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Interview

Moses Pelham – ein Gespräch über Genuss

"Es gibt wenig, das Erin­ne­run­gen so gut kon­ser­viert wie Gerü­che oder Musik." – Moses Pel­ham im Gespräch über die Par­al­le­len von Kochen und Musi­zie­ren, die Ver­bin­dung von Erleb­nis­sen mit Genuss und sein eige­nes Genussempfinden.

Genuss kann für jede:n etwas ande­res bedeu­ten – ein gutes Glas Rot­wein, ein Gericht, mit dem man posi­ti­ve Erin­ne­run­gen ver­knüpft, oder auch ein beson­de­res Musik­stück. Ins­be­son­de­re bei kuli­na­ri­schen Genüs­sen ist nicht nur das End­ergeb­nis, son­dern der gan­ze Weg von der Vor­be­rei­tung bis hin zum Anrich­ten und anschlie­ßen­den Essen für vie­le schon Teil des Erleb­nis­ses. Ähn­li­che Mecha­nis­men, wie sie bei die­sem Pro­zess statt­fin­den, grei­fen eben­falls beim Musik­ma­chen. Auch dort spie­len Krea­ti­vi­tät und Emo­tio­nen beim Ent­ste­hungs­pro­zess und dem fer­ti­gen Werk eine Rol­le. Ein Künst­ler, der sowohl das Musi­zie­ren als auch das Kochen zele­briert, ist Moses Pel­ham. Einer­seits hat er bis heu­te über zehn Mil­lio­nen Ton­trä­ger ver­kauft, ande­rer­seits hat er gera­de ein Koch­buch ver­öf­fent­licht, in dem er sei­ne per­sön­li­chen Lieb­lings­re­zep­te teilt. Letz­te­res nah­men wir zum Anlass, um dar­über zu spre­chen, was Genuss für ihn per­sön­lich bedeu­tet. Es ging außer­dem um Phi­lo­so­phie, Gelas­sen­heit und dar­um, wie sich sein Geschmack über die Jah­re ver­än­dert hat.

MZEE​.com​: Genuss hat vie­le Facet­ten und kann in unter­schied­li­chen Lebens­be­rei­chen erlebt wer­den – von Kunst über Essen bis hin zu Natur. Wie wür­dest du die­sen Begriff definieren?

Moses Pel­ham: (über­legt) Für mich ist Genuss etwas Sinn­li­ches und hat auch mit Hin­ga­be zu tun. Das Genie­ßen geht mit Freu­de ein­her, doch man kann nicht pau­sen­los genie­ßen. Ich fürch­te, beson­de­re High­lights kann es nur dann geben, wenn es auch etwas dar­un­ter gibt.

MZEE​.com​: Wür­dest du dich selbst als Genie­ßer bezeichnen?

Moses Pel­ham: Ein Genie­ßer ist wahr­schein­lich jemand, der die­se High­lights, bei denen wir eben waren, sucht, sich aber auch des­sen bewusst ist, dass das gera­de etwas Beson­de­res ist. Manch­mal ist mir das bestimmt bewusst, aber oft genug auch nicht. Es gibt Din­ge, die ich schät­ze und nach denen ich suche. Aber ehr­li­cher­wei­se wuss­te ich so man­chen Moment nicht zu schät­zen und habe ihn dem­zu­fol­ge auch nicht genos­sen, als ich es hät­te tun sol­len. Obwohl es natür­lich ein Ide­al ist, ist es lei­der nicht immer mög­lich, die ange­zeig­te Wert­schät­zung zu haben, was mir wirk­lich leid tut. Wir sind dafür ver­ant­wort­lich, unser Glück zu erken­nen, wenn es da ist. Im Nach­hin­ein ist das immer schwie­rig. Natür­lich kann man sagen, dass man den Urlaub genos­sen hat, aber das ist etwas ande­res, als es in dem Moment aktiv zu tun. Ich habe noch eine Asso­zia­ti­on dazu, was einen Genie­ßer aus­macht: Es hat etwas damit zu tun, dass man gewis­se Din­ge zele­briert. In dem Koch­buch, das ich kürz­lich her­aus­ge­bracht habe, gibt es ein Rezept für vega­nen Sau­er­bra­ten. Es dau­ert fünf Tage, bis er fer­tig ist. Den kannst du nicht essen, ohne zu zele­brie­ren. Bei der Zeit, die du gewar­tet hast, bei dem Auf­wand, den du betrie­ben hast – den Bra­ten musst du lan­ge mari­nie­ren, am Abend vor­her den Rot­kohl vor­be­rei­ten. Wenn du das dann nicht genießt, dann weiß ich auch nicht. Das soll­te dann schon ein klei­nes Event sein, zu dem man ein Glas Rot­wein trinkt und das bes­se­re Besteck raus­holt, wenn man wel­ches hat. (lacht)

