Immer wieder kommt es in den letzten Jahren zu Skandalen rund um Raptexte, Interviewaussagen von Künstlern oder Aktionen fernab der eigentlichen Kunst. Die daraus resultierenden Debatten münden dabei zumeist in einem inhaltsleeren Argumentationskrieg, den am Ende der "Lautere" gewinnt. Selten geht es dabei wirklich um die ursprünglichen Inhalte der angestoßenen Debatten. Stattdessen erhalten die "Sieger" der Debatten häufig enormen Zuspruch ohne inhaltlichen Mehrwert. Weshalb ist dieser Status quo so problematisch? Warum sollten wir für eine offenere Diskussionskultur kämpfen und welche teilweise erschreckenden Parallelen zu Phänomenen aus dem Bereich der Extremismus- und Radikalisierungsforschung finden wir im HipHop?
"Wahrheit" im HipHop
Wer einen Satz wie "Ich kenne die einzige und absolute Wahrheit!" unironisch ausspricht, ist wahrscheinlich auch relativ empfänglich für extremes Gedankengut. Dies ist kein üblicher Satz im HipHop-Kontext. Trotzdem sind in der deutschen HipHop-Szene einige Protagonisten zu beobachten, die sich selbst, zumindest im Rap-Kontext, als allwissend darstellen. Dabei sollte gerade Musik eine Geschmacksfrage sein und somit enorm viel Diskussionsraum bieten. "Du bist fake", "Das ist echter HipHop" oder "Das hat mit HipHop nichts zu tun" sind nur einzelne Beispiele für Aussagen, die einem gerade im Rapgame immer wieder begegnen. Diese Aussagen stellen zumeist keine reine Meinungsäußerung dar, sondern eine Beanspruchung der Deutungshoheit – eine Beanspruchung, die gerade im kulturellen Kontext keine Legitimität besitzt.
Der britische Philosoph John Stuart Mill könnte hier einigen Vertretern dieses Teils der Szene hinsichtlich ihres festgefahrenen Standpunkts vielleicht die Augen öffnen: "Ihre Schlußfolgerung mag richtig sein, aber sie könnte nach dem, was wir wissen, auch falsch sein; sie haben sich niemals auf den geistigen Standpunkt derjenigen gestellt, die anders denken als sie … und sie kennen demzufolge nicht […] die Auffassung, zu der sie sich bekennen."
Verständnis und Diskussionskultur auf musikalischer Ebene
Hierbei geht es nicht darum, alle musikalischen Ausrichtungen von Rap per se abzufeiern, sondern sie zumindest als das zu akzeptieren, was sie sind: ein Teil der HipHop-Kultur. Stattdessen erlebt man immer wieder, wie sich einige Protagonisten, insbesondere Rapper, von der aktuellen Szene distanzieren, "weil das ja nichts mehr mit dem wahren Sound zu tun hat". Einer möglichen Diskussion wird sich zumeist verweigert und das, obwohl diese wahrscheinlich einen positiven Einfluss auf die künftige musikalische Ausrichtung hätte.
Es ist zum Beispiel kein Problem, im Jahr 2021 Torch zu hören. Problematisch wird es erst, wenn andere und vor allem jüngere Künstler pauschal abgelehnt werden. Denn so wird die Engstirnigkeit gleich im doppelten Sinne deutlich. Der "klassische" Sound wird nämlich auch heute noch produziert, selbst wenn er vielleicht nicht den aktuellen Zeitgeist widerspiegelt oder besonders erfolgreich ist. Einem Künstler wie Umse tritt man bestimmt nicht zu nahe, wenn man sein 2020er Album "Uno", welches gemeinsam mit Produzent Nottz entstand, soundtechnisch den 90ern oder dem Boom bap zuordnet oder als "klassischen" HipHop bezeichnet. Gleichzeitig können aber zum Beispiel auch Trap oder Cloudrap entstehen, ohne dass man das verteufeln müsste.
