HipHop unterscheidet sich nicht nur musikalisch von anderen Genres. Einen besonders verheerenden Unterschied gibt es auch in Bezug auf das Thema Tod. Eine Studie aus dem Jahr 2015 zeigt, dass das durchschnittliche Todesalter von US-Rapper:innen zwischen 25 und 30 Jahren liegt. Dieses Durchschnittsalter dürfte sich in den letzten Jahren eher verringert als erhöht haben. Zwischen 2016 und 2022 starben teilweise amerikanische HipHop-Künstler:innen mit unter 20 Jahren, während keiner der toten Acts älter als 57 wurde. Die Musik- und Psychologie-Professorin Dianna Theadora Kenny stellt in einem Artikel zudem fest, dass die Tode im HipHop-Bereich auffällig selten "natürlich" sind, also zum Beispiel durch Krebs oder Herz-Probleme. Einer der Gründe liegt hier für Kenny in dem Alter des Genres HipHop an sich: "Many musicians from younger genres – rock, electronic, punk, metal, rap, and hip hop – appear unlikely to live long enough to acquire the illnesses of middle and old age." Tatsächlich ist HipHop oder auch Rap-Musik im Vergleich zu vielen anderen Genres relativ jung und feiert erst 2023 den offiziell 50. Geburtstag, dementsprechend sind auch die meisten Protagonist:innen noch nicht in einem Alter für "natürliche" Todesursachen.
Eine Hauptursache dürfte allerdings nicht das Alter des Musikgenres sein, sondern die sozialen Milieus, aus denen weite Teile der HipHop-Musiker:innen stammen. Diese kommen zumeist aus sozial schwächeren Milieus und Schichten. Und tatsächlich muss dabei gar nicht nur an die – zum Teil Klischee-behafteten – Vermutungen über drogenbezogene Kriminalität oder Gang-Kultur gedacht werden. Denn die Mortalitätsrate ist in sozial schwächeren Milieus bereits seit Jahrhunderten deutlich höher als bei sozial stärkeren. Dies zeigen Ergebnisse hiesiger Sozialforschung in diesem Bereich. Der Schweizer Soziologe Michael Nollert stellt in einem Artikel klar: "Der Tod ist kein Zufall", denn die Lebenserwartung ist seit jeher an medizinische und sozialpolitische Entwicklungen gekoppelt, die eben zumeist nicht für alle sozialen Milieus identisch ausfallen.
Viele Todesfälle von Rapper:innen sind bis heute nicht beziehungsweise nur teilweise aufgeklärt. Rückwirkend lässt sich zumindest einiges aus den Lebenswegen der verstorbenen Personen ziehen, da diese zumeist nicht geradlinig verlaufen. Und speziell diese Lebenswege sollten wesentlich mehr Beachtung erhalten. Zu oft wird sich auf das simple Bild "vom Tellerwäscher zum Millionär" versteift. Der sogenannte "soziale Aufstieg" ist längst nicht nur vom wachsenden Geldbeutel abhängig und in manchen Fällen auch gar kein Aufstieg, sondern vielleicht sogar ein Abstieg. Denn die Musikindustrie ist nicht ohne Grund als Haifischbecken, ohne Rücksicht auf Verluste, bekannt. Diese spielt hier eine tragende Rolle, da sie mit verschiedensten Instrumenten und teilweise fragwürdigen Entscheidungen enormen Einfluss auf Rapper:innen hat. Dementsprechend ist ein Blick auf die Todesfälle in der HipHop-Szene durchaus relevant, denn vielen dieser Fälle gehen Geschehnisse voraus, die ein etwas anderes Licht auf die üblichen Narrative der Rap-Welt werfen, fernab von Glanz und Glamour.
