Gemeinsam mit seinem Partner Audio88 hat sich Yassin in den letzten Jahren einen beachtlichen Namen innerhalb der Szene erarbeitet. Dabei kennt man die beiden Wahl-Berliner vor allem für ihre bitterbösen Texte und den Unwillen, sich der Rapper-Konkurrenz oder gar dem gesellschaftlichen Mainstream anzupassen. Solo ist Yassin bislang jedoch kaum in Erscheinung getreten. Mit seinem ersten Album "YPSILON" ändert sich das nun, sodass der Mann mit den ergrauten Haaren zum ersten Mal völlig alleine im Scheinwerferlicht steht. Genug zu sagen, um eigenständig eine Platte mit jeder Menge Gedanken-anstoßenden Worten zu füllen, hat er jedenfalls allemal. Dementsprechend fiel es uns auch nicht schwer, anhand seiner Lyrics über Themen wie den kollektiven Angstzustand bezüglich einer drohenden Apokalypse oder die Zugänglichkeit seiner Texte zu sprechen. Doch auch die musikalische Weiterentwicklung, die er seit seinen Anfängen durchgemacht hat, und die mangelnde Bereitschaft vieler Fans, eine solche zu akzeptieren, waren Thema unseres Gesprächs.
MZEE.com: Bei "YPSILON" handelt es sich um dein erstes Solo-Album. Hat sich die Arbeit daran stark vom gewöhnlichen Audio88 & Yassin-Arbeitsprozess unterschieden?
Yassin: Ja, schon. Anders war vor allem, dass ich alleine geschrieben und mich auch – anders, als wir es bei den bisherigen Alben gemacht haben – viel mehr an der Entstehung der Musik beteiligt habe. Nicht bei allen Songs, aber bei denen, die den Grundstein der Platte gelegt haben, war ich relativ stark involviert. Am Anfang hatte ich auch mal den Plan, alles selbst zu produzieren, um es dann später mit anderen auszuproduzieren. Aber letztendlich war das jetzt nur bei zwei Songs der Fall. So gesehen war es auf jeden Fall eine andere Arbeitsweise, ja.
MZEE.com: Gibt es auf dem Album Tracks, die gemeinsam mit Audio88 vielleicht überhaupt nicht funktioniert hätten?
Yassin: Ja, mehrere. Da tue ich ihm jetzt sicherlich kein Unrecht, das ist ja der Grund dafür, dass ich eine Solo-Platte machen wollte. Ich habe eben auch Ideen oder Facetten in beziehungsweise an mir, die in einem Duo nicht so gut funktionieren. Das hat nicht unbedingt was mit ihm persönlich zu tun, sondern einfach mit der Tatsache, dass ein Song über meine Vergangenheit mit Audio88 zusammen auf jeden Fall anders ausfallen würde, als wenn ich alleine von meiner Kindheit erzähle. Da muss man keinen gemeinsamen Nenner oder Widersprüche finden. Stattdessen geht es wirklich nur um die Erzählung. Und die muss sich selbst genug sein. Das ist dann schon etwas anderes, als wenn man sich einen Song teilt.
MZEE.com: Bleiben wir mal bei den textlichen Inhalten. Das apokalyptische Motiv taucht wiederholt in "YPSILON" auf. Spielt diese Thematik in deinem Alltag eine Rolle oder woher genau stammt das?
Yassin: (überlegt) Ich nehme an, das liegt unter anderem am aktuellen, kollektiven Gemütszustand. Die Vorzeichen für die Zukunft stehen einfach schlecht. Das ist ja wissenschaftlich teilweise sogar erwiesen – wenn man sich jetzt beispielsweise den Klimawandel anschaut. Gleichzeitig versucht man trotzdem, diese Dinge in seinem Alltag auszublenden, um sein Leben zu genießen. Da würde ich mich nicht ausnehmen. Es gibt natürlich Phasen, in denen das mehr oder weniger der Fall ist. Aber ich glaube, es ist schon so, dass alle – oder zumindest wir hier in dieser privilegierten Gesellschaft mit einem gewissen Informationsstand – sich darüber bewusst sind, dass in unserer Lebenserwartung auf jeden Fall noch Zeiten kommen werden, die drastisch anders aussehen werden als die heutige. Das habe ich mir jetzt nicht andauernd bewusst gemacht und das hat auch nicht zwangsläufig etwas mit jedem meiner Lebensthemen zu tun. Aber ich denke, der Umstand, dass wir das im Unterbewusstsein tragen, beeinflusst uns alle auf eine gewisse Art und Weise – auch wenn wir uns das vielleicht nicht so eingestehen wollen. Ich glaube schon, dass das einen Einfluss auf unsere Generation und auf die vor uns hat. Es ist einfach klar: Wir werden noch miterleben, dass es eklig wird.