Außerdem finden permanente Neuerungen auf musikalischer Ebene und Diskussionen darüber statt. Das Pochen auf die eigene scheinbare Allwissenheit und Deutungshoheit ist also nicht sonderlich produktiv, sondern wirkt hingegen eher einschränkend. Das häufig stattfindende "Schubladendenken" funktioniert bei den meisten HipHop-Künstlern auch kaum beziehungsweise nur in sehr geringem Umfang. Snoop Dogg etwa scheint sich in nahezu jeder Soundausrichtung mal ausprobiert zu haben, die Zugehörigkeit in den HipHop-Kosmos ist ihm jedoch seit seinem Debüt "Doggystyle" nicht abzusprechen. Ähnliches lässt sich auch über Kendrick Lamar sagen, ein Name, der immer wieder bei der Diskussion fällt, wer denn aktuell wohl der beste oder relevanteste Rapper der Welt sein könnte. Dabei lässt sich sein soundtechnischer Stil kaum näher definieren, weil dieser sich mit fast jedem neuen Projekt entscheidend ändert. Auch wenn einem nicht alles von ihm gefällt, sollte man diese Stilwechsel als wichtigen Teil des Künstlers und von Rap allgemein akzeptieren. Denn ohne zu wissen, was einem persönlich nicht gefällt, lässt sich auch wesentlich schlechter definieren und erläutern, welcher Sound einem gut gefällt.
Die musikalische Offenheit bietet auch gerade im Live-Bereich vielfältige Möglichkeiten. In den letzten Jahren integrierte zum Beispiel Fettes Brot als Band, die musikalisch in den 90ern verwurzelt ist, immer wieder neuere musikalische Elemente in ihre Liveshows. So wurde unter anderem 2019 "Bier" gecovert, ein Trapsong der 102 BOYZ und BHZ. Gerade die Kombination von zwei verschiedenen musikalischen Richtungen, wie in diesem Fall Boom bap und Trap, ist letztlich das, was die HipHop-Kultur musikalisch voranbringt und ein Auf-der-Stelle-Treten verhindert. In der deutschen Raplandschaft sind sich einige Künstler für ein offenes Ohr bezüglich anderer musikalischer Strömungen häufig aber zu schade. Stattdessen wird nicht selten erwähnt, deutsche Rapmusik nicht zu hören, nicht zu kennen oder grundsätzlich schlecht zu finden. Konkret erhält dann nur das eigene Camp oder Label Support. Szeneübergreifende Props für Künstler bleiben eine Seltenheit, wie etwa Haftbefehl, auf den sich viele verschiedene Parteien einigen können.
Kritikfähigkeit im Rapgame
Das Aufrechterhalten einer Diskussionskultur sollte aber nicht nur auf soundtechnischer Ebene stattfinden, sondern auch, wenn es um den Inhalt der Musik geht. Doch hier sieht es insgesamt eher düster aus. "Schmutzige Rapper, Schutzgelderpresser. Ihr macht alle, was ihr wollt, aber eure Mucke nicht besser", rappt Yassin auf dem Track "Klingelton" gemeinsam mit Audio88. Damit trifft er einen wunden Punkt vieler Rapper, die sowohl privat als auch inhaltlich negativ auffallen. Das Problem: Während inhaltlich teilweise neue Tiefpunkte erreicht werden, sind auf der anderen Seite auch immer größere Erfolge zu verbuchen. Künstler mit einem gewissen Bekanntheitsgrad sind (zumindest finanziell) meistens nicht gezwungen, auf Kritik gegenüber homophoben, sexistischen oder rassistischen Textzeilen einzugehen. Die aktuell erfolgreichsten Künstler sind häufig nicht mal bereit, sich in Interviewsituationen zu begeben, selbst wenn es keine Kritik zu befürchten gilt. Denn die Selbstvermarktung funktioniert ab einer gewissen Größe über die eigenen Social Media-Kanäle schlicht schneller und einfacher.
