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Kommentar

What's Beef? Endlich wird sich wieder gedisst

Kol­le­gah und Shin­dy star­ten einen wasch­ech­ten Beef, wie es ihn lan­ge nicht mehr gab. Aber inter­es­sie­ren die Dis­stracks die­ser Rap­per über­haupt noch? War­um der Streit haupt­säch­lich ein Grund zur Freu­de ist.

An die­ser Stel­le möch­ten wir Gedan­ken zu aktu­el­len Gescheh­nis­sen aus dem Deutschrap-​Kosmos zum Aus­druck brin­gen. Die jeweils dar­ge­stell­te Mei­nung ist die des:der Autor:in und ent­spricht nicht zwangs­läu­fig der der gesam­ten Redak­ti­on – den­noch möch­ten wir auch Ein­zel­stim­men Raum geben.

Im Fol­gen­den setzt sich unser Redak­teur mit dem Streit zwi­schen Shin­dy und Kol­le­gah auseinander.

 

Wer hät­te gedacht, dass das Deutschrap­jahr 2023 trotz Som­mer­loch noch mal so an Fahrt auf­nimmt? Vor allem, wenn man bedenkt, wer dafür ver­ant­wort­lich zeich­net. Es sind näm­lich kei­ne Gerin­ge­ren als die – zeit­wei­se – schon abge­schrie­be­nen Grö­ßen Shin­dy und Kol­le­gah, die gera­de für ordent­lich Wir­bel in der Sze­ne sor­gen. Aller­dings haben wir das Enter­tain­ment weder Shin­dys aktu­el­lem Album "In mei­ner Blü­te" noch der ewi­gen Pro­mo­pha­se für Kol­le­gahs nächs­tes Mach­werk zu ver­dan­ken. Statt­des­sen sor­gen gegen­sei­ti­ge Dis­ses und Sti­che­lei­en für den hohen Unter­hal­tungs­wert. Ganz so, als hät­ten wir wie­der das Jahr 2005. Vor allem Shin­dy geht dabei ins Risi­ko und setzt sei­nen Sta­tus aufs Spiel. Trotz sprach­li­cher Geschmack­lo­sig­kei­ten ist das eine gute Nachricht.

Eine kur­ze Zusam­men­fas­sung der bis­he­ri­gen Ereig­nis­se: Kol­le­gah und Farid Bang belei­dig­ten Shin­dy 2017 mehr­fach auf "JBG 3". Wäh­rend der aktu­el­len Pro­mo­pha­se für sein neu­es Album sti­chel­te Kol­le­gah erneut gegen den Rap­per, wor­auf­hin die­ser eine Woche nach Release von "In mei­ner Blü­te" unver­mit­telt den an Kol­le­gah und mit Abstri­chen auch an Farid Bang gerich­te­ten Dis­strack "Free Spi­rit" ver­öf­fent­lich­te. Es folg­ten Instagram-​Storys und eine wei­te­re kur­ze Track­skiz­ze auf der Platt­form, die sich eben­so gegen Kol­le­gah rich­te­ten. Die­ser ant­wor­te­te mit einem Video, in dem er den Shindy-​Song durch­aus wohlwollend-​ironisch ana­ly­sier­te und dem The­ma mit einem zusätz­li­chen Dis­strack gegen sich selbst etwas Wind aus den Segeln nahm. Shin­dy per­form­te "Free Spi­rit" anschlie­ßend auf dem splash!, bekle­cker­te sich aber dank einer eher mau­en Leis­tung nicht gera­de mit Ruhm. Ver­meint­li­cher Schluss­punkt ist nun ein Kollegah-​Song, in dem er als Shin­dy die Per­son Micha­el Schind­ler ähn­lich aggres­siv angreift, wie er auf "Free Spi­rit" atta­ckiert wurde.

So weit, so belang­los – könn­te man mei­nen. Zwei Rap­per – die ihre erfolg­reichs­te Zeit und mei­ner Mei­nung nach auch ihren künst­le­ri­schen Zenit wahr­schein­lich bereits hin­ter sich gelas­sen haben – ver­su­chen, mit ein biss­chen Beef noch ein­mal die Ver­kaufs­zah­len ihrer jüngs­ten Releases nach oben zu trei­ben oder Streit als Pro­mo für die kom­men­de Plat­te zu nut­zen. Zudem sorgt die Eigen­dar­stel­lung der bei­den als arro­gan­te Halb­su­per­hel­den eher nicht dafür, dass man authen­ti­sche, emo­tio­na­le Reak­tio­nen auf die Belei­di­gun­gen erwar­ten kann, die ihren ent­spre­chen­den musi­ka­li­schen Aus­druck fin­den. Statt­des­sen dürf­ten betont locker gehal­te­ne Reak­tio­nen fol­gen, die immer aus­strah­len sol­len, wie wenig Mühe Shin­dy bezie­hungs­wei­se Kol­le­gah sich gera­de geben. Kol­le­gahs Reak­ti­on bleibt bei dem Gan­zen bis­her also erwart­bar und fällt eher zurück­hal­tend aus. Shin­dy hin­ge­gen ris­kiert aktu­ell mehr und hat deut­lich mehr Lust auf Streit.