MZEE.com: Du nimmst dich nicht aus, wenn es um das Verdrängen solcher Themen geht. Unbewusste Musik im Sinne von Eskapismus zu machen, würde für dich aber dennoch nicht infrage kommen, oder?
Yassin: (überlegt) Natürlich mach' ich auch Musik, die einfach nur Spaß bedeutet. Und das hört man ja auch. Wenn wir einen Song wie "True Story" mit Mädness und Döll oder auch einen Song wie "Gnade" machen, dann sind da natürlich Motive drin, die von einem Bewusstsein für den allgemeinen Zustand der Welt zeugen. Das heißt jedoch nicht unbedingt, dass dieser Zustand alles diktieren muss. Aber natürlich taucht sowas immer wieder auf, wenn man als reflektierter Mensch Musik macht, um ein gewisses Ventil zu finden oder bestimmte Gedanken kontrolliert zu Ende zu führen. Das Thema ist eben einfach größer als man selbst und auch größer als die Themen, die einen im Alltag letztendlich beherrschen. Über all dem schweben ja viel größere Faktoren. Und die kann man nicht ignorieren, wenn man ernsthaft versucht, etwas für die Ewigkeit zu schaffen. Musik muss sich richtig anfühlen oder das Richtige sagen, damit sie länger bleibt. Das ist zumindest unser Anspruch. Von daher glaube ich jetzt nicht, dass es in naher Zukunft die komplett hohle Trend-Rap-Platte von uns geben wird. Das kann ich mir einfach nicht vorstellen. Ich glaube auch nicht, dass wir das könnten, ehrlich gesagt, und habe durchaus Respekt davor, wenn Leute das können. Aber ich kann das nicht.
MZEE.com: Auf "Abendland" stellst du die ernüchternde Frage: "Was nützen die schönsten Metaphern, wenn's die Dümmsten nicht raffen?" – Lohnt es sich denn überhaupt, kritische Musik zu machen, wenn die Kritik nicht diejenigen erreicht, an die sie gerichtet ist? Hast du Angst, offene Türen einzurennen?
Yassin: Der Song war – gerade bei der Fertigstellung und beim Schreiben der zweiten Strophe – ein bewusster Versuch, dieses Mal auch andere Menschen zu erreichen. Ein Song wie "Schellen" zum Beispiel hat auch eine kleine Segmentierung in der eigenen Fanbase bewirkt. Das ist uns bewusst. Der hat vor allem eine Positionierung nach außen hin deutlich gemacht. Aber natürlich wird er langfristig eher zur Hymne derer, die eh schon genauso denken und beispielsweise das gleiche anti-rassistische Mindset haben. Bei "Abendland" war es mir wichtig, Worte zu finden, die auch dann nachvollziehbar sind, wenn du vielleicht noch unentschlossen bist oder generell zu dem Thema gar nicht so eine krasse Einstellung hast. Vor allem, weil ich da gesungen habe und der Song auch musikalisch noch mal eine andere Ausrichtung hat. Da geht es um den emotionalen Aspekt – sowohl auf der Seite der Betroffenen als auch auf der Seite aller anderen. Gerade die zweite Strophe handelt ja davon, dass kapitalistische Motive dazu führen, dass wir uns teilweise unmenschlich oder barbarisch verhalten und gegenüber dem Leid anderer Menschen wahnsinnig ignorant sind. All das wollte ich durch die musikalische Interpretation zugänglicher machen. So gesehen hoffe ich, dass es in dem Fall eben nicht nur die Gleichdenkenden abholt oder bestärkt. Dieser Satz war ehrlich gesagt auch so ein bisschen eine Kritik an der intellektuellen Linken. Den kann man in vielerlei Hinsicht interpretieren. Aber das war definitiv eine Interpretation, die ich bezweckt habe, weil die eher elitären Kreise in der Linken, was die populistische Verbreitung