An dieser Stelle möchten wir Gedanken zu aktuellen Geschehnissen aus dem Deutschrap-Kosmos zum Ausdruck bringen. Die jeweils dargestellte Meinung ist die des:der Autor:in und entspricht nicht zwangsläufig der der gesamten Redaktion – dennoch möchten wir auch Einzelstimmen Raum geben.
Im Folgenden bezieht unsere Redakteurin Emily Stellung dazu, inwiefern Rapper:innen dazu verpflichtet sind oder sein sollten, ihre Reichweite für sozial-politische Zwecke zu nutzen.
"Ich habe keinen Halt, doch ich habe eine Haltung", rappt Juju auf SXTNs Track "Ausziehen." Das kann man allerdings von den meisten Rapper:innen, inklusive Juju selbst, nicht unbedingt behaupten. Luciano, t-low, Ufo361 und Co. haben Hunderttausende, teilweise sogar Millionen von Follower:innen auf den sozialen Medien, nutzen diese Reichweite jedoch hauptsächlich dafür, ihre tätowierten Körper und teuren Klamotten zu präsentieren. Kommt mit einer gewissen Reichweite nicht auch eine gewisse Verantwortung? Gilt es nicht, dieses unglaubliche Privileg einer so riesigen Fangemeinde für einen guten Zweck zu nutzen, welcher auch immer das ist? Ist das nicht umso wichtiger in Zeiten, in denen Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus zunehmend größere Probleme darstellen? Für mich lautet die Antwort auf all diese Fragen: Ja, definitiv.
Als ich angefangen habe, mich mit diesem Thema zu beschäftigen, ist mir recht schnell aufgefallen, dass man hier zwischen verschiedenen Arten von Aktivismus unterscheiden kann: und zwar zwischen der Sensibilisierung von Musiktexten und Aktivismus im öffentlichen Leben. Viele Künstler:innen rappen in ihren Texten über Erfahrungen, die sie gemacht haben, und machen somit auf politische Missstände aufmerksam. Nura zum Beispiel schreibt über Sexismus und Homophobie. Ich glaube, dass solche Texte Betroffenen helfen können, sich gesehen und verstanden zu fühlen, weil sie merken, dass auch erfolgreiche Artists damit zu kämpfen haben. Außerdem können sie Nicht-Betroffene auf diese Probleme aufmerksam machen, wenn sie sich nicht auf andere Weise mit solchen Themen auseinandersetzen. Mehr als sensibilisieren können diese Texte aber wohl kaum.
Nun kann man, wie Gianni Suave auf X, argumentieren, dass Artists ihre Anliegen in der Musik verarbeiten und es damit gut sei. Manche sind dabei politischer als andere, man könne jedoch niemanden zwingen, sich politisch zu äußern. Natürlich kann man das nicht. Hier möchte ich aber zum Aktivismus im öffentlichen Leben kommen. Jasmin Shakeri – Sängerin der Band D.R.A.M.A und Ghostwriterin – sagt dazu im Podcast "Homegirls": "So wie die Welt sich entwickelt, erledigen sich alle Artists, die nie Gesicht gezeigt haben, von selbst. Ich bin von nichts mehr gelangweilt als […] von Artists, die [sich] jetzt in Anbetracht von so vielen Missständen, die medial nicht mehr ignorierbar sind, […] so fernhalten können." Dass das tatsächlich so ist, ist allerdings zu bezweifeln, da die zu Anfang genannten Beispiele schon zeigen, dass einige Künstler:innen durchaus in der Lage sind, sehr erfolgreich und gleichzeitig komplett unpolitisch zu sein. Trotzdem ist es enttäuschend, wenn Artists es nicht schaffen, sich zu aktuellen Geschehnissen zu äußern oder beispielsweise mal an einer Demo teilzunehmen. Oft wird dagegen gehalten, dass man ja nicht wisse, wie sich diese Künstler:innen im Privaten engagieren würden. Aber was sollte der Grund für das heimliche Engagement sein? Haben diese Artists Angst, ihren Ruf und ihre Stellung im Mainstream zu verlieren? Wenn ja, worin ist diese Angst begründet? Weniger Streams oder weniger Geld? All das ist mir ein Rätsel. Es ist ein krasses Statement, in Kauf zu nehmen, Teile der Fanbase zu verlieren, die nicht der gleichen Meinung sind. Genauso werde ich skeptisch, wenn man in der eigenen Story gegen Klimakleber hetzt, weil man mit dem Auto nicht schnell genug zum Shooting kommt. Und dann auch noch gleich darauf verkündet wird, dass man gerade Best German Act bei den EMAs geworden ist, während man die "größte Bestellung, die jemals bei McDonald's gemacht wurde", aufgibt. Da muss ich mir doch überlegen, ob die Person wirklich der Artist ist, der als Sprachrohr für ärmere Schichten in unserer Gesellschaft fungieren kann, oder nicht einfach ein privilegierter Snob geworden ist.
