil ein anderes Ziel verfolgt wird. Beim Essen sind es Gerichte, die einfach nicht appetitlich aussehen, aber trotzdem gut schmecken. Bei Kunst sind es Werke, die verstören sollen oder auf den ersten Blick keinesfalls ästhetisch sein dürfen.
MZEE.com: Wenn der Anblick verstörend ist, kann man ihn dann überhaupt genießen?
Moses Pelham: Ja, klar kann man das genießen. Hier unterscheiden sich Kunst und Essen aus meiner Perspektive. Es gibt Kunst, die ich gerade aufgrund des Ausdrucks der Verstörung darin feiere. Das kann ich mir beim Essen nicht vorstellen. Am ehesten trifft es vielleicht noch auf Menschen zu, die solche Schärfe-Challenges machen.
MZEE.com: Hat sich dein Genussempfinden im Laufe deines Lebens verändert?
Moses Pelham: Chima, der Rapper und Sänger aus Frankfurt, hat mal zu mir gesagt, dass er sich diesen "Kinder-Geschmack" bewahrt habe. Ihm schmeckt also immer noch Schokolade, aber noch immer kein Bier. Mir schmeckt heute beides. Bei einigen Dingen ändert sich mein Geschmack ständig, zum Beispiel bei Wein. Ich wähle jedes Jahr einen eigenen Wein und lasse ihn mir vom Winzer abfüllen. Den kann man dann in meinem Shop kaufen. Der, den ich vor drei Jahren für meinen Lieblingswein hielt, schmeckt mir heute nicht mehr. Mein Geschmack hat sich weiterentwickelt. Ich habe noch ein weiteres Beispiel: Früher habe ich Erbsensuppe immer glatt püriert, heute will ich die einzelnen Bestandteile in ihrer unterschiedlichen Konsistenz wahrnehmen. Es kommt für mich jetzt auf etwas anderes an. Allerdings gibt es auch Sachen, bei denen es noch genauso ist wie vor 40 Jahren.
MZEE.com: Welches Rezept aus deinem Buch kannst du besonders empfehlen?
Moses Pelham: Das ist wie bei einer Platte – da ist es auch schwierig zu sagen, welches davon mein Lieblingslied ist. Denn wenn ich eins auswähle, sage ich gleichzeitig, dass die anderen mir nicht so wichtig sind. Aber wären mir die Stücke nicht wichtig, wären sie nicht auf der Platte. Aus meinem Buch würde ich dennoch gern zwei Gerichte besonders hervorheben. Den Sauerbraten, weil die Mittel, mit denen er hergestellt wird, einfach so unglaublich sind. Den würde ich meinem Ich von vor 25 Jahren gerne kochen, um zu zeigen, was ohne Fleisch möglich ist. Das wäre das herausragendste Gericht. Aber anschließend an das, wohin wir in diesem Gespräch immer wieder zurückkehren: Ich will nicht den Rest meines Lebens Sauerbraten essen. Wenn ich nur noch ein Gericht jeden Tag essen müsste, wäre es der Pfannengerührte Tofu. Wenn ich mir just in diesem Moment ein Gericht wünschen würde, wäre es das Bacon Sandwich. Aber frag mich das morgen noch mal, dann werde ich wieder etwas anderes sagen.
(Malin Teegen)
(Fotos von Katja Kuhl)