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Interview

B-​Girl Jilou – ein Gespräch über die Breaking-​Szene in Deutschland

"Es liegt in unse­rer Ver­ant­wor­tung, die nächs­te Gene­ra­ti­on rich­tig zu füh­ren. Dass wir den Spi­rit unse­rer Sze­ne bei­be­hal­ten, ist nicht der Job der Olym­pi­schen Spie­le, son­dern unser eige­ner." – B-​Girl Jilou über die Zukunft des Brea­kings in Deutschland.

Wenn Ende Juli 2024 die Olym­pi­schen Som­mer­spie­le in Paris star­ten, erwar­tet Fans eine Pre­mie­re: Erst­mals steht Brea­king auf der Lis­te der Sport­ar­ten, in denen um Medail­len gekämpft wird. Auch Deutsch­land wird mit dem "Bun­des­ka­der Brea­king" ver­tre­ten sein, der bereits seit eini­gen Jah­ren unter dem Dach des Deut­schen Tanz­sport­ver­bands auf­ge­baut wird. Eine der größ­ten Medail­len­hoff­nun­gen im Breaking-​Kader Deutsch­lands ist San­ja Jil­wan Rasul, bes­ser bekannt als B-​Girl Jilou. Die 31-​Jährige ent­deck­te ihre Lei­den­schaft für Bewe­gung, Musik und Krea­ti­vi­tät bereits als Kind und fand mit Brea­king die per­fek­te Kunst­form, um all die­se Ele­men­te zu ver­ei­nen. Heu­te blickt sie als wohl erfolg­reichs­tes deut­sches B-​Girl auf jah­re­lan­ge Erfah­rung, meh­re­re natio­na­le Meis­ter­ti­tel, World Cham­pi­on­ships und wei­te­re gewon­ne­ne Com­pe­ti­ti­ons zurück. Des­halb liegt es auf der Hand, mit Jilou über den Sta­tus quo der deut­schen Breaking-​Szene zu spre­chen. In unse­rem Inter­view schil­der­te sie, wel­che Aus­wir­kun­gen die Teil­nah­me an den Olym­pi­schen Spie­len auf die Sze­ne hat, wie viel­fäl­tig die Mög­lich­kei­ten im Brea­king sind und war­um es wie­der mehr Crew-​Battles braucht.

MZEE​.com: Am 7. Dezem­ber 2020 hat das Inter­na­tio­na­le Olym­pi­sche Komi­tee ent­schie­den, Brea­king als Dis­zi­plin für die Spie­le 2024 auf­zu­neh­men. Weißt du noch, was die ers­ten Gedan­ken oder Gefüh­le waren, die dir damals durch den Kopf gingen?

Jilou: Es war wie ein Kind­heits­traum, der wie­der auf­lebt. Ich habe mit sechs ange­fan­gen zu tur­nen und schon damals davon geträumt, ein­mal bei den Olym­pi­schen Spie­len mit­zu­ma­chen. Das Tur­nen und den Traum von Olym­pia habe ich irgend­wann auf­ge­ge­ben – bis ich 2012 bei den Olym­pi­schen Spie­len in Lon­don die Soul Mavericks gese­hen habe, eine eng­li­sche Breaking-​Crew. Sie hat dort bei der Eröff­nungs­fei­er getanzt. Ab da habe ich mir gewünscht, ein­mal selbst Tän­ze­rin bei der Eröff­nungs­fei­er zu sein. Jetzt ist Brea­king eine olym­pi­sche Dis­zi­plin. Des­halb fühlt es sich an wie ein alter Traum, der wahr wird. Eigent­lich trai­nie­ren wir immer nur für das nächs­te Batt­le und auch die Olym­pi­schen Spie­le sind im Prin­zip nur ein wei­te­res. Aber sie füh­len sich gleich­zei­tig anders an – wie ein neu­es gro­ßes Ziel, auf das man Schritt für Schritt hin­ar­bei­tet. Das gibt zusätz­li­che Moti­va­ti­on für das Training.