Außerdem möchte ich zwischen "leichtem" und "riskantem" Aktivismus unterscheiden. "Leichten Aktivismus" nenne ich alles, was kein großer Aufwand ist, wie das Teilen von politischen Beiträgen auf Social Media. Nur dann mal einen Post oder Tweet zu veröffentlichen, wenn irgendein Thema gerade brisant ist, macht eine:n nicht zur Aktivist:in. Stattdessen ist es wichtig, etwas zu riskieren, Kontinuität zu zeigen und sich auch außerhalb von Social Media immer wieder zu äußern – etwa auf Konzerten oder in Interviews. Niemand erwartet, dass sich alle Artists zu allen politisch wichtigen Themen äußern. Ich finde es cool, wenn sich ein Artist ein Thema raussucht, für das er besonders brennt und immer wieder darüber spricht. Wenn er dann auch auf sonstige Themen aufmerksam macht, ist das natürlich super – so wie einige Artists im Winter Infos zu den Kältebussen für Obdachlose auf Instagram teilen. Das schließt natürlich nicht aus, dass sich manche Menschen auch zu Themen äußern, von denen sie eigentlich keine Ahnung haben. In so einem Fall sollte man dann vielleicht doch lieber nichts sagen.
Ein paar Posts machen also einen Artist nicht unbedingt zum:zur Aktivist:in. Um Veränderung zu bewirken und Aufmerksamkeit zu generieren, braucht es, was ich "riskanten Aktivismus" nenne. So definiere ich soziales und politisches Engagement, welches auf der einen Seite eine klare Haltung verdeutlicht und wodurch man auf der anderen Seite riskieren könnte, bestimmte Leute aufzuregen, zu enttäuschen oder sogar einen Ruf zu verlieren. Ein Beispiel hierfür könnte die klare Stellungnahme im Falle von sexueller Belästigung in der Industrie sein, also wenn man sich klar von den Täter:innen – oft mit großen Namen – distanziert. Das passiert allerdings nur selten, wenn man sich mal überlegt, wie viele Vorwürfe sexualisierter Gewalt es im Deutschrap allein seit #deutschrapmetoo gab und wie wenig Konsequenzen das für die Täter:innen hatte. Mir geht es hier nicht um kleine Artists, die womöglich noch damit strugglen, sich eine Fanbase aufzubauen, oder sich und ihre Familien durch ihr Laut-Sein wirklich in die Bredouille bringen könnten. Es geht um etablierte Mainstream-Artists mit Millionen von Follower:innen und monatlichen Hörer:innen. Artists, die es sich leisten können, anzuecken, und die finanziellen Mittel haben, einen Dämpfer von Fans, Labels oder Manager:innen zu verkraften. Ich wünsche mir von diesen Artists, dass sie nicht nur einmal im Jahr an Weihnachten ein paar Mille spenden, sondern sowohl in den sozialen Medien als auch im öffentlichen Leben eine klare und vor allem spezifische Haltung gegen Hass, Diskriminierung und Missstände beziehen und dies auch kontinuierlich tun. Damit mögen sie zwar einige Follower:innen verlieren. Ich würde als Artist jedoch nicht wollen, dass mich solche Personen abfeiern und meine Musik womöglich für ihre Agenda instrumentalisieren. Vielleicht schaffen diese Künstler:innen es ja, auch ihre Fans zu inspirieren, sich zu engagieren und sich für ihre Rechte und die Rechte anderer stark zu machen.
(Emily Niklas)
(Grafik von Daniel Fersch)