Roger Rekless ist ein vielbeschäftigter Mann. Neben seinem Hauptjob als Rapper ist er auch als Produzent, DJ, Radio-Moderator, Festival-Host und mittlerweile sogar als Buchautor tätig. Unterhält man sich mit ihm, wundert es einen kaum, dass er sich nicht auf eine Tätigkeit festlegen möchte. Denn der Münchner sprudelt nur so vor Energie und hat eine Menge zu sagen. Dass er es jedoch nicht immer leicht hatte, wird nicht nur beim Lesen seines Sachbuchs "Ein Neger darf nicht neben mir sitzen" deutlich, das er kürzlich unter seinem bürgerlichen Namen David Mayonga veröffentlichte und seine Erfahrungen mit Rassismus behandelt. Auch in seiner Musik – so optimistisch und von Grund auf positiv sie oberflächlich betrachtet auch erscheinen mag – gibt er immer wieder Einblicke in sein mitunter turbulentes Innenleben. Ebenso tut er das auf seinem neuen Album "Über die Natur der Dinge". Mit uns unterhielt sich Roger offen über seine vergangenen Erfahrungen mit Depression und das schöne Gefühl nach dem Überwinden einer depressiven Episode. Außerdem ging es in unserem Gespräch unter anderem um römische Philosophie und die Parallelen, die zwischen dem Musikmachen und Sporttreiben bestehen.
MZEE.com: Dein neues Album heißt "Über die Natur der Dinge". Was genau willst du mit dem Titel ausdrücken? Auf mich wirkt er sehr ambivalent.
Roger Rekless: Es mag vielleicht so klingen, aber eigentlich ist es eine Reminiszenz an "Über die Natur der Dinge" von Lukrez, der ein Schüler von Epikur war. Ich mag den Dude irgendwie. Der war Philosoph im alten Griechenland und alle haben ihn gehatet, weil er gesagt hat, das Leben sei größer als alle Vorstellungen von Gottheiten und dass das Universum größer sei, als es sich die Leute vorstellen könnten. Das waren Ideen, die so weit weg waren, dass sie keinem getaugt haben und keiner Bock auf sie hatte. Deswegen ist der lange unter dem Radar geflogen. Und irgendwie finde ich mich in diesem Prinzip total wieder. Auch ich kämpfe mit meinen Dämonen und depressiven Episoden. Ich bin immer wieder ganz lange weg vom Geschehen gewesen. Deshalb fand ich das total geil. "Über die Natur der Dinge" war tausende Jahre verschollen und wurde dann von einem italienischen Dude in irgendeiner Klosterbibliothek in Deutschland wiederentdeckt. Bei mir ist Maniac sozusagen der italienische Gelehrte, der mich wiederentdeckt und mir aus einer depressiven Episode herausgeholfen hat. Wir wollten eigentlich nur eine EP machen, aber dann wurde so viel daraus, dass ich gedacht habe: "Hey, das ist doch genau wie bei Lukrez und seinem Manuskript." Nicht in dem Sinne, dass ich das als genauso wichtig empfinde. Lukrez' Schriften waren ein unfassbar wichtiger Anstoß für die Renaissance. Aber ich habe in diesem Prozess meinen eigenen Wert erkannt. Deswegen wollte ich das Album so nennen. Es ist quasi mein persönliches "Über die Natur der Dinge".
MZEE.com: Hast du weitere Reminiszenzen an Lukrez' Werk in deine Texte einfließen lassen oder wendest du lediglich den Titel metaphorisch auf deine eigene Situation an?
Roger Rekless: Es kommt schon immer mal wieder ein bisschen durch. In dem Sinne, dass ich die Liebe als eines der wichtigsten Güter hochhalte oder die Obrigkeit kritisiere. Da bin ich ganz in der Schule von Epikur und Lukrez. Ich greife auch einige Philosophen auf, die etwas später kamen und kriegerischer waren – wie etwa Machiavelli. Das geschieht aber auch von Lukrez' und Epikurs Standpunkt aus. Es zieht sich schon ein bisschen durch, wenn auch eher punktuell. Das Übergreifende ist tatsächlich eher dieser Spirit, den ich in mir selbst verspüre.
