Wenn Ende Juli 2024 die Olympischen Sommerspiele in Paris starten, erwartet Fans eine Premiere: Erstmals steht Breaking auf der Liste der Sportarten, in denen um Medaillen gekämpft wird. Auch Deutschland wird mit dem "Bundeskader Breaking" vertreten sein, der bereits seit einigen Jahren unter dem Dach des Deutschen Tanzsportverbands aufgebaut wird. Eine der größten Medaillenhoffnungen im Breaking-Kader Deutschlands ist Sanja Jilwan Rasul, besser bekannt als B-Girl Jilou. Die 31-Jährige entdeckte ihre Leidenschaft für Bewegung, Musik und Kreativität bereits als Kind und fand mit Breaking die perfekte Kunstform, um all diese Elemente zu vereinen. Heute blickt sie als wohl erfolgreichstes deutsches B-Girl auf jahrelange Erfahrung, mehrere nationale Meistertitel, World Championships und weitere gewonnene Competitions zurück. Deshalb liegt es auf der Hand, mit Jilou über den Status quo der deutschen Breaking-Szene zu sprechen. In unserem Interview schilderte sie, welche Auswirkungen die Teilnahme an den Olympischen Spielen auf die Szene hat, wie vielfältig die Möglichkeiten im Breaking sind und warum es wieder mehr Crew-Battles braucht.
MZEE.com: Am 7. Dezember 2020 hat das Internationale Olympische Komitee entschieden, Breaking als Disziplin für die Spiele 2024 aufzunehmen. Weißt du noch, was die ersten Gedanken oder Gefühle waren, die dir damals durch den Kopf gingen?
Jilou: Es war wie ein Kindheitstraum, der wieder auflebt. Ich habe mit sechs angefangen zu turnen und schon damals davon geträumt, einmal bei den Olympischen Spielen mitzumachen. Das Turnen und den Traum von Olympia habe ich irgendwann aufgegeben – bis ich 2012 bei den Olympischen Spielen in London die Soul Mavericks gesehen habe, eine englische Breaking-Crew. Sie hat dort bei der Eröffnungsfeier getanzt. Ab da habe ich mir gewünscht, einmal selbst Tänzerin bei der Eröffnungsfeier zu sein. Jetzt ist Breaking eine olympische Disziplin. Deshalb fühlt es sich an wie ein alter Traum, der wahr wird. Eigentlich trainieren wir immer nur für das nächste Battle und auch die Olympischen Spiele sind im Prinzip nur ein weiteres. Aber sie fühlen sich gleichzeitig anders an – wie ein neues großes Ziel, auf das man Schritt für Schritt hinarbeitet. Das gibt zusätzliche Motivation für das Training.
MZEE.com: Was bedeutet dieser Schritt für die Breaking-Szene und welche Auswirkungen hatte Olympia bereits im Vorfeld?
Jilou: Ich glaube, die Auswirkungen sind sogar jetzt am intensivsten. Sobald die Spiele vorbei sind, wird die große Welle erst einmal langsam abebben. Die wichtigste Auswirkung ist, dass es für Tänzer:innen ganz neue Möglichkeiten im Bereich Sponsoring gibt. Wir bekommen viel mehr Aufmerksamkeit von Marken wie Nike, mit denen ich selbst zusammenarbeite. Das wäre ohne die Olympischen Spiele nicht möglich gewesen. Außerdem haben wir jetzt eine größere Plattform, um sozialkritische Themen anzusprechen, die auch in unserer Szene ein Problem sind, die wir aber auch teilweise innerhalb der Szene lösen können.
MZEE.com: Welche Themen sind das zum Beispiel?