MZEE​.com​: Etwas zu zele­brie­ren, kann auch bedeu­ten, Din­ge für einen spe­zi­el­len Anlass auf­zu­he­ben. Bei­spiels­wei­se öff­net man den teu­ren Wein nicht, wenn man gera­de einen Koch­wein braucht, oder?

Moses Pel­ham: Aber der Genie­ßer darf nicht zu lan­ge war­ten, bis der Wein auf­ge­macht wird, glau­be ich. Auch nicht nur neben­bei, aber du kennst sicher­lich die­je­ni­gen, die auf den rich­ti­gen Moment war­ten, der natür­lich nie kommt. Das eigent­li­che Abbild des Genie­ßens und des Lebens ist, das gute Geschirr öfter zu neh­men und den gei­len Wein zu trin­ken, wäh­rend es noch geht. Es bringt nie­man­dem etwas, wenn man nur war­tet und den Wein zwar wert­schätzt, aber nie trinkt. Aber das muss jeder selbst ent­schei­den. Es gibt bestimmt Leu­te, denen das Wis­sen, das sie die­sen Wein besit­zen, aus­reicht. Das macht sie schon glück­lich und sie müs­sen den gar nicht trin­ken. Das ist bestimmt auch eine Form von Genuss, aber es ist nicht das, was ich mit dem Wort asso­zi­ie­re. So bin ich nicht.

MZEE​.com​: Über­fluss kann dafür sor­gen, dass man etwas weni­ger wert­schätzt. Zum Bei­spiel füh­len sich Son­nen­schein und blau­er Him­mel anders an, nach­dem es lan­ge bewölkt und reg­ne­risch war. 

Moses Pel­ham: (lacht) Es gibt Leu­te, die genau aus die­sem Grund nach Kali­for­ni­en zie­hen. Sie wol­len nicht war­ten, bis mal wie­der schö­nes Wet­ter ist. Ich habe gera­de eine Podcast-​Folge mit mei­nem Kol­le­gen Jan Wehn auf­ge­zeich­net. Dar­in haben wir dar­über gespro­chen, dass in den ver­gan­ge­nen Wochen zwei Leu­te, die wirk­lich gro­ße Bei­trä­ge zur Frank­fur­ter Musik­sze­ne geleis­tet haben, ver­stor­ben sind. Bei­de Todes­fäl­le kamen für mich völ­lig über­ra­schend. Das war mir wie­der eine Mah­nung, das Leben wert­zu­schät­zen, bevor es vor­bei ist. Die End­lich­keit der Din­ge macht in gewis­ser Form ihren Wert aus. Ich fin­de es so scha­de, dass es den Tod braucht, um das Leben zu schät­zen. Oder den Man­gel, damit man den Wein, den es nur an einem Tag im Jahr gibt, zu wür­di­gen weiß. Ich ver­su­che sehr posi­tiv zu sein, ver­steh mich nicht falsch. Den­noch hat es auch eine gewis­se Tra­gik. Wür­de ich vor die Wahl gestellt wer­den, ein­mal im Leben die­sen beson­de­ren Wein zu trin­ken oder jeden Abend einen ein­fa­chen Wein, dann neh­me ich den ein­fa­chen. Das ist mehr mei­ne Vor­stel­lung von Leben.