MZEE.com: Kommen wir mal auf die Produktion des Albums zu sprechen, die Maniac übernommen hat. Hast du dich auch an der Soundentwicklung und Entstehung einzelner Beats beteiligt? Schließlich bist du ja selbst auch Produzent beziehungsweise Instrumentalist.
Roger Rekless: Eigentlich habe ich Achim (Maniacs bürgerlicher Name, Anm. der Redaktion) überhaupt nicht reingeredet. Er hat mir Beats geschickt und ich war so: "Ja, sau geil!" Ich glaube, ich habe nur bei dem Song mit Keno noch eine Synthie-Bassline dazugespielt. Sonst hat Achim alles alleine gemacht. Du musst dir das wie eine musikalische Therapie vorstellen. Ich bin aus dieser depressiven Episode rausgekommen und konnte endlich wieder am normalen Leben teilnehmen. Das wollte ich für mich persönlich feiern und habe Maniac deshalb gefragt, ob er nicht Bock hätte, mir Beats zu schicken, um eine EP zu machen. Da meinte er direkt: "Logo, Oida! Da schick' i dir Banger, Oida!" Das Krasse war, dass es mir in diesen Nachwehen der depressiven Episode trotz allem immer mal wieder schlecht ging. Das ist ungefähr so, als hätte man eine richtig krasse Grippe gehabt. Da bist du auch nicht sofort wieder fit. Über diesen Zeitraum hat mich Achim immer wieder völlig locker und unprätentiös gefragt, wie es mir geht. Ich habe dann geantwortet, dass es ein bisschen schwer ist und ich kämpfen muss – und sofort hatte ich zwei neue Beats in der Inbox! (schmunzelt) Das hat mich so krass abgelenkt und ich konnte dadurch alles, was mich bewegt und aufgewühlt hat, aufschreiben. Das war echt der Wahnsinn und die beste Therapie überhaupt. Viele der Songs, die am Anfang entstanden sind, haben wir aber nicht mit auf das Album genommen, weil die noch sehr von meinen Erlebnissen aus der Zeit geprägt sind. Die waren sehr düster. Der einzige davon, der es dennoch auf das Album geschafft hat, ist "X (Über die Natur der Dinge)" – der Titel-Track, mit dem das Album auch beginnt. Ich finde, man merkt das auch, wenn man den hört. Der ist viel wütender als alle anderen und hat diese Wut auf die eigene Verzweiflung mit drin. Khalil, einer meiner besten Kumpels, meinte, ich müsse den unbedingt mit draufnehmen. Also habe ich Maniac den Song geschickt, um zu schauen, was er daraus macht. Wir haben sechs oder sieben verschiedene Versionen davon gemacht, bis die dabei war, die jetzt auf dem Album ist. Der Typ hat mich einfach komplett verstanden. Das hatte ich wirklich selten bisher. Wir mussten so wenig über die Arrangements der Songs, über Breaks oder sonst irgendwas diskutieren, weil wir diese Dinge exakt gleich hören. Teilweise habe ich beim Aufnehmen, wenn ich einen Beat hatte, der nur aus einem Loop besteht, selbst meine Pausen so reingeschnitten, wie ich es cool fände. Da gab es nie Diskussionen, weil er die genauso gesetzt hätte. Oder andersrum: Er setzt, nachdem ich aufgenommen habe und selbst keine gesetzt habe, Breaks in den Beat. Die höre ich mir dann an und sage: "Ja, genau so hätte ich es auch gemacht!" (lacht) Das war wirklich geil. Ich vertraue Maniac einfach zu 100 Prozent. Auch wenn er mir mal dazu geraten hat, eine Strophe wegzulassen, da sie für den Song nicht nötig sei, habe ich ihm vollkommen vertraut. Bei anderen hätte ich mich da beschwert, aber bei ihm nicht. Das war für mich der absolute Wahnsinn.
