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Interview

Antifuchs – ein Gespräch über das Brechen mit Konventionen

"Manch­mal habe ich das Gefühl, dass die Indus­trie bei lau­ten Frau­en, die nicht der Norm ent­spre­chen, kein Ver­mark­tungs­po­ten­zi­al sieht. Es wird dir schwer gemacht, Fuß zu fas­sen, wenn du nicht dem ent­sprichst, wie Män­ner dich sehen wol­len." – Anti­fuchs über bestehen­de Kon­ven­tio­nen im Musikgeschäft.

"Die Fra­ge ist nicht, wer mich lässt, son­dern wer mich stop­pen will." – Die­ses Zitat stammt von der russisch-​amerikanischen Schrift­stel­le­rin und Phi­lo­so­phin Ayn Rand. Es drückt ihre Über­zeu­gung aus, dass man sich nicht von gesell­schaft­li­chen Kon­ven­tio­nen und Erwar­tun­gen ein­schrän­ken las­sen, son­dern den Mut auf­brin­gen soll­te, den eige­nen Weg zu gehen – unge­ach­tet derer, die dies ver­hin­dern wol­len. Auf der Tape­fa­brik 2023 tra­fen wir uns zum Gespräch mit einer Künst­le­rin, bei der es gewis­ser­ma­ßen schon im Namen steckt, dass sie mit Kon­ven­tio­nen bricht und den Sta­tus quo her­aus­for­dert: Anti­fuchs. In ihrem Fall bedeu­tet das vor allem, sich gegen das zu weh­ren, was die Gesell­schaft und ihr per­sön­li­ches Umfeld von Mäd­chen und Frau­en erwar­ten. Nicht nur in ihrer Jugend war die in Kasach­stan gebo­re­ne Künst­le­rin mit der­ar­ti­gen Rol­len­bil­dern kon­fron­tiert, son­dern auch ab dem Moment, in dem sie zum ers­ten Mal eine Büh­ne betrat. Im Inter­view erzähl­te Anti­fuchs, wie sie sich als Frau in der män­ner­do­mi­nier­ten deut­schen Rap­sze­ne durch­ge­setzt hat, inwie­fern die Musik für sie iden­ti­täts­stif­tend war und war­um sie häu­fi­ger in Kon­flikt mit Secu­ri­tys und Tür­ste­hern gerät.

MZEE​.com: Vor Kur­zem hast du dei­nen Track "1999" releast und damit gewis­ser­ma­ßen eine Kon­ven­ti­on gebro­chen. Sel­ten zuvor hat man dich so nach­denk­lich, per­sön­lich und ver­letz­lich gehört. Über Insta­gram hast du berich­tet, dass dir nie eine Ver­öf­fent­li­chung schwe­rer gefal­len sei. War­um war es jetzt an der Zeit für die­sen Schritt?

Anti­fuchs: Gute Fra­ge. (über­legt) Ursprüng­lich soll­te das der Titel­track für mein kom­men­des Album "Femi­nem" wer­den. Ich habe den Beat von mei­nem Pro­du­zen­ten TACKA77 gepickt und hat­te direkt einen deepen Song im Kopf. Ich dach­te mir, dass alle etwas Fre­ches von mir erwar­ten, also woll­te ich etwas Tief­grün­di­ges machen. Dann war der Song fer­tig und ich wuss­te: "Der ist so per­sön­lich gewor­den, der kann nicht der Titel­track für mein Album wer­den." (lacht)

MZEE​.com: Wie kam es dazu, dass er so per­sön­lich wurde?

Anti­fuchs: Gewis­ser­ma­ßen knüpft der Track an das Intro mei­nes ers­ten Albums an, "1989". Dar­in habe ich auch schon frü­he­re Pha­sen mei­nes Lebens ver­ar­bei­tet, aller­dings eher ober­fläch­lich. Ich habe gemerkt, dass ich jetzt, also fünf Jah­re spä­ter, auf einem ganz ande­ren Level der Ver­ar­bei­tung bin und mich vor allem mit mei­ner Jugend ab 1999 aus­ein­an­der­set­ze. Dazu zählt auch der Weg, wie ich zum Rap­pen gekom­men bin. Ich mache gera­de mein drit­tes Album. Da über­legt man, was man noch nie erzählt hat und noch erzäh­len könn­te. Irgend­wie hat­te ich das Bedürf­nis, zu erklä­ren, woher ich kom­me und war­um ich so bin, wie ich bin. Nor­ma­ler­wei­se bre­che ich mit mei­nen Songs aus, schreie her­um und erschre­cke die Hörer teil­wei­se. (lacht) Bei "1999" habe ich mich bewusst ent­schie­den, einen Ton anzu­schla­gen, der für mög­lichst jeden leicht zugäng­lich ist. Der Song kommt ohne Adlibs und nur mit einer Spur. Damit war auch die Auf­nah­me für mich unge­wohnt und ich habe mich ins­ge­samt auf eine ande­re Art als sonst reflektiert.