MZEE​.com: Was bedeu­tet die­ser Schritt für die Breaking-​Szene und wel­che Aus­wir­kun­gen hat­te Olym­pia bereits im Vorfeld?

Jilou: Ich glau­be, die Aus­wir­kun­gen sind sogar jetzt am inten­sivs­ten. Sobald die Spie­le vor­bei sind, wird die gro­ße Wel­le erst ein­mal lang­sam abeb­ben. Die wich­tigs­te Aus­wir­kung ist, dass es für Tänzer:innen ganz neue Mög­lich­kei­ten im Bereich Spon­so­ring gibt. Wir bekom­men viel mehr Auf­merk­sam­keit von Mar­ken wie Nike, mit denen ich selbst zusam­men­ar­bei­te. Das wäre ohne die Olym­pi­schen Spie­le nicht mög­lich gewe­sen. Außer­dem haben wir jetzt eine grö­ße­re Platt­form, um sozi­al­kri­ti­sche The­men anzu­spre­chen, die auch in unse­rer Sze­ne ein Pro­blem sind, die wir aber auch teil­wei­se inner­halb der Sze­ne lösen können.

MZEE​.com: Wel­che The­men sind das zum Beispiel?

Jilou: Eines, das mir am Her­zen liegt, ist das The­ma sozia­le Unge­rech­tig­keit und unglei­cher Zugang zu Mög­lich­kei­ten. Die Olym­pi­schen Spie­le ver­su­chen natür­lich, so gerecht wie mög­lich zu sein. Aber es gibt Län­der wie Deutsch­land, in denen wir Athlet:innen nur in einem Rei­se­bü­ro anru­fen müs­sen und einen Flug bekom­men, der uns auch noch bezahlt wird. In ande­ren Län­dern müs­sen sie um jeden Cent kämp­fen und oft alles selbst bezah­len. Des­halb ist mei­ner Mei­nung nach der Zugang zu den Olym­pi­schen Spie­len noch nicht gerecht. Viel­leicht könn­te jedes Land in einen Topf ein­zah­len und darf am Ende zwei Athlet:innen stel­len, die dar­aus bezahlt wer­den. Ein wei­te­res The­ma ist die Gerech­tig­keit der Geschlech­ter. Men­schen sol­len ein­fach fair behan­delt wer­den. Das heißt für mich nicht, dass alle unbe­dingt das Glei­che bekom­men müs­sen. Aber man­che brau­chen ein­fach ein biss­chen mehr Mög­lich­kei­ten als ande­re. Und anders­her­um: Wer schon 1 000 Mög­lich­kei­ten hat, braucht viel­leicht nicht noch mehr. So kann man auch Unge­rech­tig­kei­ten ausgleichen.

MZEE​.com: Du bist schon sehr lan­ge dabei. Nimmst du bei der Geschlech­ter­ge­rech­tig­keit im Brea­king in den letz­ten Jah­ren bereits Fort­schrit­te wahr?

Jilou: Ja, abso­lut. Durch die Olym­pi­schen Spie­le gab es einen gro­ßen Schritt, weil wir jetzt alle die glei­chen Auf­ga­ben erfül­len müs­sen, um dort­hin zu gelan­gen. Es geht jetzt nicht mehr, dass die Jungs bei einem Event 2.000 Euro Preis­geld bekom­men und die Mädels ein T-​Shirt. Man muss dazu­sa­gen, dass alle Com­pe­ti­ti­ons, die in Rich­tung Olym­pia gehen, in binä­re Geschlechter-​Kategorien auf­ge­teilt sind. Das ist sonst eigent­lich nicht so, weil es im Brea­king neben einer sepa­ra­ten Kate­go­rie für die Mädels nor­ma­ler­wei­se eine offe­ne Kate­go­rie gibt, an der Frau­en und Män­ner teil­neh­men kön­nen. Das ist eigent­lich cool, obwohl die Preis­gel­der oft unter­schied­lich sind. Wenn das Preis­geld im offe­nen Batt­le 1.000 Euro beträgt und in dem für Frau­en nur 500 Euro, habe ich so gese­hen näm­lich mehr Mög­lich­kei­ten. Ich kann ja bei­de gewin­nen. Um ehr­lich zu sein, ist das auch schon pas­siert. (lacht) Bei einer Com­pe­ti­ti­on in Mexi­ko habe ich mich zum Spaß in der offe­nen Kate­go­rie ein­ge­schrie­ben. Plötz­lich stand ich im Fina­le und muss­te dadurch fünf Run­den am Stück weg­tan­zen, weil es direkt auf das Fina­le der Frau­en folg­te. Nie­mand hat­te damit gerech­net, dass eine Frau sich für bei­de qualifiziert.

