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Kommentar

Only bad news? – Über positive Entwicklungen im deutschen Rap

Nega­ti­ve Schlag­zei­len über die deut­sche Rap­sze­ne las­sen sich in den ver­gan­ge­nen Wochen und Mona­ten zuhauf fin­den. Doch bringt Rap aktu­ell wirk­lich nur Nega­ti­ves her­vor? Ein Kom­men­tar zu posi­ti­ven Entwicklungen.

An die­ser Stel­le möch­ten wir Gedan­ken zu aktu­el­len Gescheh­nis­sen aus dem Deutschrap-​Kosmos zum Aus­druck brin­gen. Die jeweils dar­ge­stell­te Mei­nung ist die des:der Autor:in und ent­spricht nicht zwangs­läu­fig der der gesam­ten Redak­ti­on – den­noch möch­ten wir auch Ein­zel­stim­men Raum geben.

Im Fol­gen­den beschäf­tigt sich unser Redak­teur Wen­de mit posi­ti­ven Ent­wick­lun­gen in der deut­schen Rap­sze­ne, die aktu­ell durch nega­ti­ve Ereig­nis­se über­schat­tet werden.

 

Deut­scher Rap pro­du­ziert momen­tan schein­bar nur nega­ti­ve Schlag­zei­len. Die Dis­kus­sio­nen dre­hen sich um die Mas­sen­pro­duk­ti­on von Songs, Anti­se­mi­tis­mus, Sexis­mus, Miso­gy­nie und sexua­li­sier­te Gewalt, um nur eini­ge Bei­spie­le zu nen­nen. Um eines klar vor­ab zu sagen: Dies sind berech­tig­te Vor­wür­fe und es ist die Auf­ga­be von Journalist:innen, die­se her­aus­zu­stel­len, zu ana­ly­sie­ren, zu kom­men­tie­ren und zu bewer­ten. Doch die­se wich­ti­ge Arbeit hat einen bedau­er­li­chen Neben­ef­fekt: Wich­ti­ge posi­ti­ve Ent­wick­lun­gen inner­halb der Sze­ne gehen oft unter. Inmit­ten all der Pro­ble­me, mit denen sich deut­scher Rap gera­de kon­fron­tiert sieht, ist es an der Zeit, kurz inne­zu­hal­ten und auch über posi­ti­ve Gescheh­nis­se zu berichten.

Eines sticht hier für mich her­aus: Rap ist offen poli­tisch und zeigt ver­mehrt sozia­les Enga­ge­ment. So posi­tio­niert sich bei­spiels­wei­se Dan­ger Dan auf sei­nem neu­es­ten Album "Das ist alles von der Kunst­frei­heit gedeckt", wel­ches vor drei Mona­ten erschien, klar poli­tisch. Durch sei­ne bewusst pro­vo­kan­ten Zei­len regt er eine öffent­li­che Debat­te dar­über an, wie wir unser Zusam­men­le­ben in Zukunft gestal­ten möch­ten. Für wel­che Wer­te ste­hen wir ein? Über die per­sön­li­chen Schluss­fol­ge­run­gen Dan­ger Dans etwa im Titel­song – Stich­wort Mili­tanz – oder sei­ne Wort­wahl könn­te man dis­ku­tie­ren. Doch es ist schwer zu bestrei­ten, dass es ihm gelun­gen ist, den poli­ti­schen Dis­kurs inner­halb und außer­halb der Sze­ne erneut zu entfachen.

Wei­te­re posi­ti­ve Bei­spie­le sind diver­se Medi­en­for­ma­te, in denen Rap und Poli­tik zusam­men­ge­führt wer­den. So etwa der Machiavelli-​Podcast des WDR oder der YouTube-​Kanal GERMANIA von funk. Bei Ers­te­rem dis­ku­tie­ren Journalist:innen mit Rapper:innen über gesellschaftlich-​politische The­men. So etwa Mega­loh, der sich dort jüngst nach­drück­lich zur Debat­te um Vor­wür­fe der sexua­li­sier­ten Gewalt in der deut­schen Rap­sze­ne äußer­te. Oder vor eini­ger Zeit Audio88 & Yas­sin, die unter ande­rem über dis­kri­mi­nie­ren­de Spra­che debat­tier­ten. Pod­casts von, mit oder über Rapper:innen bie­ten somit eine gro­ße Chan­ce, gesell­schaft­li­che Debat­ten anzu­sto­ßen oder eine reflek­tier­te­re Posi­ti­on zu ver­tre­ten und dar­zu­stel­len als in einem Song. Auf dem YouTube-​Kanal GERMANIA von funk wie­der­um berich­ten Men­schen, die in Deutsch­land leben, unter ande­rem über ihr Iden­ti­täts­ge­fühl. MoTrip und Mega­loh zum Bei­spiel erzäh­len bedrü­ckend ehr­lich von ihren Erfah­run­gen mit Ras­sis­mus und Aus­gren­zung. Ähn­lich wie beim Machiavelli-​Podcast wird hier auf erfri­schen­de Wei­se auf­ge­klärt und Zuschauer:innen wer­den zum Nach­den­ken gebracht: Wie kann ich mei­nen Teil dazu bei­tra­gen, dass wir in einer mög­lichst anti­ras­sis­ti­schen Gesell­schaft leben können?