Jilou: Eines, das mir am Herzen liegt, ist das Thema soziale Ungerechtigkeit und ungleicher Zugang zu Möglichkeiten. Die Olympischen Spiele versuchen natürlich, so gerecht wie möglich zu sein. Aber es gibt Länder wie Deutschland, in denen wir Athlet:innen nur in einem Reisebüro anrufen müssen und einen Flug bekommen, der uns auch noch bezahlt wird. In anderen Ländern müssen sie um jeden Cent kämpfen und oft alles selbst bezahlen. Deshalb ist meiner Meinung nach der Zugang zu den Olympischen Spielen noch nicht gerecht. Vielleicht könnte jedes Land in einen Topf einzahlen und darf am Ende zwei Athlet:innen stellen, die daraus bezahlt werden. Ein weiteres Thema ist die Gerechtigkeit der Geschlechter. Menschen sollen einfach fair behandelt werden. Das heißt für mich nicht, dass alle unbedingt das Gleiche bekommen müssen. Aber manche brauchen einfach ein bisschen mehr Möglichkeiten als andere. Und andersherum: Wer schon 1 000 Möglichkeiten hat, braucht vielleicht nicht noch mehr. So kann man auch Ungerechtigkeiten ausgleichen.
MZEE.com: Du bist schon sehr lange dabei. Nimmst du bei der Geschlechtergerechtigkeit im Breaking in den letzten Jahren bereits Fortschritte wahr?
Jilou: Ja, absolut. Durch die Olympischen Spiele gab es einen großen Schritt, weil wir jetzt alle die gleichen Aufgaben erfüllen müssen, um dorthin zu gelangen. Es geht jetzt nicht mehr, dass die Jungs bei einem Event 2.000 Euro Preisgeld bekommen und die Mädels ein T-Shirt. Man muss dazusagen, dass alle Competitions, die in Richtung Olympia gehen, in binäre Geschlechter-Kategorien aufgeteilt sind. Das ist sonst eigentlich nicht so, weil es im Breaking neben einer separaten Kategorie für die Mädels normalerweise eine offene Kategorie gibt, an der Frauen und Männer teilnehmen können. Das ist eigentlich cool, obwohl die Preisgelder oft unterschiedlich sind. Wenn das Preisgeld im offenen Battle 1.000 Euro beträgt und in dem für Frauen nur 500 Euro, habe ich so gesehen nämlich mehr Möglichkeiten. Ich kann ja beide gewinnen. Um ehrlich zu sein, ist das auch schon passiert. (lacht) Bei einer Competition in Mexiko habe ich mich zum Spaß in der offenen Kategorie eingeschrieben. Plötzlich stand ich im Finale und musste dadurch fünf Runden am Stück wegtanzen, weil es direkt auf das Finale der Frauen folgte. Niemand hatte damit gerechnet, dass eine Frau sich für beide qualifiziert.
MZEE.com: Und dann hast du beide gewonnen.
Jilou: Ja, ich habe jetzt zwei Trophäen von dort zu Hause stehen. In solchen Fällen finde ich es okay, wenn das Budget bei den B-Girls ein bisschen niedriger ist. Vom monetären Aspekt abgesehen gibt es aber etwas, wo wir noch nicht an einem gerechten Punkt angekommen sind, und zwar bei der generellen Aufmerksamkeit für B-Girls. Das ist mir zuletzt beim Red Bull BC One Last Chance-Qualifier aufgefallen. (Anm. d. Red.: Red Bull BC One ist eine jährliche, weltweite Serie von Breaking-Competitions, die 2023 im "World Final" in Paris endete.) Beim Last Chance-Qualifier werden für Frauen und Männer jeweils die letzten vier von 16 Plätzen für das Finale vergeben. Ich habe da mitgemacht und mir später deren Instagram-Kanal angeguckt. Dort wurden während der Competition vier Runden von Männern als Video gepostet, am nächsten Tag noch mal zwei und dann eine Runde von der Gewinnerin bei den Frauen. Das war's. Die Männer hatten also sechsmal mehr Aufmerksamkeit als die Frauen. Das bedeutet auch eine sechsmal höhere Chance, von Sponsoren gesehen zu werden oder seine eigenen Sponsoren auf diese Plattform zu bringen. So was kann man in vielen Bereichen beobachten. Ich finde zum Beispiel die Initiative Keychange sehr cool. Da geht es darum, dass sich Radiosender für Geschlechtergerechtigkeit in der Musik einsetzen. Ich reise oft und höre dabei gerne COSMO. Die haben als einer der ersten öffentlich-rechtlichen Sender gesagt: "Wir werden Teil von Keychange und spielen fifty-fifty Musik von Frauen und Männern." Das ist auch in der Musik ein auffälliges Thema. Ich bin mal durch meine eigenen Playlists gegangen und habe bemerkt, dass da zu 90 Prozent Musik von Männern drin war. Was glaube ich vielen noch mehr bewusst werden kann, ist, dass mehr Aufmerksamkeit im Falle von Künstler:innen am Ende auch einfach mehr Geld bedeutet. Je gerechter die mediale Aufmerksamkeit ist, desto gerechter ist auch die monetäre Verteilung.