MZEE​.com: Und dann hast du bei­de gewonnen.

Jilou: Ja, ich habe jetzt zwei Tro­phä­en von dort zu Hau­se ste­hen. In sol­chen Fäl­len fin­de ich es okay, wenn das Bud­get bei den B-​Girls ein biss­chen nied­ri­ger ist. Vom mone­tä­ren Aspekt abge­se­hen gibt es aber etwas, wo wir noch nicht an einem gerech­ten Punkt ange­kom­men sind, und zwar bei der gene­rel­len Auf­merk­sam­keit für B-​Girls. Das ist mir zuletzt beim Red Bull BC One Last Chance-​Qualifier auf­ge­fal­len. (Anm. d. Red.: Red Bull BC One ist eine jähr­li­che, welt­wei­te Serie von Breaking-​Competitions, die 2023 im "World Final" in Paris ende­te.) Beim Last Chance-​Qualifier wer­den für Frau­en und Män­ner jeweils die letz­ten vier von 16 Plät­zen für das Fina­le ver­ge­ben. Ich habe da mit­ge­macht und mir spä­ter deren Instagram-​Kanal ange­guckt. Dort wur­den wäh­rend der Com­pe­ti­ti­on vier Run­den von Män­nern als Video gepos­tet, am nächs­ten Tag noch mal zwei und dann eine Run­de von der Gewin­ne­rin bei den Frau­en. Das war's. Die Män­ner hat­ten also sechs­mal mehr Auf­merk­sam­keit als die Frau­en. Das bedeu­tet auch eine sechs­mal höhe­re Chan­ce, von Spon­so­ren gese­hen zu wer­den oder sei­ne eige­nen Spon­so­ren auf die­se Platt­form zu brin­gen. So was kann man in vie­len Berei­chen beob­ach­ten. Ich fin­de zum Bei­spiel die Initia­ti­ve Key­ch­an­ge sehr cool. Da geht es dar­um, dass sich Radio­sen­der für Geschlech­ter­ge­rech­tig­keit in der Musik ein­set­zen. Ich rei­se oft und höre dabei ger­ne COSMO. Die haben als einer der ers­ten öffentlich-​rechtlichen Sen­der gesagt: "Wir wer­den Teil von Key­ch­an­ge und spie­len fifty-​fifty Musik von Frau­en und Män­nern." Das ist auch in der Musik ein auf­fäl­li­ges The­ma. Ich bin mal durch mei­ne eige­nen Play­lists gegan­gen und habe bemerkt, dass da zu 90 Pro­zent Musik von Män­nern drin war. Was glau­be ich vie­len noch mehr bewusst wer­den kann, ist, dass mehr Auf­merk­sam­keit im Fal­le von Künstler:innen am Ende auch ein­fach mehr Geld bedeu­tet. Je gerech­ter die media­le Auf­merk­sam­keit ist, des­to gerech­ter ist auch die mone­tä­re Verteilung.

