Deutschrap-Journalismus. Schon über das Wort lässt sich streiten. Die einen meinen, "richtiger" Journalismus im deutschen Rap existiere doch gar nicht. Außerdem könne ja jeder selbst bessere Artikel schreiben als "diese Praktikanten". Die anderen finden, jeder, der im deutschen Rap journalistische Tätigkeiten ausführt, sei auch ein Journalist. Die nächsten führen auf: Ja, im deutschen Rap sind Redakteure unterwegs – aber keinesfalls Journalisten. Zusammenfassen lässt sich: Fast jeder hat zumindest eine Meinung dazu. Aber wie steht es um die Meinung der Journalisten selbst? Denn die hat kaum jemand mal gefragt. Und so startet unsere neue Serie – eine kleine Interviewreihe mit aktuell relevanten und aktiven Journalisten der deutschen Rapszene. Dabei möchten wir darüber reden, warum die Deutschrap-Medien von so vielen Seiten – auch von der der Künstler – immer wieder unter Beschuss stehen und wie die Journalisten diese Seitenhiebe persönlich empfinden. Wir besprechen, wie einzelne Journalisten ihren Platz in der Rapszene wahrnehmen und ob deutscher Rapjournalismus in Gossip-Zeiten noch kritisch ist. Wir möchten erfahren, ob sie die Szene noch unter dem Kultur-Begriff verstehen oder das Ganze für sie ausschließlich ein Beruf (geworden) ist. Es kommen Fragen auf, ob es vereinbar ist, in diesem Aufgabenbereich Geld zu verdienen und wie der aktuelle Deutschrap-Journalismus und seine Entwicklung gesehen wird. Und: Wie steht es überhaupt um die Entwicklung der Rapszene an sich? Das und vieles mehr werden wir in über zehn Interviews besprechen, in welchen es verständlicherweise immer nur um einen Teilbereich dieser großen Themenwelt gehen kann. Den Anfang macht eine Journalistin, die erst vor wenigen Jahren zu einem bekannten Gesicht in der deutschen Rapszene wurde und in vielerlei Hinsicht immer wieder polarisiert hat. Wir freuen uns sehr, dass wir mit ihr vor Kurzem ein sehr interessantes und angenehmes Gespräch in Berlin führen durften: Jule Wasabi.
MZEE.com: Fangen wir mal ganz von vorne an: Was waren denn deine ersten journalistischen Schritte?
Jule Wasabi: Das ist lustig, weil ich lange dachte, dass ich gar keine Journalistin bin. Ich hab' mit den Rap-Interviews just for fun während dem Studium angefangen, weil ein Freund Rap-ist aufgezogen hat. Er brauchte noch jemanden, der Video-Interviews macht. Ich hab' das lange gemacht und meinte immer: "Ich hab' nichts mit Journalismus am Hut – ich hab' eine Lese-Rechtschreib-Schwäche und möchte nichts damit zu tun haben." Seit dem Podcast, den ich mit Falk seit einem Jahr mache, sagen alle: "Ey, du bist aber Journalistin! Das, was du machst, ist Journalismus." Ich dachte lange, ich bin hier nur Gast. Inzwischen würde ich sagen, ich kann es annehmen und meine Arbeit ist auch journalistisch. Aber so richtig als Journalistin würde ich mich nicht bezeichnen.
MZEE.com: Wann denkst du denn, ist man ein "richtiger" Journalist?
Jule Wasabi: Ich hab' mich neulich mit Jan Kawelke getroffen, der Journalismus studiert hat und bei der JUICE arbeitet. Und ich hab' ihm gesagt: "Du bist halt ein echter Journalist. Du hast das gelernt. Du hast gelernt, wie man recherchiert, Nachrichten und Informationen verarbeitet und sie in einen Text bringt." Das sind Skills, die ich nicht habe. Ich hab' vielleicht ein bisschen durchs Jura-Studium gelernt, Texte zu verarbeiten. Aber was das journalistische Handwerk angeht: Da muss man sich wirklich entscheiden, es mit Leib und Seele zu machen – oder man muss es irgendwie lernen. Deshalb glaube ich, man ist Journalist, wenn man selbst die Ambition hat, Journalist zu sein.