MZEE​.com: "1999" beschreibt unter ande­rem eine rebel­li­sche Jugend – über den typi­schen puber­tä­ren Trotz hin­aus­ge­hend. Wel­chen Wer­ten und Erwar­tun­gen dei­ner Fami­lie konn­test oder woll­test du nicht gerecht werden?

Anti­fuchs: Es war vor allem das The­ma, wie man als Mäd­chen zu sein hat. Ange­fan­gen hat es mit sie­ben oder acht, als ich voll von Tic Tac Toe geflasht war. Danach kam Brit­ney Spears und irgend­wann hat­te ich die ers­te Eminem-​CD in der Hand. Ab da war mir klar: "Ich will die­se Baggy-​Pants haben." Ich habe das alles ein­fach gefühlt. Par­al­lel dazu war ich zehn Jah­re lang Cheer­lea­der. Ich bin also mei­ne hal­be Jugend im kur­zen Rock und die ande­re Hälf­te in Baggy-​Pants her­um­ge­lau­fen. (lacht) Vie­le die­ser Din­ge muss­te ich mir jedoch erar­bei­ten, indem ich mich gegen die Erwar­tun­gen, wie man sich als Mäd­chen zu ver­hal­ten hat, auf­leh­nen muss­te. Ich habe ange­fan­gen, Deutschrap zu hören, obwohl mei­ne Freun­din­nen das nicht gehört haben. Mei­ne ers­ten Baggy-​Pants muss­te ich zurück in den Laden brin­gen, weil mein Vater so gar nicht hap­py damit war. Eini­ge Jah­re spä­ter, als ich mei­nen ers­ten Job hat­te, konn­te ich mir sol­che Din­ge selbst kau­fen. Spä­tes­tens ab die­sem Punkt konn­te mein Vater auch nichts mehr dage­gen tun. Irgend­wann hat­te ich dann die ers­te Cli­que, in der auch mei­ne Freun­de gerappt haben. Dort habe ich mich wohl­ge­fühlt, weil ich akzep­tiert wur­de, wie ich bin. Auch wenn ich mich mal nicht "typisch weib­lich" ver­hal­ten habe.

MZEE​.com: Von die­sen Hür­den kön­nen sicher eini­ge nicht-​männliche Protagonist:innen in der Rap-​Szene ein Lied sin­gen. Dei­ne Erfah­run­gen klin­gen sehr ähn­lich wie das, was OG LU letz­tens in einem ande­ren Inter­view über ihren Hin­ter­grund und Weg in den Rap erzählt hat. Auch sie muss­te schon in ihrer Jugend aus dem aus­bre­chen, was als typisch weib­lich ange­se­hen wurde.

Anti­fuchs: Wobei ich glau­be, dass eini­ge Frau­en mitt­ler­wei­le auch eine ande­re Rap-​Sozialisation haben. Ich muss­te mich selbst über die letz­ten Jah­re erst ein­mal dar­an gewöh­nen, aber nicht jede Frau geht seit 2005 auf Jams und zieht sich jedes Batt­le rein. Dass jetzt auch Frau­en mit einem ande­ren Back­ground dabei sind, hat sich anfangs für mich tou­ris­tisch ange­fühlt. Ich fan­ge aber an zu ler­nen, dass das dazu­ge­hört und ich trotz­dem wei­ter mei­nen eige­nen Weg gehen kann, ohne wie ande­re sein zu müssen.

MZEE​.com: Sich gegen Erwar­tun­gen auf­zu­leh­nen, war, wie du sag­test, ein Bestand­teil dei­ner per­sön­li­chen Rap-​Sozialisation. Gab es in dei­nem Leben eine Art Wen­de­punkt, an dem du gemerkt hast, dass es sich lohnt, nicht alles als gege­ben hin­zu­neh­men und mit Kon­ven­tio­nen zu brechen?