humanistischer Ideale angeht, in den letzten Jahren einfach versagt haben. Die populistische Verbreitung anti-humanistischer Ideale der Rechten hat dagegen hervorragend funktioniert. Das ist genau das, was ich meine. Was nützen die schönsten Metaphern, wenn du sie zwar eloquent formulieren kannst und dabei eine Million Wörter meidest, weil sie nicht politically correct sind, dir am Ende aber keiner mehr zuhören kann, der nicht deinen Bildungsstand hat? Dann hast du deinen eigentlichen Auftrag, nämlich die Politisierung des Volkes, verwirkt. Das ist eine Interpretation, die ich gerne sehe und beabsichtigt habe. Ich glaube, man kann mit kritischer Musik Menschen, die sich vielleicht schon im richtigen Gedankenfeld bewegen, noch mal anders motivieren oder beeinflussen. Das sind Hoffnungen, die ich in mir trage. Ob die jetzt so berechtigt sind oder nicht … Am Ende des Tages mache ich einfach Musik, die mir gefällt. (lacht)
MZEE.com: Man wird ja am Ende sehen, ob es funktioniert oder nicht.
Yassin: Die Geschichte mit der arabischen Übersetzung des Gedichts am Ende des Songs hat ja zum Glück funktioniert. Ich hatte die Absicht, Leute dazu zu bringen, sich mit Menschen zu unterhalten, die arabisch sprechen, um dadurch die Übersetzung für das Gedicht zu finden. Das war sehr schön und hat tatsächlich hervorragend funktioniert. Da gab es relativ viel Diskussionen und Nachrichten von Leuten, die genau das gemacht haben, was ich erreichen wollte und entweder Fremde, Bekannte oder eben einfach Freunde angesprochen haben. Dadurch fand ein Kontakt zu einer anderen Kultur und Sprache statt, der vorher in der Form vielleicht noch nicht da war und das Bewusstsein dafür fördert, dass es eben immer noch um Menschen geht – und nicht um irgendwelche Zahlen.
MZEE.com: Mal angenommen, du hättest das Ventil des Musikmachens nicht. Hättest du dann trotzdem das Bedürfnis, deine politische Meinung nach außen zu tragen? Wenn ja, wie?
Yassin: Also, es ist nicht so, dass ich ohne die Musik nicht an Demonstrationen teilgenommen hätte. Das tue ich so ja auch – wenn auch nicht mehr so häufig. Aber ich würde mich definitiv anderweitig engagieren, wenn ich keine Musik machen würde. Jetzt mache ich es eben auf eine andere Art und Weise. Ich hatte allerdings nie einen besonders starken Kontakt zu politischen Gruppierungen – auch nicht in meiner Jugend. Es gab schon eine Antifa, aber die war nicht so präsent oder so tief verwurzelt in der Rap-Subkultur bei uns, dass man da die großen Kontakte gehabt hätte. Dazu muss ich sagen, dass Politik in meiner Jugend keine große Rolle gespielt hat. Man war sich schon bestimmter Dinge bewusst und gerade bei mir in der Schule wurde Politik sehr präsent behandelt. Aber es war in den Kreisen, in denen ich mich vor allem durch die Musik aufgehalten hab', deshalb kein großes Thema, weil dort eigentlich alle Ideale gelebt wurden. Das klingt jetzt total Hippie-mäßig. Es ist jedoch tatsächlich so gewesen, dass man bei uns in der Szene zwar wusste, welchen nationalen Background andere Leute hatten, es aber absolut keine Rolle gespielt hat. Es war wirklich egal. Und bevor das in der Musik zum Thema gemacht und auch Abgrenzung wieder zum Thema wurde – gerade bei Straßenrap –, war das sowieso komplett egal. Da gab es einfach Crews mit verschiedenen Mitgliedern. Hautfarbe und Abstammung waren dabei völlig wurscht.