MZEE.com: Du hast jetzt schon relativ viel und offen von deiner zurückliegenden Depression erzählt. Auf "Raus aus der Dunkelheit" rappst du: "Ich mach' gleich wieder Cash. Aber nicht mit Mucke, des bleibt lieber des, was mich rausholt aus der Tiefe, nicht dahin entlässt." Was sagst du dazu, dass oft behauptet wird, eine Depression wirke sich positiv auf künstlerisches Schaffen aus?
Roger Rekless: Das ist definitiv so. Ich glaube, es gibt keinen echten Künstler, der ohne depressive Episoden durchs Leben geht. Anders würde es gar keinen Sinn machen. Es ist natürlich nicht so, dass ich sage: "Cool, ich find's voll geil, dass ich da immer wieder durchgehen muss!" Und ich muss auch ganz ehrlich zugeben, dass ich es erst jetzt geschafft habe, damit richtig umzugehen – zum Beispiel mit den ganzen unterschiedlichen Therapieansätzen. Die geben dir auf eine gewisse Art und Weise eine emotionale Grundlage, bei der du dich – gezwungenermaßen – selbst spürst. Daraus kannst du definitiv Stoff für deine Texte ziehen. Ich konnte für mich aber am meisten Inspiration aus dem Überwinden der Depression ziehen. Es ist nicht dieses Tiefschwarze, Sämig-Teerige, einen Runterziehende, aus dem man Inspiration zieht, sondern das Gefühl, das entsteht, wenn man sich da wieder rausgekämpft hat. Ich finde es wichtiger, über das Rauskämpfen als über das Drinstecken zu rappen. Wenn du wirklich da drinsteckst, ist das nichts, das man besingen will – zumindest ist das bei mir so. Ich finde nicht, dass ganz viele Leute hören müssen, wie schlecht es mir geht. Ich finde es viel cooler, die Leute, die selbst unter einer Depression leiden, an das Gefühl zu erinnern, das man hat, wenn man gerade durch eine Episode gegangen ist. Wenn du am Ende bist und es gerade rausgeschafft hast, ist das ein bisschen so, als wärst du richtig viel geschwommen. Dein ganzer Körper gibt dir dann zu verstehen, dass er nicht mehr kann. Du ziehst deine letzten Bahnen und schleppst dich mit letzter Kraft aus dem Becken raus. Du kannst dich nicht mal mehr am Beckenrand hochziehen. Du schaffst es gerade noch, dich mit dem Oberkörper irgendwie über die Fliesen aus diesem Becken zu ziehen. So fühlt es sich für mich an, wenn ich aus so einer Episode komme. Dann liege ich aber an der Seite vom Pool und bin in Sicherheit. Und dieses kurze Gefühl, wenn du total fertig, aber in Sicherheit bist, möchte ich vermitteln. Ich hoffe, dass das bei Leuten, die es schon einmal aus einer Depression herausgeschafft haben, ankommt. Vielleicht merken aber auch diejenigen, die so etwas zum ersten Mal erleben, dass es ein Danach gibt. Es gibt eben noch weitaus mehr als die Depression – auch, wenn es sich in dem Moment so anfühlt, als wäre es nicht so, und man sich selbst nur noch auf diese Dunkelheit reduziert.
MZEE.com: Mir ist aufgefallen, dass du zwar über das Thema "Depression" sprichst, es aber keineswegs überthematisierst. Das Album hat jedenfalls einen sehr positiven Grundton.
Roger Rekless: Ja, genau. Deswegen haben wir auch viele Songs nicht aufs Album genommen, die kurz nach der Episode entstanden sind. Es wäre sonst viel zu düster geworden. Das war einfach nicht das, was ich wollte. Es ist voll schön, dass du das so empfunden hast, weil ich zwar eine positive Grundstimmung erzeugen, aber dennoch ab und an ansprechen wollte, wo das herkommt. Es sollte jedenfalls kein großes Klagelied werden.
MZEE.com: Es ist ja kein Geheimnis, dass du neben HipHop auch in anderen Genres unterwegs bist – zum Beispiel mit deiner Hardcore-Band GWLT. Woher kommt diese gleichmäßig ausgeprägte Leidenschaft für auf den ersten Blick so unterschiedliche Genres?
