Deutschrap-Journalismus. Schon über das Wort lässt sich streiten. Die einen meinen, "richtiger" Journalismus im deutschen Rap existiere doch gar nicht. Außerdem könne ja jeder selbst bessere Artikel schreiben als "diese Praktikanten". Die anderen finden, jeder, der im deutschen Rap journalistische Tätigkeiten ausführt, sei auch ein Journalist. Die nächsten führen auf: Ja, im deutschen Rap sind Redakteure unterwegs – aber keinesfalls Journalisten. Zusammenfassen lässt sich: Fast jeder hat zumindest eine Meinung dazu. Aber wie steht es um die Meinung der Journalisten selbst? Denn die hat kaum jemand mal gefragt. Und so startet unsere neue Serie – eine kleine Interviewreihe mit aktuell relevanten und aktiven Journalisten der deutschen Rapszene. Dabei möchten wir darüber reden, warum die Deutschrap-Medien von so vielen Seiten – auch von der der Künstler – immer wieder unter Beschuss stehen und wie die Journalisten diese Seitenhiebe persönlich empfinden. Wir besprechen, wie einzelne Journalisten ihren Platz in der Rapszene wahrnehmen und ob deutscher Rapjournalismus in Gossip-Zeiten noch kritisch ist. Wir möchten erfahren, ob sie die Szene noch unter dem Kultur-Begriff verstehen oder das Ganze für sie ausschließlich ein Beruf (geworden) ist. Es kommen Fragen auf, ob es vereinbar ist, in diesem Aufgabenbereich Geld zu verdienen und wie der aktuelle Deutschrap-Journalismus und seine Entwicklung gesehen wird. Und: Wie steht es überhaupt um die Entwicklung der Rapszene an sich? Das und vieles mehr werden wir in über zehn Interviews besprechen, in welchen es verständlicherweise immer nur um einen Teilbereich dieser großen Themenwelt gehen kann. Nach dem kürzlich veröffentlichten Interview mit Jule Wasabi folgt nun ein weiterer zugezogener Berliner: Der langjährige rap.de-Chefredakteur Oliver Marquart stellte sich unseren Fragen und plauderte aus dem Nähkästchen über seine Meinungen, Erfahrungen und Erlebnisse innerhalb der deutschen Rapszene seit knapp 18 Jahren.
MZEE.com: Fangen wir mal mit dir persönlich an: Seit wann bist du in der Deutschrap-Journalistenszene unterwegs und was waren deine Stationen von damals bis heute?
Oliver Marquart: Als ich angefangen habe, über Deutschrap zu schreiben, gab es – glaube ich – noch nicht mal das Wort. Es war im Jahr 2000, als ich beschlossen habe, dass ich irgendwas mit HipHop machen will. Ans Geldverdienen habe ich damals gar nicht gedacht, ich wollte nur mehr machen als den ganzen Tag Savas zu pumpen und im PDNTDR-Forum andere User zu flamen. Ich hab' damals in München gewohnt – viel Auswahl gab es nicht. Also habe ich mal bei der JUICE angefragt, ob sie wen suchen. Und zack: Eine Woche später hatte ich mein erstes Telefoninterview. Mit Lyn. Das war die damalige Freundin von Roey Marquis. Wenig später bin ich dann nach Berlin gezogen. Von dort hab' ich weiter für die JUICE geschrieben, relativ schnell kamen dann noch andere Mags dazu. Die mkzwo (R.I.P.), dieses kleine Heft, dass es lange Jahre für umme in Plattenläden gab. Da war ich sogar mal Chefredakteur. Irgendwann kam auch die Backspin dazu. Und die legendären Punchzeilen natürlich, die von Staiger und Pi, damals noch Porno, herausgegeben wurden. Krasse Zeiten. So habe ich mich rund zehn Jahre als Freelancer durchgeschlagen. Dann hat mich Staiger, bei dem ich 2002 meinen ersten festen Job als Webseiten-Redakteur hatte, gefragt, ob ich seinen Chefredakteursposten bei rap.de übernehmen will. Wollte ich. Eine ganz neue Situation, weil ich plötzlich viel mehr Aufmerksamkeit bekam und bekomme, positive wie negative, aber man gewöhnt sich daran. Und im Gegensatz zum Freelancer kann man mehr gestalten, eigene Konzepte einbringen – ich habe einfach mehr Verantwortung, und das ist zwar stressiger, macht aber auch sehr viel Spaß.
