Wenn man Sylabil Spill im letzten Jahr verfolgt hat, hat man vieles gesehen, das täglich in Deutschland passiert, aber leider immer noch zu wenig Aufmerksamkeit bekommt. Denn er wird von Rechten kontinuierlich tyrannisiert und angegriffen. Sein Instagram-Account wurde zweimal gehackt und mit ekelhaften, rassistischen Beleidigungen und erschreckenden Bildern gefüllt. Er wird wiederholt von der Polizei schikaniert. Sein Konto wurde gehackt, um ihm Geld im Wert von mehreren Tausend Euro zu stehlen. Er bekommt seit Monaten unzählige rassistische Nachrichten. Auch vor seinem Projekt "Tracksrunner" – bei dem er Jugendliche sportlich fördert, um ihnen eine Perspektive zu bieten – machen die Rechtsextremen keinen Halt und hacken die Social Media-Kanäle oder beschmieren den Bus, mit dem sie gemeinsam zu Sport-Veranstaltungen fahren. All das trägt er über seine Internetpräsenz an die Öffentlichkeit und zeigt uns schonungslos seine Lebensrealität. Er macht auf strukturelle Probleme aufmerksam und zeichnet das Bild vom großen Ganzen. Er scheut sich nicht davor, den Finger in die Wunde des deutschen Egos zu legen. Als Konsequenz daraus schränkt Instagram seine Reichweite ein. Es lässt einen sprachlos zurück. Doch nicht so Sylabil Spill. Er kämpft immer weiter und gibt nicht auf. Er wehrt sich und macht immer und immer wieder auf das fehlerhafte System aufmerksam. Wie bringt man den Diskurs in den sozialen Medien in die Mitte der Gesellschaft? Wie lassen sich die Gedanken der Leute in Taten umwandeln? Wie betreibt man effektiv Aktivismus? Zu diesen und weiteren Gedanken trafen wir uns mit Sylabil Spill aka Der Radira zum Gespräch. Wir redeten auch über die HipHop-Kultur als politisches Sprachrohr und darüber, was dieser Kampf mit ihm als Menschen macht.
MZEE.com: HipHop ist ursprünglich aus einer politischen Bewegung heraus entstanden und ist bis heute an vielen Stellen sehr politisch. Sind diese beiden Komponenten in deinem Leben miteinander verbunden oder passiert das unabhängig voneinander?
Sylabil Spill: Die waren eigentlich immer separat. Aktuell findet aber eine kleine Verschmelzung statt, weil man zwangsläufig nicht darum herumkommt. Erfolgreiche Künstler gewinnen politisch an Einfluss. Man merkt wiederum auch, wie die Politik versucht, HipHop und Künstler zu maßregeln oder für ihre Belange zu beanspruchen. Sei es Kanye West mit Donald Trump oder Afrob mit der CDU – wobei die Beweggründe hier andere waren. Er hat nicht gesagt: "Ich bin jetzt CDU", sondern ist viel näher rangegangen. Nach dem Motto: "Ich bin hier und ihr regiert hier. Meine Stimme ist da, also lasst uns über bestimmte Problematiken reden." Ich habe mal mit ihm darüber gesprochen. In der Art könnte man die Annahme, dass Afrob sich von der CDU habe instrumentalisieren lassen, nämlich mit einem Satz aus der Welt schaffen. Wie gesagt, mein Ansatz war ursprünglich komplett separiert von der politischen Seite. Aber jetzt merke ich einfach, wie sich das Ganze miteinander vermengt.
MZEE.com: Wie viel hat die deutsche Rapszene heute noch mit dem Grundgedanken von HipHop gemein?
