"Ihr gebt kein' Fick, bleibt die scheiß Reichweite begrenzt. Dann landet man Hits und ihr lutscht Dicks, Dicker, frag Trettmann", rappt Döll auf seinem Debütalbum "Nie oder jetzt.". Die Analogie zum Leipziger und seinem bisherigen Opus Magnum "#DIY" aus dem Jahr 2017 lässt sich durchaus ziehen, wenn auch freilich in einem etwas kleineren Rahmen. Auf keinen Künstler konnten sich die deutsche Untergrundszene und auch Hörer darüber hinaus in letzer Zeit so sehr einigen wie auf Döll. Mit einem Album, das in Zeiten der Playlist-Dominanz vor allem als Gesamtwerk funktioniert und so persönlich Geschichten erzählt, dass es teilweise wehtut, hat der Darmstädter für viele schon jetzt die deutsche Rap-Platte des Jahres geschaffen. Im Interview mit Döll sprachen wir über den Erwartungsdruck vor dem Release, die Überwindung, die es braucht, um in Texten sein Innerstes nach Außen zu kehren, Spielsucht und Lokalpatriotismus.
MZEE.com: Dein Album wurde von vielen lange erwartet. Hört man das Intro der Platte, kann man froh sein, dass sie überhaupt erschienen ist. Mit welchem Gefühl bist du an das Release herangegangen – Druck, Erleichterung, Vorfreude?
Döll: In erster Linie freu' ich mich, dass die Platte endlich da ist. Über den Jahreswechsel hatte ich mal ein ganz kleines Time-out von einem halben Tag, ansonsten hab' ich im letzten Dreivierteljahr eigentlich nur gearbeitet. Was den Druck angeht … Ich hab' die Platte gemacht, die ich liefern wollte und das Feedback auf die Singles war ja schon sehr gut. Von daher ist ein großer Teil der Last von meinen Schultern.
MZEE.com: Lässt man sich unterbewusst davon beeinflussen, wenn man das Gefühl hat, dass viele Menschen auf das Album warten?
Döll: Gute Frage. Es ist natürlich irgendwie schwierig, das komplett auszuschalten. Ich glaube, dass jeder Künstler, der sagt, dass er sich überhaupt nicht mit Kommentaren oder Sonstigem beschäftigt, lügt. Natürlich guckt man sich das an. Zumindest teilweise. Und niemand wehrt sich dagegen, gebauchpinselt zu werden. Aber ich hab' mich nie bewusst, und ich denke auch nicht unbewusst, daran orientiert, was die Leute von mir erwarten. Auf dem Album gibt es ja kein "Weit entfernt Pt. 2" oder so. Von zweiten Teilen von Songs halte ich in der Regel auch nichts. Ich versuche für mich, bei dem zu bleiben, was ich mache. Hier und da entwickelt es sich soundtechnisch sicherlich weiter, aber mein Ansatz ist der gleiche geblieben wie bei der EP oder auch bei der Platte mit Mädness. Ob das letztlich das ist, was die Leute von mir erwarten … kann sein, aber ich mach' das nicht davon abhängig. Wenn ich übermorgen Bock darauf hab', ein Salsa-Album zu machen, wird das halt so sein. Ist aber vorerst relativ unwahrscheinlich.
MZEE.com: Zu deinem Ansatz gehört auch der Fokus auf die sehr persönlichen Texte. Musst du noch über deinen Schatten springen, um der Öffentlichkeit so intime Einblicke in dein Innenleben zu geben?
Döll: Ich hab' mir bei vielen Songs auf der Platte die Frage gestellt, ob ich der Öffentlichkeit zu viel preisgebe oder ob es noch im Rahmen ist. Diesen Ansatz, von meinen persönlichen Erfahrungen zu erzählen, hab' ich eben für meine Kunst gewählt. Es ist aber schon immer wieder ein Kampf, den ich mit mir selbst austragen muss. "Alright" auf der Platte mit meinem Bruder ist beispielsweise dermaßen privat. Ist es dann cool für mich beziehungsweise auch mein Umfeld, wenn ich sowas öffentlich sage? Dieser Prozess ist eigentlich immer Teil der Produktionsphase.
