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Interview

Donato – ein Gespräch über Melancholie

"Für mich ist Melan­cho­lie so weich, dass man sich teil­wei­se dar­in gefal­len kann, ohne ver­zwei­felt zu sein. Trotz­dem kann man auch auf eine schö­ne Wei­se trau­rig sein." – Dona­to im Inter­view über sei­ne Defi­ni­ti­on von Melan­cho­lie, Aus­drucks­for­men in der Kunst und sei­ne Rol­le als Rapper.

Melan­cho­lie ist ein Gefühl, das den meis­ten ver­traut sein dürf­te. Defi­niert ist sie als ein von gro­ßer Nie­der­ge­schla­gen­heit, Trau­rig­keit oder Depres­si­vi­tät gekenn­zeich­ne­ter Gemüts­zu­stand. Den­noch erlebt sie jede:r unter­schied­lich. Für die einen äußert sie sich als Vor­stu­fe von Trau­er, ande­re erle­ben sie als posi­ti­ves Gefühl, das mit Nost­al­gie Hand in Hand geht – und wie­der ande­re haben ihre ganz eige­nen Erfah­run­gen damit gesam­melt. Dona­to behan­delt Melan­cho­lie und ver­wand­te Gefüh­le schon seit vie­len Jah­ren in sei­ner Musik und erzählt Geschich­ten, die die Hörer:innen an sei­nen ganz per­sön­li­chen Emp­fin­dun­gen teil­ha­ben las­sen. Auf sei­nem aktu­el­len Album "Anar­co" macht er sei­ne Selbst­fin­dung und Ent­wick­lung zum The­ma, berich­tet von sei­ner Kind­heit, Freund­schaf­ten und Ver­lust. Die melan­cho­li­sche Grund­stim­mung zeigt sich in ver­schie­de­nen Emo­tio­nen wie Trau­rig­keit, Sehn­sucht und Wut. Aber auch nost­al­gi­sche Gefüh­le, die sich auf posi­ti­ve Wei­se äußern, spie­len eine wich­ti­ge Rol­le. Wir haben all das zum Anlass genom­men, mit Dona­to über sei­ne per­sön­li­che Defi­ni­ti­on von Melan­cho­lie und ihre ver­schie­de­nen Facet­ten zu spre­chen. Außer­dem ging es im Inter­view um die lan­ge Pau­se von sie­ben Jah­ren zwi­schen sei­nem letz­ten Lang­spie­ler und dem aktu­el­len, sei­nen künst­le­ri­schen Schaf­fens­pro­zess und Melan­cho­lie in der Kunst allgemein.

MZEE​.com​: Wir haben zum Ein­stieg ein Zitat von Sig­mund Freud mit­ge­bracht: "Die Melan­cho­lie ist see­lisch aus­ge­zeich­net durch eine tie­fe schmerz­li­che Ver­stim­mung, eine Auf­he­bung des Inter­es­ses für die Außen­welt, durch den Ver­lust der Lie­bes­fä­hig­keit, durch die Hem­mung jeder Leis­tung und die Her­ab­set­zung des Selbst­ge­fühls, die sich in Selbst­vor­wür­fen und Selbst­be­schimp­fun­gen äußert und bis zur wahn­haf­ten Erwar­tung der Stra­fe stei­gert." – Ent­spricht das dei­nem Ver­ständ­nis von Melancholie?

Dona­to: Ich find' das Zitat ein biss­chen zu hef­tig. Wenn ich das rich­tig ver­stan­den habe, nimmt Melan­cho­lie aus Sig­mund Freuds Sicht die Fähig­keit, zu lie­ben. Ich fin­de: Wenn man Melan­cho­lie zum Bei­spiel bei einer Art von Lie­bes­kum­mer emp­fin­det, kann man trotz­dem noch lie­ben. Natür­lich tut das weh, aber ich emp­fin­de das immer noch. Vie­les von dem ande­ren, was er gesagt hat, stimmt schon, aber spe­zi­ell der Punkt ist mir gera­de hän­gen­ge­blie­ben. Das sehe ich ein biss­chen anders. Das Zitat wird auch ein paar Jah­re alt sein. Mög­li­cher­wei­se gibt's da auch aktu­el­le­re, tref­fen­de­re Defi­ni­tio­nen. Was er sagt, klingt sehr nach Ver­zweif­lung. Für mich ist Melan­cho­lie schon eher weich. So weich, dass man sich teil­wei­se dar­in gefal­len kann, ohne krank ver­zwei­felt zu sein. Trotz­dem kann man auch auf eine schö­ne Wei­se trau­rig sein.