Gera­de die oben genann­ten, eher Lan­ge­wei­le ver­spre­chen­den Aspek­te sind auch Grund für die hohe Span­nung und Unter­hal­tung, die der Beef bie­tet. Spe­zi­ell der Bie­tig­hei­mer wagt sich mit dem Diss einen gro­ßen Schritt hin­ter dem Schutz­schild bestehend aus eher inhalts­lee­rer, aber dafür form­voll­ende­ter Musik her­vor. Dadurch dass er die Ver­let­zun­gen durch Kol­le­gah offen ein­ge­steht und so hart dar­auf reagiert, lässt er deut­lich mehr emo­tio­na­len Zugang beim Hören zu als beim fünf­ten Song über teu­res Woh­nen in Mün­chen. Zudem mag die erfolg­reichs­te Zeit bei­der Artists vor­bei sein, vor allem aber Shin­dy zählt kom­mer­zi­ell und bezüg­lich der ihm zuge­schrie­be­nen pop­kul­tu­rel­len Rele­vanz wei­ter­hin zur ers­ten Gar­de im Deutschrap­kos­mos. Er hat also mehr als nur sei­nen Ruf zu ver­lie­ren. Gleich­zei­tig könn­te ein "Gewinn" des Beefs der ent­schei­den­de Push für die ins Sto­cken gera­te­ne Kar­rie­re sein.

Dank der jewei­li­gen illus­tren Ver­gan­gen­heit bie­ten bei­de Prot­ago­nis­ten auch jede Men­ge Angriffs­flä­che für meme­fä­hi­ge Refe­ren­zen: Es sei hier nur mal an die ein oder ande­re Premium-​Box oder das ein oder ande­re YouTube-​Lifecoach-​Video als Bei­spie­le erin­nert. So ein Zehn-​Minuten-​Song ohne Hook schreibt sich bei der Men­ge an öffent­lich ver­füg­ba­rem Mate­ri­al wie von selbst. Auch die Insze­nie­rung der Artists bringt Feu­er in die Sache. Egal, wie sehr Kol­le­gah und ver­mehrt auch Shin­dy ihre über­le­bens­gro­ße Kunst­fi­gur für Augen­bli­cke ver­schwin­den las­sen mögen: Das Image vom Alles­kön­ner bleibt. Unter die­sen Umstän­den ist jede ver­meint­lich ent­hül­len­de Zei­le ein gefühl­ter Blick hin­ter die hoch­po­lier­te Mas­ke­ra­de. Das Auf­zei­gen von Feh­lern und wider­sprüch­li­chem Ver­hal­ten wirkt viel stär­ker gegen den selbst­er­nann­ten Über­boss als gegen den sym­pa­thi­schen klei­nen Künst­ler von neben­an, der in vol­ler Trans­pa­renz über sei­ne Schwä­chen und Nie­der­la­gen spre­chen kann. Schließ­lich sorgt die Form des Dis­ses – also die direk­te musi­ka­li­sche Atta­cke – für Span­nung. Kol­le­gah mag ein dank­ba­res Opfer sein, wenn man sich in Edgar Wasser-​Manier auf der iro­ni­schen Meta-​Ebene distan­ziert lus­tig macht. Bei der direk­ten musi­ka­li­schen Kon­fron­ta­ti­on gehört er rein rap­t­ech­nisch aller­dings seit RBA-​Zeiten zu den Bes­ten des Lan­des. Egal, was man sonst von ihm hal­ten mag. Shin­dy traut sich also rich­tig was, wenn er den Düs­sel­dor­fer in des­sen Kom­fort­zo­ne atta­ckiert. Dass bei­de grund­sätz­lich Dis­stracks und star­ke Pun­ch­li­nes schrei­ben kön­nen, dürf­te ohne­hin unbe­strit­ten sein.

Ein­zig die ver­zwei­fel­ten Grenz­über­schrei­tun­gen Shin­dys zer­stö­ren den Spaß am gesam­ten Aus­tausch ein Stück weit. Ja, der Bie­tig­hei­mer will deut­lich machen, dass er wirk­lich sehr sau­er ist, und ja, sexis­ti­sche Lines schei­nen, gera­de im Batt­ler­ap, immer noch kaum jeman­den zu stö­ren. War­um aber müs­sen es auch noch der­art ras­sis­ti­sche Zei­len sein? Wenn der Micha­el es für eine gelun­ge­ne Pun­ch­li­ne hält, dass jeman­des Stief­va­ter "Asy­lant" sei, dann gehö­ren ihm die Löf­fel lang­ge­zo­gen, bis er ver­steht, wie unwich­tig sei­ne ver­letz­te Mil­lio­närs­eh­re ist. Natür­lich muss auf die­ser Ebe­ne nicht viel von bei­den Prot­ago­nis­ten erwar­tet wer­den und bei sol­chen Beefs auf eine irgend­wie defi­nier­te, sau­be­re Spra­che zu ach­ten, ver­fehlt auch die Inten­ti­on des Gan­zen. Trotz­dem soll­te "Dei­ne Mama ist 'ne Ausländer-​Nutte" nicht als har­te Line unter vie­len ande­ren abge­tan wer­den. Es ist den­noch ins­ge­samt gut zu sehen, wie sich auf musi­ka­li­scher Ebe­ne gefetzt wird. Wie Artists Erfol­ge ris­kie­ren, nur um zu zei­gen, dass sie kras­ser als ande­re sind. Wie mög­lichst krea­tiv ver­sucht wird, jemand ande­ren zu belei­di­gen. Das bringt weit­aus mehr Enter­tain­ment und hof­fent­lich gute Musik als irgend­wel­che Dro­hun­gen in Live­streams. Ich per­sön­lich hof­fe auf eine musi­ka­li­sche Fort­set­zung der Feind­schaft mit Songs, die zumin­dest an der Vier-​Minuten-​Marke krat­zen, und dass Shin­dy die Lines ras­sis­ti­scher Art noch mal ordent­lich um die Ohren fliegen.

(die MZEE​.com Redaktion)
(Gra­fik von Dani­el Fersch)