MZEE.com: Credibil sagte in einem Gespräch vor ein paar Jahren mal zu mir, dass er manchmal gar nicht damit umgehen könne, fremde Menschen zu treffen, die durch seine Musik total persönliche Dinge über ihn wissen.
Döll: Das kann ich total nachvollziehen. Ich hab' schon ähnliche Situationen mit Leuten erlebt, die mir privat schreiben, dass sie sich in meinen Texten komplett wiederfinden und sich damit identifizieren können. Manche gehen so weit, meine Musik als Soundtrack ihres Lebens zu bezeichnen. Das ist schon verrückt. Teilweise schreiben mich 20-Jährige an und sagen, dass meine Texte ihr Leben widerspiegeln. Da denk' ich mir teilweise, wann genau die das alles mit 20 erlebt haben. (lacht) Mir hat aber auch schon jemand über 50 etwas geschrieben, das in eine ähnliche Richtung ging. Das freut mich natürlich immens. Für mich war das immer eine Grundmotivation dafür, Musik zu machen und auch selbst zu hören. Ich hatte das Gefühl, dass da Leute sind, die das, was ich denke, besser aufschreiben können als ich. Es ist super, wenn ich dieses Gefühl anderen Leuten geben kann. Mit Rap oder Musik insgesamt hast du die Möglichkeit, Leuten Kraft zu geben und sie auch in schlechten Zeiten zu begleiten, so pathetisch das auch klingen mag.
MZEE.com: Das gibt Musik und gerade Rap eine ganz andere Tiefe. Reine Representer lassen sich auf deiner Platte auch nicht finden – das hast du bewusst so gehalten, oder?
Döll: Auf jeden Fall. Ich wehre mich ja nicht dagegen, klassische, live-taugliche Banger zu machen. Das liebe ich auch. Songs wie "IUMB GbR" mit Mädness oder "True Story" und "Isso" mit Audio88 und Yassin sind ja nichts anderes. Aber für die Platte war es mir wichtig, einen persönlichen, roten Faden zu spinnen. Ich hatte zuerst die Idee, ein, zwei Leute als Feature draufzupacken. Aber es hat auf diesem Album keinen wirklichen Grund dafür gegeben. Dadurch, dass ich Solorelease-technisch so lange weg war und solo erst eine EP releast habe, hatte ich auch das Bedürfnis, mich komplett vorzustellen und nicht auf jedem zweiten Song jemanden zu featuren.
MZEE.com: Mädness wäre ja das erwartbarste Feature gewesen. Allerdings findet er jetzt auf der Platte mehr statt, als wenn er ein Feature hätte, finde ich.
Döll: Ja, das stimmt. Dadurch, dass die Platte so einen privaten und persönlichen Ansatz hat, spiegelt sie große Teile meines Lebens innerhalb der letzten Jahre wider. Und weil Mäd so ein großer Bestandteil davon ist, findet er natürlich dementsprechend statt.
MZEE.com: Soundtechnisch hat das Album einen relativ rohen HipHop-Charakter. Ist das bewusst so gehalten oder einfach natürlich im Entstehungsprozess entstanden?
Döll: Beides. Ich hab' natürlich keine Beats aus Indonesien im Internet gekauft, auch wenn ich das nicht fronten will. Auf der Platte ist einfach alles aus meinem persönlichen Umfeld heraus entstanden. Die klassischeren Dinger sind der Sound, aus dem ich komme. Die moderneren Beats kommen auch von Leuten, mit denen ich privat befreundet bin. Sterio kenn ich beispielsweise seit mehr als zehn Jahren. Die Platte hatte längere Zeit komplett dieses eher klassische, rohe Soundbild. Aber ich feier' auch viele der neuen Entwicklungen. Ich sitz' ja nicht verbittert zuhause und höre den ganzen Tag Gravediggaz. Da fand ich es fast ein bisschen ungerecht meinem persönlichen Musikgeschmack gegenüber, wenn sich die Platte nur am eher klassischen Soundbild orientiert hätte, weshalb auch die Beats von Sterio und Enaka drauf gelandet sind.
MZEE.com: Vergleicht man das Album mit "Weit entfernt" fallen einige Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede auf. Die Themen ähneln sich durchaus, es geht um deine Ex-Freundin, Süchte und Selbstkritik. Auf mich wirkst du hingegen jetzt selbstsicherer und mehr mit dir selbst im Reinen als damals. Würdest du mir da zustimmen?