Anti­fuchs: Ja, das habe ich in dem Moment gemerkt, als ich mir die Mas­ke ange­zo­gen und mit Rap-​Battles ange­fan­gen habe. Das war ein klei­nes Video-​Battle-​Turnier namens BRT (Anm. d. Red.: Batt­leR­ap­Ti­me), gewis­ser­ma­ßen ein Abklatsch vom VBT. (lacht) Ich bin aber weit gekom­men! Bestimmt ins Viertel- oder Ach­tel­fi­na­le, das war gar nicht schlecht für das ers­te Battle-​Turnier. Jeden­falls gab es einen Typen, der mir mei­nen ers­ten Auf­tritt im Jugend­zen­trum ver­schafft hat und danach zu mir mein­te: "Mach doch mal net­te­re Musik. Du bist so ein süßes Mäd­chen, dir ste­hen die­se Schimpf­wör­ter nicht." Ich dach­te mir nur: "Fick dich, wer bist du eigent­lich?" Gleich­zei­tig habe ich jedoch Erfah­rung am Mic und mit Live-​Auftritten gebraucht. Also habe ich die Ent­schei­dung gefasst, eine Mas­ke auf­zu­zie­hen, auf Batt­les zu gehen und mei­ne gan­ze Wut dort her­aus­zu­las­sen. Die­se Wut krie­ge ich näm­lich immer, sobald mir jemand sagt, dass ich etwas als Frau nicht machen darf oder etwas nicht weib­lich sei. Das erweckt in mir ein inne­res Bedürf­nis, es unbe­dingt machen zu wol­len und zu bewei­sen, dass ich es nicht nur kann, son­dern die Leu­te es sogar fei­ern wer­den. Das war die Geburt von Anti­fuchs. Ursprüng­lich dach­te ich, dass ich nur den Battle-​Scheiß mit Mas­ke und den net­ten Kram ohne mache . Dann habe ich die Mas­ke jedoch nie wie­der abgezogen.

MZEE​.com: Fans und Hörer:innen ken­nen dich heu­te vor allem als selbst­be­wuss­te Künst­le­rin. Wie du schon erwähnt hast, kana­li­sierst du in dei­ner Musik oft dei­ne Wut und trittst laut und mit erho­be­nem Mit­tel­fin­ger auf. Hast du das Gefühl, dass man als Frau in der HipHop-​Szene immer tough und selbst­be­wusst sein muss und weni­ger Schwä­che als Män­ner zei­gen darf?

Anti­fuchs: Ich kann nur für mich und das Umfeld spre­chen, in dem ich mit Rap sozia­li­siert wur­de. Das war vor 15 Jah­ren und auf den Jams waren nur Män­ner. Du wuss­test: "Okay, ich gehe jetzt auf die­se Büh­ne und in der Crowd ste­hen nur Typen." Ich erin­ne­re mich an einen mei­ner ers­ten rich­ti­gen Auf­trit­te, eine Jam in Bochum. Da waren zum Bei­spiel Creutz­feld & Jakob auf der Büh­ne. Und dann kom­me ich vor die­ses männ­li­che Rap-​Publikum und bin auch noch Mas­ken­rap­per. Das macht es schon mal nicht leicht, aber dann auch noch als Frau! Mir war bewusst, dass ich ablie­fern muss und am Ende, wenn ich von der Büh­ne gehe, alle Kinn­la­den unten sein müs­sen. Es hat sich jedes Mal ange­fühlt, als hät­te man nur eine Chan­ce abzu­lie­fern, weil es sonst viel­leicht nicht wei­ter­geht. Das galt auch für jeden Backstage-​Bereich, den man betre­ten hat. Über­all, wo ich hin­kam, war mir klar: "Du musst jetzt allen bewei­sen, dass du unfick­bar bist." Eben weil du in die­sem Umfeld vie­len Vor­ur­tei­len gegen­über­stan­dest. Weil du dort als ein­zi­ge Frau nur mit Typen her­um­ge­lau­fen bist und es hieß: "Die lässt sich sowie­so von dem weg­fi­cken." Du muss­test mit dei­nem gesam­ten Ver­hal­ten durch­gän­gig aus­strah­len, dass es nicht so ist. Angriff war die bes­te Ver­tei­di­gung. Natür­lich habe ich auch viel Aner­ken­nung bekom­men, gera­de in die­sem "Real Rap"-Bereich. Wenn ich von der Büh­ne gegan­gen bin und die Leu­te gemerkt haben: "Alter, die kann wirk­lich was", gab es auch immer viel Liebe.