MZEE.com: Du hast also irgendwann damit begonnen, Rapper zu interviewen. Hattest du denn davor schon was mit Rap zu tun?
Jule Wasabi: K.I.Z hat vor fünf Jahren einen Aufruf gemacht: "Wir brauchen einen Fan, der uns interviewt. Wir wollen aber nicht, dass es ein Journalist ist." Darauf hab' ich mich gemeldet. Während meinem Jura-Studium hab' ich gemerkt, dass es eine sehr eingefahrene Studienwelt war, und wollte nebenbei noch etwas anderes machen. Da kam der K.I.Z-Aufruf und ich hab' denen geschrieben: "Hey Leute, ich würde das machen, ich hab' Bock drauf." Dann meinten sie: "Super, wir holen dich in einer Stunde ab!" Ich bin direkt aus der Vorlesung gegangen, nach Hause gerannt und gleichzeitig mit den Jungs angekommen. Die haben mich dann mitgenommen. Ehrlich gesagt denke ich mir heute: Gut, dass ich da so blauäugig rangegangen bin. Es war halt K.I.Z, ein superschwerer Interviewpartner und die Situation war irgendwie awkward. Aber: Es hat dazu gereicht, dass dieser Kumpel auf mich aufmerksam wurde. Der hatte im Hinterkopf: "Ach, die macht doch Rap-Interviews und ist noch bei keinem Magazin." Und so hat das Ganze dann angefangen.
MZEE.com: Ist das alles für dich bis heute eine Art Nebenjob geblieben?
Jule Wasabi: Das ist so ein bisschen das Ding. Während dem Studium hab' ich lang bei Rap-ist klassische Interviews gemacht, auch umsonst, einfach just for fun. Dann hat sich relativ schnell rausgestellt, dass ich das ganz gut kann, und ich habe andere Anfragen bekommen. Und jetzt ist es so, dass ich mein Studium abgeschlossen hab' und in die Richtung gehen will. Weil es gut läuft und mir total Spaß macht. Jura war ein guter Grundbaustein und es ist cool, was gelernt zu haben. Aber eigentlich finde ich die Medienwelt und Interviewsituationen viel interessanter.
MZEE.com: Gib uns doch mal einen kleinen Ausblick: Was hast du für deine berufliche Zukunft momentan geplant? Spielt deutscher Rap darin eine Rolle?
Jule Wasabi: Ich glaube, dass er bei mir nicht so eine Rolle spielt wie zum Beispiel bei meinem Podcast-Partner Falk, der diese Kultur inhaliert hat und total lebt. Es war wohl mehr meine Eintrittskarte in die Medienwelt. Und was ich bei den Interviews gemerkt hab': Klar, ich find' Rap cool. Das ist auf jeden Fall meine Hauptmusikrichtung. Aber es geht mir in der Hinsicht nicht um Rap, sondern um die Geschichten. Darum, Menschen zu treffen, die ich nicht kenne, und zu hören, was sie so machen. Theoretisch hätte ich ein ähnliches Interesse bei einer Garten- und Landschaftssendung, in der die Leute mit Passion über ihr Thema reden.
MZEE.com: Apropos "Passion": Zu welchem Teil besteht dein Job innerhalb der Rapszene aus Leidenschaft und zu welchem Teil ist er als anstrengende Arbeit anzusehen?
Jule Wasabi: Ich denke, es ist ein Mix. Ich hätte das nicht weitergemacht, hätte es sich nicht irgendwann ausgezahlt. Weil es einfach viel Arbeit ist und mir schon immer wichtig war, dafür auch entlohnt zu werden. So kann ich das, was ich lieb', machen und davon leben.
MZEE.com: Und was sind deine aktuellen Projekte neben dem Podcast?
Jule Wasabi: Der Podcast ist gerade das feste Einkommen, das ich hab'. Ich bin momentan in relativ vielen Podcasts unterwegs – irgendwie hat sich da für mich eine Welt aufgemacht. Und Ende Januar fange ich ein Praktikum in der Redaktion einer Fernsehsendung an. Ich glaube, mich zieht's dann mehr in die Medienwelt.