Döll: Ja, das ist vollkommen der Fall. Das ist auch einer der Gründe dafür, dass das alles so lange gedauert hat. Wenn ich gewollt hätte, hätte ich nach der EP 2015 nachlegen können. Ich hatte genug Material für ein Album. Mir ging es aber nie darum, eine Platte zu droppen, um eine Platte zu droppen. Mein Solodebüt ist das Album, an dem ich mich messen lassen muss, auch von mir selbst. Nach dem EP-Release war ich mental einfach nicht auf dem Level, dieser Sache gerecht zu werden, da hat es mir unter anderem an Selbstsicherheit gefehlt. Von daher freut es mich, dass es bei dir so rüberkommt. Die gesamte Arbeit rund um die Platte hat mir viel gebracht. Wenn man das von sich selbst sagen kann, bin ich definitiv deutlich selbstsicherer als damals.
MZEE.com: Wo liegen ansonsten für dich die Unterschiede zwischen damals und jetzt?
Döll: Es ist immer schwer, sich selbst zu beurteilen, aber ich glaube, dass ich skilltechnisch gewachsen bin, um es im HipHop-Vokabular auszudrücken. Ich bin auf einem anderen Level, was das Songwriting angeht. Mein Gehör für Mix- und Mastergeschichten hat sich, glaube ich, auch verbessert. Durch die Platte mit Mäd und die Zusammenarbeit mit vielen anderen Leuten bin ich im ganzen Aufnahme- und Produktionsprozess gewachsen. Ich bin einfach sicherer in dem, was ich mache.
MZEE.com: Geändert hat sich auch dein Wohnort, du bist von Südhessen nach Berlin gezogen. Mit "64" hast du deiner Heimat einen Track gewidmet. Ist dieses Gefühl von leichtem Lokalpatriotismus bei dir stärker, seit du weggezogen bist? Als ein Teil deiner Identität, den du nach außen vertrittst?
Döll: Puh, das weiß ich ehrlich gesagt nicht. Sprachtot hat vor vielen Jahren mal in einem Song zum Thema Lokalpatriotismus so sinngemäß gesagt: "Ich bin kein Stadtpatriot, ich repräsentier' nur die Stadt, wo ich wohn'." Es ist ja so ein klassisches, grundlegendes Ding im HipHop, zu repräsentieren, woher man kommt. Daran, dass ich aus dem Rhein-Main-Gebiet komme, wird sich nichts mehr ändern, auch nicht, wenn ich morgen nach Singapur ziehe. Von daher hat sich nie die Frage danach gestellt, Südberlin zu repräsentieren. Ich hab' immer noch einen großen Bezug zu der Region, aus der ich komme und in der ich aufgewachsen bin.
MZEE.com: Mir ist beispielsweise erst, als ich weggezogen bin, wirklich bewusst geworden, dass die Stadt, aus der man kommt, schon einen Teil von einem ausmacht.
Döll: Ja, total. Ich könnt' die Fragen auch auf hessisch beantworten, aber ich mach' es lieber auf hochdeutsch. (grinst) Wenn du genau darauf achten würdest, würdest du wahrscheinlich trotzdem erkennen können, woher ich komme. In den meisten Fällen bekommst du das nicht raus, finde ich aber auch nicht schlimm.
MZEE.com: Kommen wir nochmal zu den Inhalten, die du auf der Platte ansprichst. Du erwähnst immer wieder deine Ex-Freundin. Wieso spielt sie noch so eine große Rolle in deiner Musik?
Döll: Beziehungen sind ein Thema, über das ich immer gesprochen hab' und noch spreche. Die Platte spiegelt, wie gesagt, einfach mein Leben wider und Beziehungen sind ein großer Teil davon. Deshalb finden sie auf der Platte statt, egal ob sie vergangen oder aktuell sind. Dazu gehören auch die Beziehung zu Mäd oder die Beziehungen freundschaftlicher Natur.
MZEE.com: Die Zeilen über sie stellen für mich ein verbindendes Element zwischen einzelnen Songs dar. Allgemein hab' ich mich häufiger gefragt, wie einzelne Zeilen in Beziehung zu Lines auf anderen Tracks stehen. Schreibst du bewusst auf diese Art?