Sylabil Spill: Gar nichts. Ich würde sagen, im Europa-Vergleich haben wir am wenigsten mit dem politischen Grundgedanken zu tun. Wir sind größtenteils rein wirtschaftlich an die Kultur gekoppelt. Was wird denn in der deutschen Rapszene verkauft? Was wird bewegt? Wer regiert? Du hast die großen Major-Labels mit allem, was dazugehört. Dann gibt es noch ein paar Hybrid-Labels, bei denen Künstler auftauchen, die tatsächlich die Kunst feiern und die vielleicht auch politisch angehaucht sind. Aber die erfolgreichsten Künstler sind die, die Konsumgüter bewerben. Natürlich ist das im weitesten Sinne Wirtschaft und Politik. Aber das hat wenig mit dem HipHop-Ursprungsgedanken, sich zu erklären, zu tun. Den Kids wird nicht suggeriert, dass du mit Rap auf Dinge aufmerksam machen und deine Meinung sagen kannst. Sondern, dass du dir so eine Gucci-Tasche, einen AMG und deiner Mama eine fette Villa kaufen kannst. Das führt dazu, dass die Dynamik komplett verschoben wird. Rap ist so einfach nur Musik mit geschäftlichem Hintergrund beziehungsweise ein Geschäft mit musikalischem Hintergrund. Das ist ein Fakt, der aber auch nur unsere Gesellschaft widerspiegelt.
MZEE.com: Wie wichtig ist es dir, die HipHop-Kultur zu leben?
Sylabil Spill: Die Kultur ist mir superwichtig, die trage ich in mir. Ich muss nur gucken, wie ich das in einer für mich angenehmen Form leben kann. Ich will das Politische immer so rüberbringen, dass ein Lösungsansatz preisgegeben wird. Um es dem Hörer greifbarer zu machen. Früher habe ich die Musik als Ventil benutzt, weil ich viel erlebt habe, und nur die Kunst gelebt. Das kann ich auch gut, schließlich bin ich damit groß geworden. Aber damit ist es nicht getan. Es ist wichtig, dass man Lösungsvorschläge anbietet. Darum geht es. Rap ist die Kunstform, aber HipHop ist die Kultur. Das wissen viele nicht. Nichtsdestotrotz muss man schauen, dass man die Balance hält und sich nicht nur in der Kunst verliert. Das wäre zu elitär. Den Zugang sollte man fairerweise mit den Fähigkeiten, die man als Künstler mitbringt, jedem ermöglichen.
MZEE.com: Verhältnismäßig viele Menschen teilen deine Posts auf Instagram und machen auf das, was dir im letzten Jahr widerfahren ist, aufmerksam. Wie nimmst du das wahr? Ist das an vielen Stellen für dich nur blinder Aktivismus, um vielleicht auch das schlechte Gewissen zu beruhigen, Teil eines auf Ungleichheit beruhenden Systems zu sein?
Sylabil Spill: Ich denke, ja. Natürlich freut es mich sehr, wenn Leute die Posts teilen, aber ganz ehrlich … man fühlt sich wie ein Gladiator. Die meisten schauen größtenteils zu. Ab und zu, wenn es brenzlig wird, springt jemand in die Arena und gibt dir ein Tuch, um dein Blut abzutupfen. Wenn der Löwe wiederkommt, springen sie weg. Um mal bei dem Bild zu bleiben: Wenn sie sehen, dass man angegriffen wird, kommen alle und sagen: "Lass dich nicht unterkriegen!" Aber wenn nichts mehr passiert, kommt auch keiner mehr und das ist blinder Aktivismus. In meinen Augen ist es so, dass viele Leute sich profilieren, indem sie es sich tatsächlich zu leicht machen. Einmal liken und teilen. Aber damit ist es nicht getan. Ich kann offen sagen, dass die Situation psychisch unfassbar belastend ist. Du bist in einem Zustand, aus dem du einfach nicht rauskommst. Das ist wie im Knast. Nonstop fucken einen irgendwelche Leute ab. Ich werde die ganze Zeit gemeldet. Leute versuchen, mein Profil zu hacken. Entweder löschst du das Profil oder du versuchst, positiv zu bleiben und denkst dir: "Man, keep on trackin'." Du kannst daran kaputt gehen und verbittern. Aber ich mache weiter. Umso nerviger ist es, wenn sich alle nur kurz draufstürzen. Aber wenn der Löwe kommt, sind sie weg, wedeln mit ihren Tüchern und sagen: "Das schaffst du schon!"