MZEE​.com​: Das Genie­ßen von beson­de­ren Din­gen geht oft­mals mit Ritua­len ein­her. Bei­spiels­wei­se das Weih­nachts­es­sen oder das Ansto­ßen mit Schaum­wein zu beson­de­ren Anläs­sen. War­um ist das so?

Moses Pel­ham: Die­ses Fei­ern ist ja direkt an Genuss geknüpft. Wenn man Geburts­tag hat, lässt man es sich halt auch gut gehen. Oder wenn die gan­ze Fami­lie ein­mal im Jahr zusam­men­kommt und das in unse­rem Gespräch bereits bemüh­te gute Geschirr raus­ge­holt wird. (lacht)

MZEE​.com​: Ich wür­de gern mit dir dar­über spre­chen, dass Genuss auch einen kul­tu­rel­len Aspekt hat. Gemein­schaft­li­ches Essen zu zele­brie­ren, ist in allen Kul­tu­ren auf unter­schied­li­che Wei­se üblich.

Moses Pel­ham: Ich den­ke, das pas­siert, weil wir Nah­rung brau­chen. Es befrie­digt ein ele­men­ta­res Bedürf­nis, das wir alle haben, eben­so wie das Bedürf­nis nach sozia­ler Bin­dung und Gemein­schaft. Die Idee, bei­des zu kom­bi­nie­ren und gemein­sam zu fei­ern, hal­te ich für nahe­lie­gend. Das ist ein groß­ar­ti­ger Aspekt des Kochens im All­ge­mei­nen: Es deckt Grund­be­dürf­nis­se ab und spricht dabei noch ande­re Sin­ne an. Das beschrei­be ich auch in mei­nem Buch: Für einen ande­ren Men­schen zu kochen, ist eine Bekun­dung von Lie­be. Für sich selbst zu kochen, ist eine Form der Selbst­lie­be. Die Idee des Vega­nis­mus lei­det genau dar­un­ter, weil wir aus einer Gesell­schaft kom­men, die das Schlach­ten eines Tie­res für einen Aus­druck von Lie­be hält. Natür­lich nicht dem Tier gegen­über, aber den Men­schen, die dann an dem Mahl, das dar­aus wur­de, teil­neh­men. Das wird in der Bibel oft­mals beschrie­ben. Kön­nen wir damit bit­te auf­hö­ren? Das ist doch fürch­ter­lich. Wenn man dem ein Ende set­zen möch­te, wird man zum Mies­ma­cher gegen­über den­je­ni­gen, die das als Aus­druck von Lie­be sehen. Ich will nie­man­dem die­se Lie­be ver­mie­sen, denn ich ver­ste­he das. Aber wir könn­ten auch zusam­men­sit­zen, die Gesell­schaft von­ein­an­der genie­ßen und etwas Gei­les essen, ohne dass dafür ande­re Lebe­we­sen gequält und getö­tet wer­den. Dann ist es für uns alle gei­ler, wenn du mich fragst.

MZEE​.com​: Gibt es bestimm­te Ritua­le, auf die du beson­de­ren Wert legst?