Attribute wie Kritikfähigkeit scheinen teilweise fast vollständig verloren gegangen zu sein. Anstatt einer kritischen Aussage in diskursfreundlicher Form entgegenzutreten, wird diese entweder vollständig ignoriert, als grundsätzlich falsch abgetan oder das eigene Verhalten durch Begriffe wie "Kunstfreiheit" verteidigt. Gerade durch dieses Verhalten entstehen ungünstige Situationen, die zumeist extreme Positionen weiter stärken. Der Rapper nimmt nicht die Rolle des unterlegenen Außenseiters ein, sondern sieht sich selbst mitsamt seiner extremen Einstellung auf einem scheinbar unantastbaren Podest und ist in der Lage, diese Vorteilsposition auch für sich zu nutzen und zu verteidigen.
Einige Rap-Portale veröffentlichen in den letzten Jahren vermehrt Videos beziehungsweise speziell Interviews mit Künstlern, in denen Musik, wenn überhaupt, eine untergeordnete Rolle spielt. Bereits die Videotitel sind geprägt von Schlagworten wie "Beef", "Rapper X über Rapper Y", "Diss" oder "Statement zu". Diese Bezeichnungen sind sicherlich förderlich für die Klickzahlen, nicht aber als Bezeichnung für Videos gedacht, bei denen es ursprünglich mal um Musik, Kunst und Kultur gehen sollte. Die genannten Schlagworte heizen Fans oder Fürsprecher der jeweiligen Parteien noch zusätzlich an. Denn diese stehen bereits in den Startlöchern, um die neuesten Konfrontationen und verbalen Angriffe möglichst schnell anzusehen, um sie dann weiter zu verbreiten. Ähnliche Phänomene existieren auch in Debatten fernab der HipHop-Welt. Erst im letzten Jahr kam es zum großen "TV-Duell" zwischen Donald Trump und Joe Biden. Worum es inhaltlich ging, wissen mittlerweile vermutlich nicht mal mehr die beiden Kontrahenten. Dies liegt auch daran, dass sie sich inhaltlich (insbesondere Donald Trump) nicht viel zu sagen hatten. Stattdessen wurden möglichst schlagkräftige "Punchlines" gegen den jeweils anderen vorgetragen oder alternativ die eigene Redezeit überzogen, um den Gegner und eine mögliche Debatte gleichzeitig zu schwächen.
Zudem scheinen sich, gerade im politischen Wettkampf in den USA, Menschen fast schon blind und fanatisch hinter Politiker zu stellen, ohne sich mit den tatsächlichen politischen Inhalten näher zu befassen. Was zählt, ist schließlich die "Coolness". Das Pendant hierzu bilden im Rap-Kosmos Personen, sowohl Künstler als auch Fans, die sich ohne Weiteres blind hinter Rapper stellen, ohne dabei möglicherweise gerechtfertigte Kritik zu beachten. Das Ergebnis sind dann häufig "#TeamRapperXY"-Kommentare und Statements, die Diskussionen, unabhängig von der Thematik, keinen Mehrwert liefern. Die Verbreitung solcher Hashtags ist für Diskurse nur selten förderlich. Anstatt die eigene Haltung mit Argumenten zu untermauern, wird sich lediglich kommentarlos hinter eine Person gestellt. Hierdurch entstehen noch größere Spaltungen, die Debatten auf Augenhöhe unmöglich machen. Durch das teilweise blinde Bekenntnis zu Einzelpersonen wird bereits der Ansatz einer Diskussion unterbunden, da mögliche Kritikpunkte als grundsätzlich ungerechtfertigte Angriffe betrachtet werden. Parallel verurteilen dieselben Künstler und Fans häufig eine entstehende Cancel Culture. Dabei sind diese gerade mit ihren häufig argumentlosen Statements und Solidaritätsbekundungen zumeist für das Entstehen einer Cancel Culture mitverantwortlich, da auf Kritik nicht eingegangen wird.