Roger Rekless: Ich habe nie wirklich in Genre-Grenzen gedacht. Ich fing wegen meiner Mum an, Musik zu hören. Die hatte alte Soul-Platten, zum Beispiel von Al Green oder den Four Tops. Ich fand es schon als Kind geil, wenn sie das aufgelegt hat. Später hat sie mir oft Mixtapes von DJs aus München gegeben. Da habe ich dann zum ersten Mal Rap gehört. Das waren Sachen wie Salt-N-Pepa, LL Cool J oder Eric B & Rakim. Ich fand dieses rhythmische Gerede total cool. (lacht) Gleichzeitig kam "Razor's Edge" von AC/DC raus. Ende der 80er war das voll mein Ding. Darüber kam recht schnell Punk dazu. Als ich dann auch ein bisschen Englisch konnte, waren Punk und HipHop dasselbe für mich. Das waren beides junge, wütende Musikrichtungen, die versuchten, gegen das Establishment zu sein und die Zustände zu verändern. Das fand ich total geil. Klar, die einen haben das mit Gitarren gemacht und die anderen mit Drums und Samples, aber die Intention dahinter war für mich exakt die gleiche. Deswegen habe ich das nie trennen können und immer Punk, Metal und Rap gehört. Dann kam "Bring the Noise" von Anthrax und Public Enemy raus und ich war so: "Yes! Geil! Genau des muss doch 'zamkommen!" Später kam dann der Soundtrack von "Judgement Night" raus, auf dem immer eine Metal-Band mit einer Rap-Band einen Song hatte, was auch einfach großartig ist. Ich hatte so gehofft, dass dann viele großartige Crossover-Sachen entstehen – und genau das Gegenteil ist passiert. (lacht) Rage Against the Machine ist in meinen Augen das Einzige, das dann noch kam und auch geil war. Danach gab es nur noch so Geschichten wie Limp Bizkit, was mir einfach zu stumpf war. Lustigerweise habe ich durch diese Enttäuschung dann Jazz für mich entdeckt. (lacht) Da hat sich wieder ein neues Feld aufgetan. Deswegen bin ich jetzt auch so breit aufgestellt. Ich liebe das, weil du Musik immer auf "gut" oder "schlecht" runterbrechen kannst. Genre-Grenzen braucht man einfach nicht. Chilly Gonzales – ein großer Pianist, den ich hammergeil finde – habe ich mal gefragt, wie das für ihn ist, weil er sich auch zwischen allen möglichen Genres bewegt. Er hat mir dann geantwortet, dass er das Denken in Genres viel zu kurz gedacht und dumm findet. Es sperrt dich nur ein und limitiert dich. Ich habe ihm da voller Ehrfurcht Recht gegeben. Es ist wirklich egal, was du für Mucke machst. Mach sie einfach, so gut du kannst, und mach vor allem dein eigenes Ding. Anfang des Jahres war ich mit Moop Mama auf Tour. Da habe ich wieder gemerkt, wie schön es ist, wenn man einen breitgefächerten Musikgeschmack hat und sich dabei nicht einengen lässt. So hast du einfach viel mehr Einflüsse und kannst dich super austauschen. Du entdeckst immer wieder neue Künstler und Instrumentalisten, die dir vorher noch fremd waren. Das ist echt cool.
MZEE.com: Es steht also sicherlich außer Frage, dass du dich auch in Zukunft musikalisch austoben wirst?
Roger Rekless: Oh yeah, auf jeden Fall!
MZEE.com: Auch beruflich willst du dich offensichtlich nicht auf eine Sache beschränken. Du bist nicht nur Rapper und Sänger, sondern auch DJ, Produzent und mittlerweile Buchautor. Zudem arbeitest du als Moderator beim Jugendradio PULS und hast schon das Splash! moderiert. Wie bekommst du all diese Tätigkeiten unter einen Hut?
