An dieser Stelle möchten wir Gedanken zu aktuellen Geschehnissen aus dem Deutschrap-Kosmos zum Ausdruck bringen. Die jeweils dargestellte Meinung ist die des:der Autor:in und entspricht nicht zwangsläufig der der gesamten Redaktion – dennoch möchten wir auch Einzelstimmen Raum geben.
In diesem Beitrag rollt unsere Redakteurin Emily das altbekannte Problem von sexistischen Raptexten neu auf und bezieht sich dabei vor allem auf OG Keemos neu erschienenes Album "Fieber."
OG Keemos neues Mixtape "Fieber" knallt. Auch wenn es laut seines Produzenten Funkvater Frank kein Konzeptalbum sein soll, wie zum Beispiel "Mann beißt Hund", bin ich doch sehr davon angetan, wie das Fieber-Thema die Songs miteinander verbindet und durch Skits und Interludes fortgesetzt wird. Auf die Gefahr hin, dass ich ab jetzt Mannheim-Verbot bekomme, muss ich aber dennoch meckern und den Finger in die toxisch maskuline Wunde legen.
OG Keemo ist ein hervorragender Lyricist mit grandiosen Punchlines, der mit antirassistischen Texten beeindruckt und aufrüttelt. Dazu gehören seit jeher aber auch seine nahezu durchgehend sexistischen Zeilen. Auf seinem neuen Mixtape rappt er etwa selbstgefällig: "Bin ich in ihr'm Hals wie ein COVID-Test, bete nur, dass sie mein Phone nicht checkt." Oder auch: "Meine neue Bitch hat mehr Body als Körperwelten. Sie saugt mich blau, ich glaub', ich verklag' sie auf Schmerzensgeld." Die Frage ist: Muss diese Objektifizierung von Frauen wirklich sein? Denn ich kann mir kaum vorstellen, dass ihm keine besseren Reime eingefallen sind.
Man kann natürlich argumentieren, dass man den:die Künstler:in von der Person trennen, also das lyrische Ich separat vom realen Ich betrachten muss. Ganz so einfach ist es allerdings nicht, diese Linie zu ziehen, wie unsere Autorin Laila Drewes bereits in ihrem Kommentar über das Ausleben von Images in der deutschen Rapszene festgestellt hat. Viele Artists verarbeiten in ihren Songs persönliche Erlebnisse, wie beispielsweise Erfahrungen mit Rassismus. Die Ursprünge von Rap liegen genau dort, wo Menschen keine andere Möglichkeit hatten, ihrem Ärger und ihrer Trauer Luft zu machen, als durch Musik. Eben deswegen mag Rap das Genre sein, in dem die Linie zwischen Artist und Person oft am dünnsten ist. Zudem würden wohl die meisten Rapper:innen von sich behaupten, dass sie ausschließlich Selbsterlebtes in ihren Texten verarbeiten – so vermutlich auch OG Keemo. Daher fällt es mir schwer zu glauben, dass ausgerechnet, wenn es um Oralsex geht, der Text als unpersönlich zu betrachten sei.
Sexismus ist und bleibt aber ein salon- und chartfähiges Stilmittel – nicht nur im Rap und in der Musikindustrie, sondern auch in sämtlichen anderen Bereichen der Gesellschaft. Obwohl sich mittlerweile einiges in der Szene tut, zum Beispiel durch das Aufstreben weiblich gelesener Rapper:innen in den Mainstream und eine größere Awareness für sexualisierte Gewalt, werden sexistische Texte noch immer hingenommen und konsumiert. Ob da die Verantwortung hauptsächlich bei den Labels, den Konsument:innen oder den Artists selbst liegt, ist eine sehr schwierige Frage. Vielleicht hat Keemo, gerade weil es sich bei dem aktuellen Release "nur" um ein Mixtape handelt, einfach das geschrieben, was ihm in den Sinn gekommen ist. Man muss zudem anerkennen, dass er sich bewusst ist, dass dieses Mixtape weniger tiefgründig und gesellschaftskritisch ist als seine sonstigen Texte: "Sie meinen, Karim, wieso ist das Tape nicht deep? Das ist wie ein Reboot, ich muss wieder lernen, wie man Musik liebt." Moritz Hackl schreibt dazu in der ZEIT, dass Keemo dieses Einfach-drauflos-Rappen angeblich brauchte, um überhaupt wieder schreiben zu können, nachdem er wohl eine Schreibblockade hatte. Das rechtfertigt den Sexismus aber ehrlicherweise auch nicht. Man könnte sogar argumentieren, dass die Tatsache, dass ihm solche sexistischen Lines so einfach über die Lippen kommen, besonders deutlich zeigt, wie internalisiert dieser Sexismus ist.