MZEE.com: Und seit wann genau bist du nun schon bei rap.de? Denkst du, dass du die nächsten zehn Jahre dableiben wirst?
Oliver Marquart: Seit August 2011. Die nächsten zehn Jahre? So weit voraus habe ich noch nie geplant. Aber das wäre, glaube ich, zu lang. Irgendwann braucht es wieder neue Aufgaben und Herausforderungen. Zumal sich Deutschrap-Journalismus in eine Richtung bewegt, die ich nicht nur toll finde. Klar versuche ich, da weiter gegenzuhalten. Aber irgendwann will ich auch Platz machen für neue Ideen.
MZEE.com: Findest du generell, dass man irgendwann zu alt dafür sein kann, um über deutschen Rap zu berichten?
Oliver Marquart: Es gibt da natürlich zwei Fallen, in die man tappen kann. Die eine ist der Früher-war-alles-besser-Blickwinkel. War es nicht – du warst nur jünger und weniger abgeklärt. Die zweite ist es, aus Angst, in die erste zu tappen, alles bedingungslos abzufeiern, was irgendwie nach neu und frisch riecht. Wenn man diese beiden Extreme vermeidet, spielt das Alter keine Rolle. Dann kann es im Gegenteil hilfreich sein, dass man schon den einen oder anderen Trend kommen und gehen gesehen hat. Allgemein gilt: Solange man sich für etwas aus tiefstem Herzen begeistert, kann man auch darüber berichten, schreiben, reden. Ist das aber nicht mehr gegeben, sollte man es lieber lassen.
MZEE.com: Da du ja nun doch schon eine kleine Ewigkeit dabei bist: Wie empfindest du die Entwicklung der deutschen Rapszene in den letzten fünfzehn Jahren? Siehst du dazu Parallelen in der Veränderung des Deutschrap-Journalismus?
Oliver Marquart: Auf manchen Ebenen war die Entwicklung atemberaubend, auf anderen wiederholt sich auch viel. Ein Beispiel: Als ich 2001 nach Berlin gezogen bin, ging hier gerade eine Revolution los. Ich kannte davor nur Savas, MOR und die Sekte, aber hier schossen plötzlich überall neue Rapper und Crews aus dem Boden. Nee, Quatsch, die waren schon da, ich hab' sie aber da erst entdeckt. Beatfabrik, die Illuminaten, Mach One – die haben alle ganz unterschiedliche Musik gemacht. Aber eins hatten sie gemeinsam: Der bisherige Status quo – die ungeschriebenen Deutschrap-Gesetze – war ihnen scheißegal. Sie haben größtenteils über rumpelige Beats gerappt, die nach Meinung des Establishments nicht "real" genug waren. Sie haben auf Reimschemata und besonders klug um die Ecke gedachte Texte geschissen, sondern einfach direkt und schnörkellos ihre Meinung ins Mic gerappt. Dass sie dabei aus meiner heutigen Sicht oft problematische Inhalte transportiert haben, Rassismus, Sexismus, ist mir damals offen gesagt nicht negativ aufgefallen. Das fühlte sich so an, als wäre es Teil der Rebellion – sehe ich heute zwar anders, aber damals war ich mir dabei keines Problems bewusst. Jedenfalls – eine Zeit des Aufbruchs, des Auf-alles-Scheißens, des Ich-mach-einfach-worauf-ich-Bock-habe. Grandios. Und um den Bogen zu heute zu schlagen: Das passiert in einer ganz anderen Form ja durchaus wieder. Anfang Zwanzigjährige schrauben in ihren Homestudios an ignoranten Songs, die oft nur aus einer ständig wiederholten Textzeile und ein paar Adlibs bestehen. Und wieder spielen mitunter problematische Texte eine gewisse Rolle, wobei bei der neuen Generation schon ein viel größeres Bewusstsein dafür da ist, was cool ist und was nicht. Für viele jedenfalls. Lustig