Kategorien
Kommentar

"Wir hatten ja nix damals" – Rap und das Ewiggestrige

Ger­ne wird in der HipHop-​Szene die ver­gan­ge­ne Zeit zele­briert. Aber war frü­her wirk­lich alles bes­ser als heu­te? Über die Wahr­neh­mung von Fort­schritt in der Kunst und über öko­no­mi­sche Zwänge.

An die­ser Stel­le möch­ten wir Gedan­ken zu aktu­el­len Gescheh­nis­sen aus dem Deutschrap-​Kosmos zum Aus­druck brin­gen. Die jeweils dar­ge­stell­te Mei­nung ist die des:der Autor:in und ent­spricht nicht zwangs­läu­fig der der gesam­ten Redak­ti­on – den­noch möch­ten wir auch Ein­zel­stim­men Raum geben.

Im Fol­gen­den beschäf­tigt sich unser Redak­teur Simon mit dem Ver­gleich zwi­schen Hip­Hop heu­te und in schein­bar bes­se­ren Zeiten.

 

Es ist eine der Lieb­lings­be­schwer­den aller, sobald sie sich beim mor­gend­li­chen Blick in den Spie­gel mit dem eige­nen Altern aus­ein­an­der­set­zen müs­sen: "Frü­her war's irgend­wie bes­ser." Trost spen­det da oft die Erin­ne­rung an eben­die­ses "Frü­her", mit all sei­nen wich­ti­gen Ein­flüs­sen, zu denen natür­lich auch die Musik der Jugend gehört. An die­sem Punkt lau­ert dann meist ein ver­lo­cken­der Trug­schluss: Der ver­klär­te Blick auf die eige­nen fet­ten Jah­re über­trägt sich auf den Sound­track von damals – und nicht nur der per­sön­li­che, son­dern auch der kul­tu­rel­le Zenit scheint über­wun­den. Das jugend­li­che Selbst, und damit auch des­sen musi­ka­li­sche Prä­gung, wird krea­ti­ver, fri­scher und schö­ner als das heu­ti­ge wahr­ge­nom­men. Die Wer­tung, die in die­ser Wahr­neh­mung liegt, kann dann leicht auf aktu­el­le Musik über­sprin­gen, mit wel­cher eben kei­ne Erin­ne­rung an ver­meint­lich bes­se­re Zei­ten ver­knüpft ist. "Frü­her war's irgend­wie bes­ser." Sol­che Beschwer­den wer­den in dem Fall ger­ne wie­der­holt. Vor fünf, zehn oder 20 Jah­ren sei vie­les ein­fach ech­ter gewe­sen, Skills hät­ten von der Pike auf erlernt wer­den müs­sen und über­haupt sei es mehr um die Kunst an sich, denn ums Geschäft gegangen.

Aber was ist denn über­haupt dran an die­sen Aus­sa­gen? Gab es frü­her tat­säch­lich bes­se­re und gehalt­vol­le­re Kunst als heu­te? Natür­lich nicht. Dies ist nur nost­al­gi­sches Roman­ti­sie­ren ver­gan­ge­ner Zei­ten und nicht mehr. Jeg­li­ches Mit­rap­pen der alten Klas­si­ker mit Gän­se­haut nach dem drit­ten Sekt heißt erst mal nur, dass man bestimm­te Emo­tio­nen damit ver­bin­det. Ob der Track jetzt hand­werk­lich gut oder schlecht ist, scheint da zunächst egal. Und selbst wenn ein beson­ders hoch­wer­ti­ges Stück Musik dabei sein soll­te, dann heißt eine feh­len­de emo­tio­na­le Reak­ti­on auf heu­ti­ge Songs im Umkehr­schluss kei­nes­wegs, dass Tracks in sol­cher Qua­li­tät inzwi­schen nicht mehr pro­du­ziert würden.