Moses Pel­ham: Da gibt es vie­le ver­schie­de­ne. In mei­nem Musik­zim­mer zu sit­zen und eine neue Plat­te das ers­te Mal auf Anschlag zu hören. Oder mich ins Bett zu legen und eine neue "Die drei ???"-Fol­ge zu hören. Das ist ein Ritu­al, das ich seit mei­ner Kind­heit bei­be­hal­ten habe. Wenn ich allein esse, schaue ich gern Seri­en. Man­che wür­den viel­leicht sagen, dass das auch wie­der eine man­geln­de Wert­schät­zung gegen­über dem Essen ist. Aber ich feie­re es, da zu sit­zen, etwas Kurz­wei­li­ges zu schau­en und dabei zu essen. Ich glau­be, das liegt dar­an, dass ich das frü­her nicht durf­te. (lacht) Ich beschrei­be in dem Buch ein klas­si­sches Winter-​Klischee-​Ritual: Durch den Schnee­matsch lau­fen, um Zuta­ten für Erb­sen­sup­pe zu kau­fen. Das ist auch eine Form von Kul­tur. Außer­dem ist es ein Zei­chen dafür, dass man schon ein paar Jah­re hier gelebt hat, sowas als Ritu­al zu begrei­fen. Das ist eine schö­ne Sache, fin­de ich.

MZEE​.com​: Ich kann mir vor­stel­len, dass es bei einem vol­len Ter­min­ka­len­der nicht so leicht ist, sich die Zeit dafür zu neh­men. Zählt der Pro­zess vom Ein­kau­fen über das Vor­be­rei­ten bis hin zum Kochen für dich zur Ent­span­nung dazu?

Moses Pel­ham: Ganz und gar! Nor­ma­ler­wei­se koche ich nicht jeden Tag. Die Arbeit am Buch ist da eine Aus­nah­me. Sonst wird auch mal beim Lie­fer­dienst bestellt. Das ist auch groß­ar­tig, das will ich über­haupt nicht in Abre­de stel­len. Den­noch ist es etwas ande­res, wenn du dir die Zeit genom­men hast, die Zuta­ten zu besor­gen und anschlie­ßend das, was du mit dei­nen eige­nen Hän­den gemacht hast, mit lie­ben Men­schen zusam­men oder auch allei­ne genießt. Das ist doch klar. Ich fin­de, es hat bei­des sei­ne Berech­ti­gung, und ich möch­te weder auf das eine noch das ande­re ver­zich­ten. Meis­tens koche ich nur am Wochen­en­de. Aber das zu machen, fin­de ich groß­ar­tig. Des­halb nen­ne ich das Buch auch mein Kin­der­koch­buch für Erwach­se­ne. Die Rezep­te sind nicht kom­pli­ziert. Ich kann dabei wun­der­bar abschal­ten. Wäh­rend ich mich dar­auf kon­zen­trie­re, Zwie­beln zu schnei­den, mache ich nur das. Es gibt auch Leu­te, die davon gestresst sind. Für mich ist es eine Rück­be­sin­nung auf ele­men­ta­re Din­ge, anstatt die gan­ze Zeit ange­spannt zu sein. Ich habe das ein­fach gerne.

MZEE​.com​: Hat sich die­se Gelas­sen­heit, die du beschreibst, im Lau­fe dei­nes Lebens verändert?

Moses Pel­ham: Ich moch­te das schon immer. Schon frü­her waren die ein­fachs­ten Din­ge und Rezep­te etwas, das mich erde­te und ich irgend­wie genoss. Es gibt vie­le Gerich­te in dem Buch, die nur 30 Minu­ten dau­ern. Es ist kein lan­ger Weg von dem Moment, in dem du dich ent­schei­dest, bis zum Ergeb­nis dei­ner Arbeit. Aber du siehst und schmeckst, was du getan hast. Das ist eine schö­ne Erfahrung.

MZEE​.com​: Gibt es viel­leicht ein Gericht aus dei­ner Kind­heit, was bei dir beson­ders schö­ne Erin­ne­run­gen hervorruft?