ist dabei auch, dass sich wiederholt, was in den Nullerjahren passiert ist: Die nachfolgende Generation übertrumpft ihre Vorgänger in Sachen Ignoranz und Ich-gebe-einen-Fick-auf-alles – und provoziert damit die selben Reaktionen, die diese Vorgänger bei ihren eigenen Vorgängern ausgelöst haben. Das soll jetzt nicht heißen, dass ich Autotune und Mumble Rap für ein Allheilmittel halte. Sicher werden diese Stilmittel irgendwann, wohl schon recht bald, wieder ausgereizt sein. Aber auch wenn da viele Klone und Trittbrettfahrer mit hochgespült wurden und nicht alles Gold ist, was glänzt, hat sich doch einiges dadurch verändert. Melodie ist im Deutschrap ein wichtigerer Faktor als je zuvor. Ich bin gespannt, wie sich das letztlich weiterentwickelt. Jetzt hab' ich natürlich jede Menge Entwicklungen dazwischen weggelassen, zum Beispiel den Aufstieg von Aggro Berlin, die erst Berlin-Rap institutionalisiert und dann der ersten großen Straßenrap-Welle – Bushido und seinen Epigone – den Weg geebnet haben. Oder Punchline-Rap, der heute schon wieder so vergessen ist wie die damit einhergehenden 5XL-Klamotten. Oder die zweite große Straßenrap-Revolution, die Haftbefehl und Celo & Abdi ausgelöst haben und die bis heute einen wichtigen Einfluss auf Rap hat. Und bestimmt noch ganz viele andere Strömungen, die ich aus meinem persönlichen Geschmack heraus übersehen und unterbewertet habe. Was Deutschrap-Journalismus angeht, gab und gibt es ebenfalls viele Strömungen. Ich habe erlebt, wie alles als reines Fanzine-Ding anfing. "Ich berichtet über meine Idole, weil es sonst keiner tut." Dann wurde die JUICE so ab 2003 unter Chefredakteur Davide Bortot sehr professionell, sowohl was den Schreibstil als auch was die Berichterstattung und die Herangehensweise an Themen anging. Aus meiner persönlichen Sicht eine kleine Golden Era of Deutschrap-Journalism. Heute ist eine ganz andere Zeit: Gelesen wird immer weniger, man muss Inhalte möglichst visuell, griffig und pointiert darstellen. Das führt auf der einen Seite zu debilen Formaten wie Rapupdate, auf der anderen Seite blühen aber auch gutgemachte Formate wie "On Point" von Aria Nejati, der von Jan Wehn und Alex Engelen hervorragend geführte Auskenner-Blog allgood.de oder auch das neue Splash!-Mag. Klar ist, dass Deutschrap-Journalisten wie die anderen Journalisten auch ihre Türsteher-Funktion längst verloren haben. Die JUICE kann heute keine Hypes mehr auslösen, und auch sonst kein Medium, egal, wie viel Reichweite es hat. Und wir können auch niemanden "unten halten". Das ist auch gut so. Was ich sehe, ist, dass trotz der ganzen ekelhaften Clickbait-Entwicklung viele junge Autoren genau das begriffen haben und sich auf die Kernaufgabe besinnen: Entwicklungen einordnen, kommentieren, ihre Sichtweise anbieten, ohne zu belehren oder sich anzubiedern. Es gibt glaube ich soviel Potential wie noch nie. Um nur ein paar Namen zu nennen: Salwa Houmsi, Alex Barbian, Miriam Davoudvandi, Skinny, der bereits erwähnte Aria Nejati, Helen Fares und, und, und …
MZEE.com: Wo du gerade schon die ganzen Strömungen ansprichst: Ich denke, dass sich auch die Erwartungen der Szene – Künstler und Fans – an Deutschrapjournalismus immer wieder gewandelt haben. Wie nimmst du denn die Erwartungen der Szene wahr? Denkst du, dass man ihnen gerecht wird?