Roger Rekless: Also früher habe ich es nicht wirklich unter einen Hut gebracht. (lacht) Da habe ich ganz viel verplant und vergessen. Mittlerweile helfen mir meine Frau und mein Management aber dabei. Was die Organisation betrifft, würde ich das alleine sicher nicht schaffen. Aber wenn man zwei Leute hat, die einen darauf hinweisen, was man alles auf dem Plan hat, dann geht es eigentlich ganz gut. Ich würde jedem, der mehr machen will, empfehlen, dass er strukturierter rangeht als ich. (lacht) Ich habe auch probiert, mich mal auf einzelne Sachen zu konzentrieren. Mein Problem ist nur, dass mich so viel interessiert und mir so viel Spaß macht. Um Erfolg in dieser Welt zu haben, ist es natürlich geil, wenn du dich auf eine Sache konzentrierst. Dann fokussiert sich alles, was du tust, darauf. Aber irgendwas in mir sperrt sich dagegen. Ich habe keinen Bock darauf, alles Mögliche auszuschalten und nicht in mein Leben zu implementieren, nur damit ich eine Sache vorwärts bringe. Damit fühle ich mich am Ende des Tages nicht wohl. Mir macht es viel mehr Spaß, mal da und mal da reinzuschnuppern. Je weniger ich davon kann, desto besser. Neue Sachen anzufangen und zu lernen, macht mir einfach irre Spaß. Vielleicht auch, weil das die schwierigste Zeit ist. Bis man mal irgendetwas an den Start gebracht hat, dauert es halt. Wenn ich etwas geschafft habe, ist es für mich immer voll der Gewinn. PULS ist ein gutes Beispiel. Ich habe bei dem Jugendradio angefangen und bin dann zu Bayern 2 und Bayern 3 rübergegangen. Das ist schon echt cool als Moderator, der eigentlich keiner ist und anfangs keine Ahnung von journalistischer Arbeit hatte. In meinem ersten Jahr habe ich mir immer stundenlang Informationen reingezogen, um irgendwie in dieser Welt klarzukommen. (lacht) Das fand ich schon cool und es macht mir auch immer noch Spaß. Ich habe mir jedoch selbst gesagt – und das war auch total gut –, dass ich die Musik immer in das Zentrum stellen möchte. Vorher habe ich halt immer alles Mögliche gemacht und es war nie so klar, was das Hauptding ist. Bist du jetzt Moderator oder hauptsächlich Musiker? Oder Produzent? Oder Writer für andere? Jetzt kann ich sagen: Ich bin in allererster Linie Musiker und von da aus passieren die ganzen anderen Sachen. Auch das Buch hätte ich nicht geschrieben, wenn ich nicht der wäre, der ich bin. Es ist gut, dass da schon ein struktureller Wandel passiert ist, der dabei hilft, das Ganze durchzuziehen. Ich weiß jetzt einfach, was im Zentrum steht.
MZEE.com: Kannst du denn aus deiner Musikerkarriere besonders viel ziehen, das dir bei den anderen Tätigkeiten hilft? Befruchtet sich das vielleicht auch gegenseitig?
Roger Rekless: Auf jeden Fall. Mir ist jetzt erst so richtig bewusst geworden, dass das eine wichtige Querverbindung ist. Ich habe am Anfang immer versucht, alles Neue auch wirklich neu zu leben und zu erleben – zum Beispiel, als wir GWLT gegründet haben. Klar, ich habe schon immer Metal, Hardcore und Punk gehört. Aber selbst als Frontmann einer Band auf der Bühne zu stehen, ist noch mal was ganz anderes. Als wir angefangen haben, konnte ich noch nicht mal schreien, geschweige denn live damit auftreten. Bei unserer allerersten Probe haben wir drei Songs gespielt und danach war meine Stimme weg. (lacht) Da habe ich mich natürlich gefragt, wie wir es jemals schaffen sollen, eine Stunde live zu spielen. Es wurde dann immer leichter, je mehr ich mich auf das konzentriert habe, was ich eh schon bei meiner Rap-Show mache. Als ich gecheckt habe, dass ich die ruhigen Passagen auch vollkommen ruhig performen und genießen kann, ging es plötzlich viel leichter. Ich war auf einmal viel weniger angespannt und habe viel leichter durchgehalten. Nachdem wir zweimal mit der Band auf Tour waren, hatte ich keine Probleme mehr mit der Stimme. Es war schon cool, zu merken, dass man quasi von sich selbst zehren kann. (schmunzelt) Es befruchtet sich definitiv gegenseitig. Auch im Bezug aufs Radio, wo ich regelmäßig freestyle. Es hilft natürlich immens, wenn man als Moderator improvisieren kann. Bei Bayern 3 kann man ja auch anrufen und mir Wörter vorschlagen, die ich dann live in einem Freestyle im Radio verwende. Für ganz viele Hörer, die sonst keinen großen Bezug zu HipHop haben, ist es total irre, dass sich jemand spontan Reime ausdenkt, die eine Geschichte erzählen und schlüssig sind – mit so vielen Vorgaben und innerhalb kürzester Zeit. Es freut mich so krass, dass man Leute mit so etwas begeistern kann. Ich finde, das ist tatsächlich noch auf eine gewisse Art eine handwerkliche Kunst. Freestyle ist quasi Kunsthandwerk. (lacht) Es ist schön, dass ich das Leuten, die sonst gar nichts damit zu tun hätten, über einen eher unkonventionellen Weg näherbringen kann.
