An dieser Stelle möchten wir Gedanken zu aktuellen Geschehnissen aus dem Deutschrap-Kosmos zum Ausdruck bringen. Die jeweils dargestellte Meinung ist die des:der Autor:in und entspricht nicht zwangsläufig der der gesamten Redaktion – dennoch möchten wir auch Einzelstimmen Raum geben.
Im Folgenden setzt sich unsere Redakteurin Sade mit dem Jubiläum des splash! Festivals auseinander und stellt dabei die Frage, ob Kommerz wichtiger als Kultur geworden ist.
Vor 25 Jahren fand das splash! Festival zum ersten Mal in Chemnitz statt. Was im Juli 1998 als kleine Indoor-Jam anfing, ist heute eines der größten HipHop-Festivals Europas – allein im letzten Jahr reisten knapp 50 000 Besucher:innen nach Gräfenhainichen, um in der Stadt aus Eisen zu feiern. Doch warum gerade zu diesem Festival?
Vor dem splash! gab es keine vergleichbare Veranstaltung für HipHop in Deutschland. Deutsche Rapper:innen bewiesen ihr Können auf Jams und wer internationale Acts hören wollte, musste in andere Länder reisen. Da kam das splash! ins Spiel: ein kommerzielles und regelmäßig stattfindendes Event, welches sowohl nationale als auch internationale Künstler:innen auf die Bühne holt. Als i-Tüpfelchen gibt es heute noch den Gremminer See, der das Festivalgelände umrundet. splash! bedeutet also, mit Gleichgesinnten ein Wochenende am See zu verbringen und nebenher noch die Lieblingsrapper:innen gemeinsam live zu erleben. Bisher klingt das alles wie der wahr gewordene Traum eines jeden HipHop-Fans. Aber wie steht es heute um die dort gelebte Kultur und die Vereinbarkeit mit dem wirtschaftlichen Erfolg des Festivals? Passen Kommerz und Kultur zusammen?
Warf man vor dem Jubiläum einen Blick in die Kommentarspalte des Instagram-Accounts, wurde schnell deutlich, dass die Stimmung angespannt war. Auch nach dem Festival Anfang Juli hagelte es Kritik gegenüber dem Veranstalter. Kommentare, in denen die Nutzer:innen in irgendeiner Weise positiv über das Festival, die Organisation oder das Line-Up sprechen, findet man, wenn überhaupt, nur vereinzelt. Laut den Fans hat das triftige Gründe: Unter anderem wurde das Line-Up viel zu spät kommuniziert, nämlich erst zwei Wochen vor Festivalbeginn. Außerdem sei es für das Jubiläum nicht angemessen gewesen. Während die einen gerne Künstler:innen sehen wollten, die ohne Playback auskommen, wollten die anderen mal wieder Acts aus der "guten alten Zeit" wie 50 Cent, Eminem, Sido oder Savas hören. Auch Peter Fox als Secret Act war nicht das, was sich die Fans gewünscht hätten. Man war sich zwar in den meisten anderen Punkten nicht einig, kam hier aber auf einen Nenner. Ein User schrieb unter den Verkündungspost: "Bruder [sic] ich hab [sic] Filme geschoben von Drake oder so. Kommen die mir mit fick dein Mars Projekt [sic]." Es wird deutlich, dass es den meisten nicht um Peter Fox selbst geht, sondern generell um das Booking. Nun mag es überzogen klingen, Drake als Secret Act vorzuschlagen, wenn auch schon Kendrick Lamar spielt. Beide zu buchen, hätte sich das splash! finanziell kaum erlauben können. Allerdings treten seit den 2000ern sowohl Oldschool-Größen wie Missy Elliott, Snoop Dogg oder der Wu-Tang Clan als auch die Held:innen der neuen Generation wie etwa A$AP Rocky, Travis Scott oder Gunna auf. Auch finden sich im diesjährigen Line-Up große internationale Acts wie Lil Uzi Vert oder Denzel Curry. Was störte also am diesjährigen Angebot? Laut Kommentarspalte waren die Line-Ups der letzten Jahre in Bezug auf deutsche Acts besser aufgestellt. Hier wird allerdings meist außer Acht gelassen, dass das Booking im Vergleich zu den vorherigen Jahren vermutlich für Abwechslung sorgen wollte. Auffällig ist außerdem, dass der Anteil an FLINTA* generell sehr gering ausfällt. Das ist allerdings kein Trend der letzten Jahre, sondern ein fester Bestandteil der bisherigen Line-Up-Planung – 2022 fand man erstmals mehr als fünf Frauen im Festival-Line-Up. Zum Vergleich: Im Schnitt treten jedes Jahr circa 50 Künstler auf. Zudem genießen nur wenige FLINTA* den Luxus, mehrmals über die Jahre hinweg performen zu dürfen.