MZEE.com: Weil du das Thema Geld ansprichst: Nicht jede:r aus der Szene jubelt darüber, dass Breaking jetzt eine olympische Disziplin ist. Damit einher geht beispielsweise, dass sich Verbandsstrukturen professionalisieren und Breaking mit einem starren Wertungssystem belegt wird. In Teilen geht auch die Angst vor Kommerzialisierung der Szene um. Nimmst du diese Bedenken wahr und kannst du sie nachvollziehen?
Jilou: Ja, die nehme ich wahr. Verstehen kann ich sie nicht. Solche Stimmen hängen tatsächlich oft mit Neid zusammen, glaube ich. Ich bin eine große Befürworterin der Olympischen Spiele und denke nicht, dass sie Breaking als Kultur zerstören werden. Wenn wir unsere Werte beibehalten und weiter ausleben, können sie uns gar nichts anhaben. Es liegt in unserer Verantwortung, die nächste Generation richtig zu führen. Dass wir den Spirit unserer Szene beibehalten, ist nicht der Job der Olympischen Spiele, sondern unser eigener.
MZEE.com: Welche Aufgaben kommen da auf euch zu?
Jilou: Eine Sache, die wir bisher verpasst haben, ist, dass die meisten Events heute kaum mehr Cyphers haben. Dazu muss man mittlerweile auf ausgewählte Competitions gehen. Ich bin so aufgewachsen, dass man auf der einen Seite des Raums ein Battle hatte und auf der anderen Seite die Leute sich den Arsch abgecyphert haben. Das ist verloren gegangen, was zum Teil auch daran liegt, dass sich viele aus meiner Generation nicht mehr in eine Cypher setzen. Aber wie soll die nächste Generation das denn lernen, wenn wir nicht reingehen und ihnen zeigen, wie das geht? Heute gehen die Kids in die Cypher, probieren etwas, fallen auf den Arsch, probieren es noch mal und ich denke mir nur: "Wer hat dir das beigebracht? So geht das in der Cypher nicht, da musst du zeigen, wer du bist! Also raus mit dir, geh trainieren und zeig dann noch mal, wer du bist." Manche haben verpasst, dass eine Cypher keine Aufwärmmöglichkeit oder Ähnliches ist. Das ist ein Thema, bei dem ich versuche, meiner Generation ein bisschen in den Arsch zu treten und zu sagen: "Nehmt die Kids an die Hand. Wenn ihr eine Crew habt, nehmt eine neue Generation auf und bringt ihnen etwas bei." Dieses klassische "Each one teach one"-Prinzip ist total wichtig.
MZEE.com: Gehört für dich dazu auch, klarzumachen, dass Breaking mehr ist als das, was rund um Olympia geschieht?
