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DIGGEN mit ...

DIGGEN mit Mine

"Es ist rich­tig schwer, femi­nis­ti­sche Tex­te zu schrei­ben und nicht nach Poet­ry Slam zu klin­gen." – Die­ses Mal kram­te Mine für "DIGGEN mit …" in ihrer gedank­li­chen Plat­ten­kis­te und stell­te eine Play­list mit ihren liebs­ten Songs aus dem letz­ten Jahr zusammen.

Das ers­te Kon­zert, das man ohne Eltern besu­chen durf­te. Nachts allei­ne auf der Auto­bahn und den glei­chen Song immer und immer wie­der hören, weil man nicht fas­sen kann, wie gut er ist. Der Track, den man mit den Freund:innen von frü­her laut grö­lend auf jeder Par­ty mit­ge­sun­gen hat. Ver­mut­lich kennt jeder Mensch die­sen Moment: Es läuft ein bestimm­tes Lied oder Album, das einen direkt emo­tio­nal in eine Situa­ti­on zurück­ver­set­zen kann, nost­al­gisch wer­den lässt oder ein­fach nur auf­grund sei­ner Mach­art immer wie­der zum Stau­nen bringt. Und genau dar­um geht es in unse­rem For­mat "DIGGEN mit …". Wir dig­gen mit ver­schie­de­nen Protagonist:innen der Sze­ne in ihren gedank­li­chen Plat­ten­kis­ten und spre­chen über Musik, die die­se Emo­tio­nen in ihnen aus­löst. Dafür stel­len unse­re Gäs­te jeweils eine eige­ne Play­list mit Songs zusam­men, die sie bewe­gen, begeis­tern und inspirieren. 

Die­ses Mal war die Künst­le­rin Mine in unse­rem For­mat zu Gast und hat eine Play­list mit ihren liebs­ten Songs aus dem letz­ten Jahr mit­ge­bracht. Musik, die sie sehr berührt, aber auch das Meist­ge­hör­te aus 2023. Sie erklär­te uns im Inter­view, wie­so sie die femi­nis­ti­schen Tex­te von Fly­a­na Boss sehr anspre­chend fin­det, wes­halb ROSALÍA die viel­leicht bes­te Live-​Show aller Zei­ten hat und war­um es für sie Musik auf­wer­tet, wenn alles aus einem Guss kommt.

 

 

1. ROSALÍA – BIZCOCHITO (prod. by ROSALÍA & Micha­el Uzowuru)

Mine: Ich gehe viel auf Kon­zer­te – also min­des­tens ein­mal die Woche, wenn ich nicht gera­de frisch Mut­ter gewor­den bin. (lacht) Und ich bin wirk­lich kein Fan von Super­la­ti­ven, aber ich schwö­re: Das ROSALÍA-​Konzert war das bes­te Kon­zert, das ich in mei­nem Leben gese­hen habe. Es war per­fekt, beein­dru­ckend und krass insze­niert. Die Idee der Show war, dass ein Kon­zert­film live gedreht wird. Die Loca­ti­on war ziem­lich plain und es waren drei gro­ße LED-​Wände hin­ter ihr und an den Sei­ten auf­ge­stellt. Sie stand da mit unge­fähr zehn Tänzer:innen, die extrem geil cho­reo­gra­fiert waren. Und über die gan­ze Show hin­weg war ein Kame­ra­team dabei, das sie gefilmt hat, gleich­zei­tig aber wie­der zur Insze­nie­rung dazu­ge­hör­te. Das Film­ma­te­ri­al wur­de wäh­rend­des­sen auf die LED-​Wände über­tra­gen. Und trotz die­ser auf­wän­di­gen Insze­nie­rung war der Auf­tritt authen­tisch. Zwi­schen­drin hat sie immer wie­der spon­ta­ne Ansa­gen gemacht, was man dar­an gemerkt hat, dass sie indi­vi­du­ell auf Besucher:innen ein­ge­gan­gen ist. Oder sie stand allei­ne mit der Gitar­re auf der Büh­ne und hat beim Sin­gen geweint. Es war so emo­tio­nal und musi­ka­lisch sehr abwechs­lungs­reich und kurz­wei­lig. Es war ein­fach alles dabei und das hat mich sehr beeindruckt.

