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2023 – Pleiten, Pech und Punchlines

Auch die­ses Jahr gab es wie­der vie­le High­lights und trau­ri­ge Momen­te, die uns beschäf­tigt haben. Kar­rie­ren wur­den been­det, Hypes gestar­tet und Geschäf­te gemacht. Der gro­ße MZEE​.com Jahresrückblick.

Süßer als die­ses Jahr klan­gen die Glo­cken­beats sel­ten und düm­mer haben sich Springer-Journalist:innen über den aus­blei­ben­den oder den fal­len­den Schnee auch noch nie beschwert. Doch nicht nur sol­che Phä­no­me­ne sind von beein­dru­cken­der Kon­stanz. Auch der – in der Regel ver­zwei­fel­te – Ver­such, noch mal eben das im Ver­ge­hen begrif­fe­ne Deutschrap-​Jahr zusam­men­zu­fas­sen, ist inzwi­schen zur lieb­ge­won­ne­nen Tra­di­ti­on gewor­den. Bli­cken wir also bei einem Kin­der­punsch und Leb­ku­chen­herz zurück auf zwölf Mona­te vol­ler Hochs und Beefs.

 

Gleich ein­stei­gen wol­len wir mit dem musi­ka­li­schen High­light: Zwar kann nicht wie im ver­gan­ge­nen Jahr mit "Mann beißt Hund" ein Album als unein­ge­schränk­ter Redak­ti­ons­lieb­ling her­hal­ten, aber dafür kann es ein Künst­ler. Apsi­lon hat näm­lich über das gan­ze Jahr im All­ge­mei­nen und mit dem Song "Baba" im Spe­zi­el­len der­ar­tig abge­lie­fert, dass man sich fast schon fra­gen kann, was da über­haupt noch kom­men soll. Wer so leicht­fü­ßig tie­fe Emo­tio­nen musi­ka­lisch span­nend ver­pa­cken kann, ohne in kit­schi­ge Gemein­plät­ze zu ver­fal­len, dem ist wirk­lich jeder mög­li­che Kar­rie­re­hoch­punkt zu wün­schen. Das Album kommt bestimmt bald – hoffentlich.

Doch nicht nur auf diver­sen Streaming-​Plattformen, auch live gab es eini­ges zu bestau­nen. Auf einer ganz ande­ren Ebe­ne, aber eben­so wun­der­schön wie bereits in den Jah­ren zuvor, war wie­der ein­mal die Tape­fa­brik. Selbst wenn man die gan­zen lie­be­voll hän­gen­ge­blie­be­nen Rap­fil­me inzwi­schen ken­nen und lie­ben gelernt hat, ist die Krepkek-​Cypher auf dem dies­jäh­ri­gen Fes­ti­val noch mal beson­ders her­vor­zu­he­ben. Mit wel­cher Hin­ga­be und Ener­gie da gut andert­halb Stun­den durch­ge­rappt wur­de, ist ganz ohne iro­ni­sche Distanz ein­fach ein beson­de­rer Moment, der gewür­digt gehört.

Ähn­lich hat Shirin David, wenn auch nicht so sehr musi­ka­lisch, son­dern eher busi­ness­tech­nisch zu beein­dru­cken gewusst: Beim splash! stand sie auf der Büh­ne mit Haft­be­fehl, spiel­te eine aus­ver­kauf­te Tour in einem Jahr, wo zahl­lo­se ande­re Artists ihre Tour absa­gen muss­ten, betreibt einen Pod­cast mit Gäs­ten wie unter ande­rem Shin­dy und lie­fert eine Medi­en­prä­senz, die man so lan­ge nicht mehr erle­ben konn­te. Tho­mas Gott­schalk weint sich viel­leicht immer noch in den Schlaf. Apro­pos alte, wei­ße Män­ner: Der Auf­tritt mit Hele­ne Fischer bei "Wet­ten, dass..?" dürf­te sie bezüg­lich poten­zi­el­ler Ziel­grup­pen noch mal in ganz ande­re Sphä­ren geho­ben haben.