MZEE​.com: "Angriff war die bes­te Ver­tei­di­gung" passt gut zu einem Zitat, dass ich dir ger­ne vor­le­sen wür­de. Die Autorin Rebec­ca Trais­ter schreibt Fol­gen­des über wüten­de Frau­en: "The furious fema­le is […] a per­ver­si­on of both natu­re and our social norms. She is ugly, out of con­trol, unp­lea­sant to be around, irra­tio­nal, cra­zy, infan­ti­le. Abo­ve all, she must not be heard." – Kannst du das, was sie schreibt, nach­voll­zie­hen? Wer­den wüten­de Frau­en ein­fach als hys­te­risch abge­stem­pelt, wäh­rend Wut bei Män­nern eher als Zei­chen von Stär­ke, Durch­set­zungs­ver­mö­gen und Lei­den­schaft inter­pre­tiert wird?

Anti­fuchs: Ja. Ich habe das Gefühl, Män­ner in Macht­po­si­tio­nen füh­len sich bedroht, wenn eine Frau lau­ter oder aggres­si­ver spricht. Ich weiß nicht, war­um ich das anzie­he, aber ich habe bei­spiels­wei­se öfter mal Stress mit Secu­ri­tys oder Tür­ste­hern. (grinst) Nach einem Auf­tritt bin ich oft hei­ser, laut und schreie her­um. Das hört sich dann viel­leicht aggres­si­ver und weni­ger nach klei­nem Mäd­chen an. Ich glau­be, davon füh­len sich eini­ge in ihrer Männ­lich­keit ange­grif­fen. Natür­lich spie­le ich auch damit. Ich habe einen Track, auf dem sage ich: "'Ey, Fot­ze, ich zeig' dir, wer der Boss ist' – sag' ich zum Secu­ri­ty und will mich mit ihm boxen." Ich mache mich halt ger­ne über die­ses Mann-​Frau-​Bild lus­tig. Außer­dem rap­pe ich viel über Rap, denn das war sozu­sa­gen mei­ne ers­te Ziel­grup­pe. Als ich ange­fan­gen habe, habe ich kei­ne Hörer ange­spro­chen, son­dern Rap­per. Ich woll­te von ihnen gehört werden.

MZEE​.com: Und wie ist das Feed­back der Rapper:innen? Wird dir in der Sze­ne mitt­ler­wei­le das Gefühl gege­ben, dass dei­ne Wut gerecht­fer­tigt ist?

Anti­fuchs: Sowohl als auch. Vie­le geben mir sehr viel Respekt und vor allem unter Künst­lern bekom­me ich sehr viel Lie­be und posi­ti­ves Feed­back. Ab und zu den­ke ich mir: "Krass, wir ken­nen uns über­haupt nicht, aber du hast mei­ne Mucke schon mal gehört." Manch­mal habe ich jedoch das Gefühl, dass die Indus­trie bei lau­ten Frau­en, die nicht der Norm ent­spre­chen, kein Ver­mark­tungs­po­ten­zi­al sieht. Es wird dir noch immer schwer gemacht, Fuß zu fas­sen, wenn du nicht dem ent­sprichst, wie eine Frau sein soll­te und wie Män­ner dich sehen wol­len. Aber ich will mich nicht beschwe­ren. Ich wuss­te schon immer, dass ein län­ge­rer Weg nicht zwin­gend falsch ist. Ich habe in den letz­ten Jah­ren vie­le Erfah­run­gen gemacht, an meh­re­ren Orten gear­bei­tet und ver­schie­de­ne Ebe­nen der Indus­trie ken­nen­ge­lernt. Jetzt weiß ich, was ich machen will und dass es gar nicht ver­kehrt war, sich da durch­zu­kämp­fen. Das hat mich stär­ker gemacht. Jede Wand, die du mit dei­nem Kopf ein­rennst, macht dei­nen Dick­schä­del härter.