MZEE.com: Kommen wir mal auf ein ganz allgemeines Thema zu sprechen: Wie empfindest du die Erwartungen der Szene an den deutschen Rapjournalismus?
Jule Wasabi: Ich glaube, es ist ein ambivalentes Verhältnis. Auf der einen Seite haben Rapper Bock drauf, ernstgenommen zu werden und ein gewisses Standing bei Journalisten zu haben. Auf der anderen Seite merkt man ja auch, dass der Trend einfach immer mehr weg vom Journalismus geht und die Leute sich ihre eigenen Plattformen suchen. Die haben auf Facebook einfach eine Reichweite, die etablierte Magazine nicht ansatzweise haben. Da verstehe ich auch, dass ein Farid Bang sagt: "Was muss ich zu irgendeinem Pups-Magazin gehen? Ich erreiche schon genau die Menschen, die hören wollen, was ich sage." Das ist auf der einen Seite vielleicht ein Problem, auf der anderen Seite aber auch eine Möglichkeit: Es rüttelt den Journalismus wieder ein bisschen auf. Man muss sich neue Methoden überlegen, da reinzukommen und eine Rolle zu spielen. Deswegen denke ich, dass es eine Art Hassliebe ist. Ich weiß nicht, ob Rapper komplett ohne Journalisten könnten.
MZEE.com: Macht denn die aktuelle Art des Journalismus noch Sinn? Was könnte ohne die Magazine fehlen, wenn Künstler nur noch auf ihren eigenen Seiten posten würden?
Jule Wasabi: Ich hab' schon das Gefühl, dass man diesen Journalismus nicht mehr braucht. Dadurch, dass die Kids alle Spotify-Abos haben, müssen sie keine Review mehr lesen, um sich ein Album anzuhören. Sie können es sich direkt anhören und ihre Meinung selbst bilden. Mir geht es auch selber so: Bei der JUICE zum Beispiel bin ich oft komplett anderer Meinung. Ich lese mir die Reviews auch nicht mehr vorher durch, sondern nur, wenn ich wissen will, was die dazu zu sagen haben. Aber nicht für meine Meinungsbildung. Da nehme ich mir lieber die Zeit und höre selbst in das Album rein. Darum denke ich, dass Rap auch ohne Rapjournalismus bestehen kann. Die Frage ist halt: In welcher Qualität? Kollegah ist für mich ein gutes Beispiel dafür, dass es echt scheiße ist, wenn man nur noch selber sendet. Wenn keiner mehr da ist, der einem kritische Fragen stellt. Sondern jeder einem nur noch sagt: "Du bist toll!" Und keiner mehr sagt: "Was ist denn, wenn du nicht so toll bist, wie du denkst?" Davon bin ich total angenervt. Ich möchte, dass jemand da ist, der dem Künstler, den ich gerne höre, auch mal kritische Fragen stellt. Der ihn mal ein wenig aus seiner Komfortzone rauslockt. Und ich glaube, das können Journalisten besonders gut.
MZEE.com: Das ist aber auch ein sehr deutsches Ding. In den USA sind Künstler zum Beispiel offener gegenüber Albumkritiken und sprechen gerne mal darüber in Interviews.
Jule Wasabi: Es gab ja neulich bei rap.de dieses Interview von Skinny mit Prinz Pi zu seinem Album. Bei dem Prinz Pi sich hingesetzt und gesagt hat: "Du hast mir dreieinhalb Sterne für dieses Album gegeben – lass uns mal drüber reden, warum das so ist. Ich bin fest davon überzeugt, dass das Album die volle Punktzahl wert ist!" Das fand ich echt cool. Aber ich muss auch sagen: Es war eines der wenigen Interviews mit irgendeiner kritischen Basis, die ich 2017 gesehen hab'. Und bei denen du dachtest: "Oh, das könnte jetzt auch kippen." (überlegt) Am Anfang bei Rap-ist haben wir viele Guerilla-Aktionen geplant und wollten voll auf die Kacke hauen. Dann haben wir recht schnell gemerkt: So funktioniert das halt nicht. Ich bin zu Rap gekommen, weil ich dachte: Diese Jura-Gesellschaft ist so eingefahren und konservativ, da hab' ich eigentlich keinen Bock drauf. Ich möchte in eine Richtung gehen, in der man so genommen wird, wie man ist. Und dann hab' ich festgestellt, dass es im Rap eigentlich auch sehr eingefahren ist. Nicht so open-minded, wie man denken könnte.