MZEE​.com: Ver­schwim­men Melan­cho­lie und Trau­er für dich oder gibt es zwi­schen die­sen Gefüh­len eine Grenze?

Dona­to: Es geht schon inein­an­der über, glau­be ich. Wenn ich melan­cho­lisch bin, bin ich auch trau­rig. Nicht nur trau­rig, aber wie du schon sagst, das ver­schwimmt ein Stück weit. Klar, wenn der Trau­er­an­teil zu groß wird, dann kann eine Melan­cho­lie auch sehr schmerz­haft wer­den, aber teil­wei­se mag ich die­se Stim­mung ein­fach. Wenn ich abends einen Wein trin­ke und melan­cho­li­sche Musik höre, dann bin ich nicht zwangs­läu­fig trau­rig. Das gehört für mich nicht zwin­gend zusam­men, aber die Über­gän­ge sind sicher­lich fließend.

MZEE​.com​: War­um schät­zen Men­schen dei­ner Mei­nung nach melan­cho­li­sche Musik?

Dona­to: Ich könn­te mir vor­stel­len, dass sie sich ein Stück weit von der Musik abge­holt füh­len. Dass sie viel­leicht das Gefühl haben, gera­de nicht mit ihren Emo­tio­nen und ihrer Melan­cho­lie allei­ne zu sein. Und ein­fach das Gefühl, das sie gera­de in sich haben, bestär­ken und auch ver­stär­ken. Was mei­ne Musik angeht, wür­de ich behaup­ten, dass sie eini­ger­ma­ßen melan­cho­lisch ist. Da krieg' ich immer wie­der das Feed­back, dass die Leu­te sich ver­stan­den füh­len, spe­zi­ell von den Tex­ten, weil es sonst kei­nen gibt, der das so für sie aus­spre­chen kann. Das gibt ihnen auch neu­en Mut, wei­ter­zu­ma­chen und sich nicht unter­krie­gen zu las­sen. Ich selbst höre viel islän­di­sche Sachen, die ich sprach­lich natür­lich über­haupt nicht ver­ste­he, aber die ich halt füh­le. Dar­über kann ich mei­ne eige­ne Melan­cho­lie ausdrücken.

MZEE​.com​: Wür­dest du also sagen, dass es unter­schied­li­che Aspek­te von Melan­cho­lie gibt, die mal durch Musik, mal durch Text bes­ser aus­ge­drückt werden?

Dona­to: Abso­lut. Musik und Text spie­len ja eh immer ein biss­chen zusam­men. Ich wür­de auf einem melan­cho­li­schen Beat jetzt kei­nen fröh­li­chen Text drop­pen. Aber klar, du kannst auch Instru­men­tal­mu­sik machen, die melan­cho­lisch ist. Ich habe eine ganz gute Bekann­te, Cla­ra Loui­se, die Gedicht­bän­de und auch Musik macht. Sie war unter ande­rem mit Glas­haus auf Tour­nee, wo ich sie ken­nen­ge­lernt hab'. Das ist dann wie­der eine ande­re Form. Melan­cho­lie in Text­form, bei der sich vie­le Leu­te abge­holt füh­len. Oder eben in instru­men­ta­ler Form. Ólaf­ur Arnalds hör' ich total ger­ne, da gibt's ganz sel­ten Vocals. Ich schaue auch ger­ne melan­cho­li­sche Fil­me. Ich bin gro­ßer Fan von "Joker". Den fin­de ich bru­tal melan­cho­lisch. Es gibt in der Kunst sicher­lich ganz vie­le Aus­drucks­for­men von Melancholie.

MZEE​.com​: Vor Kur­zem hast du dein Album "Anar­co" ver­öf­fent­licht, zuvor erschien "Enzo". Zwi­schen den bei­den Alben lie­gen etwa sie­ben Jah­re. Was ist in der Zwi­schen­zeit pas­siert? Gibt es Grün­de, war­um du dir so viel Zeit gelas­sen hast?