Nicht nur beim Booking, auch in Bezug auf die Organisation des Festivals kassierte das diesjährige splash! heftige Kritik. Übergriffige, mutmaßlich rechte oder unbeholfene Securitys in Kombination mit unzureichenden Sanitäranlagen und Problemen mit den Cashless-Armbändern sorgten für eine angespannte Stimmung. Diese Baustellen sind allerdings keineswegs neu – als Besucherin habe ich vor der Pandemie bereits ähnliche Erfahrungen gemacht. Gerade wenn man nicht in der Lage ist, das Dixi-Klo zu benutzen, steht man vor einem ekelhaften Wochenende. Auch die Sani-Flat, die, wie der Name schon vermuten lässt, natürlich extra kostet, bringt leider nichts, wenn die Toiletten unbenutzbar oder verschlossen sind. FLINTA* lassen ihre Menstruation am besten zu Hause. Dafür gibt es, zumindest für die Menschen, die es sich leisten können, eine Lösung: Premium Tickets oder gleich das Upgrade zum Glamping. Diese beinhalteten nämlich die kostenfreie Nutzung der sanitären Anlagen, sowie einen separaten Check-In und Zugang zum Festivalgelände und dazu noch einen kostenfreien Shuttle. Problematisch ist nicht nur der Aspekt, dass hier eindeutig sozial schwächere Menschen benachteiligt werden, sondern auch der daraus resultierende überfüllte Zeltplatz.
Statt darauf zu warten, dass sich etwas an der Situation ändert, suchen sich die Fans Alternativen. Das fällt umso leichter, wenn man bedenkt, dass es mittlerweile genügend gibt und deutscher Rap beziehungsweise HipHop generell keine Mangelware mehr ist. Festivals wie Heroes, Hype oder Wireless stehen aktuell zur Auswahl, wenn man die mehrtägige Festival-Erfahrung bevorzugt. Dagegen bieten das DOPAMIN, HipHop Garden oder die alten Hasen, wie das HipHop Open und die Tapefabrik, die Möglichkeit, die Lieblings-Artists an einem Tag zu sehen. OG Keemo und Funkvater Frank zeigen mit dem Süd:Süd Fest im Rahmen des Zeltfestival Rhein-Neckar in Mannheim eine weitere Möglichkeit auf, die sich auf jeden Fall lohnt.
Deutscher Rap ohne splash! ist kaum vorstellbar. Trotzdem muss man zugeben, dass mittlerweile nicht mehr die Kultur, sondern der Kommerz im Vordergrund steht. Das wird vor allem deutlich, wenn man sich vor Augen führt, in welche Richtung sich das splash! entwickelt hat. Scheinbar ergibt es mittlerweile mehr Sinn, Influencer:innen dafür zu bezahlen, Werbung für das Festival-Flair zu machen, statt Geld in das Programm an sich zu stecken. So entschied man sich dafür, mit dem Modelabel Worst Behavior zu kooperieren. Das Ergebnis dieser Kollaboration sind Limited Edition Pieces wie etwa T-Shirts und Hoodies, die man erwerben konnte. Um das Ganze dann schmackhafter zu machen, lud man einige Influencer:innen ein, die dann von ihrer abgegrenzten Lounge aus Werbung dafür produzierten. Das erweckt zumindest bei mir den Eindruck, dass der Kommerz eine große Rolle spielt. Es bleibt offen, ob die Nostalgie ausreicht, damit das splash! auch seinen 50. Geburtstag noch feiern kann. Wenn das Organisationsteam weiterhin die Kritik ignoriert und nichts ändert, wird auch die splash!-Kultur – welche es von allen anderen Rap- oder HipHop-Festivals abhebt – nicht mehr ausreichen. Dass sich bisher noch nichts getan hat, zeigt sich ja nicht nur an meinen persönlichen Erfahrungen, sondern auch daran, dass Jahr für Jahr die gleichen Kritikpunkte angesprochen werden. Ein Gemeinschaftsgefühl kann auch woanders entstehen, dafür braucht es heutzutage leider kein splash! Festival mehr.
(Sade Kaingu)
(Grafik von Daniel Fersch)