Moses Pel­ham: Ja, die Rezep­te mei­ner Oma. Eini­ge davon fin­det man auch im Buch. Ich emp­feh­le zu den Rezep­ten immer auch ein Getränk, meis­tens ein bestimm­tes Bier oder einen bestimm­ten Wein. Es gibt aber auch ein paar Gerich­te, bei denen ich eine Kirschsaft-​Schorle oder der­glei­chen emp­feh­le, weil mich das, wie das Gericht, an mei­ne Kind­heit erin­nert. Dadurch ent­steht dann ger­ne auch mal ein kind­li­ches Gefühl der Gebor­gen­heit. Die Käse­nu­deln nach dem Rezept mei­ner Oma lösen das zum Bei­spiel in mir aus. Das ist völ­lig verrückt.

MZEE​.com​: Führt das Vor­be­rei­ten, also zum Bei­spiel das Kochen eines Gerichts, bei dir schon zu Genuss oder ist es eher das Essen selbst?

Moses Pel­ham: Die­se Vor­freu­de – da steckt das Wort Freu­de ja schon drin – gehört für mich dazu. Ich fan­ge Alfred Biolek-​mäßig schon beim Kochen mit dem Trin­ken an. Bei mir ist das schon Teil des Events.

MZEE​.com​: Wie ist das bei dir, wenn du Musik machst? Genießt du das Musi­zie­ren oder das fer­ti­ge Pro­dukt mehr?

Moses Pel­ham: Kochen und Musi­zie­ren lie­gen in eini­gen Belan­gen für mich nah bei­ein­an­der. Das ist so irre. Da wir­ken die­sel­ben Mecha­nis­men. Natür­lich ist es geil, wenn man am Ende etwas hat, auf das man zurück­blickt, und fest­stellt, dass dies das Ergeb­nis all der inves­tier­ten Mühe ist. Es ist auch beson­ders schön, wenn man das dann mit ande­ren tei­len kann. Aber der Weg dahin, wie wir eben bespra­chen, ist schon Teil des Fes­tes. Die kras­ses­ten Sachen ent­ste­hen, wenn die Men­schen dabei Spaß haben. So ist es mit der Kunst auch. Es gibt bestimmt Leu­te, die über hand­werk­li­che Fähig­kei­ten ver­fü­gen und bei denen immer etwas Kras­ses raus­kommt. Für mich sind die her­aus­ra­gen­den Sachen aber die, bei denen die Per­son etwas aus intrin­si­scher Moti­va­ti­on geschaf­fen hat, und nicht, um mir das Stück zu geben.

MZEE​.com​: Wenn man Musik hört, sucht man manch­mal nach Din­gen, die in irgend­ei­ner Form berüh­ren oder etwas in einem aus­lö­sen, das man selbst ver­stär­ken will. Es muss beein­dru­ckend sein, wenn das aus einem selbst kommt.

Moses Pel­ham: Für mich ist es das auf jeden Fall. Bevor ich anfan­ge zu schrei­ben, suche ich nach einem Klang, einer Ton­ver­bin­dung, einem kur­zen musi­ka­li­schen Tur­n­around oder irgend­et­was, das mich so tief berührt, dass der Schreib­pro­zess über­haupt erst in Gang kommt. Manch­mal pro­bie­re ich tage­lang alles Mög­li­che aus und es pas­siert nichts. Das ist der Witz an der Sache. Dass plötz­lich etwas raus­kommt. Für mich ist das immer wie­der ein Wunder.

MZEE​.com​: Ist Kochen auch eine Art von Kunst für dich?

Moses Pel­ham: Dar­über, was Kunst ist und was nicht, kann man natür­lich vor­treff­lich strei­ten. Oder man kann auch sagen, dass es kei­nen Wert hat, dar­über zu strei­ten, und es las­sen. Ich bin eher zurück­hal­tend damit, Din­ge als Kunst zu bezeich­nen. Ehr­lich gesagt miss­fällt mir der infla­tio­nä­re Gebrauch des Begriffs ziemlich.

MZEE​.com​: Ich fra­ge, weil du gera­de sag­test, dass Musik­ma­chen und Kochen für dich so nah bei­ein­an­der liegen.

