"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem:einer Künstler:in oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der:die Gesprächspartner:in ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm:ihr das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
"Viel passiert, seit Dex den 'Weit entfernt'-Beat geschickt hat." – Die Zeile hat Döll auf seinem letzten Dexter-Feature gedroppt. Und recht hat er, schließlich hat seine "Weit entfernt"-EP schon sieben Jahre auf dem Buckel, scheint aber keinen Tag gealtert zu sein. Der Rapper hat mit seinem Solo-Debüt gezeigt, was man von ihm zu erwarten hat. Und das begeistert mich heute genauso wie zum Release der EP.
Schon als ich 2014 die ersten Sekunden der Platte gehört habe, hat mich Dölls einzigartiger Stil abgeholt: die typisch gepressten, leicht nasal gerappten Lines, oft verbunden durch mehrsilbige Reimketten. Erstaunlicherweise beschäftigte sich der Rapper dabei schon damals mit Themen, die immer wieder bei ihm auftauchen sollten. So geht es viel um seine Hood, die Familie oder Weggefährten wie Kollege Schnürschuh, der mehrere Tracks der EP produziert hat. Daneben beschäftigt sich der Künstler viel mit seinem Hustle und dem Stress, der ihn begleitet. Er steht mit dem Rücken an der Wand und nutzt Rap scheinbar als letzte Möglichkeit, seiner Krise zu entfliehen. Diese Ehrlichkeit, oft mit ein bisschen Melancholie und der genau richtigen Prise Pathos versehen, zieht mich bis heute in den Bann. Ein Rapper, der mit seinen Problemen offen umgeht und so viel Einblick gewährt, ist für mich damals wie heute etwas Besonderes. Die namensgebende Single "Weit entfernt" vereint dann alle diese Elemente. Der Track ist auch wegen seinem fantastischen Dexter-Beat und einem stilistisch enorm hochwertigen Musikvideo von THE FACTORY völlig verdient zum Underground-Klassiker geworden.
Auf der "Weit entfernt"-EP hat der Rapper zum ersten Mal gezeigt, was ihn als Künstler ausmacht. Wie anfangs erwähnt: Seitdem ist viel passiert, seine Themen sind aber bereits auf seinem Solo-Debüt erkennbar. Das ist nichts Negatives, schließlich hat er sich trotzdem konsequent weiterentwickelt. Döll, seine Art sowie seine Themen catchen mich immer noch und bleiben interessant.
(Jakob Zimmermann)