MZEE.com: Hattest du zu Beginn deiner Interview-Zeit das Gefühl, dass du auch kritisch sein darfst? Ich kenne die Situation, auf eine kritische Frage die Antwort zu erhalten: "Okay, nächste Frage bitte".
Jule Wasabi: Das hab' ich sehr selten erlebt. Weil ich, glaube ich, solche Interviews gar nicht bekommen hab'. Dadurch, dass ich schnell so unkonventionelle Interviews gemacht hab', kamen Rapper meist dann auf mich zu, wenn sie etwas anderes wollten. Das Management meinte dann: "Wir haben schon mit dem und dem ein Interview gemacht, wir haben schon erzählt, wie alles zustande gekommen ist. Könnt ihr nicht noch was anderes machen?" Ich hatte zeitweise bei manchen Rappern das Gefühl, dass sie sehr vorsichtig waren. Nach dem Motto: "Die führt mich gleich aufs Glatteis!" Und ich hab' dann bei den Fragen gemerkt, dass sie sehr unentspannt waren. Dieses Misstrauen kenne ich schon. Ich glaube, ich hatte es nur ein-, zweimal aus anderen Gründen, dass Interviews nicht veröffentlicht wurden. Oder dass jemand gesagt hat: "Das möchte ich explizit raushaben, weil die Frage gemein war."
MZEE.com: In meinen Augen gibt es oft keinen Mittelweg zwischen "Wir haben uns alle lieb und dein Album war total super!" und "Der Journalist stellt mir kritische Fragen, weil er mir was Böses will." Ich verstehe nicht, warum es so oft keine normale Diskussion geben kann.
MZEE.com (2): Ich glaube, das liegt oft an Freundschaften und irgendwelchen Verbindungen.
Jule Wasabi: Ja, das wollte ich gerade sagen. Das ist etwas, das mich bei manchen Journalisten zum Teil nervt. Es war nie meine Intention – und ich glaube auch, dass es nicht gut ist –, nach einem Interview mit dem Rapper befreundet sein zu wollen. Und es war mir immer wichtig, dass der Rapper nicht denkt, dass wir danach in jedem Fall noch zusammen chillen. Durch diese Distanzwahrung fiel es mir leicht, kritische Fragen zu stellen, weil ich mir dachte: "Du musst mich danach nicht mögen. Nur die Leute, die das sehen oder hören, sollen das, was ich da mache, mögen." Deshalb hat es mich immer am meisten getroffen, wenn Leute gesagt haben: "Die ist unkritisch." Oder nur über mein Aussehen gesprochen haben. Da hatte ich dann das Gefühl, die Arbeit, die ich da hab', und die Kritik, die ich da reinbringen will, wird nicht mehr gesehen. Das fand ich scheiße. Ich habe schon auch gemerkt, dass mir ein paar Türen vor der Nase zugeschlagen wurden. Das ist mir aber trotzdem lieber, als dass ich Interviews führen muss, weil ich mit jemandem befreundet bin, der denkt, er kann bei mir einen Gefallen einfordern.
MZEE.com: Kommen wir zu einem kleinen Gedankenspiel. Wenn du den Ist-Zustand der Deutschrap-Medien mit deinem Wunschbild vergleichst: Wo liegen die Unterschiede?