Moses Pel­ham: Es lebt bei­des von einer Form der Kom­po­si­ti­on. Eine Zutat, die du hin­zu­gibst, kann den gan­zen Track oder dei­ne Sup­pe ver­sau­en und du kannst alles weg­schmei­ßen. Eine wei­te­re Gemein­sam­keit ist, dass es irgend­wann weni­ger dar­um geht, was du willst, son­dern was das Ding braucht. Du musst dich dem unter­ord­nen, wenn das Pro­jekt etwas wer­den soll. Den­noch tue ich mich schwer damit zu sagen, dass Kochen Kunst ist. Für mich kann es kei­ne Kunst sein, wenn nicht der Wunsch der Ent­äu­ße­rung besteht. Natür­lich könn­te man argu­men­tie­ren, dass man durch das Gericht eine bestimm­te Bot­schaft ver­mit­teln woll­te. Ich habe schon unfass­bar auf­wän­di­ge Sachen geges­sen, bei denen ich nicht weiß, wie man sie her­stellt. Es erfor­dert viel Vor­be­rei­tung und du musst es unzäh­li­ge Male durch­ge­führt haben, bevor du es auf die­ses Level brin­gen kannst. Aber Kunst?

MZEE​.com​: Sowohl Kochen als auch Kunst­schaf­fen erfor­dern ein hohes Maß an Zuwen­dung, oder?

Moses Pel­ham: Du hast Jah­re dei­nes Lebens, in denen du das wie­der­ho­len muss­test, gege­ben, um auf die­ses Level zu kom­men. Das respek­tie­re ich, aber ich habe ein Pro­blem mit der infla­tio­nä­ren Nut­zung des Begriffs Kunst. Es gab frü­her die Fern­seh­sen­dung "ZDF-​Hitparade", mode­riert von Die­ter Tho­mas Heck. Da sind Leu­te mit Voll­play­back auf­ge­tre­ten. Er hat sie dann als Inter­pre­ten und nicht als Künst­ler anmo­de­riert. Heu­te nennt sich jeder Künst­ler, aber das ist aus mei­ner Sicht nicht rich­tig. Es gibt ein Hesse-​Zitat, in dem es um Kunst im All­ge­mei­nen geht. Er sagt sowas wie: Die Dich­tung müs­se ihren Wert dar­in erwei­sen, dass sie beim Über­win­den des Schwe­ren hilft. Das ist für mich ein Merk­mal von Kunst. Man kann natür­lich sagen, dass ein Gericht auch Trost spen­den kann und beim Ertra­gen des Schwe­ren hilft. Ich weiß nicht, war­um wir die­se Dis­kus­si­on füh­ren müs­sen und will dar­über nicht strei­ten. Ich wür­de sagen, es ist kei­ne Kunst und den­noch großartig.

MZEE​.com​: Gibt es noch wei­te­re Par­al­le­len zur Musik für dich?

Moses Pel­ham: Es gibt wenig, das Erin­ne­run­gen so gut kon­ser­viert wie Gerü­che oder Musik. Also zum Bei­spiel ein Lied, das dich zurück in die 80er ver­setzt. Oder Kau­gum­mis, deren Geschmack mich gedank­lich sofort wie­der nach Ame­ri­ka bringt. Genau­so wie Root Beer. (lacht) Ich has­se es, aber ein­mal kurz kos­ten und sofort wie­der sechs Jah­re alt sein.

MZEE​.com​: Hat Genuss für dich mit Ästhe­tik zu tun?

Moses Pel­ham: Das gehört schon dazu. Ästhe­tik ist eines der Mit­tel. Übri­gens gilt es wie­der für die Kunst, mit der ich mich beschäf­ti­ge, sowie für das Essen. Es gibt Fäl­le, in denen man bewusst auf die Ästhe­tik ver­zich­tet, weil ein ande­res Ziel ver­folgt wird. Beim Essen sind es Gerich­te, die ein­fach nicht appe­tit­lich aus­se­hen, aber trotz­dem gut schme­cken. Bei Kunst sind es Wer­ke, die ver­stö­ren sol­len oder auf den ers­ten Blick kei­nes­falls ästhe­tisch sein dürfen.