Jilou: Ja, das ist nur eine Plattform, nur eine Möglichkeit von vielen. Niemand ist verpflichtet, daran teilzunehmen. Es gibt immer noch genug Jams oder andere Events. Man muss nur hingehen. Ich versuche, da einen Ausgleich hinzukriegen. Neben den Ranking-Events, wo sich entscheidet, wer zum deutschen Kader gehört, versuche ich auch zu den wichtigsten Szene-Veranstaltungen zu gehen. Mitte November fliege ich zur Freestyle-Session nach Los Angeles, wo man bei einem Meet and Greet die erste und zweite Generation Breaking aus New York treffen kann. Das wird richtig cool. Es gibt so viele Möglichkeiten, unsere Kultur auszuleben. Als Tänzer:in kannst du so wie ich leben, also als Fulltime-Athletin mit Sponsoring. Dann trainierst du, kümmerst dich um deine Partner und machst viel für die Medien. Du kannst aber auch im Showbusiness sein und Choreografien auf großen Bühnen machen. Du kannst Werbesports machen oder in Kursen unterrichten und so ein regelmäßiges Einkommen erzielen, bei dem du vielleicht kürzere Wege hast und im Gegensatz zu mir in deiner Stadt bleibst. Oder du machst Theater und spielst deine Stücke neun Monate lang in Frankreich, dann drei Monate lang in Österreich und lebst dich so kreativ aus. Und selbstverständlich kannst du auch einfach einen Job machen, der nichts mit Breaking zu tun hat, abends nach Hause kommen und zum Training gehen. Es gibt so viele Wege. Deshalb hat das Meckern über Olympia einfach keine Substanz. Du willst damit nichts zu tun haben? Cool, dann leg das Handy weg und geh zur nächsten Jam. Dort kannst du auch was für die Szene machen.
MZEE.com: Du hast schon an vielen internationalen Competitions teilgenommen und kommst auch sonst gut herum. Wie professionalisiert erlebst du die deutsche Breaking-Szene im internationalen Vergleich?
Jilou: Ich glaube, Deutschland ist extrem weit vorne und sehr gut aufgestellt. Wir haben durch den Deutschen Tanzsportverband krasse Strukturen bekommen. Der Verband hätte zwar hier und da etwas mehr mit der Szene kommunizieren können, aber das ist Meckern auf hohem Niveau. Ich denke, die haben sich am Anfang auch unter Druck gesetzt gefühlt und wollten alles ganz schnell machen. So ist das nun mal in Deutschland: Man hat eine Deadline und dann muss etwas stehen. Dadurch, dass die Strukturen so schnell geschaffen wurden, musste man an manchen Stellen einen Kompromiss eingehen, den es sonst nicht gebraucht hätte. Andererseits konnten bestehende Strukturen beim DTV einfach für das Breaking übernommen werden, was das Ganze schon recht einfach gemacht hat. Vielleicht kann man trotzdem in Zukunft einen eigenen Breaking-Verband aufbauen. Das könnte noch mal ein Upgrade für unsere Szene sein.
MZEE.com: Könntest du dir vorstellen, an dieser Idee eines eigenen Breaking-Verbands mitzuwirken oder gar den Anstoß dazu zu geben?
Jilou: Tatsächlich haben wir sogar einen Verband gegründet, wir waren letzten Endes nur einfach nicht schnell genug. Da waren einige namhafte Leute und deutsche Legenden dabei, zum Beispiel Storm. (Anm. d. Red.: Niels "Storm" Robitzky wurde 1992 Weltmeister im Breaking) Davon abgesehen kann ich mir vorstellen, in Zukunft eher in Richtung PR zu gehen und unsere Szene zu promoten. Ich möchte, dass sich Breaking in all seinen Facetten, also als sportliche Disziplin und auch als Kunst, weiterentwickelt und mehr Leute sehen, was wir eigentlich machen. Ich hoffe, dass unsere Competitions noch mehr Menschen anziehen. Jetzt haben wir die Olympischen Spiele, aber wenn die vorbei sind, müssen wir wieder selbst für unsere Aufmerksamkeit sorgen.
MZEE.com: Auf der Website des Deutschen Tanzsportverbands gibt es ein Video über ein Vorbereitungstreffen des Breaking-Olympiakaders. Darin fordert Vartan Bassil (Anm. d. Red.: Mitbegründer der Berliner Crew Flying Steps und deutsche Breaking-Legende) euch auf, zu zeigen, dass ihr "nicht nur Sportler […], sondern auch Künstler und Tänzer" seid. Geht für dich ein Stück Kunst verloren, wenn Breaking vermehrt als Leistungssport gesehen wird? Oder stehen die beiden Dimensionen nicht in Konkurrenz zueinander?