MZEE.com: Auf "1985" rappst du unter anderem über deine Eltern und deinen Werdegang als Musiker. Gab es mal eine Art "Rapper-Outing" nach dem Motto: "Mama und Papa, ich bin jetzt Rapper" und später "Ich bin jetzt Vollzeit-Rapper"?
Yassin: Das erste Outing gab es nicht so krass. Ich habe mit 13 oder 14 Jahren angefangen, Beats zu bauen und ein bisschen aufzulegen. Rappen kam erst etwas später. Zuerst habe ich ein paar Tapes mit anderen Rappern produziert. Geschrieben habe ich schon die ganze Zeit, aber ich habe das nicht so wirklich ernst genommen und mir nie gedacht: "Ich stelle mich jetzt hin und nehme das mal auf." Aber irgendwann habe ich mit so vielen Rappern gearbeitet, dass ich mir dachte: "Okay, ich nehme das jetzt doch auf." Am Anfang waren das natürlich Gehversuche. Als ich begonnen habe, das ernsthaft zu betreiben und mehr Songs zu machen, habe ich schon nicht mehr bei meinen Eltern gewohnt. Dadurch hat sie das auch gar nicht so tangiert. Erst als ich mit Audio88 Musik herausgebracht habe, haben sie das mitbekommen und ich habe ihnen dann auch etwas davon gezeigt. Das war aber nicht so ein krasses Outing in dem Sinne. Anfangs konnten die beiden rein musikalisch nicht wirklich etwas damit anfangen, aber sie haben mich immer unterstützt und waren auch stolz, als es größer wurde. Erst seit "Halleluja" finden sie einen Zugang zu meiner Musik und können auch mal einen Song cool finden. Gerade meine Mutter ist sehr anfällig für die Ohrwürmer. Das Vollzeit-Rapper-Outing gab es hingegen schon, jedoch war ich da alt genug, sodass mir meine Eltern einfach vertraut haben. Sie haben verstanden, dass ich die Entscheidung treffen möchte und für richtig halte. Glücklicherweise stehen sie immer hinter mir.
MZEE.com: Wo wir schon bei der Thematik sind, auf "1985" konstatierst du außerdem: "A: Mucke macht noch Spaß. B: Mucke ist jetzt Job." – Was überwiegt im Moment? Gibt es da ein gesundes Gleichgewicht?
Yassin: Das Gefühl wechselt manchmal täglich. Die letzten Wochen waren weniger von musikalischem Inhalt geprägt, sondern eher von dem Label-Aspekt, da wir das Album auf der eigenen Plattform herausbringen. Das macht das Ganze wahrscheinlich manchmal etwas Job-mäßig, aber das ist natürlich ein Weg, seine Musik auch auf geschäftlicher Seite unter Kontrolle zu halten. Ich kenne viele Geschichten von Leuten, die das komplett abgegeben haben und darunter sehr leiden. Am Ende des Tages gilt: Wenn du davon leben möchtest, musst du deine Musik vermarkten. Du musst sie zugänglich und käuflich machen. Wenn das jemand anderes für dich übernimmt, gibst du demjenigen etwas in die Hand, worin dein Herzblut liegt. Falls dann jemand fahrlässig damit handelt, kann das sehr verletzend sein. Deshalb bin ich eigentlich froh darüber, dass es unser Job ist, aber es macht eben nicht alles Spaß. Gerade, wenn Dinge nicht so klappen, wie man sie sich vorstellt, bedeutet das einfach Stress. Es ist kein Job, den man ausstellen kann. Es gibt keinen Feierabend. Es ist das Erste, woran du beim Aufstehen denkst und das Letzte, wenn du schlafen gehst – wenn du überhaupt schläfst. Es ist der persönlichste und leidenschaftlichste Job, den ich je hatte, und das macht sich bemerkbar.