Döll: Ja, das tu' ich tatsächlich. Das ist ja auch einer der Kopfficks, die mir und vielen Leuten in meinem Umfeld ein Album bereitet. Vielleicht gibt es Leute, die weniger Wert darauf legen und das ist womöglich auch gesünder. Auch auf "Weit entfernt" und "Ich und mein Bruder" haben wir immer versucht, Puzzleteile miteinander zu verbinden. Ich will mich auf einem Album aber auch nicht wiederholen und mir auf gar keinen Fall widersprechen. Das ist über eine Spielzeit von fast 40 Minuten ohne Features gar kein so leichtes Unterfangen.
MZEE.com: Mit "Waldemar" hast du dem Thema Spielsucht einen Track gewidmet. Geht's hier um eine reale Person, vielleicht sogar um dich oder ist er nur ein Bild als Beispiel?
Döll: Das würde ich gerne offenlassen.
MZEE.com: Das dachte ich mir schon.
Döll: Ja, ja. (lacht) Bei "Mehr von dir" haben mich die Leute damals auch gefragt, wen ich mit dem Song meine. Wenn die Leute sich selbst oder irgendjemanden darin wiederfinden, ist das cool. Den Bezug kann jeder selbst herstellen.
MZEE.com: Sucuk Ufuk hat bei uns im Interview zum Thema Spielsucht Folgendes gesagt: "Die Versuchung, stets die Abkürzung zum Reichtum zu nehmen, schmeckt einfach zu gut. Novoline zocken ist definitiv die Gegenbewegung zum Bücher lesen und strukturiert seinen Wohlstand aufbauen."
Döll: Ich glaube schon, dass der finanzielle Anreiz der Hauptgrund für die Affinität vieler Leute zum Zocken ist. Dieser ganze Glücksspiel-Scheiß ist ein riesiges Geschäft mit der Hoffnung von Leuten, gerade von unterprivilegierten Menschen. Es ist kein Wunder, dass in Neukölln die Anzahl von Wettbüros in einem Radius von 500 Metern größer ist als die von Bio-Supermärkten. Diese Läden stehen dort, wo die Leute nichts haben. Die naive Hoffnung auf Reichtum oder Wohlstand lockt die Leute dorthin, wo sie dann noch ihr Kleingeld aus der Tasche gezogen bekommen.
MZEE.com: Du erwähnst auf der Platte, dass du jetzt total auf die Karte Musik setzt. Welche Erwartungen knüpfst du an dein Debütalbum?
Döll: Ich bin nicht blauäugig. Ich weiß, dass ich mit dem Album vermutlich nicht Drakes Streaming-Rekord brechen und auch ansonsten kein großes Streaming-Phänomen sein werde. Die Aussicht auf den schnellen Reichtum ist da ähnlich wie beim Glücksspiel auszuschließen und auch nicht mein Ziel. Ich möchte den Weg weitergehen, den wir schon über die letzten Jahre beschritten haben und das bedeutet für mich, gesund zu wachsen. Mit diesem Album will ich den nächsten Schritt machen und der soll nicht unrealistisch groß sein. Ich wehre mich nicht dagegen, wenn Leute zu Konzerten kommen oder die Platte kaufen. Aber mir geht es darum, step by step zu wachsen. Als ich 2014 die EP rausgebracht habe, hatte ich eine ähnliche Intention. Ich hab' kein Interesse daran, den einen Sommerhit zu liefern, den alle pumpen und zwei Monate später fragen sich alle, wer den Song überhaupt gemacht hat. Langsames, gesundes Wachstum und kontinuierliche Weiterentwicklung sind das Ziel. Ich will immer besser werden in dem, was ich mache, ohne mich an irgendwelchen Playlists zu orientieren.
MZEE.com: Dauert es noch mal vier Jahre bis zum nächsten Döll-Release?
Döll: Es ist auf jeden Fall geplant, den Release-Zeitraum nicht mehr so groß zu halten. Ich sitze aktuell schon wieder an Sachen und ich werd' schneller nachlegen als vor ein paar Jahren, aber wie und wann, kann ich noch nicht sagen.
(Alexander Hollenhorst)
(Fotos von Robert Winter)