KMD – Labels mit fragwürdigen Entscheidungen
1988 gründet sich die HipHop-Gruppe KMD in Long Beach, New York, die zunächst vor allem als Breakdance- und Graffiti-Crew unterwegs ist. Sie besteht aus den Brüdern Zev Love X und DJ Subroc sowie Onyx the Birthstone Kid. Letzterer stößt zur Gruppe hinzu, als diese vom Label Elektra Records gesignt wird. 1991 erfolgt dann die Veröffentlichung des ersten gemeinsamen Albums "Mr. Hood". Ihr Erstlingswerk ist für ein Underground-Release durchaus erfolgreich und erhält einige positive Kritiken. Die Gruppe beginnt dementsprechend umgehend mit der Produktion eines zweiten Albums, welche Anfang 1993 bereits so gut wie abgeschlossen ist. Die Veröffentlichung sollten jedoch nicht mehr alle Bandmitglieder miterleben. Tragischerweise wird am 23.04.1993 DJ Subroc beim Überqueren eines Highways in New York von einem Auto tödlich angefahren. Laut dem Rapper Cage, mit dem Subroc seinen letzten Abend verbracht hat, erliegt der Künstler noch in derselben Nacht im Krankenhaus seinen Verletzungen. Der 1973-geborene DJ und Rapper ist keine 20 Jahre alt geworden. Dante Ross, A&R von KMD, vermutet, dass der Tod mit dem Drogenkonsum von Subroc beziehungsweise der gesamten Band in Verbindung stehen könnte. Die genauen Umstände seines Todes sind jedoch bis heute unklar und die New Yorker Polizei legt den Fall quasi unabgeschlossen ad acta. Trotz der tragischen Umstände beschließt sein Bruder Zev Love X, das Album fertig zu produzieren und zu releasen. Nur ein Jahr später erscheint die erste Single von "Black Bastards" und das Album erhält einen Veröffentlichungstermin im Mai 1994. Kurz vor Veröffentlichung entschließt sich Elektra Records jedoch unerwartet gegen ein Release. Angeblich sei dem Management des Labels Titel und Artwork – welches von Zev Love X selbst gestaltet wurden – zu kontrovers. Unter anderem empfinden die Labelverantwortlichen das Cover wohl als rassistisch. Bei Betrachtung des Umstands, dass die Band selbst aus Schwarzen Künstlern besteht, ist dies eine schwierige Positionierung. Tatsächlich beschäftigt sich das Album inhaltlich mit der Überwindung stereotyper Darstellungen von "Rassen", die stellvertretend auf dem Albumcover durch eine an einem Galgen hängende Sambo-Figur karikiert wird. Die Figur gehörte auch bereits zuvor in verschiedenen Ausführungen zur visuellen Gestaltung von KMD. Das Label beauftragt daraufhin Dante Ross, die Masterbänder des Albums und 20.000 Dollar Zev Love X zu übergeben und ihn damit zu "bitten", das Label zu verlassen. Diese Entscheidung ist aus enorm vielen Perspektiven problematisch, allein bei Betrachtung des Umstands, dass der Rapper und Produzent kurz zuvor seinen Bruder verlor und diesen mit der Veröffentlichung des Albums noch einmal würdigen wollte. Er verabschiedet sich nach dem Verlassen des Labels aus der New Yorker HipHop-Szene und scheint wie vom Erdboden verschluckt. Tatsächlich verlässt Daniell Dumile alias Zev Love X desillusioniert die Stadt und zieht nach Atlanta, um sich um seinen Sohn zu kümmern. Dort versucht er, die Geschehnisse zu verarbeiten und hat mit schweren Depressionen zu kämpfen.
1997 taucht dann ein Rapper in New York auf, der umgehend insbesondere seine Rapkolleg:innen begeistert: MF Doom. Der Künstler, der vorher noch unter dem Pseudonym Zev Love X unterwegs war, tritt nun mit metallener Gesichtsmaske in Erscheinung und wird schnell zu einem weltweit bekannten Underground-Phänomen. Das Album "Black Bastards" wurde längst durch Bootlegs geleakt und erhält schließlich im Jahr 2000 – allerdings erst nach dem Solodebüt "Operation: Doomsday" von MF Doom – sein offizielles Release über das Label ReadyRock. 2004 widmet MF Doom seinem verstorbenen Bruder den Track "Kon Karne": "I dedicate this mix to Subroc, the HipHop Hendrix." Nach über 15 Jahren erfolgreicher Solokarriere kündigt MF Doom 2017 dann mit der Single "True Lightyears" gemeinsam mit Jay Electronica das Comeback-Album von KMD an. Dieses sollte jedoch nicht mehr erscheinen. Am 31.10.2020 stirbt MF Doom aus bis heute unbekannten Gründen. So teilt seine Frau den Verlust der Öffentlichkeit auch erst am Silvesterabend 2020 durch einen Instagram-Post mit. Das Erbe und die Geschichte der beiden Dumile-Brüder erscheint enorm mystisch und inspiriert auch weiterhin viele HipHop-Künstler:innen. Etliche Rapper:innen, darunter Rejjie Snow und Sa-Roc, bedanken sich in der folgenden Zeit insbesondere bei dem "Supervillain" durch gemeinsame Erinnerungen, Features und Samples. Die HipHop-Gruppe Czarface veröffentlicht 2021 sogar mit "Super What?" noch ein gesamtes gemeinsames Album mit Doom.
