An dieser Stelle möchten wir Gedanken zu aktuellen Geschehnissen aus dem Deutschrap-Kosmos zum Ausdruck bringen, die woanders keinen Platz finden. Dabei kommt nicht nur die MZEE.com Redaktion zu Wort, sondern auch andere Szene-affine Persönlichkeiten wie Rapper, Veranstalter oder Produzenten. Wer sich also mitteilen möchte, soll hier auch die Möglichkeit haben, dies zu tun. Die jeweils dargestellte Meinung entspricht jedoch nicht zwangsläufig der unserer Redaktion – wir sehen aber ebenfalls nicht die Notwendigkeit, diesen Stimmen ihren Raum zu nehmen.
Im folgenden Text beschäftigt sich unsere Redakteurin Laila mit der Frage, ob es eine Grenze für das Ausleben eines Images im deutschen Rap gibt. Dabei bezieht sie sich auf ein aktuelles Beispiel, in welchem überzogener Sexismus als fragwürdiges Stilmittel noch fragwürdigere, reale Formen annimmt.
Zwischen Künstler und Kunstfigur liegt oft ein schmaler Grat. Bei manchen Rappern ist die Musik so nah an der privaten Person, dass es fast keine Trennung zwischen öffentlichem und privatem Bild gibt. Andere hingegen schaffen ein ganzes Image um ihre Kunstfigur, welches stellenweise die Wahrnehmung des Künstlers in der Öffentlichkeit dominiert. Dabei fragt man sich als Außenstehender häufig, wo die Kunstfigur aufhört und der Mensch dahinter anfängt.
Jemand, der hierzulande so funktioniert, ist Felix Krull. Der Künstler treibt das Deutschsein extrem auf die Spitze und geht darin komplett auf. Und es ist vollkommen in Ordnung, dass er mit seiner Musik ein Image lebt, es liebt, in Rollen zu schlüpfen, sich zu verstellen und auszuleben. Wir alle wissen, dass gerade solche Alleinstellungsmerkmale Künstler oft besonders auszeichnen. Aber gibt es eine Grenze beim Ausleben einer solchen Rolle?
Vorweg: Ich selbst habe Felix Krull schon zu einem Interview-Termin getroffen und hatte den Eindruck, dass er ein sehr höflicher, zuvorkommender und freundlicher junger Mann sei. Wie komme ich also überhaupt darauf, mir solch eine Frage zu stellen?
Dafür muss ich nicht weit ausholen. Felix Krull lebt, wie gesagt, seit geraumer Zeit seinen Alman-Traum: In Adiletten, mit dem Spitznamen "Doc Alman", deutschen Autos in Videos und einem Track rund um seine favorisierte Biermarke hat er all jene gecatcht, die das fühlen. Alles ein bisschen witzig, alles ein bisschen drüber, aber irgendwo noch unterhaltsam. In den letzten Monaten entwickelte sich das Image des Münchners jedoch in eine andere, extremere Richtung: mehr Trash, mehr Challenges, mehr Kuriositäten. Auf seinem Instagram-Profil kann ein Künstler allgemein das veranstalten, was er möchte – die, die ihm folgen wollen, können das tun und der Rest eben nicht. Bis hierhin ist alles legitim.
Aber was, wenn jemand, der kein Interesse an dieser Art Aufmerksamkeit oder einer Zusammenarbeit mit dem Künstler hat, in einen solchen Strudel hineingezogen wird? Genau das ist der Porno-Darstellerin Lucy Cat passiert. Kurzum erklärt: Der Doc hat seine Fans gefragt, ob sie einen Porno mit ihm sehen wollen – wollen sie. Der Doc möchte einen Porno mit Lucy Cat drehen – die Anfrage hierfür ist gestellt worden. Der Doc hat seine Fans gefragt, ob sie ein Penisbild von ihm sehen wollen – wollen sie. Der Doc hat ein solches Bild gepostet – natürlich existieren davon Screenshots, was für ihn kein Problem darstellt.
Nun aber der Wendepunkt des Ganzen: Lucy Cat hat die Anfrage von Felix Krull abgelehnt. Ihr Argument: "Image technisch [sic] sehe ich mich nicht bei Felix Krull. Ich trinke kein [sic] Alkohol und lebe gesund und Supporte [sic] dann auch keinen Drogen Alk Rapper [sic]. Das passt nicht zu mir." Eine ganz normale Absage, höflich formuliert, mit Smileys. Ein Text, wie er von jedem Künstler in jedem Bereich kommen kann, sobald er eine Anfrage erhält: "Ich sehe mich darin nicht." Felix Krull nahm die Abfuhr jedoch nicht so gelassen. Tief bestürzt fragte er seine Fans, ob er für die Darstellerin "clean werden soll" oder "von was für einem Image" sie da spreche? Die Antwort der Fans scheint klar: Er soll nicht "clean" werden und weitere Avancen machen. Und so forderte Felix Krull seine Follower dazu auf, den Screenshot seines Geschlechtsorgans so oft sie können an Lucy Cat zu senden, denn vielleicht wisse sie gar nicht, mit was für einem "Riemen" sie es zu tun haben könnte.
"Nein" heißt "Nein" – auch in 2019. Aber offensichtlich nicht für jeden. Und scheinbar ist Felix Krull einer derjenigen, die denken, dass das nicht für sie gilt. Da dieses Thema omnipräsent ist und ein Ende in naher Zukunft unwahrscheinlich scheint, muss man es immer und immer wieder aufgreifen. In unserer Gesellschaft wird nach wie vor nicht genug darüber gesprochen oder berichtet. "Ist doch nur ein Joke", werden sicher manche sagen. "Ist doch ganz lustig gemeint", werden andere entgegnen. Aber jeder von uns hat eine persönliche Grenze. Wenn wir ehrlich zu uns selbst sind, herrscht in unserer deutschen Rapszene, wie überall, Sexismus. Während in vielen Texten unseres Genres imaginäre Mütter und Frauen thematisiert werden, bewegen wir uns in diesem Fall aber außerhalb der Musik. Mit der Absicht, jemand Realem schaden zu wollen und jemand Unbeteiligten in diese Situation mit hineinzuziehen.
Lieber Felix Krull, ich hoffe, es geht Dir gut, und ich hoffe, Du kannst dich weiter in deinen Rollen ausleben. Aber ich appelliere an Deinen Verstand, Deine Rücksicht und an Dich als Mensch: Versetze Dich in die Lage von Lucy Cat. Sie hat "Nein" zu Deiner Anfrage gesagt, sie möchte nicht mit Dir zusammenarbeiten. Sicherlich möchte sie auch keine unaufgeforderten Fotos Deines Intimbereichs bekommen. Ich bin mir sicher, dass Du nachvollziehen kannst, was ich Dir versuche, zu vermitteln: Deine Freundin, Deine guten Freundinnen sowie Bekannten und Deine weiblichen Familienmitglieder sagen auch mal "Nein" zu Männern und möchten genauso wenig weiter bedrängt werden. Abschließend möchte ich Dir somit eines sagen: Du hast damit klar und deutlich eine persönliche Grenze überschritten.
(Laila Drewes)
(Grafik von Daniel Fersch)