MZEE.com: Sprechen wir noch ein bisschen über musikalische Entwicklung. Du hast während der Album-Promo häufig betont, dass du es schade findest, wenn Hörer nicht offen für musikalische Veränderung sind. Wenn du aber ehrlich zu dir bist: Geht es dir nicht auch manchmal so? Oder differenzierst du zwischen verschiedenen Arten der Veränderung?
Yassin: Ich sehe das so: Ein Musiker liefert natürlich Unterhaltung. Aber ein Musiker ist in erster Linie kein Dienstleister, sondern ein Künstler. Wenn er es für wichtig empfindet und den Drang hat, etwas auf eine andere Art zu machen, dann ist das nicht meine Angelegenheit. Ich kann daran teilhaben oder es lassen. Wenn ich von einem Künstler begeistert bin und ihn als Fan gewissermaßen verehre, dann tue ich das, weil er mit seiner Kunst etwas geschaffen hat, das mich berührt, in meinem Leben begleitet oder sogar weitergebracht hat. Eigentlich sollte ich dann aus diesem Respekt heraus seine künstlerischen Ideen und Empfindungen auch respektvoll behandeln und wahrnehmen. Er hat mir schließlich vorher etwas gegeben, was mich so überzeugt, beeinflusst oder berührt hat, dass ich ihm sozusagen verfallen bin. Wenn man beispielsweise ein riesen Kanye-Fan ist und "Yeezus" beim ersten Durchhören nicht nachvollziehen kann und es direkt als Dreck bezeichnet, dann vergisst man meiner Meinung nach, was der Künstler vorher für einen geleistet hat. Aus diesem Respekt heraus sehe ich das ehrlich gesagt immer. Wenn ein Künstler, den ich großartig finde, sich dazu entscheidet, eine Platte zu machen, die meinen Geschmack beim ersten Durchhören nicht trifft, dann höre ich sie mir noch ein zweites Mal an. Wenn ich da noch immer keinen Zugang finden kann, ist das okay. Dann bin ich bei dieser Episode seines künstlerischen Schaffens eben nicht dabei. Das ist auch nicht schade. Die alten Alben existieren schließlich weiterhin. Ich bin zum Beispiel ein großer Björk-Fan, aber ich finde keinen Zugang mehr zu ihren neuen Sachen. Ich höre mir das an und kann nachvollziehen, was sie da macht, aber es berührt mich nicht mehr so. Die Songs von früher werden dadurch aber nicht schlechter. Ich finde sie als Künstlerin deswegen weder unbedeutender, noch habe ich weniger Respekt vor ihrem Schaffen – ich höre es mir nur nicht so gerne an. Das muss nicht das Maß aller Dinge sein, aber das ist meine Haltung gegenüber der Kunst anderer. Ich verurteile zwar niemanden, der das anders macht, jedoch finde ich meinen Weg respektvoller. Deshalb freue ich mich auch total, wenn Leute sagen, dass sie mein Album beim ersten Durchhören nicht mochten oder verstanden haben und sich die Meinung beim zweiten Durchlauf verändert hat. Das ist doch total geil, wenn Musik einen weiterbringt – auch im musikalischen Verständnis. Ich habe bei James Blake Ewigkeiten gebraucht und erkenne mittlerweile, dass der Typ ein Genie ist. Meiner Meinung nach sollte man sowas zulassen, auch wenn jeden Tag eine Million neue Songs erscheinen. Man sollte sich nicht dazu verleiten lassen, dass man Musik wie Essen konsumiert: Einmal durch den Verdauungstrakt, dann wieder raus und nie wieder gesehen. Das finde ich einfach nicht cool – so ist Musik im Ursprung nicht gedacht.
MZEE.com: Hast du schon immer so gedacht? Schließlich bist du soundtechnisch mittlerweile an einem ganz anderen Punkt als zu Beginn deiner Karriere.