Dona­to: Das war nicht geplant. Ich hab' nach "Enzo" recht zeit­nah vie­le neue Geschich­ten ange­fan­gen. Ich war mir rela­tiv sicher, dass es mit einer neu­en Plat­te schnell gehen wür­de, weil ich sehr pro­duk­tiv war. Aus den unter­schied­lichs­ten Grün­den hat es dann aber nie funk­tio­niert. Ich woll­te einen roten Faden rein­brin­gen, aber hab' dann ange­fan­gen, mal hier und mal da 'nen Beat zu picken. So hat das alles dann nicht zusam­men­ge­passt. Ich woll­te erst ein Mix­tape machen, bei dem ich mich selbst nicht so unter Druck set­ze, text­lich ablie­fern zu müs­sen. Son­dern ein­fach das machen kann, wor­auf ich gera­de Bock hab'. Ich habe das aber rela­tiv schnell wie­der ver­wor­fen, weil das auch ganz viel Auf­wand ist, mit vie­len Leu­ten zusam­men­zu­ar­bei­ten, und weil ich wie­der ein rich­ti­ges Album machen woll­te. Ich habe dann mit Cha­ku­za an einem Album gear­bei­tet. Wir waren zusam­men auf Tour und haben uns sehr gut ver­stan­den. Er hat ange­fan­gen, das Album für mich zu pro­du­zie­ren, aber sei­ne eige­nen Pro­jek­te und ver­schie­de­ne Ver­än­de­run­gen kamen immer wie­der dazwi­schen, sodass auch die­ses Pro­jekt ins Was­ser gefal­len ist. Ich brauch­te danach einen Reset-​Knopf, um das, was ich teil­wei­se schon erar­bei­test hat­te, zu einem funk­tio­nie­ren­den Gesamt­pa­ket schnü­ren zu kön­nen. Ich hab' dann mit Scre­waho­lic gespro­chen, den ich 2003 im MZEE Forum ken­nen­ge­lernt habe. Wir haben uns zusam­men­ge­setzt und ganz viel geschrie­ben. Er hat geguckt, ob man Sachen aus den alten Ses­si­ons ver­wer­ten und wei­ter­ent­wi­ckeln kann, ich habe viel Neu­es gemacht. Und das Ergeb­nis ist jetzt "Anar­co", bei dem er der Haupt­pro­du­zent ist.

MZEE​.com​: Du hast vor­hin schon ange­ris­sen, dass du dei­ne eige­ne Musik als melan­cho­lisch bezeich­nen wür­dest. Was emp­fin­dest du dabei, wenn du trau­ri­ge Musik machst?

Dona­to: Eine gewis­se Form von Befrei­ung. Ich kann mich da rich­tig hin­ein­stei­gern. Ich sag' das immer wie­der: Die Musik ist mein Ven­til. Wenn ich schei­ße drauf bin oder ein bestimm­tes Gefühl kon­ser­vie­ren muss, dann schrei­be ich. Zumin­dest war das frü­her so. Im Moment kann ich das nicht mehr, ich habe das ein biss­chen ver­lo­ren. Aber eigent­lich ist das mein Ven­til. Der Song­text ist sozu­sa­gen die Platt­form, auf der ich das alles unge­fil­tert raus­las­sen kann. Und zwar, ohne dass ich das Gefühl haben muss, dass das einer Wer­tung unter­zo­gen wird oder man mir Rat­schlä­ge geben will. Wäh­rend ich schrei­be, mer­ke ich das schon. Man hat irgend­wie das Gefühl, aus die­sem Ruck­sack, den man trägt, fal­len immer wei­ter Stei­ne raus. Das ist auch ein sehr melan­cho­li­scher Pro­zess. Es ist nicht so, dass ich mir den­ke: Boah geil, ich bin jetzt wie­der voll hap­py, weil ich mir das jetzt von der See­le geschrie­ben habe. Ich kann das auf eine künst­le­ri­sche, spie­le­ri­sche Art aus­kos­ten. Danach geht's mir ein­fach bes­ser. Im Ide­al­fall kommt dabei etwas rum, was Leu­ten da drau­ßen hilft, mit ihren Gefüh­len klar­zu­kom­men, die aber nicht so ein Ven­til wie ich haben.