Jule Wasabi: Mein Hauptsatz ist immer: "Ich bin nicht deine Promo-Agentur. Du hast eine Promo-Agentur, der zahlst du Geld. Mir zahlst du kein Geld. Lass uns ein richtiges Interview führen – das kann dir helfen." Das ist die Message, die ich immer versucht hab', in meine Anfragen einzubauen. "Lass uns das doch mal so machen, wie ich das vorschlage. So, wie du es vorschlägst, hast du ja schon zehn Interviews gemacht." Das müsste sich ändern. Ich glaube, das ist eine Denkweise, die sich bei Rappern manchmal schon geändert hat und sich auch bei Journalisten ändern müsste. Ansonsten sollte dieser Klüngel vielleicht ein bisschen aufhören. Dass im Rap alle miteinander verbandelt sind, finde ich nicht cool. Und ich glaube, dass es der Szene total schadet, wenn Journalisten im Management arbeiten. Das ist eine Sache, über die man sich beim Fußball immer aufregt – aber im Rap ist es genau dasselbe.
MZEE.com: Woran liegt es denn, dass "richtige Interviews" so schwer zu führen sind oder Künstler vielleicht auch keine Lust drauf haben?
Jule Wasabi: Ich habe irgendwann gemerkt: Man kriegt von Rappern deutlich mehr Vertrauen geschenkt, wenn man ihre Kunst erst mal würdigt und sie lobt. Ich hab' damit wirklich irgendwann angefangen, weil ich merkte: Die sind deutlich entspannter, wenn ich so reingehe. Was ich eigentlich relativ unsouverän finde. Wenn ich irgendwo hinkomme, brauche ich auch nicht erst mal 30 Komplimente, bis ich anfangen kann, mich zu öffnen. Ich glaube schon, dass es auch mit persönlichem Stolz zu tun hat. Manchmal bin ich sehr überrascht und denke mir, das kann den doch jetzt nicht wirklich treffen, wenn ich nur mal eine leicht kritische Frage stelle. Mir hat das aber mal ein Rapper so erklärt: "Ich verdiene damit mein Geld. Und in dem Moment, in dem du meine Kunst angreifst, greifst du auch meine Existenz an. Bedeutet für mich nicht nur, du findest mein Album scheiße. Sondern auch: Du als meinungsstarker Mensch findest mein Album scheiße, die Leute kaufen es weniger, ich kann meine Miete nicht mehr zahlen, ich hab' kein Essen mehr auf dem Tisch." Da verstehe ich natürlich den Zusammenhang.
MZEE.com: Bei einem Rapper, der höchstens Top 50 geht – okay. Bei einem Rapper, der 100 000 Einheiten vor Veröffentlichung verkauft, verstehe ich das nicht. Und sich dann kritischen Fragen zu verwehren, hat für mich auch mit einem weniger vorhandenen eigenen Anspruch zu tun. Generell meine ich aber auch, dass viele Künstler einfach enorm unsicher sind.
Jule Wasabi: Ich glaube auch, dass selbst Rapper, die es wirklich geschafft haben, wissen, was für ein Struggle es war, dahin zu kommen. Jeder, der ehrlich zu sich ist, sitzt ja nicht da und denkt sich: "Na klar bin ich hier, ich bin ja der Tollste!" Die wissen doch, dass es auch Glück und Zur-richtigen-Zeit-am-richtigen-Ort-sein war. Wenn man dann das Gefühl hat: "Ich hab' mir alles selber erarbeitet – aber habe ich das wirklich verdient?" Ich glaube, da hast du dann immer eine existenzielle Angst. Man sieht ja oft bei Künstlern, wie schnell die Leute kommen und wie schnell sie auch wieder gehen. Vielleicht ist dann grundsätzlich eine abstrakte Angst da, die nicht weggeht. Auch nicht bei großen Rappern.
MZEE.com: Sprechen wir mal über einen Grundsatz der HipHop-Kultur: sich selbst in dieser einzubringen. Darauf basierend: Ist Deutschrap-Journalismus als Teil der Szene oder als außenstehend zu betrachten?