 

2. Ash­nik­ko – Worms (prod. by Dylan Bra­dy & Slinger)

Mine: Inzwi­schen ist es bestimmt drei Jah­re her, dass ich an der Pop­aka­de­mie unter­rich­tet und im Zuge des­sen SATARII ken­nen­ge­lernt habe. Im Unter­richt hat sie mich gefragt, ob ich Ash­nik­ko ken­ne und mir ihre Musik gezeigt. Ich fand sie in dem Moment beein­dru­ckend, aber sie hat mich emo­tio­nal irgend­wie nicht rich­tig gekriegt. Vor gut einem Jahr bin ich auf den Zug auf­ge­sprun­gen und habe das Album "WEEDKILLER" gebingt. Ihre Tex­te sind so gut und so wit­zig! Ich bin gro­ßer Fan und mag das Gesamt­kunst­werk, das Ash­nik­ko ablie­fert. "Worms" zum Bei­spiel ist zwar sehr pop­pig, aber nicht chee­sy. Es ist ein per­fek­ter Popsong.

 

3. Fever Ray – Kan­dy (prod. by Karin Drei­jer, Olof Drei­jer & Johan­nes Berglund)

Mine: "Kan­dy" wur­de mir vom Algo­rith­mus rein­ge­spült und obwohl Fever Ray wirk­lich berühmt ist, kann­te ich den Song gar nicht. Beim ers­ten Mal Anhö­ren hat er mich auch noch nicht gekriegt, aber dann habe ich ihn immer und immer wie­der gehört, weil er ein­fach toll pro­du­ziert ist. Es ist alles genau da, wo es hin­ge­hört. Dar­auf­hin habe ich mehr gehört und fest­ge­stellt, wie durch­dacht und trotz­dem nah­bar die­se Künstler:in ist. Ich mag es ja, wenn man manch­mal ekel­haf­te Sachen macht und lie­ber einen star­ken Aus­druck hat, als über Schön­heit zu gehen. Man soll­te Fever Ray aber auf jeden Fall auch auf Album­län­ge hören.

 

4. POLIÇA – Wan­de­ring Star (prod. by POLIÇA)

Mine: Der Song wur­de mir auf Insta­gram von jeman­dem emp­foh­len und ich war beim Hören direkt voll drin­nen. Ich bin schon seit mei­nem neun­ten Lebens­jahr gro­ßer The Cranberries-​Fan und kann jeden Song kom­plett aus­wen­dig – vom Style hat mich "Wan­de­ring Star" an ihre Musik erin­nert. POLIÇA singt aber auch fast schon ÄTNA-​mäßig, weil sie mit ähn­lich viel Zer­re auf der Stim­me arbei­tet. Das gan­ze Album ist geil, aber "Wan­de­ring Star" hat mich direkt berührt. Ich kann dazu sehr gut heu­len. (lacht)

 

5. Léo­nie Per­net – Mon amour tu bois trop (prod. by Léo­nie Pernet)

Mine: Ich fin­de Musik­vi­de­os sehr wich­tig und die künst­le­ri­sche Ent­schei­dung steht auch dabei immer über allem für mich. Prin­zi­pi­ell bin ich eher dafür, "wirt­schaft­lich dum­me", aber künst­le­risch rich­ti­ge Ent­schei­dun­gen zu tref­fen – so auch bei mei­nem aktu­el­len Album: Eigent­lich hät­ten wir für ande­re Songs Vide­os gebraucht, aber ich habe es bei denen, die es gewor­den sind, mehr gefühlt, weil die Idee zu per­fekt gepasst hat. Und das weiß ich bei Léo­nie Per­net auch sehr zu schät­zen. Es gibt ein Live-​Video von ihr, in dem sie Drums spielt und singt und ein zot­te­li­ges Wesen durch die Wüs­te rennt. Alles dar­an ist ästhe­tisch und gut gemacht. Ich kann mich dafür auch noch mehr begeis­tern, wenn Künstler:innen nicht so groß sind. Musik­vi­de­os sind wahn­sin­nig teu­er, und wenn du viel Geld hast, ist es viel ein­fa­cher, ein gutes Video zu machen, weil du alle Ideen umset­zen kannst. Aber es ist schwie­rig, Ideen zu ent­wi­ckeln, die finan­zi­ell umsetz­bar sind. Bei Léo­nie Per­net habe ich immer das Gefühl, dass der künst­le­ri­sche Anspruch ein sehr hoher ist. Sie ist halt auch eine rich­ti­ge Musi­ke­rin … Sie spielt Drums, die Tex­te sind krass und die Art, wie sie singt und pro­du­ziert, fin­de ich sehr gut. Bei­spiels­wei­se legt sie oft ihre Stim­me dop­pelt über­ein­an­der. Des­we­gen ist es mir eine gro­ße Ehre, dass sie Fea­ture­gast auf mei­nem aktu­el­len Album ist.