MZEE​.com​: Fällt es dir leicht, per­sön­li­che und inti­me Sachen an die Öffent­lich­keit zu tragen?

Dona­to: Es war noch nie so schwer wie bei die­sem Album. Viel­leicht, weil es aus mei­ner Sicht mein per­sön­lichs­tes Album ist, obwohl die ande­ren auch schon rela­tiv per­sön­lich waren. Aber ich hat­te bei ganz vie­len Songs Beden­ken. Ich hab' einen Song, auf dem ich über mei­ne Fami­lie spre­che, "311082". Den habe ich mei­ner Mut­ter irgend­wann geschickt und sie mein­te, das wäre das schöns­te Geschenk. Sie hat aber trotz­dem gefragt, ob ich mir sicher bin, dass das so war. Ich erzäh­le auf die­sem Song Geschich­ten aus der Per­spek­ti­ve mei­nes 13-​jährigen Ichs. Ich habe das damals so erlebt. Für ein Kind ist ja alles drei Num­mern grö­ßer als für einen Erwach­se­nen. Wenn man jetzt zurück­schaust und dar­über nach­denkt, wie man als Erwach­se­ner reagiert hät­te, dann war alles nicht so schlimm. Wenn du aber so zwölf, drei­zehn Jah­re alt bist, ist ein Streit zwi­schen den Eltern bedroh­li­cher mit 37 Jah­ren. Da kann ich jetzt rein­ge­hen und sagen: "Chillt euch mal." Aber in dem jun­gen Alter hast du exis­ten­zi­el­le Ängs­te, weil du ja auf die­se Men­schen ange­wie­sen bist. Des­we­gen ist man­ches rück­bli­ckend auch über­spitzt oder man kann nicht mehr nach­voll­zie­hen, war­um das eigent­lich so schlimm war. Um auf die Ein­gangs­fra­ge zurück­zu­kom­men: Was Leu­te, die mich nicht ken­nen, sagen, ist für mich gar nicht so rele­vant. Ich hab' eher das Gefühl vor Augen, dass es viel­leicht Leu­ten hilft, die das so ähn­lich erlebt haben. Was den­ken die Leu­te, die ich viel­leicht auch damit beschrei­be? Habe ich das kor­rekt wie­der­ge­ge­ben? Wenn ich wie im Song "Mar­co" andeu­te, dass ich leicht sui­zi­dal war, hat das eine ande­re Qua­li­tät. Wenn das Album nicht schon im Press­werk gewe­sen wäre, hät­te ich den Song im Nach­hin­ein viel­leicht noch run­ter­ge­nom­men. Aber so unterm Strich ist alles cool, da hat kei­ner was gesagt.

MZEE​.com​: Du steigst in das Album mit dem Titel­song "Anar­co" ein, der wüten­der klingt als das rest­li­che Album. Woll­test du der Plat­te so einen zor­ni­gen Grund­ton verleihen?

Dona­to: Grund­ton wür­de ich so gar nicht sagen, es ist eher eine Klam­mer. Zumin­dest war es so gedacht. Anar­co ist qua­si der wüten­de Mar­co. Er ver­ar­bei­tet zum einen das, was musi­ka­lisch in den letz­ten sie­ben Jah­ren schief­ge­lau­fen ist, aber ich bekämp­fe auch die inne­ren Stim­men, die sagen, dass ich es eh nicht geba­cken krie­ge. Und dann schließt das Album mit dem Song "Mar­co", auf dem ich vom Anar­co zum Mar­co, zum per­sön­li­chen Künst­ler wer­de. Viel­leicht ist es eine Art Rei­se vom extrin­sisch gepräg­ten Dude, der gera­de wütend auf die Welt und die inne­ren Dämo­nen ist, immer mehr zu sich hin. Der Höhe­punkt "Mar­co" ist auch das per­sön­lichs­te Stück auf der Platte.

MZEE​.com​: Wür­dest du sagen, dass du dich von nega­ti­ven Gefüh­len wie Wut und Trau­rig­keit frei­ma­chen willst?