Oliver Marquart: Ich frage mich, ob der Ausdruck "Szene" dem Ganzen noch gerecht wird. Im Grunde sind es heute mehr denn je verschiedene, sich überlagernde Camps. Gut, das war vielleicht auch schon immer so. Egal. Was sich auf jeden Fall verändert hat: Deutschrapjournalisten sind heute viel greifbarer – und angreifbarer. Früher, in den Magazinen, standen halt die Namen und das war's. Heute haben die meisten Videoformate, man kennt ihre Gesichter, weiß, wie sie reden und so weiter. Das weckt ganz andere Erwartungen, besonders bei den Fans. Ahnung von der Sache zu haben reicht nicht mehr aus, du musst es auch gut rüberbringen können. Was die Künstler angeht – das ist sehr unterschiedlich. Die mit einer großen Reichweite erwarten gar nichts, die machen in 90 Prozent der Fälle nur Interviews, wenn sie den Journalisten mögen und/oder sicher sind, dass das Gespräch so verläuft, wie sie es wollen. Früher hat sich Bushido noch darauf gefeiert, in der JUICE zu stehen – das ist sowas von vorbei. Heute feiern sich Magazine, wenn sie ein exklusives Interview mit einem besonders raren und erfolgreichen Künstler bekommen. Die unbekannteren Künstler wiederum glauben sehr oft noch, Journalisten könnten sie "pushen". Solche Mails bekomme ich jeden Tag – "bitte pusht mich" oder von Fanseite in negativer Art: "Warum pusht ihr das?" Falls das überhaupt jemals wirklich geklappt hat, ist es spätestens jetzt vorbei. Schaut man aber jetzt mal aufs große Ganze, sind die Erwartungen, die heute an einen Deutschrapjournalisten gestellt werden, durchaus erfüllbar. Denn ich denke, die Leute wollen immer noch interessante Gespräche mit ihren Künstlern sehen, die über ein "Wer hat produziert?" hinausgehen. Das Angebot ist aber eben größer, plus die Künstler machen längst nicht mehr alles mit. Damit muss man umgehen.
MZEE.com: Wenn man betrachtet, dass sich ja nur noch wenige Künstler möglicherweise kritischen Fragen stellen wollen – sind die aktuellen Interviews in deinen Augen kritisch genug? Und ist es überhaupt wichtig, dass sie kritisch sind?
Oliver Marquart: Nein, sind sie oft nicht. Ich sehe viele Interviews, wo extrem fragwürdige oder sachlich einfach falsche Aussagen einfach unkommentiert stehen gelassen werden. Den Großteil des Publikums scheint das allerdings nicht zu stören. Aus geschäftlicher Sicht sind kritische Fragen also wohl nicht wichtig. Aus journalistischer Sicht natürlich schon. Wobei sie auch kein Selbstzweck sein sollten, sondern im besten Falle dazu dienen, ein möglichst umfassendes Bild vom jeweils interviewten Künstler zu ermöglichen. Sicher müssen Interviews mit Musikern oder Rappern keine bierernste Angelegenheit sein, wo es nur darum geht, dem Künstler seine Fehler vorzuhalten. Aber eine gewisse Distanz ist schon wichtig – wobei ich persönlich mich nicht erinnern könnte, dass das jemals die Regel war. Ein goldenes Zeitalter, in dem Deutschrap-Journalisten ausschließlich differenziert und kritisch nachgefragt haben, gab es nicht. Im Gegenteil: Gerade in den Anfangsjahren haben Magazine sich ja als Teil der Szene gesehen, als natürliche Verbündete der Künstler. Die Kritik richtete sich stets eher nach außen, also zum Beispiel darauf, wie Medien von außerhalb über HipHop berichten. Realistisch gesehen wird es auch in Zukunft nicht einfach, Künstler dazu zu bewegen, sich kritischen Fragen zu stellen. So bleiben uns Journalisten eben vor allem Kommentare und Meinungsbeiträge, um bestimmte Entwicklungen oder Aussagen zu kritisieren. Und das ist ja – gerade, was die Sexismus-Debatte angeht – ziemlich lebendig in letzter Zeit.
MZEE.com: Können Magazine denn heute nicht trotzdem Teil der Szene sein, ohne sich mit den Künstlern zu verbünden?
Oliver Marquart: Doch, auf jeden Fall. Es bleibt aber immer ein schmaler Grat. In der Idealvorstellung üben sie konstruktive Kritik, die von den Künstlern nicht persönlich genommen wird, und unterscheiden selbst zwischen Freundschaft und Qualität. In der Realität wird es so sauber und ideal aber nie ablaufen.