MZEE​.com: Und hin­ter­lässt viel­leicht auch ein Loch für ande­re, die nach dir kom­men. Kannst du also viel­leicht sogar die Rol­le einer Vor­rei­te­rin einnehmen?

Anti­fuchs: Boah, eine Vor­rei­ter­rol­le. (lacht) Ich fin­de es immer schwie­rig, sich so etwas selbst zuzu­schrei­ben. Das müs­sen ande­re ent­schei­den. Ich mache ein­fach nur mein Ding. Auf mei­nem neu­en Album sage ich: "Ich kämp­fe für mich selbst, ich bin kei­ne Femi­nis­tin." Natür­lich bin ich stolz, wenn ich ande­re inspi­rie­ren oder ihnen eine Tür öff­nen kann, aber ehr­lich gesagt ist das nicht mein Anspruch. Ich habe ange­fan­gen, weil ich die Bes­te sein woll­te. Weil ich wuss­te, dass das, was die ande­ren machen, wack ist und ich das bes­ser kann. Eigent­lich ego­is­tisch, aber Rap ist halt Rap. Es ist eine Com­pe­ti­ti­on. Klar sagt jeder von sich, er sei der Bes­te, aber ich neh­me mir die­se Ein­stel­lung mitt­ler­wei­le raus. Ich habe mir mei­ne Skills erar­bei­tet und kann mir auf die Schul­ter klop­fen, wenn ich mei­ne Shows ohne Voll­play­back durch­zie­he. Wenn das ande­re Frau­en mit­zieht, ist es cool. Vor drei Jah­ren war ich noch frus­triert und habe "Ich find' euch schei­ße" geschrie­ben. Es gab nur Rotz bei den Frau­en, ich hät­te kot­zen kön­nen. Ich habe mich gefragt: "War­um gibt es nicht gei­len Rap von Frau­en?" Mitt­ler­wei­le habe ich ein schlech­tes Gewis­sen, die­sen Song zu spie­len, denn dass sich die Sze­ne dahin­ge­hend ent­wi­ckelt, sieht man ja bei­spiels­wei­se am Line-​Up hier auf der Tape­fa­brik. Der Song war natür­lich sowie­so ganz ande­ren Frau­en gewid­met, aber gera­de, wenn ich hier Mädels wie Die P oder Press­luft­han­na sehe – die sind so dope und krass. Das gibt mir voll das gute Gefühl und gleich­zei­tig die Hoff­nung, dass wir uns end­lich Gehör verschaffen.

MZEE​.com: Wie du zuvor bereits ange­deu­tet hast, unter­schei­den sich Kon­ven­tio­nen je nach der Sozia­li­sa­ti­on, die die Men­schen erfah­ren haben. Damit sind sie maß­geb­lich auch an Kul­tur­krei­se gekop­pelt. Du kamst als Kind von Kasach­stan nach Deutsch­land und warst ver­mut­lich lan­ge mit Kon­ven­tio­nen zwei­er Kul­tu­ren kon­fron­tiert. Hat dich das vor Wider­sprü­che gestellt oder für zusätz­li­che Rei­bungs­punk­te gesorgt?

Anti­fuchs: Ich wur­de 1989 zu Zei­ten der Sowjet­uni­on in Kasach­stan gebo­ren und habe neben mei­ner deut­schen Staats­bür­ger­schaft auch eine rus­si­sche. Allein das hat schon eine Iden­ti­täts­kri­se aus­ge­löst, weil ich gar nicht wuss­te, wo ich hin­ge­hö­re. Die­se Kri­se kommt noch aus den Gene­ra­tio­nen vor mir, glau­be ich. Die waren als Spät­aus­sied­ler mit deut­schen Vor­fah­ren in sowje­ti­schen Län­dern, wo sie nicht frei­wil­lig hin­ge­kom­men sind, son­dern irgend­wie ver­teilt und zwangs­um­ge­sie­delt wur­den. In den 90ern durf­ten sie zurück und dach­ten sich: "Wir kom­men nach Hau­se." Dann kamen sie nach Deutsch­land und waren hier "die Rus­sen". Dabei hat­ten sie deut­sche Vor­fah­ren. In den sowje­ti­schen Län­dern haben sie auch nicht dazu­ge­hört, weil sie dort "die Deut­schen" waren. So ent­wi­ckelt sich eine Art "Zwi­schen­iden­ti­tät", bei der man Din­ge aus bei­den Kul­tu­ren mit­be­kommt. Es ent­steht ein stän­di­ges Suchen: "Wer bin ich eigent­lich? Was darf ich und wozu gehö­re ich?" Rap hat mir da eine gewis­se Iden­ti­tät gege­ben. Mit 15 oder 16 kam ich in die­se Krei­se und war auf mei­nen ers­ten Kon­zer­ten. Dann stehst du da bei Savas in der ers­ten Rei­he, guckst den Typen neben dir an, schreist "Lutsch mei­nen Schwanz" und fühlst dich empowert. Heu­te iden­ti­fi­zie­re ich mich als Rap­per und glau­be, dass ich dadurch alles fin­den kann, was ich suche.