Dona­to: Ja, abso­lut. Das ist aber ein dai­ly strugg­le und es ist total schwie­rig, mit nega­ti­ven Gefüh­len umzu­ge­hen. Ich bin da auf einem ganz guten Weg und habe ein biss­chen die Befürch­tung, dass ich irgend­wann nichts mehr zu erzäh­len hab', weil mei­ne Musik sehr davon pro­fi­tiert, dass ich wütend, trau­rig oder melan­cho­lisch bin. Gera­de bei dem Album und spe­zi­ell beim ers­ten Song ist das sicher­lich ein Faktor.

MZEE​.com​: Du bist nicht nur Rap­per, son­dern auch als Foto­graf aktiv. Musik und Foto­gra­fie fan­gen unter­schied­li­che Aspek­te von Melan­cho­lie ein. Wel­che wer­den für dich bes­ser durch Musik bezie­hungs­wei­se mit Foto­gra­fie erfasst?

Dona­to: Erst mal sind das völ­lig unter­schied­li­che Kunst­for­men, die sich schwer ver­glei­chen las­sen, auch wenn du mit bei­den ähn­li­che Gefüh­le dar­stel­len kannst. Ich kann das gar nicht genau erklä­ren, weil das bei mir auto­ma­tisch pas­siert. Ich gehe nicht hin und sage, dass ich ein melan­cho­li­sches Lied machen will. Das fängt schon bei der Beat­aus­wahl an. Melan­cho­li­sche Instru­men­tals gefal­len mir bes­ser als die "Mör­der­bre­cher". Dadurch, dass ich in bei­den Dis­zi­pli­nen mei­ne Per­sön­lich­keit ein­brin­ge, wird es auto­ma­tisch melan­cho­lisch, ohne dass ich das bewusst steu­ern wür­de. Natür­lich ver­su­che ich, das dann durch den Text oder Posing in der Foto­gra­fie zu unter­strei­chen. Aber es ist eigent­lich nie eine bewuss­te Ent­schei­dung für Melan­cho­lie. Unterm Strich bin das ein­fach ich, der sich da aus­drückt. Dann pas­siert das von allei­ne. Ich fin­de auch, dass kal­ku­lier­te Melan­cho­lie, so ein bewuss­tes Auf-​die-​Tränendrüse-​drücken, nicht funk­tio­niert. Wenn es kein ech­tes Gefühl ist, das man auf dem Song oder Foto ent­wi­ckelt, kommt es auch beim Hörer oder Betrach­ter nicht an.

MZEE​.com​: Ich habe auch das Gefühl, dass man sich durch melan­cho­li­sche Musik bewusst in so eine trau­ri­ge Stim­mung brin­gen kann.

Dona­to: Unbe­dingt. Wenn ich mer­ke, dass es zu viel Melan­cho­lie ist und ich mich beru­hi­gen muss, mache ich sofort Reg­gae an. Dann ver­spü­re ich auto­ma­tisch wie­der good vibes, weil das irgend­wann kippt. Ich genie­ße Melan­cho­lie oft, aber manch­mal erwi­sche ich mich dabei, einen Radiohead-​Song zu viel zu hören. Dann ver­su­che ich, das zu stop­pen. Aber ja, wenn du als Hörer etwas zu ver­ar­bei­ten hast, hilft das total, da noch mal rein­zu­füh­len. Dann tut es viel­leicht noch mal kurz mehr weh, aber wenn du dann am nächs­ten Mor­gen auf­wachst, hat's viel­leicht geholfen.

MZEE​.com​: Wir möch­ten noch über eine Zei­le aus dei­nem Song "Bei Nacht" spre­chen: "So weit die Rei­fen mich tra­gen, den Akku laden bei Nacht, auf Land­stra­ßen, Auto­bah­nen fah­ren bei Nacht." – Aus mei­ner Sicht ver­mit­telt das eine Art posi­ti­ve Melan­cho­lie. Gibt es so etwas für dich?