Jule Wasabi: Es ist schwierig zu sagen, was genau die Szene ist und was dazugehört. Wenn ich meine eigenen Anfänge sehe: Ich hab' mich viel vernetzt und es war wichtig, dass man auf Veranstaltungen geht, Ahnung hat und die Kultur ein Stück weit lebt. Irgendwer, der die Interviews geguckt hat, hat mich mal gefragt: "Was hörst du eigentlich privat so?", und ich meinte: "Ich höre privat eigentlich nicht so viel Rap." Damit war gemeint, ich höre Rap jeden Tag aus beruflichen Gründen und privat auch mal gern was anderes. Diese Aussage ist dann irgendwo veröffentlicht worden und viele haben es mir krass übel genommen: "Die hört das gar nicht! Die ist gar nicht in der Szene drin!" Die Leute hatten wohl erwartet, dass ich den ganzen Tag Rap höre. Und es ist wichtig für sie, dass HipHop-Journalisten diese Szene voll ausleben. Realistisch gesehen lebt auch ein Rapper nicht nur in der Szene – und genauso ist es bei Journalisten eben auch. Es ist teilweise schon wichtig, dass man die Kultur verstanden hat. Aber es ist unrealistisches Wunschdenken, zu erwarten, dass ein HipHop-Journalist noch vorm Lidl auf einer Breakdance-Pappe seine Runden dreht.
MZEE.com: Wenn du dir die Bandbreite an Deutschrap-Magazinen ansiehst: Bestehen Interviews heutzutage noch aus kritischem Nachfragen oder sind sie ein reines Promo-Ding?
Jule Wasabi: Ich glaube, teilweise sind sie kritisch. Auch ein Rooz, dem man ja nachsagt, er sei überhaupt nicht kritisch, stellt kritische Fragen. Er verpackt sie nur anders, weswegen man sie manchmal nicht so wahrnimmt. In meinen Augen können sie es sein und sind es auch ein Stück weit. Für mich ein bisschen zu wenig. Die anderen großen Interviews, die dann noch stehenbleiben, sind dann eben die Promo-Interviews.
MZEE.com: Und was ist deine Meinung zu Gossipnews und -berichten?
Jule Wasabi: Ich bin ein großer Fan davon. Wir berichten in unserem Podcast auch selbst über solche Themen. Ich glaube, zur Rapkultur gehört nicht nur die Musik, sondern auch der Lifestyle und dieser ganze Gossip. Rapupdate ist einfach die größte Seite, was Rap angeht, und hat am wenigsten mit der Musik an sich zu tun. Es geht einfach um Stories und man sieht, die Leute wollen dieses Drumherum mitkriegen. Wenn es am Ende nur noch darum geht, "DJ Tomekk hatte nen Rollerunfall", dann glaube ich, ist es verfehlt. Aber das Ganze miteinzubeziehen finde ich cool. Mich interessiert's, aber ich verstehe auch, wenn die Backpacker-Fraktion sagt: "Das hat mit Rap nichts mehr zu tun."
MZEE.com: Was meinst du, warum es die Leute interessiert, was Rapper XY zuletzt gegessen hat? Hat das auch was mit einer Werte-Umstellung zu tun?
Jule Wasabi: Ich glaube, es hat viel mit der Entwicklung der sozialen Netzwerke zu tun. Selbst bei einem Rapper mit viel Output kriege ich nur ein oder zwei Alben im Jahr mit. Aber ich seh' jeden Tag Stories von ihm auf Instagram und Snapchat. Ich hab' auch im Podcast gesagt: DCVDNS, der einfach von der Bildfläche verschwand, hab' ich das übel genommen. Ich war ein Fan von ihm und wollte das Drumherum sehen. Er hat Witz und Humor außerhalb seiner Musik – und den hätte ich gerne gesehen. Dass ich nach vier Jahren dann ein neues Album bekomme, ist mir zu wenig. Aber auch, weil ich es gewohnt bin, von den Leuten, die ich mag, jeden Tag konsumieren zu können. Man kann natürlich auch sagen, das hat nichts mit der Musik zu tun. Und ich glaube, man muss sich als Rapper nicht der Sache beugen – auch, wenn ich es DCVDNS als Fan übelnehme. Menschlich gesehen kann ich es aber verstehen.