MZEE​.com: Weil du das The­ma Geld ansprichst: Nicht jede:r aus der Sze­ne jubelt dar­über, dass Brea­king jetzt eine olym­pi­sche Dis­zi­plin ist. Damit ein­her geht bei­spiels­wei­se, dass sich Ver­bands­struk­tu­ren pro­fes­sio­na­li­sie­ren und Brea­king mit einem star­ren Wer­tungs­sys­tem belegt wird. In Tei­len geht auch die Angst vor Kom­mer­zia­li­sie­rung der Sze­ne um. Nimmst du die­se Beden­ken wahr und kannst du sie nachvollziehen?

Jilou: Ja, die neh­me ich wahr. Ver­ste­hen kann ich sie nicht. Sol­che Stim­men hän­gen tat­säch­lich oft mit Neid zusam­men, glau­be ich. Ich bin eine gro­ße Befür­wor­te­rin der Olym­pi­schen Spie­le und den­ke nicht, dass sie Brea­king als Kul­tur zer­stö­ren wer­den. Wenn wir unse­re Wer­te bei­be­hal­ten und wei­ter aus­le­ben, kön­nen sie uns gar nichts anha­ben. Es liegt in unse­rer Ver­ant­wor­tung, die nächs­te Gene­ra­ti­on rich­tig zu füh­ren. Dass wir den Spi­rit unse­rer Sze­ne bei­be­hal­ten, ist nicht der Job der Olym­pi­schen Spie­le, son­dern unser eigener.

MZEE​.com: Wel­che Auf­ga­ben kom­men da auf euch zu?

Jilou: Eine Sache, die wir bis­her ver­passt haben, ist, dass die meis­ten Events heu­te kaum mehr Cyphers haben. Dazu muss man mitt­ler­wei­le auf aus­ge­wähl­te Com­pe­ti­ti­ons gehen. Ich bin so auf­ge­wach­sen, dass man auf der einen Sei­te des Raums ein Batt­le hat­te und auf der ande­ren Sei­te die Leu­te sich den Arsch abge­cy­phert haben. Das ist ver­lo­ren gegan­gen, was zum Teil auch dar­an liegt, dass sich vie­le aus mei­ner Gene­ra­ti­on nicht mehr in eine Cypher set­zen. Aber wie soll die nächs­te Gene­ra­ti­on das denn ler­nen, wenn wir nicht rein­ge­hen und ihnen zei­gen, wie das geht? Heu­te gehen die Kids in die Cypher, pro­bie­ren etwas, fal­len auf den Arsch, pro­bie­ren es noch mal und ich den­ke mir nur: "Wer hat dir das bei­gebracht? So geht das in der Cypher nicht, da musst du zei­gen, wer du bist! Also raus mit dir, geh trai­nie­ren und zeig dann noch mal, wer du bist." Man­che haben ver­passt, dass eine Cypher kei­ne Auf­wärm­mög­lich­keit oder Ähn­li­ches ist. Das ist ein The­ma, bei dem ich ver­su­che, mei­ner Gene­ra­ti­on ein biss­chen in den Arsch zu tre­ten und zu sagen: "Nehmt die Kids an die Hand. Wenn ihr eine Crew habt, nehmt eine neue Gene­ra­ti­on auf und bringt ihnen etwas bei." Die­ses klas­si­sche "Each one teach one"-Prinzip ist total wichtig.

MZEE​.com: Gehört für dich dazu auch, klar­zu­ma­chen, dass Brea­king mehr ist als das, was rund um Olym­pia geschieht?