Dona­to: Ich glau­be, das hab' ich am Anfang ver­sucht zu erklä­ren. Dass Melan­cho­lie für mich per se ja nicht immer nur Trau­er ist, son­dern dass ich da auch durch­aus eine gewis­se Gemüt­lich­keit füh­len kann, wenn die Melan­cho­lie nicht durch einen Lie­bes­kum­mer oder etwas in die Rich­tung bedingt ist. Wenn man so ein biss­chen fer­tig vom Tag nach Hau­se kommt und an etwas Schö­nes zurück­denkt, wird man auch melan­cho­lisch, aber auf eine schö­ne Wei­se. Wenn ich die­sen Song neh­me und mich dar­an erin­ne­re, wie ich nachts um ein Uhr durch die Stra­ßen oder über die Auto­bahn mit melan­cho­li­scher Musik fah­re, dann ist das für mich auch schön. Ich bin zwar nicht fröh­lich, aber es ist ein Wohl­fühl­kli­ma. Wenn es zum Bei­spiel drau­ßen reg­net, dann set­ze ich mich ger­ne mit einer Decke auf den Bal­kon. Objek­tiv betrach­tet ist es zwar schwei­ne­kalt, aber sub­jek­tiv betrach­tet ist es voll gemüt­lich. Aber kei­ner wür­de sagen, dass das sein Lieb­lings­wet­ter ist. Das ist so eine leich­te Form der Melan­cho­lie, die ich auch suche und genieße.

MZEE​.com​: Du hast gesagt, in einer melan­cho­li­schen Stim­mung erin­nert man sich auch häu­fig an Ver­gan­ge­nes. Ich fin­de, dass das oft Gefüh­le von Nost­al­gie aus­löst. Was sind für dich Par­al­le­len bezie­hungs­wei­se Unter­schie­de zwi­schen Melan­cho­lie und Nostalgie?

Dona­to: Das eine schließt das ande­re nie aus. Ich wer­de oft melan­cho­lisch, wenn ich nost­al­gisch bin. Für mich ist das eine ähn­li­che Gefühls­gat­tung. Ich hab' sehr vie­le nost­al­gi­sche Momen­te auf dem Album, in denen ich über die Fami­lie, Jugend und Kind­heit oder den bes­ten Jugend­freund spre­che – wie auf "Ich wart auf dich". Das ist bei mir auto­ma­tisch immer ein Stück weit nost­al­gisch. Auf mei­nem Track "Der Ruhr­pott ist unend­lich" wür­de ich das aber unter­schei­den. Da bin ich zwar nost­al­gisch, aber nicht melan­cho­lisch. Im Grun­de genom­men, wenn ich mich per­sön­lich als Maß­stab sehen wür­de, geht Nost­al­gie ohne Melan­cho­lie fast nie. Des­we­gen sehe ich da sehr vie­le Gemeinsamkeiten.

MZEE​.com​: Wobei mich Erin­ne­run­gen an frü­her auch glück­lich machen können.

Dona­to: Das kommt wahr­schein­lich dar­auf an, wor­auf du kon­kret zurück­schaust. Da ich eher melan­cho­lisch bin, schaue ich wahr­schein­lich auch eher auf Momen­te zurück, die damals trau­rig waren, oder Zei­ten, die ich mir nach heu­te wün­sche, die aber vor­bei sind. Des­we­gen ist es bei mir wahr­schein­lich so, dass die Nost­al­gie immer melan­cho­lisch ist. Wenn du aber jetzt sagst, du erin­nerst dich ger­ne an posi­ti­ve Din­ge, ist es eher so, dass du Nost­al­gie strik­ter von Melan­cho­lie tren­nen kannst. Mei­ne Kind­heit war nicht dra­ma­tisch schlecht, aber bei mir sind die schwie­ri­gen Din­ge hän­gen­ge­blie­ben. Dar­an kann ich mich bes­ser erin­nern als an die Momen­te, in denen ich glück­lich war. Des­we­gen mache ich kaum bis gar kei­ne Musik, wenn ich glück­lich bin, weil ich dann ein­fach das Leben genie­ße. Aber ich ver­ges­se dann am nächs­ten Tag auch, dass ich es ges­tern genos­sen hab'.

MZEE​.com​: Aber war­um hast du dann zum Bei­spiel auch Lie­bes­kum­mer, wenn Lie­be doch etwas Posi­ti­ves ist?