MZEE.com: Wo wir gerade von fehlender Kritik sprechen – was fehlt "unserem" Journalismus denn in deinen Augen noch?
Oliver Marquart: Haha, eine Fangfrage! Alles, was ich jetzt sage, kann gegen mich verwendet werden. Aber ich sag's trotzdem: Ein bisschen mehr Lockerheit wäre schon fein. Ein bisschen mehr Lust auf Risiko und Neues ausprobieren. Es tut sich echt wenig, was neue Formate angeht – das gilt auch für rap.de, ja. So vieles ist einfach Schema F: "Das ham wa schon immer so gemacht!" Und mehr Humor – das würde auch helfen.
MZEE.com: Kommen wir zu Inhalten und Herangehensweisen. Du hast vorhin schon die Clickbait-Entwicklung angesprochen – was genau hältst du davon?
Oliver Marquart: Das kommt drauf an, wie man es macht. Klar muss eine Überschrift nicht alles gleich verraten. Man darf den User auch an Inhalte heranführen, sein Interesse wecken. Bewusste Irreführungen, die oft genug vorkommen, oder auch krampfhaft versuchen, jeden Furz zu einem Orkan hochjazzen zu wollen, schießen aber weit übers Ziel hinaus. Das führt im Endeffekt nur dazu, dass die User irgendwann total überreizt sind und nur noch auf die reißerischsten Headlines klicken. Aber solange das Prinzip so gut funktioniert wie jetzt gerade, wird es sicher noch weitergehen – und vermutlich noch extremer werden.
MZEE.com: Und wie stehst du zum Thema "Gossip"? Warum sind vielen Magazinen die Berichte zu Skandalen wie Hausbesuche genauso wichtig wie die Musik an sich? Wenn nicht sogar wichtiger …
Oliver Marquart: Weil es schnell und einfach Klicks bringt. Solange gewisse Grenzen nicht überschritten werden und die Musik zur totalen Nebensache wird, finde ich das auch noch einigermaßen in Ordnung. Manchmal hat auch eine Meldung aus dem Gossip-Bereich eine gewisse, äh, Relevanz. Etwa wenn sich Bushido mit einem AfD-Politiker auf Twitter streiten würde. Wenn aber Hausbesuche angedroht, Stadtverbote ausgesprochen oder vermeintliche indirekte Anspielungen auf Instagram geliket werden, brauche ich das nicht auf einer News-Seite. Dafür gibt es doch bei euch das gute alte Rap Gossip-Forum.
MZEE.com: Na, herzlichen Dank auch. Jetzt schiebst du mir den schwarzen Gossip-Peter rüber?! (lacht)
Oliver Marquart: Im Gegenteil! Ich finde, Gossip wird nirgendwo so schön und kompetent verhandelt wie in diesem Forum. (grinst)
MZEE.com: Das kann ich nicht beurteilen, weil ich mich unverschämterweise nur selten durch das Forum quäle … Ich hab' aber neben Clickbait und Gossip noch ein anderes beliebtes Thema für dich: Reviews. Findest du, dass sie ein notwendiger oder ein überflüssiger Bestandteil der deutschen Rapszene sind?
Oliver Marquart: Ich mag Reviews. Ganz oft werden ja völlig überzogene Erwartungen an Reviews gestellt: Sie müssen objektiv sein zum Beispiel. Völliger Quatsch. Sie müssen einfach interessant sein. Im besten Fall weiß ich nach dem Lesen, wie das Album auf den Autor gewirkt hat. Und im allerbesten Fall ist es unterhaltsam geschrieben. Klar lesen sich Verrisse meist am besten, weil sie oft witzig sind. In meinen wilden Anfangsjahren habe ich deshalb auch eigentlich nur Verrisse geschrieben. Gab gleich die ersten Disstracks, was auch irgendwie geil war. Allgemein sollten sich da vielleicht alle mal bisschen lockerer machen. Eine Review ist eine Meinungsäußerung, die zusätzlich zur Meinung des Autors auch noch allgemeinere Aspekte und manchmal sogar Expertise mit einbringt – nicht mehr, nicht weniger. Über Geschmack kann man eh nicht streiten, aber ich finde es grundsätzlich interessant zu sehen, was andere so feiern. Manchmal – echt selten, aber kommt vor – entdeckt man nach einer total euphorischen Review doch noch was an einem Album, das einem davor so links rein, rechts raus ging.