"Es sind Freimaurer, ich weiß das von Xavier Naidoo", ist eine Zeile von Fatoni aus dem Track "Tränen oder Pisse", in welchem er sich kritisch und ironisch mit Verschwörungstheorien auseinandersetzt. Sätze wie "Ich weiß das von XY" oder "Das habe ich auf Facebook gelesen" sind häufiger die Grundlage für Social Media-Diskussionen. Auch einige Rapfans folgen dieser Idee und schreiben als Antwort auf kritische Stimmen "starke" Statements unter YouTube-Videos ihrer Helden. Konkrete Argumente sucht man häufig vergeblich. Es geht lediglich darum, sich für eine Seite zu entscheiden und dieser beizupflichten. Problematisch wird es, wenn anstelle eines möglichen argumentativen Diskurses mit der Gegenseite eine sofortige Grenzlinie gezogen wird. In solchen Momenten greift auch der Begriff der "Cancel Culture" zu kurz. Denn das "Canceln" betrifft nicht nur eine Diskurspartei oder Einzelperson, sondern nahezu alle Teilnehmer des Diskurses. Der eigentliche Inhalt spielt dann keine Rolle mehr. Stattdessen liefern sich die Diskursparteien einen Schlagabtausch, ohne sich auf die ursprünglichen Thematiken zu beziehen. Das Ergebnis sind nicht selten Kommentarspalten auf Facebook, Instagram oder YouTube, welche in einem Sumpf aus inhaltsleeren Beleidigungen und Statements ertrinken.
Social Media – Mobilisierung von Fans
Noch vor einigen Jahren war die Nutzung von Social Media-Plattformen keine Alltäglichkeit. Doch mittlerweile gehören die bereits erwähnten Hasskommentare zum Tagesgeschäft. Sie sind die extremste und offensichtlichste Ausprägung eines Phänomens, das durch Social Media enorm gewachsen ist. Kommt es zu Kritik an Künstlern, dauert es meist keine 24 Stunden, bis sich scheinbare "Hardcore-Fans" mobilisieren und dem kritisierten Künstler Zuspruch geben, während die Kommentarspalten unter Beiträgen von Kritikern parallel mit Aussagen wie "Du laberst Scheiße" oder "Was für ein Schwachsinn" geflutet werden. Diese und ähnliche Sätze führen zu einem sofortigen Ende einer möglichen Diskussion um häufig zurecht kritisierte Inhalte. Denn ein Satz wie "Du laberst Scheiße" bezieht sich meistens nicht auf die inhaltliche Kritik, sondern auf den generellen Umstand, dass Kritik an dem eigenen Lieblingskünstler geübt wurde – dieser nimmt nämlich für einige Fans die Rolle eines unantastbaren Helden ein. Diese Position ist sicherlich hilfreich in verschiedensten Situationen und Lebenslagen der Fans, da Musik bekanntlich Kraft spendet und dabei hilft, schwierige Umstände zu durchleben. Aber sie wird eben höchst problematisch, wenn im Zuge dessen auch alle Aussagen des Künstlers als grundsätzlich unanfechtbar betrachtet werden. Selbst bei extrem fraglichen Aussagen wird sich teilweise noch blind mit dem Künstler solidarisiert.
Aus etlichen Studien geht mittlerweile hervor, dass gerade Jugendliche und Personen aus sozial schwächeren Milieus sehr empfänglich für extremistisches Gedankengut und dem damit eng verknüpften Radikalisierungsprozess sind. Ebenjener Prozess ist deshalb so gefährlich, weil es im weiteren Verlauf stetig schwieriger wird, diesen umzukehren oder zu durchbrechen. Das liegt daran, dass die Welt mit Beginn des Radikalisierungsprozesses durch eine Brille mit einem extremistisch-ideologischen Rahmen betrachtet wird. Ist dieser Rahmen erst mal vorhanden, wird eine Gegenargumentation besonders schwierig, da die eigene ideologische Ausrichtung der sich radikalisierenden Jugendlichen eben als feststehend und unumstößlich betrachtet wird.
