An dieser Stelle möchten wir Gedanken zu aktuellen Geschehnissen aus dem Deutschrap-Kosmos zum Ausdruck bringen. Die jeweils dargestellte Meinung ist die des:der Autor:in und entspricht nicht zwangsläufig der der gesamten Redaktion – dennoch möchten wir auch Einzelstimmen Raum geben.
Im Folgenden beschäftigt sich unser Redakteur Wende mit positiven Entwicklungen in der deutschen Rapszene, die aktuell durch negative Ereignisse überschattet werden.
Deutscher Rap produziert momentan scheinbar nur negative Schlagzeilen. Die Diskussionen drehen sich um die Massenproduktion von Songs, Antisemitismus, Sexismus, Misogynie und sexualisierte Gewalt, um nur einige Beispiele zu nennen. Um eines klar vorab zu sagen: Dies sind berechtigte Vorwürfe und es ist die Aufgabe von Journalist:innen, diese herauszustellen, zu analysieren, zu kommentieren und zu bewerten. Doch diese wichtige Arbeit hat einen bedauerlichen Nebeneffekt: Wichtige positive Entwicklungen innerhalb der Szene gehen oft unter. Inmitten all der Probleme, mit denen sich deutscher Rap gerade konfrontiert sieht, ist es an der Zeit, kurz innezuhalten und auch über positive Geschehnisse zu berichten.
Eines sticht hier für mich heraus: Rap ist offen politisch und zeigt vermehrt soziales Engagement. So positioniert sich beispielsweise Danger Dan auf seinem neuesten Album "Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt", welches vor drei Monaten erschien, klar politisch. Durch seine bewusst provokanten Zeilen regt er eine öffentliche Debatte darüber an, wie wir unser Zusammenleben in Zukunft gestalten möchten. Für welche Werte stehen wir ein? Über die persönlichen Schlussfolgerungen Danger Dans etwa im Titelsong – Stichwort Militanz – oder seine Wortwahl könnte man diskutieren. Doch es ist schwer zu bestreiten, dass es ihm gelungen ist, den politischen Diskurs innerhalb und außerhalb der Szene erneut zu entfachen.
Weitere positive Beispiele sind diverse Medienformate, in denen Rap und Politik zusammengeführt werden. So etwa der Machiavelli-Podcast des WDR oder der YouTube-Kanal GERMANIA von funk. Bei Ersterem diskutieren Journalist:innen mit Rapper:innen über gesellschaftlich-politische Themen. So etwa Megaloh, der sich dort jüngst nachdrücklich zur Debatte um Vorwürfe der sexualisierten Gewalt in der deutschen Rapszene äußerte. Oder vor einiger Zeit Audio88 & Yassin, die unter anderem über diskriminierende Sprache debattierten. Podcasts von, mit oder über Rapper:innen bieten somit eine große Chance, gesellschaftliche Debatten anzustoßen oder eine reflektiertere Position zu vertreten und darzustellen als in einem Song. Auf dem YouTube-Kanal GERMANIA von funk wiederum berichten Menschen, die in Deutschland leben, unter anderem über ihr Identitätsgefühl. MoTrip und Megaloh zum Beispiel erzählen bedrückend ehrlich von ihren Erfahrungen mit Rassismus und Ausgrenzung. Ähnlich wie beim Machiavelli-Podcast wird hier auf erfrischende Weise aufgeklärt und Zuschauer:innen werden zum Nachdenken gebracht: Wie kann ich meinen Teil dazu beitragen, dass wir in einer möglichst antirassistischen Gesellschaft leben können?
Auf einer anderen Ebene unterstützen Rapper:innen gesellschaftliche Projekte. So riefen zum Beispiel Jan Delay und König Boris von Fettes Brot bei Instagram dazu auf, die Aktion "Ein Geschenk für Horst" der Flüchtlingshilfe Sea-Eye zu unterstützen. Diese hat ihren Ursprung darin, dass Horst Seehofer an seinem 69. Geburtstag auf einer Pressekonferenz darüber scherzte, dass an diesem Tag just 69 Flüchtlinge abgeschoben wurden. Mit dem Aufruf drehte Sea-Eye den Spieß um: Zu seinem Geburtstag sollte Horst Seehofer eine Spendenquittung für Sea-Eye überreicht werden. Eine sehr deutliche humanistische Positionierung, um das Sterben im Mittelmeer zu beenden und für eine solidarische Flüchtlingspolitik einzutreten. Ein weiteres Beispiel, bei dem Künstler:innen seit Jahren Verantwortung für ihre Mitwelt zeigen, ist sicherlich das Projekt Viva con Agua. Ein Projekt, bei dem zum Beispiel auf Konzerten oder Festivals Becherpfand gespendet oder bestimmte Produkte wie Goldeimer Toilettenpaper oder Viva con Agua Mineralwasser gekauft werden kann. Davon werden sogenannte WASH-Projekte (Wasser, Sanitär, Hygiene) schwerpunktmäßig auf dem afrikanischen Kontinent unterstützt. Hilfsangebote, um an sauberes Trinkwasser zu gelangen. Ein Versuch, das Leid im sogenannten Globalen Süden zu mindern: ein Zeichen von Verantwortung.
Auch auf einer persönlichen Ebene zeigen Rapper:innen aktuell ihre empathische Seite: Kool Savas entschuldigte sich via Twitter bei MC Rene für ein Missverständnis. Savas war auf einen vermeintlichen Diss-Track von MC Rene hereingefallen und hatte ihn dafür stark angegriffen. Den vermeintlichen Track gab es jedoch nicht, sondern nur als Gerücht im MZEE Forum. Statt aus vermeintlichem Stolz eine harte Fassade aufrechtzuerhalten: Fehler eingesehen und entschuldigt, Entschuldigung angenommen. Streit kann beigelegt werden. Dieser Vorgang könnte als Vorbild für jede:n dienen. Man stelle sich mal vor, man wäre im Privaten oder im Beruf öfter dazu bereit, eigene Fehler einzugestehen, sich zu entschuldigen und diese Entschuldigung würde angenommen. Unnötiger Beef könnte vermieden werden. Ein Weg zu mehr Zufriedenheit – und zu Ende gedacht vermutlich auch zu mehr psychischer Stabilität. In genau diese Richtung geht auch ein neues Projekt von Duzoe. Er bietet an, dass Menschen online in Briefen beschreiben, wie sie es auch an schlechten Tagen schaffen, das Gute zu sehen. Diese werden dann teilweise und anonym auf seiner Website veröffentlicht, um auch anderen in schwierigen Zeiten Hoffnung und Zuversicht zu geben. Es zeigt, dass Künstler:innen ihre Reichweite nutzen können, um Menschen zu unterstützen. Mit diesen zwei Beispielen kann verdeutlicht werden, dass Rap auch auf einer individuellen Ebene vorbildhaft sein kann.
Trotz all der gravierenden Probleme, welche aufgearbeitet und behoben werden müssen, ist deutscher Rap nicht nur negativ zu bewerten. Teile der Szene gehen kritisch und selbstreflexiv auf gesellschaftliche Debatten ein, beziehen klar und deutlich Stellung, zeigen persönliche Stärken und sorgen somit auch für positive Schlagzeilen. Zugegeben, man muss schon genauer hinschauen – aber es lohnt sich.
(Wende)
(Grafik von Daniel Fersch)