MZEE.com: Zum Thema "Disstracks" kommen wir gleich auch noch. Davor würde ich gerne auf deine persönliche Rolle innerhalb der Deutschrap-Journalistenszene zu sprechen kommen: Wie würdest du dich hier selber verorten?
Oliver Marquart: Auch wenn es eine langweilige Antwort ist: Das müssen andere beurteilen. Ich hoffe, ich kann der Szene Sichtweisen hinzufügen, die interessant sind. Mit zunehmender Amtszeit bei rap.de versuche ich außerdem, meine Position auch dazu zu nutzen, neue Stimmen in den Diskurs zu holen.
MZEE.com: Das war wirklich deine bisher langweiligste Antwort. (grinst) Wenn du deinen Arbeitsalltag betrachtest: Zu wie viel Prozent besteht dein Job aus Leidenschaft, zu wie viel aus "mach' ich, weil muss ja einer machen"?
Oliver Marquart: Mit Zahlen hab' ich es nicht so – deswegen kann ich jetzt auch keine genauen Prozentangaben machen. Aber wenn ich merken würde, dass ich mich jeden Tag in die Redaktion quälen müsste, würde ich sofort aufhören. Man braucht auf jeden Fall Leidenschaft, am besten viel davon – denn so richtig reich wird man überraschenderweise nicht. Ich nenne jetzt doch eine Zahl: In zwei Dritteln der Zeit habe ich das Gefühl, das was ich tue, hat einen Sinn. Etwa wenn ich auf Bogys Sofa sitze und mit ihm ein lustiges, spannendes, verrücktes und unfassbar kluges Gespräch über Gott, Rap und die Welt führe. Während des anderen Drittels schreibe ich News über Releasedate-Verschiebungen.
MZEE.com: Hast du deine Arbeit in der deutschen Rapszene je als unangenehm empfunden?
Oliver Marquart: Ja, na klar. Es gab definitiv unschöne Momente, in denen ich dachte: Warum gebe ich mir das eigentlich? Telefonate mit beleidigten Rappern etwa. Oder wenn zu bestimmten Artikeln oder Interviews nur negative Kommentare kommen. Am Anfang bei rap.de war das sowieso ungewohnt. Die ganze Bandbreite des Feedbacks prasselte auf einmal ungefiltert auf mich ein. Als JUICE-Autor kriegt man ja kaum mit, was die Leute so von der Schreibe halten. Eine Zeitlang fand ich das sehr unangenehm. Aber man gewöhnt sich daran. Es ist ja auch nicht schlimm, dass nicht jeder derselben Meinung ist oder vielleicht auch einfach nur Spaß am Trollen hat. Mit der Zeit nimmt man das sogar eher zufrieden zur Kenntnis – erst wenn gar keine Kommentare oder nur noch positive kommen, hat man etwas falsch gemacht.
MZEE.com: Und gab es auch Momente, in denen du das Gefühl hattest, von anderen Journalisten nicht ernst genommen oder nicht mit dem nötigen Respekt behandelt zu werden?
Oliver Marquart: Ja, als ich ein Praktikum beim Tagesspiegel gemacht hab'. Davor war ich bei der taz – und da waren alle supercool. Offen, locker und interessiert. Beim Tagesspiegel das genaue Gegenteil: Da waren ein paar Redakteure richtig herablassend. Spießer halt. Wenigstens musste ich keinen Kaffee kochen – aber zugetraut haben sie einem gar nix. Irgendwann ist dann jemand ausgefallen und ich hab' den Aufmacher geschrieben – danach ging's dann.
MZEE.com: Und in Bezug auf die Deutschrapszene: Gibt es da in deinen Augen eine Art Zusammenhalt zwischen den Journalisten? Oder eine Art Konkurrenzdenken? Oder kocht einfach jeder sein eigenes Süppchen?