Womit wir so lang­sam, aber sicher beim real­kee­pen­den Meckern ange­kom­men wären. Nicht erst seit der Ole­xesh und Vanes­sa Mai-​Kooperation, aber spä­tes­tens seit­dem hat sich eine sehr unge­sun­de musi­ka­li­sche Nähe zwi­schen dem ner­vigs­ten (Schla­ger) und dem span­nends­ten (deut­scher Rap, na klar) Gen­re in Deutsch­land ent­wi­ckelt. Egal, ob Apa­che 207 auf Kome­ten oder eben Shirin David durch die Nacht rei­tet – es sei allen jeder mög­li­che Erfolg gegönnt, aber so ein biss­chen Stolz auf die eige­ne Kunst und auf das, wofür man damit steht, darf ruhig am Ende vom Brut­to übrig blei­ben. Auf der ande­ren Sei­te ist so ein Ver­hal­ten eigent­lich auch nicht ver­wun­der­lich, wenn man sich anschaut, wie Strea­ming­diens­te wie Spo­ti­fy mit unbe­kann­te­ren Künstler:innen umsprin­gen und bei­spiels­wei­se Streams, die unter der 1 000er-​Marke im Jahr lie­gen, gar nicht mehr ver­gü­tet. Außer­dem hören wir alle lie­ber noch fünf Schlagerrap-​Alben als ein wei­te­res abso­lut nichts­sa­gen­des Shindy-​Interview, in dem er Espres­so falsch trinkt und ver­sucht zu erklä­ren, wie und war­um er sei­ne Fans für dumm verkauft.

Zu guter Letzt war 2023 auch wie­der ein Jahr der Abschie­de. So haben Fet­tes Brot ihre wirk­lich glor­rei­che Kar­rie­re mit einer glor­rei­chen Abschieds­tour­nee been­det. Vie­le Ema­nue­las auf die­ser Welt wer­den wahr­schein­lich nicht trau­rig dar­über gewe­sen sein, der Rest darf vor so einer Lang­le­big­keit und vie­len Hits durch­aus jeden ima­gi­nä­ren und tat­säch­li­chen Hut zie­hen. Wir wün­schen einen geruh­sa­men Lebens­spät­som­mer und viel Spaß beim Gol­fen. Der ande­re Abschied aus die­sem Jahr ist einer, der bei allen in der Redak­ti­on wei­ter­hin sticht, wenn dar­über gespro­chen wird: Mit Lord Fol­ter ist einer der sprach­lich ver­sier­tes­ten, musi­ka­lisch krea­tivs­ten und emo­tio­nal ehr­lichs­ten Künst­ler von uns gegan­gen, die wir bis­her erle­ben durf­ten. Sein Tod hin­ter­lässt eine Lücke in der Sze­ne, die sich nicht schlie­ßen lässt. Wer es noch nicht gehört hat, dem sei ins­be­son­de­re sein letz­tes Album "Far­ce" ans Herz gelegt. Wir wün­schen Juli­an Wachen­dorfs Fami­lie und Freun­den alles Gute und Kraft bei die­sem schwe­ren Prozess.

Den­noch soll weder der Arti­kel noch das Jahr mit ganz schwe­rem Her­zen been­det wer­den. Und da wir ohne­hin schon beim Wün­schen waren: Allen Rapper:innen wün­schen wir die bes­ten Text­ein­fäl­le ganz ohne Ghost­wri­ter und dass sie jeden Diss gut über­ste­hen mögen. Den DJs mehr Auf­merk­sam­keit und viel­leicht die ein oder ande­re wei­te­re Tour, auf die man im nächs­ten Jahr mit­fah­ren kann. Allen Produzent:innen eine fai­re Ver­gü­tung und dass man sich viel­leicht mal etwas ande­res über­legt als R 'n' B-​Samples aus den 2000ern. Alle, die immer noch sprü­hen: Wei­ter so und lasst euch nicht erwi­schen. Allen Breaker:innen das glei­che wie den DJs, nur ohne Tour. Und Euch, lie­be Leser:innen, wün­schen wir das erfolg­reichs­te, run­des­te und gemüt­lichs­te 2024, das man sich vor­stel­len kann. Schön, dass Ihr noch da seid.

(Simon Back)
(Gra­fik von Dani­el Fersch)