Dona­to: Für mich ist Lie­bes­kum­mer das klas­si­sche Bei­spiel für das Zusam­men­spiel von Melan­cho­lie und Nost­al­gie. Wenn ich Lie­bes­kum­mer hab', will ich doch etwas wie­der­ha­ben, was schön war, aber jetzt nicht mehr da ist. Mir wür­de es schwer­fal­len, zu sagen, dass die Zeit so schön war, und mich dann dar­über zu freu­en. Denn die­se Zei­ten sind nicht mehr da. Ich hat­te Lie­bes­kum­mer so noch nicht. Bei Freund­schaft geht das eher, dass man sagt: "Wir hat­ten zehn rich­tig gei­le Jah­re, wir haben uns ganz lan­ge nicht gehört, lass uns das doch wie­der anpa­cken." Da ver­ste­he ich das voll, aber bei Lie­bes­kum­mer tut das vor allem weh, weil man da kei­nen Ein­fluss drauf hat. Du kannst ja immer zu 'nem Freund gehen, von dem du dich aus­ein­an­der gelebt hast und sagen: "Was ist denn da eigent­lich pas­siert damals?" Da hast du rela­tiv gro­ße Chan­cen, dass der ande­re sich da selbst nicht mehr sicher ist und viel­leicht alles wie­der cool wird. Aber wenn du bei Lie­be weißt, dass der ande­re die­ses Gefühl ein­fach nicht erwi­dert, macht dich das so ohn­mäch­tig. Da ist es schwie­rig, posi­tiv zu bleiben.

MZEE​.com​: Du hast gesagt, dass Men­schen oft ihre per­sön­li­chen Erfah­run­gen und Gefüh­le mit dir tei­len, weil dei­ne Musik so viel in ihnen aus­löst. Wie emp­fin­dest du das, wenn du die­ses Feed­back bekommst? 

Dona­to: Das ist zwei­ge­teilt. Einer­seits Rie­sen­stolz, weil es schon eine gro­ße Aus­zeich­nung ist, dass Leu­te sich mir so anver­trau­en. Es gibt wirk­lich auch Leu­te, die gesagt haben, dass sie ohne mei­ne Musik viel­leicht gar nicht mehr leben wür­den. Ande­rer­seits bür­det dir die­se extre­me Form eine gewis­se Ver­ant­wor­tung auf. Du wirst zumin­dest ein Stück weit mit dafür ver­ant­wort­lich gemacht, dass der­je­ni­ge sich nichts ange­tan hat. Das fühlt sich sehr kom­pli­ziert an. Auf der einen Sei­te denkst du, wie toll es ist, was dei­ne Musik bewir­ken kann ist. Und auf der ande­ren Sei­te bist du unend­lich trau­rig, weil es dem Mensch da drü­ben so geht und du eigent­lich trotz­dem nichts machen kannst. Klar, du machst dei­ne Musik und sie hilft ihm. Aber eigent­lich willst du ihm zuru­fen, dass er sich Hil­fe suchen soll und alles gut wird. Das ist eine Ver­ant­wor­tung, der ich nicht gerecht wer­den kann, weil ich nur mei­ne eige­nen Pro­ble­me kon­ser­vie­re und habe. Es gibt auch ganz vie­le Leu­te, die mich nach psy­cho­lo­gi­schem Rat fra­gen. Da will ich freund­lich sein und gut ant­wor­ten, aber die Wahr­heit wäre, zu sagen: "Ich bin selbst krank, sonst wür­de ich die­se Musik nicht machen. War­um soll ich dir hel­fen kön­nen? Ich hab' selbst die­se Schei­ße, mit der ich dea­len muss. Ich kann mich selbst nicht auf­bau­en, wie soll ich jetzt dich auf­bau­en?" Das kann ich nicht leis­ten. Dafür ist die Musik da, da kön­nen sich die Leu­te etwas draus ziehen.

MZEE​.com​: Wenn du noch etwas los­wer­den willst, die letz­ten Wor­te gehö­ren dir. 

Dona­to: Vie­len Dank für die Ein­la­dung! MZEE ist aus vie­ler­lei Hin­sicht nicht nur ein wich­ti­ges Medi­um, son­dern war auch damals schon eine Insti­tu­ti­on, die die­sen Weg ange­schubst hat, auf dem ich jetzt bin. Dafür bin ich euch dankbar.

(Malin Tee­gen & Micha­el Collins)
(Fotos von Julia Scheibeck)