MZEE​.com: In dei­ner Play­list sind vie­le Künstler:innen gelan­det, die ihre Songs kom­plett eigen­stän­dig pro­du­zie­ren. Ist das etwas, das Musik für dich aufwertet?

Mine: Ja, ich fin­de, dass das Musik auf­wer­tet. Viel­leicht ist das blöd, aber wenn mir ein Lied gefällt, gucke ich als Ers­tes in die Cre­dits, auch weil ich den Schaf­fens­pro­zess sehr inter­es­sant fin­de. Wenn ich dann sehe, dass Ali Zuc­kow­ski den Song geschrie­ben hat, ist das schon ein Dämp­fer – weil der halt alle Nummer-​1-​Hits macht. Als ich irgend­wann gehört habe, dass die Leu­te im Radio ihre Songs nicht selbst schrei­ben, ist eine Welt für mich zusam­men­ge­bro­chen. Ich kam vom klei­nen Dorf und wuss­te das nicht! Es inter­es­siert mich auf jeden Fall mehr, wenn ich weiß, dass jemand sei­ne Musik selbst macht. Sie kann aber natür­lich auch im Team entstehen.

 

6. Chris­ti­ne and the Queens – Full of life (prod. by Chris­ti­ne and the Queens, Tom­my Rush & Mike Dean)

Mine: Chris­ti­ne and the Queens ist eh geil, aber der Song holt mich beson­ders ab. Im Hin­ter­grund ist ja der Pachelbel-"Kanon" zu hören – den man als einen Gas­sen­hau­er der Klas­sik bezeich­nen kann. Für vie­le ist das zu Kom­merz, aber ich mag das Stück, auch weil ich es als Kind oft gespielt habe. Nor­ma­ler­wei­se kann ich es nicht so lei­den, wenn man ein­fach etwas Altes nimmt und etwas Neu­es drü­ber­legt, aber "Full of life" habe ich wirk­lich viel gehört. Die Quintfall-​Harmonien und die Pro­duk­ti­on in Kom­bi­na­ti­on mit der Stim­me mag ich sehr und text­lich fin­de ich den Song eben­falls sehr gut: "Even though you see me, you'll never let me be your boy­fri­end." Das hat rich­tig gekickt.

 

7. Sym­ba – Hdgdl (prod. by Stickle)

Mine: "Hdgdl" von Sym­ba fin­de ich text­lich auch sehr gut. Ich weiß nicht war­um, aber der darf das irgend­wie. (lacht) Es gibt aber auch ver­schie­de­ne Arten von Fla­shen. "Hdgdl" hat mich über­rascht, weil es eigent­lich so oll ist, aber die Art, wie es getex­tet und gerappt wur­de, ist so anders als alles, was ich ken­ne. Das ist nicht aus­tausch­bar. "Mit den Team­boys häng' ich ab, zwan­zig Joints in mei­ner Tasche." – Das hät­te ich auch gern geschrieben …

 

8. Golow – Das kann man nicht pla­nen (prod. by unbekannt)

Mine: Wenn es aber dar­um geht, mit Tief­gang zu fla­shen, fin­de ich "Das kann man nicht pla­nen" gut. Den hat mir Mau­li geschickt und obwohl das erst im Okto­ber war, war das mein meist­ge­hör­ter Song 2023, weil ich ihn drei Tage am Stück gehört habe.

 

9. Shel­ly Phil­lips – Hal­lo (prod. by Den­nis Borger)

Mine: Von Shel­ly Phil­lips hal­te ich sowohl mensch­lich als auch musi­ka­lisch viel und ich bin sehr gespannt, wo ihre künst­le­ri­sche Rei­se hin­geht. Ich ken­ne noch nicht vie­le ihrer Songs und es gibt bis­her auch nur weni­ge ver­öf­fent­lich­te, aber ich wür­de jedem Men­schen da drau­ßen emp­feh­len, auf ein Kon­zert von ihr zu gehen. Als ich Shel­ly das ers­te Mal auf der Büh­ne gese­hen habe, war ich beein­druckt. Sie hat­te kras­ses Lam­pen­fie­ber, aber das Publi­kum im Griff, weil sie eine fast schon schau­spie­le­ri­sche Art hat zu per­for­men, die nicht gespielt ist. Die­se Art scheint ein­fach aus ihr her­aus­zu­kom­men. Und weil ich sie so bewun­de­re, woll­te ich "Hal­lo" mit in die Play­list neh­men. Außer­dem wür­de es mich sehr freu­en, wenn vie­le Men­schen Shel­ly Phil­lips musi­ka­li­schen Weg als Konsument:innen beglei­ten, da das sicher­lich span­nend wird.