MZEE.com: Wenn du deine gesamte Rapjournalisten-Tätigkeit betrachtest: Hattest du schon mal das Gefühl, von anderen Rapjournalisten nicht ernst genommen zu werden?
Jule Wasabi: Voll. Ich kann mich sehr gut erinnern, als wir als Team das erste Mal beim Splash! aufgetaucht sind, da hatten wir gerade das Money Boy-Drogen-Interview hinter uns. Keiner hat uns wahrgenommen und begrüßt. Wir waren so: "Hey, wir sagen jetzt mal allen Hallo!", und alle waren so: "Mhm, ich weiß, wer du bist. Ciao." Außer Falk zum Beispiel, der ist zu uns gekommen und hat gesagt: "Ey, interessant, was ihr da macht. Macht weiter!" Das ist auch wieder dieses Schrankendenken. Dadurch erlebe ich häufig, dass Rapper sagen: "Die hat doch keine Ahnung!" Der Kuchen ist groß genug und alle können was davon haben. Die Szene wird einfach nur größer, je mehr Menschen dazukommen. Das glaube ich auch. Ich hab' es nicht so ganz verstanden, warum uns am Anfang so viele Leute gehatet haben. Wir haben niemanden kopiert, was ich viel schlimmer fände. Wenn jemand kommt, der eins zu eins das macht, was du machst – dann kann ich verstehen, dass man denkt: "Ey, der will mir meinen Rang streitig machen und dem sag' ich nicht Hallo." Aber, dass Leute uns nicht begrüßt haben, obwohl wir offen auf sie zugekommen sind, finde ich total schade.
MZEE.com: Was meinst du, war der Wendepunkt von "Die wollen nichts mit mir zu tun haben" zu "Ok, irgendwie läuft's auf einmal"?
Jule Wasabi: Klicks. Einfach Klicks. Deswegen bin ich auch so ein Fan von Social Media: Reichweite spricht einfach für sich. Wir haben auch beim Splash! ein paar Sachen gemacht, bei denen wir den Künstlern sagen konnten: "Ey, scheiß mal auf die Backspin! Wir haben einfach dreißigmal mehr Klicks für das gleiche Interview bekommen. Du machst doch sicherlich das nächste Mal wieder eins mit uns?" Und die Künstler sagen: "Ja, klar. Ihr habt ja die Reichweite." Das ist zwar gemein und ich hätte lieber einen freundschaftlichen Umgang mit allen gehabt. Hab' ich jetzt auch – aber der Anfang war sehr holprig. Der Erfolg, den wir dann zum Beispiel auch mit dem Gregor Gysi-Interview hatten – das hat einfach über eine Million Klicks auf YouTube – gibt einem schon das Gefühl: Das, was ich mache, ist okay so. Die Rückmeldung der Zuschauer war auch total positiv. Und dass es andere Journalisten nicht feiern: Ok, ich schau' mir auch nicht jedes Rooz-Interview an und denk' mir, das ist das genialste Ding gewesen. Das trotzdem stehen zu lassen, finde ich schon wichtig. Und ich finde es auch scheiße, im Rapjournalismus bei den wenigen, die überhaupt da sind, nachzutreten. Sich gegenseitig zu demontieren bringt doch nichts.
MZEE.com: Apropos "demontieren": Wie ist es für dich, wenn ein Künstler wie Döll dich bezüglich deiner Arbeit persönlich angreift?
Jule Wasabi: Bei Mädness und Döll finde ich das scheiße. Ich glaube, wenn ich sie irgendwann mal sehen sollte, würde ich ihnen gerne die Fragen stellen: "Mein Job ist es, gute Interviews zu machen – wir hatten kein Interview miteinander. Was habe ich für euch so verkackt, dass ihr mich inkompetent nennt?" Irgendwelchen Hatern im Internet nachzulabern "Ey, die hat keine Ahnung von Rap" ist mir zu wenig. Auf der anderen Seite: Kritik an sich finde ich eigentlich cool. Gerade nach dem Money Boy-Drogen-Interview. Wir waren einfach der Auffassung: Wenn der eben Drogen nimmt, dann geben wir ihm die auch vor der Kamera. Wir machen da doch jetzt nicht so ein Joiz-Ding draus und tun so, als würde er nichts nehmen und er sitzt da völlig zugedröhnt. Fanden wir cool, dass da viele Leute kamen und meinten: "Ey, war gar nicht mein Ding. Superanstrengendes Interview und diese Idee war scheiße." Kann ich völlig nachvollziehen. Da hätte ich berechtigterweise ein paar Raplines erwartet. Dass sie dann mit diesem "Die ist inkompetent" kommen, finde ich scheiße.