Jilou: Ja, das ist nur eine Platt­form, nur eine Mög­lich­keit von vie­len. Nie­mand ist ver­pflich­tet, dar­an teil­zu­neh­men. Es gibt immer noch genug Jams oder ande­re Events. Man muss nur hin­ge­hen. Ich ver­su­che, da einen Aus­gleich hin­zu­krie­gen. Neben den Ranking-​Events, wo sich ent­schei­det, wer zum deut­schen Kader gehört, ver­su­che ich auch zu den wich­tigs­ten Szene-​Veranstaltungen zu gehen. Mit­te Novem­ber flie­ge ich zur Freestyle-​Session nach Los Ange­les, wo man bei einem Meet and Greet die ers­te und zwei­te Gene­ra­ti­on Brea­king aus New York tref­fen kann. Das wird rich­tig cool. Es gibt so vie­le Mög­lich­kei­ten, unse­re Kul­tur aus­zu­le­ben. Als Tänzer:in kannst du so wie ich leben, also als Fulltime-​Athletin mit Spon­so­ring. Dann trai­nierst du, küm­merst dich um dei­ne Part­ner und machst viel für die Medi­en. Du kannst aber auch im Show­busi­ness sein und Cho­reo­gra­fien auf gro­ßen Büh­nen machen. Du kannst Wer­be­sports machen oder in Kur­sen unter­rich­ten und so ein regel­mä­ßi­ges Ein­kom­men erzie­len, bei dem du viel­leicht kür­ze­re Wege hast und im Gegen­satz zu mir in dei­ner Stadt bleibst. Oder du machst Thea­ter und spielst dei­ne Stü­cke neun Mona­te lang in Frank­reich, dann drei Mona­te lang in Öster­reich und lebst dich so krea­tiv aus. Und selbst­ver­ständ­lich kannst du auch ein­fach einen Job machen, der nichts mit Brea­king zu tun hat, abends nach Hau­se kom­men und zum Trai­ning gehen. Es gibt so vie­le Wege. Des­halb hat das Meckern über Olym­pia ein­fach kei­ne Sub­stanz. Du willst damit nichts zu tun haben? Cool, dann leg das Han­dy weg und geh zur nächs­ten Jam. Dort kannst du auch was für die Sze­ne machen.

MZEE​.com: Du hast schon an vie­len inter­na­tio­na­len Com­pe­ti­ti­ons teil­ge­nom­men und kommst auch sonst gut her­um. Wie pro­fes­sio­na­li­siert erlebst du die deut­sche Breaking-​Szene im inter­na­tio­na­len Vergleich?

Jilou: Ich glau­be, Deutsch­land ist extrem weit vor­ne und sehr gut auf­ge­stellt. Wir haben durch den Deut­schen Tanz­sport­ver­band kras­se Struk­tu­ren bekom­men. Der Ver­band hät­te zwar hier und da etwas mehr mit der Sze­ne kom­mu­ni­zie­ren kön­nen, aber das ist Meckern auf hohem Niveau. Ich den­ke, die haben sich am Anfang auch unter Druck gesetzt gefühlt und woll­ten alles ganz schnell machen. So ist das nun mal in Deutsch­land: Man hat eine Dead­line und dann muss etwas ste­hen. Dadurch, dass die Struk­tu­ren so schnell geschaf­fen wur­den, muss­te man an man­chen Stel­len einen Kom­pro­miss ein­ge­hen, den es sonst nicht gebraucht hät­te. Ande­rer­seits konn­ten bestehen­de Struk­tu­ren beim DTV ein­fach für das Brea­king über­nom­men wer­den, was das Gan­ze schon recht ein­fach gemacht hat. Viel­leicht kann man trotz­dem in Zukunft einen eige­nen Breaking-​Verband auf­bau­en. Das könn­te noch mal ein Upgrade für unse­re Sze­ne sein.

MZEE​.com: Könn­test du dir vor­stel­len, an die­ser Idee eines eige­nen Breaking-​Verbands mit­zu­wir­ken oder gar den Anstoß dazu zu geben?

Jilou: Tat­säch­lich haben wir sogar einen Ver­band gegrün­det, wir waren letz­ten Endes nur ein­fach nicht schnell genug. Da waren eini­ge nam­haf­te Leu­te und deut­sche Legen­den dabei, zum Bei­spiel Storm. (Anm. d. Red.: Niels "Storm" Robitz­ky wur­de 1992 Welt­meis­ter im Brea­king) Davon abge­se­hen kann ich mir vor­stel­len, in Zukunft eher in Rich­tung PR zu gehen und unse­re Sze­ne zu pro­mo­ten. Ich möch­te, dass sich Brea­king in all sei­nen Facet­ten, also als sport­li­che Dis­zi­plin und auch als Kunst, wei­ter­ent­wi­ckelt und mehr Leu­te sehen, was wir eigent­lich machen. Ich hof­fe, dass unse­re Com­pe­ti­ti­ons noch mehr Men­schen anzie­hen. Jetzt haben wir die Olym­pi­schen Spie­le, aber wenn die vor­bei sind, müs­sen wir wie­der selbst für unse­re Auf­merk­sam­keit sorgen.