MZEE.com: Du hattest auch mal einen Podcast zum Thema Kampfsport, den du gemeinsam mit dem Boysetsfire-Bassisten Robert Ehrenbrand moderiert hast. Gibt es für dich Parallelen zwischen Sport und Musik, zum Beispiel in Bezug auf die Auswirkungen, die beides auf die Psyche haben kann?
Roger Rekless: Total. Ich selbst mache ja Brazilian Jiu Jitsu und nehme auch an Wettkämpfen teil. Der Kampfsport ist dem Musikmachen in so vielen Bereichen gleich. Man kann sich bei beidem hinter nichts verstecken. In der Musik kannst du vielleicht ein Image aufbauen. Das kann man schon machen, aber ich bin da nicht der Typ für. Meine Musik ist tatsächlich sehr nah an mir dran, was es mir auch ein bisschen erschwert, damit umzugehen. Denn wenn jemand die Musik kritisiert, kritisiert er damit auch automatisch mich als Menschen. Ich muss noch lernen, da ein wenig besonnener zu reagieren und nicht gleich verletzt zu sein. Beim Kampfsport bist du auch immer du selbst. Du kannst dir denken: "Yeah, ich bin der Krasseste!" Aber dann musst du eben auf die Matte und für die fünf Minuten, die die Runde geht, beweisen, dass das auch wirklich der Fall ist – oder dich zumindest halbwegs verteidigen. Dann merkst du oftmals schnell, dass es nicht hinhaut. Vielleicht ist der andere zum Beispiel technisch viel stärker als du. Das, was einem da psychisch widerfährt, dieses Spüren der eigenen Unzulänglichkeit und Unterlegenheit, ist wahnsinnig gut. Und zwar deswegen, weil es ja im Leben genauso ist. Dieses Gefühl, dass man gegen jemanden nicht ankommt, spürt man halt genauso beim Beginn einer depressiven Episode. Man merkt, dass der Moment überschritten ist, an dem man alleine nicht mehr rauskommt. Mir hat der Sport deswegen geholfen, weil man diesen Punkt im Training natürlich viel häufiger erreicht. Im Jiu Jitsu ist es so praktisch: Du brauchst nur zweimal abklopfen und sofort ist die Situation aufgelöst und du fängst wieder von vorne an. Im Wettkampf hast du dann natürlich verloren, aber im Training kannst du sofort weitermachen. Das hat mir so krass dabei geholfen, mit den Episoden besser klarzukommen. Ich weiß, dass ich es selbst in der Hand habe. Ich kann jederzeit abklopfen sozusagen. Wenn ich dermaßen Angst um mich und mein Leben habe, kann ich mich sofort stationär behandeln und mir helfen lassen. Dieser Gedanke tut wahnsinnig gut. Ich glaube, das kann man erst zugeben, wenn man dieses Gefühl bereits häufiger hatte. Am Anfang kam eine Therapie für mich zum Beispiel gar nicht infrage. Da habe ich mir noch gesagt: "Nee, das kann ich nicht. Ich bin jetzt schon so tief drin. Ich kann das doch nicht einfach irgendeinem Fremden erzählen. Das wäre ja voll anstrengend. Ich kenne mich selbst schließlich am besten und bin reflektiert." Man denkt dann einfach sehr viel. Aber beim Kampfsport hast du eben keine Zeit, großartig nachzudenken. Du kannst dir natürlich denken: "Wenn der das macht, dann mache ich das." Aber auf einmal macht es eben "Bumm" und plötzlich ist alles