MZEE.com: Kommt irgendwie auch ein bisschen spät, da du ja gerade gar keine Interviews mit Rappern mehr machst. Auf Basis von was kommt das denn jetzt – auf der des Podcasts?
Jule Wasabi: Ich denke, dass es auf Basis des Podcasts kommt. Das ist ja auch eher die Oldschool-Fraktion. Wenn ich dann sag': "Ey, was juckt mich Kool Savas?", was ich am Anfang sehr unüberlegt in dem Podcast gesagt hab' … Ich dachte: "Okay, ich verkörpere das neue Ding, da kann man das schon mal sagen." Ich hab' gemerkt, dass sich viele Leute hart auf den Schlips getreten fühlten, was ich jetzt verstehen kann. Aber ich find's trotzdem nicht cool, jemanden inkompetent zu nennen. Egal, ob mir ein Track nicht gefällt: Ich hab' noch nie gesagt, ein Rapper sei inkompetent. Das ist eine Anmaßung, die völlig fehl am Platz ist und auf eine persönliche Ebene runtergeht, von der ich mir denk': Ich brauch's nicht. Wenn Mädness und Döll das brauchen, überrascht es mich. Ich dachte eigentlich, dass die nicht so unterwegs sind. Aber dann denke ich mir wieder: Mein Anspruch ist es nicht, von Rappern gemocht zu werden. Somit ärgert es mich nur bedingt.
MZEE.com: Es kommt ja immer wieder vor, dass deutsche Rapper Journalisten in ihren Texten angreifen. Hast du das Gefühl, dass die Angriffe teilweise berechtigt sind?
Jule Wasabi: Genauso wie ein Journalist mal einen Rapper angreift, finde ich es auch okay, wenn es umgedreht passiert. Ich kann nur für mich sprechen, aber ich kann viel an Kritik, die gegen mich geht, nachvollziehen. Auch, wenn ich es trotzdem so mache. Ich finde es nur manchmal schwierig, wie die Kritik verpackt und dass der Respekt nicht gewahrt wird. Aber es ist halt Rap und ein rauerer Umgangston.
MZEE.com: Auf der Rap-Ebene zu dissen ist auch einfach: Der Journalist kann auf gleicher Ebene ja gar nicht antworten … Zum Abschluss des Interviews noch eine positive Frage: Was ist das größte Learning, dass du aus deinen letzten Jahren in der deutschen Rapszene ziehen kannst?
Jule Wasabi: Ich glaube, ein soziales Learning. Dass man diese Szene einfach mit Herz und Liebe behandeln muss. Dann kriegt man das meistens auch zurück. Wenn man sich drüberstellt, sich rauszieht, dann wird man auch so behandelt. Ich glaube, das ist ein Learning, das mir auch in allen anderen Lebensbereichen weiterhilft. Diese Liebe und Leidenschaft zur Kultur an sich ist für mich im Rap sehr einzigartig. Vielleicht auch, weil ich andere Genres nicht so kenne. Aber wie viele Leute diese Kultur leben und lieben, inspiriert mich total, das mit Leidenschaft zu machen, was ich mach'. Egal, ob es ein Rapper ist, der Songtexte schreibt, ein Journalist, der Fragen stellt, oder wir, die hier sitzen: Mit Herz dabei zu sein tut allen – und vor allem einem selber – sehr gut.
(Florence Bader und Laila Drewes)
(Fotos 1 und 3 von Lisa Hinder)
Jule Wasabi ist momentan im Bayerischen Rundfunk im Podcast "Schacht & Wasabi: Der Deutschrap-Podcast" zu hören.