Oliver Marquart: Von allem etwas. Ich denke, das schließt sich nicht komplett gegenseitig aus. Natürlich schaut man immer mal, was die anderen so machen. Und klar denkt man manchmal: Verdammt, das ist echt ein geiles Format – warum bin ich da nicht draufgekommen? Aber wenn man sich trifft, bei Interviewtagen etwa, ist eigentlich alles cool. Man muss auch gönnen können. Dass man nicht mit jedem kann, ist auch klar. Aber insgesamt ist der Umgang sehr respektvoll.
MZEE.com: Ein letztes Thema gibt es nun noch: Disstracks. Du wurdest wiederholt in Tracks diverser Künstler erwähnt und das nicht immer im positiven Sinne. Stört es dich, wenn du von einem Künstler bezüglich deiner Arbeit persönlich angegriffen wirst?
Oliver Marquart: Es wäre gelogen, zu behaupten, dass mich das kalt lässt. Gerade wenn es größere Künstler sind – mir fällt da allerdings nur einer ein –, denke ich schon: Wie nehmen das jetzt Leute auf, die mir nahestehen? Und klar, auch meine eigene Reaktion ist dann erstmal: Muss das sein? Ich bin da natürlich voreingenommen, aber die Disses des besagten größeren Künstlers fand ich auch weder originell noch witzig. Aber mit der Zeit gewöhnt man sich daran. Denn auch wenn es schon oft genug gesagt wurde: Es ist ja auch ein Kompliment, dass man relevant genug ist, gedisst zu werden. So nach dem Motto: Viel Feind', viel Ehr'. Ich kann das inzwischen viel besser einordnen. Freuen tut es mich zwar nicht, ich glaube, das geht jedem so, aber es beschäftigt mich auch nicht mehr groß. Am Anfang dachte ich schon noch: Hab' ich irgendwas falsch gemacht? Heute denke ich eher: Total menschlich, dass man nicht mit jedem klarkommt und nicht jeder einen mag. Wäre ja auch total langweilig.
MZEE.com: Gab es irgendwelche inhaltlichen Vorwürfe seitens eines Rappers, die du als nachvollziehbar erachten konntest?
Oliver Marquart: Ja, ich bin tatsächlich Skinny. Spaß beiseite, in Disstracks natürlich nicht, da geht es ja nicht um inhaltliche Kritik. Wobei – Farid hat mir ja unterstellt, Bushido nicht kritisch genug befragt zu haben. Das mag zu einem gewissen Teil gar nicht so falsch sein. Was man dabei aber auch nicht vergessen darf: Rhetorisch ist Bushido extrem fit, daher ist es sehr schwierig, von ihm eine Antwort zu bekommen, die er nicht genau so geplant hatte. Andere Kollegen sind da weniger strategisch, deshalb ist es auch einfacher, sie aus der Reserve zu locken. In persönlichen Gesprächen gab es aber durchaus Feedback und Hinweise, die ich sehr gut nachvollziehen konnte. Gerade, wenn es um sarkastische Bemerkungen in Artikeln ging – klar kommt das nicht immer so rüber, wie es gemeint war.
MZEE.com: Zum Abschluss gibt es noch ein Klischee: Es wird immer wieder behauptet, deutsche Rapjournalisten wären eigentlich gerne selber Rapper geworden, hätten das aber nicht auf die Reihe gebracht. Was sagst du dazu?
Oliver Marquart: Ein echter Klassiker, darf nie fehlen. Ich bin ganz ehrlich: Mit 14, 15 wollte ich auf jeden Fall Rapper sein. Aber natürlich ein US-Rapper. Offensichtlich war das nicht möglich … Damit habe ich mich relativ schnell abgefunden. Gut, ich habe zu Schulzeiten in einer Funk-Rock-Band auf Englisch gerappt, und eine Zeitlang bekifft mit einem Kumpel Freestyle-Tapes aufgenommen. Aber das ist alles über 15 Jahre her, also mehr oder weniger verjährt.
MZEE.com: Davon hab' ich ja noch nie gehört … Lass uns das Interview mal mit meinem meist verhassten Interview-Ende überhaupt abschließen – mal gucken, was du daraus machst: Falls du noch etwas sagen möchtest …
Oliver Marquart: Kauft alle mein Album! Das wollte ich schon immer mal sagen.
(Florence Bader)