anders. Man geht mit sich selbst und seiner eigenen psychischen Konstitution einfach ein bisschen liebevoller um. Man gesteht sich dann viel eher ein, dass es einem nicht gut geht, und akzeptiert das auch. Dadurch bekommt man das Gefühl, selbst etwas mehr die Kontrolle zu haben, und lässt sich nicht mehr so einfach überrollen. In unserem Podcast haben wir in ein oder zwei Folgen auch mal über Depression geredet. Da hat Robert mir erzählt, dass er sich gar nicht vorstellen kann, wie das so ist. Ich habe ihm dann erzählt, wie das bei mir ist und dass Jiu Jitsu mir dabei geholfen hat, ein bisschen besser damit klarzukommen. Daraufhin haben sich eine Menge Leute gemeldet, die sich darüber gefreut haben, dass das Thema angesprochen wurde. Einige davon waren nicht mal Kampfsport-Enthusiasten. Die konnten aber dennoch etwas damit anfangen. Es freut mich, wenn ich auf diese Art Leuten dabei helfen kann, selbst besser mit dem Thema klarzukommen. Ich bin gerade Purple Belt geworden und habe da quasi einen zweiten Schwung Verantwortungsgefühl bekommen. Ich bin mittlerweile relativ weit in diesem Sport gekommen und habe demnächst auch ein paar Turniere. Es wird interessant, da zu fighten und zu schauen, was mit diesem neuen Gürtel um die Hüften so passieren wird. (schmunzelt) Mittlerweile habe ich auch selbst damit angefangen, Leute zu trainieren. Für mich ist das eine ganz neue Art, mit der Depression umzugehen. Früher haben sich Trainer oftmals so dargestellt, als wären sie die Übermenschen und hätten auf alles eine Antwort – diese Bruce Lee-Film-Trainer sozusagen, die dir immer genau sagen, wie alles läuft. Aber Gott sei Dank ist es heute ja nicht mehr so. Es ist einfach klar, dass niemand alles weiß. Ich finde es einfach schön, dass ich mit meiner Art anderen durch das Klarkommen auf der Matte auch etwas über das Klarkommen im Leben beibringen kann. Auf Tour trainieren wir auch häufiger. Keno und ich boxen – genau wie die Mädels von der Technik. Denen zeige ich immer ein bisschen was, das ist ganz cool. (lacht)
MZEE.com: Abschließend würde ich gerne noch mal auf deine Freestyles, die du regelmäßig in Live-Videos bei PULS gekickt hast, zu sprechen kommen. Verrätst du uns, was der schwierigste beziehungsweise absurdeste Vorschlag war, den du bislang bekommen hast?
Roger Rekless: (lacht) Definitiv das Wort "Eichelkäse", das mir von Shahak Shapira vorgeschlagen wurde! Ich habe das Wort gelesen und zunächst gar nicht gesehen, wer das geschrieben hat. Ich weiß nicht mehr genau, wie ich es eingebaut habe, aber ich habe es tatsächlich verwendet. Eine Woche darauf hat Shahak mich angerufen und meinte: "Ganz ehrlich, du bist der beste Rapper! Wer es schafft, das Wort 'Eichelkäse' in einen Freestyle einzubauen, ist einfach der beste …" Das hat mich total gefreut. Ich behaupte das jetzt auch von mir selbst: "Hey, ich bin der beste Rapper, weil ich 'Eichelkäse' eingebaut habe!" (lacht)
(Steffen Bauer)
(Foto 1 von Philipp Wulk & Foto 2 von Simon Geisberger)