Auf einer ande­ren Ebe­ne unter­stüt­zen Rapper:innen gesell­schaft­li­che Pro­jek­te. So rie­fen zum Bei­spiel Jan Delay und König Boris von Fet­tes Brot bei Insta­gram dazu auf, die Akti­on "Ein Geschenk für Horst" der Flücht­lings­hil­fe Sea-​Eye zu unter­stüt­zen. Die­se hat ihren Ursprung dar­in, dass Horst See­ho­fer an sei­nem 69. Geburts­tag auf einer Pres­se­kon­fe­renz dar­über scherz­te, dass an die­sem Tag just 69 Flücht­lin­ge abge­scho­ben wur­den. Mit dem Auf­ruf dreh­te Sea-​Eye den Spieß um: Zu sei­nem Geburts­tag soll­te Horst See­ho­fer eine Spen­den­quit­tung für Sea-​Eye über­reicht wer­den. Eine sehr deut­li­che huma­nis­ti­sche Posi­tio­nie­rung, um das Ster­ben im Mit­tel­meer zu been­den und für eine soli­da­ri­sche Flücht­lings­po­li­tik ein­zu­tre­ten. Ein wei­te­res Bei­spiel, bei dem Künstler:innen seit Jah­ren Ver­ant­wor­tung für ihre Mit­welt zei­gen, ist sicher­lich das Pro­jekt Viva con Agua. Ein Pro­jekt, bei dem zum Bei­spiel auf Kon­zer­ten oder Fes­ti­vals Becher­pfand gespen­det oder bestimm­te Pro­duk­te wie Gold­ei­mer Toi­let­ten­pa­per oder Viva con Agua Mine­ral­was­ser gekauft wer­den kann. Davon wer­den soge­nann­te WASH-​Projekte (Was­ser, Sani­tär, Hygie­ne) schwer­punkt­mä­ßig auf dem afri­ka­ni­schen Kon­ti­nent unter­stützt. Hilfs­an­ge­bo­te, um an sau­be­res Trink­was­ser zu gelan­gen. Ein Ver­such, das Leid im soge­nann­ten Glo­ba­len Süden zu min­dern: ein Zei­chen von Verantwortung.

Auch auf einer per­sön­li­chen Ebe­ne zei­gen Rapper:innen aktu­ell ihre empa­thi­sche Sei­te: Kool Savas ent­schul­dig­te sich via Twit­ter bei MC Rene für ein Miss­ver­ständ­nis. Savas war auf einen ver­meint­li­chen Diss-​Track von MC Rene her­ein­ge­fal­len und hat­te ihn dafür stark ange­grif­fen. Den ver­meint­li­chen Track gab es jedoch nicht, son­dern nur als Gerücht im MZEE Forum. Statt aus ver­meint­li­chem Stolz eine har­te Fas­sa­de auf­recht­zu­er­hal­ten: Feh­ler ein­ge­se­hen und ent­schul­digt, Ent­schul­di­gung ange­nom­men. Streit kann bei­gelegt wer­den. Die­ser Vor­gang könn­te als Vor­bild für jede:n die­nen. Man stel­le sich mal vor, man wäre im Pri­va­ten oder im Beruf öfter dazu bereit, eige­ne Feh­ler ein­zu­ge­ste­hen, sich zu ent­schul­di­gen und die­se Ent­schul­di­gung wür­de ange­nom­men. Unnö­ti­ger Beef könn­te ver­mie­den wer­den. Ein Weg zu mehr Zufrie­den­heit – und zu Ende gedacht ver­mut­lich auch zu mehr psy­chi­scher Sta­bi­li­tät. In genau die­se Rich­tung geht auch ein neu­es Pro­jekt von Duzoe. Er bie­tet an, dass Men­schen online in Brie­fen beschrei­ben, wie sie es auch an schlech­ten Tagen schaf­fen, das Gute zu sehen. Die­se wer­den dann teil­wei­se und anonym auf sei­ner Web­site ver­öf­fent­licht, um auch ande­ren in schwie­ri­gen Zei­ten Hoff­nung und Zuver­sicht zu geben. Es zeigt, dass Künstler:innen ihre Reich­wei­te nut­zen kön­nen, um Men­schen zu unter­stüt­zen. Mit die­sen zwei Bei­spie­len kann ver­deut­licht wer­den, dass Rap auch auf einer indi­vi­du­el­len Ebe­ne vor­bild­haft sein kann.

Trotz all der gra­vie­ren­den Pro­ble­me, wel­che auf­ge­ar­bei­tet und beho­ben wer­den müs­sen, ist deut­scher Rap nicht nur nega­tiv zu bewer­ten. Tei­le der Sze­ne gehen kri­tisch und selbst­re­fle­xiv auf gesell­schaft­li­che Debat­ten ein, bezie­hen klar und deut­lich Stel­lung, zei­gen per­sön­li­che Stär­ken und sor­gen somit auch für posi­ti­ve Schlag­zei­len. Zuge­ge­ben, man muss schon genau­er hin­schau­en – aber es lohnt sich.

(Wen­de)
(Gra­fik von Dani­el Fersch)