MZEE.com: Aktivismus ist in deinem Fall nur bedingt etwas gewesen, das du dir aussuchen konntest, als du dich im letzten Jahr gegen rechte Angriffe gewehrt hast. Gibt es trotzdem bestimmte Ziele, die du verfolgst?
Sylabil Spill: Mein Ziel ist es erst mal, bei den Menschen mehr Bewusstsein zu schaffen. Die Weiße Gesellschaft muss sich über ihre Privilegien bewusst werden und checken, dass Rassismus nicht das Problem der Schwarzen ist. Das war nicht unsere Erfindung, sondern ist das Erbe der Weißen. Es ist aus dem Ruder geraten und die Schwarzen müssen das jetzt lösen. Um ein Beispiel zu geben: Du musst dir als Weißer Mensch nie Gedanken über deine Hautfarbe machen, wenn es um berufliche Konstellationen oder Wohnungsbesichtigungen geht. Ich aber muss an alles denken und mich von meiner besten Seite zeigen, weil ich Schwarz bin. Irgendeiner hat dir diesen Vorteil gegeben, also lass uns das zusammen lösen. Es kann nicht sein, dass das Problem von anderen kommt und ich es lösen muss, weil sie zu blöd sind, um zu verstehen, dass das nichts mit mir zu tun hat, sondern gegen mich ist. Das Bewusstsein ist der Lösungsansatz. Man muss erst mal verstehen. Ansonsten will ich den Kids, die ich supporte, zusehen, wie sie ihr Ding machen. Ich mag es, die Mädels zu unterstützen, weil sie oft underrated sind. Gesellschaftliche Tricks vermitteln uns, dass wir in einer feministischen Gesellschaft leben, aber das tun wir nicht. Den Frauen werden Rechte "gegeben". Das heißt im Umkehrschluss, dass die Gesellschaft diese Rechte auch wieder nehmen kann. Ich möchte diese Mädels stärken, egal, welche Hautfarbe sie haben. Das Miteinander ist mir wichtig. Ich möchte meinen Beitrag dazu leisten, dass die Gesellschaft mehr akzeptiert. Denn jeder ist gefragt. Don't look at me. Guck dich selber an. Akzeptiere, dass dir Vorteile gegeben wurden, die du genießt und gegen die du nichts tust. People get fucked up and killed. Und das in Deutschland. Ich versuche, das mit Courage, Ausdauer und Positivität durchzuziehen.
MZEE.com: Wie radikal muss man vorgehen, damit man in der Gesellschaft etwas vorantreiben kann?
Sylabil Spill: Extrem radikal. Wenn keiner randaliert, wird man in unserer eingeschlafenen Gesellschaft nicht gehört. Wirtschaftlich starke Nationen zeichnen sich dadurch aus, dass die Menschen immer funktionieren. Und Deutschland ist die fette Larve in der Mitte Europas, denn alle Transaktionen fließen durch Deutschland. Nach der Kriegszeit sind wir darauf konditioniert worden, besonders hart zu arbeiten, damit wir wieder wer sind. Das System ist so aufgestellt, dass du kaum die Möglichkeit hast, durchzustoßen. Entweder bist du wie alle ein Arschloch oder du bist dagegen.
MZEE.com: Ist es komisch für dich, wenn Menschen, die keine BIPoC sind, beim Thema Rassismus radikal werden?