Ursächlich für die Radikalisierungsprozesse sind hier zumeist die Dualismen zwischen verschiedenen sozialen Milieus, die sich aus der schon ewig bestehenden sozialen Ungleichheit in der deutschen Gesellschaft ergeben. Bei der Hinwendung zu einer extremen Ideologie, um zum Beispiel die Ursachen und "Schuldigen" für die eigene soziale Stellung zu suchen, verfängt man sich schnell in einem Prozess der Depluralisierung. Dabei werden individuelle Probleme scheinbar durch das Verfolgen einer allgemeingültigen beziehungsweise kollektiven Lösung lösbar, vorgegeben durch eine Ideologie. Der ideologische Deutungsrahmen beschränkt dann die Handlungsmöglichkeiten der Individuen enorm. Zusätzlich entsteht ein Abgrenzungsbedürfnis, welches aus simplen Kategorien wie "Ihr" und "Wir" besteht. Nicht unwichtig ist dabei auch das noch relativ neue Feld rund um das Internet und Social Media – dies zeigen zum Beispiel die jüngsten Geschehnisse rund um Corona, Verschwörungstheorien und Rechtsextremismus, die sich ihren Raum im Netz suchen und diesen in kürzester Zeit ausweiten. Witze über Telegram-Gruppen sind im ersten Moment zwar relativ unterhaltsam, doch sollte nie vergessen werden, wie empfänglich viele Menschen für scheinbar einfache Lösungen und die Verteufelung anderer Personengruppen sind.
Aber was hat das mit Rap zu tun?
Hier geht es nicht um einen direkten Vergleich oder eine Abstraktion der Phänomene, die in der Rapszene und beim Prozess der Radikalisierung stattfinden. Trotzdem gibt es einige Begebenheiten in beiden Feldern, die sich sehr ähneln und die man beachten sollte, um eine Diskussionskultur innerhalb der HipHop-Szene als auch der Gesellschaft aufrechtzuerhalten. Zunächst wäre hier die Altersgruppe, die überwiegend Rapmusik hört, zu beachten, die der Personengruppe, welche für extreme Ideologien empfänglich ist, nicht unähnlich ist. Hier handelt es sich überwiegend um junge Personen beziehungsweise konkret Minderjährige, die nicht selten aus einem eher komplizierten sozialen Umfeld stammen. Die soziale Herkunft ist häufig eine Gemeinsamkeit zwischen Rappern und Fans, welche wiederum eine Identifikation der Fans mit den Rappern enorm stärkt. Diese Identifikationskraft wird in den letzten Jahren zusätzlich durch das stetige Zunehmen der Social Media-Aktivitäten der Künstler vergrößert. Gerade in diesem Bereich wird das Problem der fehlenden Diskussionskultur deutlich.
Die Kritik wie auch das Lob von Künstlern und ihrem Werk sind wichtig und sinnvoll. Aber zu oft wird sich auf bereits vorgefertigte Aussagen versteift, ohne sich mit einem neuen Song, einem Statement oder einer Interview-Antwort eines Künstlers konkret zu beschäftigen. Es geht längst nicht mehr um die kritische Auseinandersetzung mit den Inhalten der Musik. Zumeist werden lediglich bereits bestehende Meinungen kopiert und reproduziert – einfach, "um auch etwas zum Thema gesagt zu haben". Diese Haltung wird durch Social Media stark gefördert. Viele Menschen befassen sich nicht mehr oder kaum noch mit Themen oder Inhalten, sondern affizieren die "Informationen" und damit einhergehenden Meinungen von anderen "Experten" über Social Media. Anders lässt sich auch nicht erklären, wie einige Personen die Einstellung vertreten, dass die kompliziertesten Sachverhalte innerhalb von 280 Zeichen auf Twitter diskutiert und bewertet werden können.