 

10. Sys­tem­ab­sturz – Knut­schen (prod. by Systemabsturz)

Mine: "Knut­schen" habe ich erst ein­mal gehört; und zwar als ich die­se Play­list zusam­men­ge­stellt habe. Ich fand den Song ein­fach wit­zig. Ich ste­he aber auch auf die­se aktu­el­le Techno-​Welle, ich konn­te damit in mei­ner Jugend näm­lich über­haupt nichts anfan­gen … Viel­leicht ist das mein Glück. Vie­le Leu­te, die frü­her Tech­no gehört haben, sind eher genervt davon, dass es damit gera­de wie­der los­geht, aber ich bin ein unbe­schrie­be­nes Blatt und offen für neue Ein­flüs­se. Domi­zia­na und Bru­ta­lis­mus 3000 mag ich zum Bei­spiel sehr ger­ne. Den Song von Sys­tem­ab­sturz habe ich gehört und hat­te ein­fach Lust, noch ein biss­chen was ande­res mitzubringen.

 

11. ELOI – Sol­eil Mort (prod. by ELOI)

Mine: Den lie­be ich! Ich fin­de, man hört, dass ELOI jung ist und, was das The­ma Pro­duk­ti­on angeht, noch am Anfang steht, aber von der Art, wie sie pro­du­ziert, habe ich mir eini­ges abge­guckt. Als ich "Sol­eil Mort" ent­deckt habe, woll­te ich sofort ins Stu­dio gehen und einen Song schrei­ben. Ich könn­te auch gar kei­ne Musik machen, ohne wel­che zu hören. Natür­lich kom­men mei­ne Ideen nicht nur durch ande­re Künstler:innen, son­dern durch alle mög­li­chen Ein­flüs­se, aber oft bin ich von ande­ren Men­schen oder beson­de­ren Instru­men­ten inspi­riert. Wenn mich etwas begeis­tert, habe ich meis­tens direkt Bock, mich hin­zu­set­zen und Musik zu machen. Das wächst dann aber in eine ganz ande­re Rich­tung und wird nicht wie das, was mich ursprüng­lich inspi­riert hat.

 

12. Sen­se­l­ess Opti­mism – lost my mind (in yours) (prod. by Sen­se­l­ess Optimism) 

Mine: "lost my mind (in yours)" habe ich auf Tik­Tok ent­deckt und fand es span­nend, dass die Künst­le­rin gleich­zei­tig Schlag­zeug, Bass und Gitar­re auf einer Wie­se spielt, weil sie es so geschnit­ten hat, dass es wie ein Bild aus­sieht. Und dabei tanzt sie rich­tig wild. Außer­dem ist die Hook ein­fach nur geil. Das ist genau mein Geschmack. Lei­der feie­re ich ihre ande­ren Songs bis­her nicht so, aber ich blei­be auf jeden Fall dran.

 

13. Fly­a­na Boss – Fon­due (prod. by Mar­ky Style & Pierre-​Antoine Melki)

Mine: "Make me melt like fon­due." – Das ist so sty­lish! Viral gegan­gen sind die bei­den, weil sie gerannt sind und alle plötz­lich sol­che Vide­os gemacht haben. Das hat dann auch zu einem Fea­ture mit Mis­sy Elliott geführt, das ist doch krass. Ich feie­re die Mucke von Fly­a­na Boss aber auch und habe sie den gan­zen letz­ten Som­mer gehört. Und die Art, wie sie ihre Tex­te per­for­men, fin­de ich echt sexy. Mir fällt lei­der kein bes­se­res Wort dafür ein, aber das ist ein­fach fresh. Man will mit denen abhän­gen, weil sie so cool sind. Sie haben femi­nis­ti­sche Tex­te, ohne Femi­nis­mus zu schrei­en. Es ist rich­tig schwer, femi­nis­ti­sche Tex­te zu schrei­ben und nicht nach Poet­ry Slam zu klin­gen. Und das ist hier ein­fach gut umgesetzt.

 

All die­se Tracks fin­det ihr hier in unse­rer "DIGGEN mit Mine"-Playlist auf Spotify.

(Yas­mi­na Rossmeisl)
(Foto von Bas­ti­an Bochinski)