MZEE​.com: Auf der Web­site des Deut­schen Tanz­sport­ver­bands gibt es ein Video über ein Vor­be­rei­tungs­tref­fen des Breaking-​Olympiakaders. Dar­in for­dert Var­tan Bas­sil (Anm. d. Red.: Mit­be­grün­der der Ber­li­ner Crew Fly­ing Steps und deut­sche Breaking-​Legende) euch auf, zu zei­gen, dass ihr "nicht nur Sport­ler […], son­dern auch Künst­ler und Tän­zer" seid. Geht für dich ein Stück Kunst ver­lo­ren, wenn Brea­king ver­mehrt als Leis­tungs­sport gese­hen wird? Oder ste­hen die bei­den Dimen­sio­nen nicht in Kon­kur­renz zueinander?

Jilou: Doch, ich sehe genau die­sen Punkt ein biss­chen kri­tisch. Ich den­ke aber nicht, dass das an Olym­pia liegt. Leu­te wol­len gene­rell immer etwas sehen, was sie noch nicht gese­hen haben, und die Moves müs­sen immer kras­ser wer­den. Gera­de bei den Frau­en, wo die Tech­nik vie­le Jah­re lang noch nicht so im Fokus war, hat sich das krass ver­än­dert. Bei den Män­nern ist das gefühlt weni­ger stark aus­ge­prägt. Wir sehen heu­te Frau­en, die zehn Run­den lang auf einer Hand dre­hen und den­ken uns: "Oh mein Gott, so etwas habe ich noch nie gese­hen. Von einem Mann viel­leicht schon, aber nicht von einer Frau." Das heißt jetzt nicht, dass man damit Frau­en run­ter­macht, es ist eben etwas Neu­es und Unge­wohn­tes. Wir gehen ja auch mit ande­ren kör­per­li­chen Vor­aus­set­zun­gen an die Sache ran. Wenn man dann sieht, dass jetzt auch bei Frau­en viel mehr mög­lich ist, stei­gen auto­ma­tisch die Erwar­tun­gen an die Tech­nik. Der Fokus geht etwas weg von Din­gen wie Cha­rak­ter oder Musi­ka­li­tät. Ich glau­be aber auch, dass das ein nor­ma­ler Pro­zess ist und sich das wie­der ein­pe­geln wird. Das Tech­ni­sche ist gera­de ein­fach der Trend.

MZEE​.com: Kann sich das in Zukunft also auch wie­der in eine ande­re Rich­tung entwickeln?

Jilou: Ja, genau. In der Frau­en­sze­ne ist das gera­de der Trend, weil man davon noch nicht so viel gese­hen hat. Da hat sich unge­fähr seit 2018 so viel getan, weil wir ab da bestimm­te Platt­for­men bekom­men haben, die wir vor­her nicht hat­ten. Des­halb ist der Trend bei den Frau­en etwas auf­fäl­li­ger. Aber ich den­ke grund­sätz­lich nicht, dass die künst­le­ri­sche Kom­po­nen­te ver­lo­ren geht. Klar, wir trai­nie­ren jetzt här­ter. Bevor die Nach­richt über Olym­pia 2024 kam, habe ich nie Ath­le­tik­trai­ning gemacht, heu­te schon. Zu die­sem The­ma passt der Satz: "Train like an ath­le­te, dance like an artist."