Jilou: Doch, ich sehe genau diesen Punkt ein bisschen kritisch. Ich denke aber nicht, dass das an Olympia liegt. Leute wollen generell immer etwas sehen, was sie noch nicht gesehen haben, und die Moves müssen immer krasser werden. Gerade bei den Frauen, wo die Technik viele Jahre lang noch nicht so im Fokus war, hat sich das krass verändert. Bei den Männern ist das gefühlt weniger stark ausgeprägt. Wir sehen heute Frauen, die zehn Runden lang auf einer Hand drehen und denken uns: "Oh mein Gott, so etwas habe ich noch nie gesehen. Von einem Mann vielleicht schon, aber nicht von einer Frau." Das heißt jetzt nicht, dass man damit Frauen runtermacht, es ist eben etwas Neues und Ungewohntes. Wir gehen ja auch mit anderen körperlichen Voraussetzungen an die Sache ran. Wenn man dann sieht, dass jetzt auch bei Frauen viel mehr möglich ist, steigen automatisch die Erwartungen an die Technik. Der Fokus geht etwas weg von Dingen wie Charakter oder Musikalität. Ich glaube aber auch, dass das ein normaler Prozess ist und sich das wieder einpegeln wird. Das Technische ist gerade einfach der Trend.
MZEE.com: Kann sich das in Zukunft also auch wieder in eine andere Richtung entwickeln?
Jilou: Ja, genau. In der Frauenszene ist das gerade der Trend, weil man davon noch nicht so viel gesehen hat. Da hat sich ungefähr seit 2018 so viel getan, weil wir ab da bestimmte Plattformen bekommen haben, die wir vorher nicht hatten. Deshalb ist der Trend bei den Frauen etwas auffälliger. Aber ich denke grundsätzlich nicht, dass die künstlerische Komponente verloren geht. Klar, wir trainieren jetzt härter. Bevor die Nachricht über Olympia 2024 kam, habe ich nie Athletiktraining gemacht, heute schon. Zu diesem Thema passt der Satz: "Train like an athlete, dance like an artist."
MZEE.com: Tatsächlich sagt Vartan in dem Video außerdem: "Ihr werdet zu Athleten. Ihr müsst euch auch wie Athleten verhalten. […] Die Leistung, die ihr abrufen müsst, muss auf einem anderen Level sein." – Verspürst du durch die Olympiade einen stärker werdenden Leistungsdruck bei der Ausübung deiner Leidenschaft?
Jilou: Ich persönlich nehme dadurch nicht unbedingt mehr Druck wahr. Ich habe mein Training auch davor schon sehr ernst genommen. Wir haben jetzt mehr Ressourcen und Möglichkeiten, dadurch nimmt man es automatisch noch ernster. Man sieht zudem, wie die Konkurrenz trainiert, sich ernährt oder sich von Physios behandeln lässt. Das färbt ab und man fragt sich, ob man wirklich zu McDonalds gehen und dann bis drei Uhr nachts wach bleiben will. Wenn man nur zwei Stunden täglich trainiert, wird es nicht reichen. Das ist nicht für alle etwas. Manche sagen verständlicherweise: "Die Olympischen Spiele sind nichts für mich." Dazu gehören beispielsweise auch Dopingtests. Ich werde mindestens alle drei Monate zu Hause getestet. Die klingeln um sieben Uhr morgens und holen sich eine Urinprobe ab.
MZEE.com: Ach, so läuft das ab? Die klingeln einfach unangekündigt bei einem zu Hause?
Jilou: Ja, das sind eben die Begleiterscheinungen von Olympia. Man muss aber sagen, dass ich als Athlet:in zum Teil aus Steuergeldern mitfinanziert werde. Dann finde ich es auch okay, auf solche Regeln zu achten und sie zu respektieren.
MZEE.com: Jetzt haben wir viel über Olympia 2024, Breaking als Leistungssport und Professionalisierung gesprochen. Kurz vor unserem Gespräch kam heraus, dass Breaking bei Olympia 2028 nicht mehr dabei ist. Empfindest du das als kleinen Dämpfer für die Szene? Oder glaubst du, dass die Teilnahme 2024 etwas angestoßen hat, was sich jetzt auch so weiterentwickelt?