Sylabil Spill: Ich finde das super. Solange sie nicht auf White Saviour machen, weil sie denken, man brauche sie oder dass nur sie den Schwarzen helfen könnten. Wenn Leute, die sich selbst als ungewollte Erbträger von Rassismus sehen, radikal werden, sind sie bei mir willkommen. Das ist gut. Das Problem ist: Wir haben oft das Bild, dass ein Rassist ein Glatzkopf mit Springerstiefeln ist, der die ganze Zeit die rechte Hand hebt – wie diese japanischen Katzen. Dem ist aber nicht so. Ein Rassist denkt größtenteils wirtschaftlich. Rassismus ist ein Machtinstrument, um Verbrechen zu vertuschen. Rassisten haben keinen Respekt. Und wie begegne ich jemandem, der mir gegenüber keinen Respekt hat? Bestimmt nicht, indem ich versuche, das ganz rational anzugehen. First of all I'm doing savaging. Dann hast du Angst, ich erkläre es dir, dann verstehst du es und hast Respekt. Rassisten haben keinen Respekt vor der Würde des Menschen. Ich bekomme als 14-Jähriger eine Ohrfeige, erzähle das und ein deutscher Junge sagt zu mir: "Das stimmt doch gar nicht, das macht man hier nicht. Wir sind nicht in Amerika." Da wirst du entweder verrückt oder fängst im schlimmsten Fall an, weiße Menschen zu hassen. And that's stupid. Deswegen bin ich ein Freund von Radikalität, um danach zu reden. Plump einfach radikal zu sein, ist nicht cool.
MZEE.com: Die Menschenrechtswissenschaftlerin Kathryn Sikkink sagt, man dürfe Fortschritt nicht an einem Idealzustand messen, daran könne man nur scheitern. Halten politische Bewegungen oft zu sehr an Idealvorstellungen fest und wollen zu schnell zu viel?
Sylabil Spill: Jein. Es kommt immer auf die Agenda an. Es funktioniert nicht, ganz nach dem Motto "Riot" vorzugehen, weil du versuchst, ein System auszuhebeln, das vor dir kam und auch nach dir bestehen wird. Man muss systematisch an die Sachen rangehen. Man sollte Idealzustände formulieren, aber nicht illusorisch sein und versuchen, genau diese Ideale in die Tat umzusetzen.
MZEE.com: Du gehst vehement gegen den Rassismus, der dir widerfährt, vor. Hast du dabei manchmal Bedenken, weil du auf so viel Widerstand triffst, dass selbst die "Tracksrunner"-Kinder mit reingezogen werden?
Sylabil Spill: Natürlich haben sie das alles irgendwann herausgefunden. Ich bin offen damit umgegangen und habe ihnen erklärt, was Sache ist. Die meisten hatten leider schon Berührungspunkte damit. Ich habe aber keine Bedenken. Es wäre falsch, Angst zu haben, wenn ich im Recht bin und für etwas Gutes kämpfe. Angst ist immer ein schlechter Ratgeber. Ich versuche, immer für sie da zu sein. Sie dürfen mich zu jeder Uhrzeit anrufen, wenn sie etwas brauchen. Aber ich habe deshalb beschlossen, keine Jugendlichen unter 15 Jahren mehr zu betreuen, weil es zu heikel ist.
MZEE.com: Wie oft verspürst du das Gefühl, an all dem zerbrechen zu können?
Sylabil Spill: Um ehrlich zu sein … Ich wäre kein Mann, wenn ich nicht manchmal das Gefühl hätte, dass mir die Luft wegbleibt. Ich bin oft am Ende. Aber, weißt du, es gibt zwei Sätze, die mir immer helfen. Zum einen: "Am Ende wird alles gut. Und wenn es noch nicht gut ist, ist es auch nicht das Ende." Damit stehe ich schon mal halb auf. Und dann kommt mein Superquote: "Aufgeben ist denen gegenüber respektlos, die an dich glauben." Dann stehe ich auf und denke mir: "Ey, Mann, let's go!" Ich mache nichts falsch und das ist entscheidend. Ich bin oft kaputt, geschafft und müde. Es muss aber weitergehen.
MZEE.com: Wie kann man dich auf deinem Weg am besten unterstützen?
Sylabil Spill: Informiert euch zum Thema Rassismus. Redet darüber, gebt euch Mühe, zu verstehen, dass das nicht das Problem der Schwarzen ist. Das reicht mir. Ansonsten: I'm man enough. Das kriegen wir schon hin.
(Yasmina Rossmeisl)
(Fotos von Marie Eisenbarth)