MZEE​.com: Tat­säch­lich sagt Var­tan in dem Video außer­dem: "Ihr wer­det zu Ath­le­ten. Ihr müsst euch auch wie Ath­le­ten ver­hal­ten. […] Die Leis­tung, die ihr abru­fen müsst, muss auf einem ande­ren Level sein." – Ver­spürst du durch die Olym­pia­de einen stär­ker wer­den­den Leis­tungs­druck bei der Aus­übung dei­ner Leidenschaft?

Jilou: Ich per­sön­lich neh­me dadurch nicht unbe­dingt mehr Druck wahr. Ich habe mein Trai­ning auch davor schon sehr ernst genom­men. Wir haben jetzt mehr Res­sour­cen und Mög­lich­kei­ten, dadurch nimmt man es auto­ma­tisch noch erns­ter. Man sieht zudem, wie die Kon­kur­renz trai­niert, sich ernährt oder sich von Phy­si­os behan­deln lässt. Das färbt ab und man fragt sich, ob man wirk­lich zu McDo­nalds gehen und dann bis drei Uhr nachts wach blei­ben will. Wenn man nur zwei Stun­den täg­lich trai­niert, wird es nicht rei­chen. Das ist nicht für alle etwas. Man­che sagen ver­ständ­li­cher­wei­se: "Die Olym­pi­schen Spie­le sind nichts für mich." Dazu gehö­ren bei­spiels­wei­se auch Doping­tests. Ich wer­de min­des­tens alle drei Mona­te zu Hau­se getes­tet. Die klin­geln um sie­ben Uhr mor­gens und holen sich eine Urin­pro­be ab.

MZEE​.com: Ach, so läuft das ab? Die klin­geln ein­fach unan­ge­kün­digt bei einem zu Hause?

Jilou: Ja, das sind eben die Begleit­erschei­nun­gen von Olym­pia. Man muss aber sagen, dass ich als Athlet:in zum Teil aus Steu­er­gel­dern mit­fi­nan­ziert wer­de. Dann fin­de ich es auch okay, auf sol­che Regeln zu ach­ten und sie zu respektieren.

MZEE​.com: Jetzt haben wir viel über Olym­pia 2024, Brea­king als Leis­tungs­sport und Pro­fes­sio­na­li­sie­rung gespro­chen. Kurz vor unse­rem Gespräch kam her­aus, dass Brea­king bei Olym­pia 2028 nicht mehr dabei ist. Emp­fin­dest du das als klei­nen Dämp­fer für die Sze­ne? Oder glaubst du, dass die Teil­nah­me 2024 etwas ange­sto­ßen hat, was sich jetzt auch so weiterentwickelt?

Jilou: Bei­des. Es war auf jeden Fall erst mal ein Dämp­fer und ein emo­tio­na­ler Moment. Wir stan­den noch nicht ein­mal auf die­ser Büh­ne und wer­den schon wie­der abge­sägt. Das fühlt sich nicht gut an und wirkt im ers­ten Moment, als wür­de einem gesagt: "Wir wol­len euch nicht dabei­ha­ben." Aber ich glau­be, so darf man das nicht sehen. In die­sem Fall waren ein­fach wie­der ande­re Sport­ar­ten inter­es­san­ter. Als Brea­king für 2024 als Dis­zi­plin auf­ge­nom­men wur­de, habe ich einen Arti­kel über eine Squash-​Spielerin gele­sen, die Brea­king total geha­tet hat. Ich dach­te mir nur, dass wir ihr doch nichts weg­neh­men. 2028 wird dafür Squash eine olym­pi­sche Dis­zi­plin sein, aber ich habe dadurch auch nicht das Gefühl, dass uns etwas weg­ge­nom­men wird. Es gibt so vie­le Sport­ar­ten, die mal die­se Chan­ce haben wol­len. Das heißt ja nicht, dass Brea­king nie wie­der dabei sein wird. Aus Olym­pia 2024 müs­sen wir als Sze­ne jetzt erst ein­mal das Bes­te her­aus­ho­len und dafür sor­gen, dass wir die ent­stan­de­ne media­le Auf­merk­sam­keit auch danach nut­zen kön­nen und smart damit umge­hen. Des­halb mein­te ich auch vor­hin, dass ich mich zukünf­tig eher im Mar­ke­ting der Sport­art sehe als im Auf­bau von wei­te­ren Verbandsstrukturen.