Jilou: Beides. Es war auf jeden Fall erst mal ein Dämpfer und ein emotionaler Moment. Wir standen noch nicht einmal auf dieser Bühne und werden schon wieder abgesägt. Das fühlt sich nicht gut an und wirkt im ersten Moment, als würde einem gesagt: "Wir wollen euch nicht dabeihaben." Aber ich glaube, so darf man das nicht sehen. In diesem Fall waren einfach wieder andere Sportarten interessanter. Als Breaking für 2024 als Disziplin aufgenommen wurde, habe ich einen Artikel über eine Squash-Spielerin gelesen, die Breaking total gehatet hat. Ich dachte mir nur, dass wir ihr doch nichts wegnehmen. 2028 wird dafür Squash eine olympische Disziplin sein, aber ich habe dadurch auch nicht das Gefühl, dass uns etwas weggenommen wird. Es gibt so viele Sportarten, die mal diese Chance haben wollen. Das heißt ja nicht, dass Breaking nie wieder dabei sein wird. Aus Olympia 2024 müssen wir als Szene jetzt erst einmal das Beste herausholen und dafür sorgen, dass wir die entstandene mediale Aufmerksamkeit auch danach nutzen können und smart damit umgehen. Deshalb meinte ich auch vorhin, dass ich mich zukünftig eher im Marketing der Sportart sehe als im Aufbau von weiteren Verbandsstrukturen.
MZEE.com: Neben dem Thema Olympia erhielt Breaking dieses Jahr mediale Aufmerksamkeit, als eine Gruppe Wissenschaftler:innen davor als Trendsportart mit einer hohen Verletzungsgefahr und dem erhöhten Risiko für Unterhaut-Tumore warnte. Ist dieses Thema in der Szene präsent?
Jilou: Also, ich habe es nicht mitbekommen. Eine Bekannte von mir ist Medizinerin und hat uns letztens eine Präsentation gezeigt, in der auch das Thema Headspins und damit zusammenhängende Entzündungen gezeigt wurden. Das ist einem schon bewusst, wobei ich persönlich niemanden kenne, bei dem das wirklich eingetreten ist. Die Sache mit der Verletzungsgefahr finde ich ein bisschen lustig. Jeder Sport bringt doch irgendein Risiko mit sich. Wir sind eine Nation von Fußballer:innen und kennen alle Fälle von Meniskus- oder Kreuzbandrissen. Ich will jetzt nicht sagen "No risk, no fun", aber wenn man Träume hat, muss man manchmal Risiken eingehen und aus der Komfortzone raus. Ich kann Breaking nur empfehlen. Dieses Gefühl und der Flow, wenn man die Musik anmacht und weiß, dass man sich jetzt bewegen kann, wie man will, würde ich niemals aufgeben. Natürlich muss jede:r selbst für sich und seinen:ihren Körper herausfinden, welche Sportart die richtige ist. Aber ich weiß nicht, ob man so explizit vor manchen warnen muss. Vor allem Jugendliche in Deutschland bewegen sich viel zu wenig. Den ganzen Tag zu sitzen und Netflix zu schauen, geht auch mit gesundheitlichen Risiken einher. Also Leute: Geht raus und macht Sport. Verletzungen heilen meistens auch wieder.
MZEE.com: Hast du noch einen abschließenden Wunsch für die Zukunft der Breaking-Szene?
Jilou: Ich wünsche mir mehr Crew-Battles. Die Olympischen Spiele haben zu einem so starken Fokus auf 1vs1-Battles geführt, dass die Leute denken, wir wären eine Individualsportart. Natürlich breakt man so gesehen immer allein. Aber Crew-Battles sind so geil und es macht total Spaß, sich das anzuschauen oder mitzumachen. Die Kultur dahinter, dass man mit seiner Crew trainiert und dann gemeinsam zum Battle fährt, ist eine ganz andere Erfahrung. Vorhin habe ich darüber gesprochen, dass man der nächsten Generation etwas mitgeben sollte. Auch hier sind Crew-Battles wichtig. Man möchte ja im Normalfall, dass die eigene Crew lange besteht. Dadurch kümmert man sich automatisch um die nächste Generation und gibt Wissen weiter. Deshalb brauchen wir wieder mehr Crew-Battles.
(Enrico Gerharth)
(Grafiken von Daniel Fersch)