Ein Mittelweg scheint in diesen Diskussionen zu oft schlicht unmöglich. Rapper werden glorifiziert oder verteufelt, sie gehören entweder in den HipHop-Himmel oder sofort vollständig gecancelt. Doch auch dieses Schwert ist zweischneidig. Denn eine Verbesserung der Diskussionskultur kann nur in Zusammenarbeit mit den Protagonisten der Szene funktionieren. Zu viele Künstler meiden Interviews fast vollständig und gehen nicht auf Kritik ein. Und falls doch, dann zumeist nicht auf inhaltlicher Ebene, sondern auf der "Ihr checkt meinen Film einfach nicht"-Schiene, die den Spalt zwischen beiden Parteien noch zusätzlich vergrößert. Auch hier zeigen sich einige Parallelen zu extremen Ideologien. Jugendliche suchen zumeist Orientierung, gerade in sozial schwächeren Milieus. Wenn sich ein Rapper als "hart", "meinungsstark" und "standhaft" darstellt, kann das viele Jugendliche schnell beeindrucken und ihnen auch Halt liefern. Problematisch wird es aber, wenn dem Künstler blind aus der Hand gefressen wird: Es spielt keine Rolle, was der Künstler erzählt. Wichtig ist nur, dass er eben die Rolle des Helden einnimmt und diese verkörpert. Blickt man in die Kommentarspalten von Instagram-Beiträgen oder YouTube-Videos etwaiger Rapper, lässt sich zu oft die Streitmacht der "uniformierten Uninformierten" erkennen. Ein Beispiel hierfür sind die nahezu kontextlosen #FreeGzuz-Bekundungen vieler Fans in den letzten Monaten, ohne sich mit den mehr als problematischen Aktivitäten von Gzuz als Künstler, aber auch als Privatperson auseinanderzusetzen. Stattdessen werden kritische Stimmen verteufelt und offensichtliche Fehltritte des Rappers relativiert oder kleingeredet.
Insgesamt wird es also äußerst schwierig, eine produktive Diskussionskultur innerhalb der HipHop-Szene zu schaffen. Teilweise erscheint es so, dass Künstler nur als schlecht oder gut bewertet werden können. Dass sowohl Künstler, Kunstfiguren als auch die Personen dahinter aber auch menschliche Stärken und Schwächen besitzen, scheint für einige Fans mittlerweile unmöglich, wodurch der Diskussion einzelner Inhalte leider die Grundlage entzogen wird.
Auf der einen Seite müssten sich also Künstler, speziell die besonders erfolgreichen, wieder häufiger Kritik und Interviewsituationen stellen. Auf der anderen Seite dürfte sich die Kritik nicht nur in Form von verteufelnden Manifesten gestalten. Hier sollte der kritisch-produktive Diskurs beider Parteien nicht mit einem "Abkumpeln" ohne etwaige Diskussionen verwechselt werden, wie es einigen HipHop-Medien, teilweise zurecht, vorgeworfen wird. Aktuell sieht es allerdings zu oft so aus, dass sich einige wenige Protagonisten an der selbst geschaffenen "Grenze" treffen, um sich lediglich Schlagworte an den Kopf zu werfen. Dahinter stehen dann Fans und Hater, die diese Schlagworte aufgreifen, reproduzieren und weiterverbreiten, ohne den Diskurs inhaltlich zu bereichern.
Ebenjene Diskursablehnung findet mittlerweile gleich auf mehreren Ebenen in der HipHop-Welt statt, so auch auf der musikalischen Ebene. Hier ist die Diskursvermeidung zwar nicht so dramatisch wie auf inhaltlicher oder speziell politischer Ebene, allerdings ebenfalls unproduktiv. Denn die scheinbar gängige Philosophie, zwar deutsche Rapmusik zu produzieren, aber diese gleichzeitig abzulehnen, führte in den letzten Jahrzehnten zu einer zunehmenden Aufspaltung der einstigen deutschen HipHop-Szene. Und wer sich bereits auf soundtechnischer Ebene gegenseitig ablehnt, wird vermutlich auch nicht auf inhaltlicher Ebene in eine Diskussion gehen. Dies führt zu einer weiteren Frontenverhärtung, die letztlich nicht nur den HipHop-Kosmos betrifft, sondern auch gesamtgesellschaftliche Auswirkungen hat, speziell bei Betrachtung der überwiegend jungen Fanbases verschiedenster Rapper.
(Alec Weber)
(Grafik von Daniel Fersch)