MZEE​.com: Neben dem The­ma Olym­pia erhielt Brea­king die­ses Jahr media­le Auf­merk­sam­keit, als eine Grup­pe Wissenschaftler:innen davor als Trend­sport­art mit einer hohen Ver­let­zungs­ge­fahr und dem erhöh­ten Risi­ko für Unterhaut-​Tumore warn­te. Ist die­ses The­ma in der Sze­ne präsent? 

Jilou: Also, ich habe es nicht mit­be­kom­men. Eine Bekann­te von mir ist Medi­zi­ne­rin und hat uns letz­tens eine Prä­sen­ta­ti­on gezeigt, in der auch das The­ma Head­spins und damit zusam­men­hän­gen­de Ent­zün­dun­gen gezeigt wur­den. Das ist einem schon bewusst, wobei ich per­sön­lich nie­man­den ken­ne, bei dem das wirk­lich ein­ge­tre­ten ist. Die Sache mit der Ver­let­zungs­ge­fahr fin­de ich ein biss­chen lus­tig. Jeder Sport bringt doch irgend­ein Risi­ko mit sich. Wir sind eine Nati­on von Fußballer:innen und ken­nen alle Fäl­le von Meniskus- oder Kreuz­band­ris­sen. Ich will jetzt nicht sagen "No risk, no fun", aber wenn man Träu­me hat, muss man manch­mal Risi­ken ein­ge­hen und aus der Kom­fort­zo­ne raus. Ich kann Brea­king nur emp­feh­len. Die­ses Gefühl und der Flow, wenn man die Musik anmacht und weiß, dass man sich jetzt bewe­gen kann, wie man will, wür­de ich nie­mals auf­ge­ben. Natür­lich muss jede:r selbst für sich und seinen:ihren Kör­per her­aus­fin­den, wel­che Sport­art die rich­ti­ge ist. Aber ich weiß nicht, ob man so expli­zit vor man­chen war­nen muss. Vor allem Jugend­li­che in Deutsch­land bewe­gen sich viel zu wenig. Den gan­zen Tag zu sit­zen und Net­flix zu schau­en, geht auch mit gesund­heit­li­chen Risi­ken ein­her. Also Leu­te: Geht raus und macht Sport. Ver­let­zun­gen hei­len meis­tens auch wieder.

MZEE​.com: Hast du noch einen abschlie­ßen­den Wunsch für die Zukunft der Breaking-Szene?

Jilou: Ich wün­sche mir mehr Crew-​Battles. Die Olym­pi­schen Spie­le haben zu einem so star­ken Fokus auf 1vs1-​Battles geführt, dass die Leu­te den­ken, wir wären eine Indi­vi­du­al­sport­art. Natür­lich breakt man so gese­hen immer allein. Aber Crew-​Battles sind so geil und es macht total Spaß, sich das anzu­schau­en oder mit­zu­ma­chen. Die Kul­tur dahin­ter, dass man mit sei­ner Crew trai­niert und dann gemein­sam zum Batt­le fährt, ist eine ganz ande­re Erfah­rung. Vor­hin habe ich dar­über gespro­chen, dass man der nächs­ten Gene­ra­ti­on etwas mit­ge­ben soll­te. Auch hier sind Crew-​Battles wich­tig. Man möch­te ja im Nor­mal­fall, dass die eige­ne Crew lan­ge besteht. Dadurch küm­mert man sich auto­ma­tisch um die nächs­te Gene­ra­ti­on und gibt Wis­sen wei­ter. Des­halb brau­chen wir wie­der mehr Crew-Battles.

(Enri­co Gerharth)
(Gra­fi­ken von Dani­el Fersch)