MZEE​.com​: Wenn der Anblick ver­stö­rend ist, kann man ihn dann über­haupt genießen?

Moses Pel­ham: Ja, klar kann man das genie­ßen. Hier unter­schei­den sich Kunst und Essen aus mei­ner Per­spek­ti­ve. Es gibt Kunst, die ich gera­de auf­grund des Aus­drucks der Ver­stö­rung dar­in feie­re. Das kann ich mir beim Essen nicht vor­stel­len. Am ehes­ten trifft es viel­leicht noch auf Men­schen zu, die sol­che Schärfe-​Challenges machen.

MZEE​.com​: Hat sich dein Genuss­emp­fin­den im Lau­fe dei­nes Lebens verändert?

Moses Pel­ham: Chi­ma, der Rap­per und Sän­ger aus Frank­furt, hat mal zu mir gesagt, dass er sich die­sen "Kinder-​Geschmack" bewahrt habe. Ihm schmeckt also immer noch Scho­ko­la­de, aber noch immer kein Bier. Mir schmeckt heu­te bei­des. Bei eini­gen Din­gen ändert sich mein Geschmack stän­dig, zum Bei­spiel bei Wein. Ich wäh­le jedes Jahr einen eige­nen Wein und las­se ihn mir vom Win­zer abfül­len. Den kann man dann in mei­nem Shop kau­fen. Der, den ich vor drei Jah­ren für mei­nen Lieb­lings­wein hielt, schmeckt mir heu­te nicht mehr. Mein Geschmack hat sich wei­ter­ent­wi­ckelt. Ich habe noch ein wei­te­res Bei­spiel: Frü­her habe ich Erb­sen­sup­pe immer glatt püriert, heu­te will ich die ein­zel­nen Bestand­tei­le in ihrer unter­schied­li­chen Kon­sis­tenz wahr­neh­men. Es kommt für mich jetzt auf etwas ande­res an. Aller­dings gibt es auch Sachen, bei denen es noch genau­so ist wie vor 40 Jahren.

MZEE​.com​: Wel­ches Rezept aus dei­nem Buch kannst du beson­ders empfehlen?

Moses Pel­ham: Das ist wie bei einer Plat­te – da ist es auch schwie­rig zu sagen, wel­ches davon mein Lieb­lings­lied ist. Denn wenn ich eins aus­wäh­le, sage ich gleich­zei­tig, dass die ande­ren mir nicht so wich­tig sind. Aber wären mir die Stü­cke nicht wich­tig, wären sie nicht auf der Plat­te. Aus mei­nem Buch wür­de ich den­noch gern zwei Gerich­te beson­ders her­vor­he­ben. Den Sau­er­bra­ten, weil die Mit­tel, mit denen er her­ge­stellt wird, ein­fach so unglaub­lich sind. Den wür­de ich mei­nem Ich von vor 25 Jah­ren ger­ne kochen, um zu zei­gen, was ohne Fleisch mög­lich ist. Das wäre das her­aus­ra­gends­te Gericht. Aber anschlie­ßend an das, wohin wir in die­sem Gespräch immer wie­der zurück­keh­ren: Ich will nicht den Rest mei­nes Lebens Sau­er­bra­ten essen. Wenn ich nur noch ein Gericht jeden Tag essen müss­te, wäre es der Pfan­nen­ge­rühr­te Tofu. Wenn ich mir just in die­sem Moment ein Gericht wün­schen wür­de, wäre es das Bacon Sand­wich. Aber frag mich das mor­gen noch mal, dann wer­de ich wie­der etwas ande­res sagen.

(Malin Teegen)
(Fotos von Kat­ja Kuhl)