MZEE​.com: Mir fällt auf, dass du dich auch vor­hin schon mal bewusst als "Rap­per" bezeich­net hast.

Anti­fuchs: Ich habe, schon bevor die Gender-​Debatte in die Öffent­lich­keit gerückt ist, gesagt, dass ich kei­ne Rap­pe­rin bin, son­dern Rap­per. Ich mache doch nichts ande­res als mei­ne männ­li­chen Kol­le­gen. Natür­lich habe ich kein Pro­blem damit, wenn ande­re mich als Rap­pe­rin bezeich­nen, im Deut­schen wird das nun mal so gemacht. Aber für mich ist das ein neu­tra­ler eng­li­scher Begriff. So wie DJ oder Cheer­lea­der. Männ­li­che Cheer­lea­der hie­ßen bei uns frü­her Cheer­boys und haben das gehasst. Genau so has­se ich Wör­ter wie Frau­en­rap, Female-​Rap oder eben Rap­pe­rin. Wir sind alle Rap­per und machen Deutschrap. Es ist egal, ob du einen Schwanz oder Tit­ten hast. Dei­ne Stim­me ist das, womit du arbei­test. Und die kann das Glei­che, egal ob du männ­lich oder weib­lich bist.

MZEE​.com: Du sag­test, dass Rap für dich iden­ti­täts­stif­tend war. Wur­de die Musik des­halb für dich zum rich­ti­gen Werk­zeug, um dei­ne eige­ne Wut zu kana­li­sie­ren und mit Kon­ven­tio­nen zu brechen?

Anti­fuchs: Mit Rap konn­te ich mich aus­kot­zen, Lie­bes­kum­mer ver­ar­bei­ten, fröh­lich sein, mich ein­fach selbst ver­ste­hen. Vor allem Tracks wie "1989" oder "1999" hel­fen mir dabei. Ich bin noch nie zu einem The­ra­peu­ten gegan­gen, weil ich schei­ße Schiss davor habe, aber gleich­zei­tig ist Rap mei­ne The­ra­pie. Egal, was mir gera­de auf dem Her­zen liegt oder mich ankotzt – ich schrei­be es auf und dann geht es mir bes­ser. Ich muss es aus dem Stift las­sen, des­halb schrei­be ich auch auf Papier und has­se es, das am Han­dy zu machen. Nur wenn ich mei­ne Gedan­ken irgend­wie ins Real-​Life brin­ge, sehe ich, dass sie ein Teil von mir sind. Des­halb pei­le ich man­che Din­ge wirk­lich auch erst, wenn ich sie auf­ge­schrie­ben habe, was im Nach­hin­ein manch­mal eine kras­se Erkennt­nis ist.

MZEE​.com: Zum Abschluss hast du einen Wunsch frei. Wenn du eine grund­le­gen­de Regel bezie­hungs­wei­se Norm unse­rer Gesell­schaft, die in vie­len Köp­fen ver­an­kert ist, für immer abschaf­fen könn­test – wel­che wäre das?

Anti­fuchs: Ras­sis­ti­sche Denk­wei­sen. So sehr ich mich manch­mal als Frau dis­kri­mi­niert füh­le, am liebs­ten wür­de ich Ras­sis­mus aus den Köp­fen der Men­schen ent­fer­nen. Dann kämp­fe ich mich als Frau lie­ber wei­ter durch. Men­schen, die ras­sis­ti­sche Erfah­run­gen gemacht haben, haben es noch deut­lich schwerer.

(Enri­co Ger­harth & Alex­an­der Hollenhorst)
(Fotos von Jani­na Wagner)