Yassin: Ich hatte früher auf jeden Fall Dogmen, durch die ich mir bestimmte Musik nicht angehört habe. Das waren teilweise richtig dumme Sachen wie zum Beispiel die Stadt, aus der die Musik kommt. Man muss aber auch sagen, dass Audio88 und ich beide mit kommerziell nicht erfolgreichem und experimentellem Rap sozialisiert wurden. Anticon und Def Jux – zwei große Underground-Labels aus den USA – haben in den 2000ern sehr viel hervorgebracht und hatten einen großen Einfluss auf den Untergrund. Beide Labels waren musikalisch sehr vielfältig und rückblickend betrachtet wirklich futuristisch, wenn man sich die Soundentwicklung oder die Songstrukturen anschaut. Da wurde progressive Musik gemacht und ich schätze, dass es deshalb für uns schon immer einen Durst nach einem neuen oder anderen Sound gab. Wenn man aber irgendwann seine Ecke findet, in der man sich wohlfühlt, ist das vollkommen in Ordnung – darum geht es mir auch nicht. Genauso wenig geht es darum, Geschmack zu kritisieren. Allerdings glaube ich, dass man sich etwas Gutes tut, wenn man immer wieder Ausflüge wagt und sich auf etwas Neues einlässt. Das habe ich tatsächlich schon immer gemacht. Viele Sachen haben mir natürlich nicht gefallen und man kann sich trotz allem auch über Musik lustig machen oder sie schlecht finden – das ist nicht die Frage. Aber wenn ich einen Künstler respektiere, dann sollte ich auch respektieren, was er mir vorschlägt. Ob ich diesen Vorschlag annehme oder nicht, ist etwas anderes.
MZEE.com: Zum Abschluss würden wir gern noch auf dein spezielles "Notfall-Kit-Bundle" zu sprechen kommen. Was genau hast du dir dabei gedacht und worauf legst du Wert, wenn du eine Premium-Edition konzipierst und veröffentlichst?
Yassin: Uns ist es bei Premium-Editionen immer wichtig, dass es wirklich eine Wertsteigerung für die Fans gibt. Damit meine ich keine finanzielle Wertsteigerung, sondern dass die Premium-Edition ihnen etwas gibt, das wir geil finden, jedoch nur mit mehr Geld umzusetzen ist. Das ist der Hauptbeweggrund. Bei dem Notfall-Kit-Bundle ist das Konzept, dass darin alles enthalten ist, was ich jemandem geben kann, wenn der letzte Tag anbricht. Die große Idee, unter der alles steht, ist, das Ganze so zu versiegeln, dass es praktisch für die Ewigkeit konserviert ist. Und dieser Fakt hat extrem viel Aufwand bedeutet. Wenn wir gesagt hätten, dass alles in Kartons verpackt werden soll, dann hätten wir das in Asien herstellen lassen können, man hätte uns das in Containern geliefert und Leute wären dafür bezahlt worden, dass sie die Boxen zusammenpacken. So wird zumindest in der Regel eine Premium-Box hergestellt. Dieses Vakuumieren und Verschweißen der Inhalte ist so speziell, dass wir es nur in Handarbeit fertigen konnten – das war für uns aber nur ein Grund mehr, das zu machen. Einfach deshalb, weil es für den Fan, der dazu bereit ist, viel Geld zu bezahlen, auch einen emotionalen Wert haben kann. Jedes Exemplar ist ein Unikat. Dann habe ich noch ein handsigniertes Poster beigelegt und drei Leute haben die Möglichkeit, eine Testpressung zu bekommen. Das sind alles Sachen, von denen ich als Fan wirklich etwas habe. Natürlich habe ich auch etwas davon, wenn ich eine Rolex gewinne – logo. Aber die Rolex kann auch eine Firma verlosen. Ein signiertes Poster und die Handverpackung ist schon etwas anderes, weil ich das als Künstler für meine Hörer mache. Ich verurteile niemanden dafür, wenn er eine Box macht und dabei eine Rolex verlost wird. Ich weiß auch, dass man, wenn man 30.000 Boxen verkauft, nicht die Möglichkeit hat, jede per Hand zu verpacken. Wobei das wohl bereits vorgekommen ist. In unserer Größenordnung ist es unsere oberste Maxime, dass wir dem Fan etwas an die Hand geben, wovon er persönlich etwas hat.
(Steffen Bauer & Jens Paepke)
(Fotos von V.Raeter)