Wie also sollen wir verantwortungsvoll mit sexistischen Texten umgehen? Entsprechende Artists einfach canceln? Das wäre einerseits vollkommen sinnlos, da man, um konsequent zu sein, sämtliche Mainstream-Artists canceln müsste – was spätestens die Labels verhindern würden, die mit diesen Künstler:innen ordentlich Geld verdienen. Andererseits gibt es genug Konsument:innen, die solche Songs trotz oder gerade wegen dieser Texte feiern. Das Canceln würde somit nur Öl ins Feuer derjenigen gießen, die bei jeder Gelegenheit "Jetzt darf man ja gar nichts mehr sagen!" rufen. Canceln kann und wird also keine pauschale Lösung sein. Weder bei OG Keemo, noch bei anderen Künstler:innen, da die Verantwortung nicht nur bei den Artists selbst liegt.
Stattdessen ist Aufklärung das Zauberwort. Wir müssen das Problem Sexismus ganzheitlich angehen – sowohl gesellschaftlich als auch in der Industrie. Das bedeutet, dass wir mit Tabus und klischeebehafteten Rollenbildern brechen müssen, auf welche unsere Gesellschaft immer noch baut und welche eine vollständige Gleichberechtigung in Bezug auf Rechte, Bezahlung, Möglichkeiten und Care-Arbeit verhindern. Warum werden immer noch mehr männlich als weiblich gelesene Künstler:innen als Festival-Headliner gebucht? Warum sind es immer die weiblich gelesenen oder queeren Artists, die auf diese Ungerechtigkeit in ihren Texten aufmerksam machen? Wir müssen ein Verständnis dafür schaffen, wie viel Schaden sexistische Texte anrichten können, indem sie weiterhin toxische Maskulinität reproduzieren. Dadurch bleibt es ein Tabu für männlich gelesene Personen, über Gefühle zu sprechen, Schwäche zu zeigen und ihren Emotionen Ausdruck zu verleihen. Im schlimmsten Fall kann dieser Molotow-Cocktail aus Sexismus und toxischer Männlichkeit zu häuslicher Gewalt, Depressionen und Suizid führen. Laut eines Artikels des Magazins "Gehirn & Geist" von 2019 über die unterschiedlichen Suizidraten zwischen den Geschlechtern hängt das auch damit zusammen, dass männlich gelesene Personen dazu tendieren, ihre Probleme in verbale und körperliche Aggressionen zu kanalisieren. Dies kann zudem eine Gefahr für diejenigen sein, die nicht den binären Geschlechternormen entsprechen. Natürlich gibt es mittlerweile Artists, die sich verletzlich zeigen, wie zum Beispiel Schmyt, Majan oder Apsilon, jedoch bestätigen Ausnahmen immer noch die Regel.
Weiterhin müssen wir dafür sorgen, dass wirklich jede Person genauso viel Macht und Mitspracherecht wie Männer bekommt, sowohl in den Chefetagen der Labels und beim Artist Management als auch in der Politik und der Wirtschaft. Dabei ist es nicht damit getan, dass es eine einzige, meist weiße Frau an die Spitze schafft, sondern es muss allgemein Platz gemacht werden. Dass Loredana beispielsweise noch vor ein paar Jahren als einzige Frau bei Two Sides gesignt wurde, weil man keine interne Konkurrenz wollte, ist also ein ziemlich schlechtes Argument. Solche Meinungen können dazu beitragen, dass erfolgreiche Frauen weiterhin als Ausnahme betrachtet werden und somit der Status quo aufrechterhalten wird. Mehr Frauen in sichtbaren Positionen können jedoch dazu beitragen, dass sie immer mehr als gleichwertig ernstzunehmende Akteurinnen betrachtet werden und weniger als Opfer und Hausfrauen. Genauso wie Männer, die traditionelle Rollenbilder aufbrechen, indem sie etwa Care-Arbeit übernehmen oder Gefühle zeigen, kann das hoffentlich langfristig dazu beitragen, dass sexistische Aussagen inakzeptabel werden.
Vorerst wird Sexismus wohl weiterhin ein Bestandteil der deutschen Rapszene bleiben – und das mindestens so lange, wie er auch ein allgemeines gesellschaftliches Problem bleibt. Natürlich kann eine Frau einen Mann oral befriedigen und natürlich kann sie zu Hause bleiben und sich um die Familie kümmern, aber diese Entscheidung muss ihr allein überlassen werden und ihr Körper sollte nicht als nettes Stilmittel objektifiziert werden. Aber genau deswegen ist es so wichtig, das Thema immer wieder auszugraben, auch wenn es einigen mittlerweile auf die Nerven gehen mag. Diesen Menschen kann ich allerdings nur erwidern: Was glaubt ihr, wie nervig es für betroffene Personen ist, immer und immer wieder gegen dasselbe Problem ankämpfen zu müssen?
(Emily Niklas)
(Grafik von Daniel Fersch)