Natür­lich gibt es Unter­schie­de, bei­spiels­wei­se zwi­schen 2003 und 2023. Das liegt vor allem an der schie­ren Quan­ti­tät, in der Musik releast wird. In den letz­ten zwei Mona­ten des ver­gan­ge­nen Jah­res wur­den in Deutsch­land so vie­le EPs und Alben ver­öf­fent­licht wie im kom­plet­ten Jahr 2003. Auch sind die Songs inzwi­schen deut­lich kür­zer gewor­den, instru­men­tel­le Intros und Outros für ein­zel­ne Lie­der fin­den sich kaum noch, aus drei 16ern wer­den teil­wei­se zwei 8er. Alle aus die­sen Ver­än­de­run­gen gezo­ge­nen Schlüs­se, dass die­se Ent­wick­lun­gen nach­tei­lig wären, sind jedoch im bes­ten Fall ver­kürzt und in der Regel schlich­te Unter­stel­lun­gen. Was von man­chen Fans und gera­de älte­ren Künstler:innen dar­aus gemacht wird, ist näm­lich häu­fig Fol­gen­des: Heut­zu­ta­ge releasen alle Artists viel häu­fi­ger und viel kür­ze­re Songs. Sie geben sich weni­ger Mühe für das ein­zel­ne Lied und wol­len nur Out­put haben. Statt die Ener­gie in die Kunst zu ste­cken, fließt die­se in die Ver­mark­tung. Durch schnell­le­bi­ge Hypes erar­bei­ten sich die Künstler:innen kei­ne Skills oder eine gesun­de Fan­ba­sis mehr, son­dern pop­pen kurz auf und ver­schwin­den direkt wie­der. Die­se Dar­stel­lung mag sogar auf ein­zel­ne Artists zutref­fen, ist aber ansons­ten als Ana­ly­se der pop­kul­tu­rel­len Ent­wick­lung unge­eig­net, weil das eine nicht zwangs­läu­fig aus dem ande­ren resul­tiert. Natür­lich gibt es heu­te wie damals Künstler:innen, die all ihre Lei­den­schaft und ihr gan­zes Kön­nen in die Kunst ste­cken, die ver­su­chen sich zu ver­bes­sern und wie beses­sen sind von ihrem Schaf­fen. Genau­so wie es vor 20 Jah­ren Leu­te gab, die sich mal ein biss­chen aus­pro­biert haben und einen kur­zen Hype hat­ten, aber nichts Blei­ben­des hin­ter­las­sen konn­ten und nur funk­tio­nier­ten, weil kurz mal alles in Rich­tung Hip­Hop funk­tio­nier­te. Kool Savas hat das vor ein paar Jah­ren ja schon rich­tig beur­teilt: Künstler:innen wie Nina MC, Reen, Cap­puc­ci­no, Ale­xey oder Der Wolf wären fast alle von der Bild­flä­che ver­schwun­den. Wer in die­sem Zusam­men­hang an jun­gen Künstler:innen rum­me­ckert, blen­det sowohl die Nega­tiv­bei­spie­le damals, als auch die Posi­tiv­bei­spie­le heu­te schlicht aus.

Das Ein­zi­ge, das sich nach­weis­lich ver­än­dert hat, sind die tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten, Musik zu pro­du­zie­ren und auf­zu­neh­men. Damit ein­her gehen Aus­wir­kun­gen auf die Kon­kur­renz, in der alle Labels und damit zwangs­läu­fig auch ihre Künstler:innen zuein­an­der­ste­hen. Denn natür­lich lässt sich heu­te viel weni­ger zeit­in­ten­siv tech­nisch hoch­wer­tig pro­du­zie­ren. Effek­te las­sen sich viel genau­er auf die Stim­me legen und kön­nen ver­meint­li­che Makel aus­bü­geln oder Ecken und Kan­ten hin­zu­fü­gen. Kaum jemand braucht ein pro­fes­sio­nel­les Ton­stu­dio, um so zu klin­gen, als habe er oder sie in einem sol­chen auf­ge­nom­men. Wenn sich weni­ger zeit­auf­wän­dig pro­du­zie­ren lässt, bedeu­tet das zwangs­läu­fig, dass die Kos­ten dafür sin­ken. Dem­entspre­chend muss mehr pro­du­ziert wer­den, um in der Kon­kur­renz mit den ande­ren Marktteilnehmer:innen bestehen zu kön­nen. Da sind erst ein­mal kei­ner­lei künst­le­ri­sche Facet­ten in den Über­le­gun­gen ent­hal­ten, son­dern rein öko­no­mi­sche Sach­zwän­ge. Dar­in ein­ge­schlos­sen sind auch die erhöh­te "Fan­nä­he" über Social Media und ande­re Mar­ke­ting­tricks. Davon kön­nen sich ein­zel­ne Künstler:innen und Labels ein wenig befrei­en, wenn sie eine bestimm­te Nische bedie­nen. Für den Groß­teil ist die­ses Ver­hält­nis von Out­put und Kon­kur­renz jedoch eine Gege­ben­heit, mit der man ler­nen muss umzu­ge­hen und die man nicht nach Belie­ben ändern kann.

Statt also die gan­ze Zeit einen letzt­lich sinn­lo­sen Ver­gleich zu angeb­lich bes­se­ren, weil ver­gan­ge­nen Zei­ten zu zie­hen und in Nost­al­gie zu ver­sin­ken, lohnt es sich, das Wesent­li­che in den Blick zu neh­men: Geschäft ist nun mal Geschäft und Pop­kul­tur ist Pop­kul­tur. Alle müs­sen lie­fern und alle müs­sen Geld ver­die­nen. Um das zu schaf­fen, müs­sen sich alle anpas­sen. Das mag zwar dazu füh­ren, dass es in der Regel mehr Schmutz als Per­len gibt. Das war aber schon immer so und nach Per­len muss man eben manch­mal ein biss­chen tau­chen. Dafür macht es umso mehr Spaß, wenn eine gefun­den wird.

(Simon Back)
(Gra­fik von Dani­el Fersch)