Shock G – Im Schatten des Erfolgs
Wer sich mit bereits verstorbenen Rapper:innen beschäftigt, denkt in der Regel zuerst an The Notorious B.I.G. und 2Pac. Letzterer startete seine Karriere allerdings nicht als Rapper, sondern zunächst als Background-Tänzer und Roadie der Gruppe Digital Underground. Frontmann der Band war Shock G, welcher 2Pac bereits nach kurzer Zeit die Möglichkeit bot, für die Gruppe ebenfalls zu rappen. Auf dem Track "Same Song" war dann 1991 zum allerersten Mal seine Stimme zu hören. In der Folge entstanden etliche Digital Underground-Songs, auf denen auch Tupac zu hören ist. Shock G begleitete 2Pac fortan bei den ersten Schritten seiner Rap-Karriere. Er produzierte seine erste eigene Single "Trapped" und war Co-Produzent des dazugehörigen Debütalbums "2Pacalypse Now".
Shock G ist gebürtiger New Yorker und studierte bereits Ende der 70er Jahre Musik. Digital Underground gründete der Rapper zusammen mit Chopmaster J schon im Jahr 1987. Mit ihrer ersten Single "Underwater Rimes" landete die Band direkt einen ersten kleinen Hit und schaffte es unter anderem in den Niederlanden auf Platz eins der Charts. Mit dem Song "The Humpty Dance" sicherte sich Digital Underground dann endgültig einen Platz in den HipHop-Geschichtsbüchern. Shock G erschuf sich im Zuge des Songs sein Alter-Ego "Humpty Hump". Dieses trat in der Regel mit Sonnenbrille und einer braunen "Nasenmaske" in Erscheinung. Der Humpty Dance, der ursprünglich eine Parodie von typischen HipHop-Tänzen werden sollte, wurde schnell selbst zu einem typischen und unverkennbaren Tanzschritt innerhalb der HipHop-Szene.
Obwohl Digital Underground in den 90ern durchweg Musik produzierte, sank der finanzielle Erfolg der jeweiligen Veröffentlichungen mit jedem neuen Release weiter. Die Band hatte es grundsätzlich schwer, sich mit ihrem untypischen Erscheinungsbild durchzusetzen. Sie ließ sich für viele Rap-Fans nicht wirklich einordnen, sie passte nicht in klassische Kategorien wie Gangster- oder Conscious-Rap dieser Zeit. Auch ihr Sound entsprach nicht dem Zeitgeist: Anstatt der damals erfolgreichen Boom bap-Beats oder G-Funk-Anleihen produzierte die Band überwiegend verrückte Jazz- und Funkbeats, die zumeist stark an den HipHop-Sound der 80er Jahre erinnerten. Für die Produktionen war Shock G üblicherweise selbst verantwortlich. Aber auch seinen optischen Ideen räumte er stets viel Platz ein und war für viele Artworks der Band verantwortlich.
Shock G schrieb bereits 2005 einen Abschiedsbrief, in welchem er seinen Rückzug aus der Musikindustrie erklärte. Darin erläuterte er, dass ihn die Musikindustrie in die Depressionen und den Drogenmissbrauch getrieben habe und er kein Musikstudio mehr betreten wolle, weil ihn dieser Raum emotional nur noch zusätzlich belaste. Zudem habe er in den sechs Jahren zuvor mit seiner gesamten musikalischen Arbeit keinerlei finanziellen Gewinn erzielen können. Nachdem es auch zunehmend stiller um die Band Digital Underground wurde, verkündete Shock G 2008 nach rund 20 Jahren das Ende der Band mit dem letzten Studioalbum "..Cuz a D.U. Party Don't Stop!". Generell schien sich Shock G danach zunehmend aus der Öffentlichkeit fernzuhalten. Interviews waren seit jeher eine Seltenheit, aber auch die Liveauftritte nahmen insgesamt ab. Im April 2021 erfolgt dann die plötzliche und unerwartete Nachricht über den Tod von Shock G. Die Ursache ist ein lebensgefährlicher "Drogen-Cocktail" bestehend aus Alkohol, dem Schmerzmittel Fentanyl und einer Überdosis Crystal Meth. Am 23.04.2021 lädt die Schauspielerin Amanda Rushing auf ihrem YouTube-Kanal vermutlich eine der letzten Videobotschaften von Shock G hoch. Das Video zeigt den Rapper im Februar 2021. Die Schauspielerin und der Rapper führten scheinbar einst eine Beziehung, hatten jedoch bereits seit 2002 keinen Kontakt mehr. Shock G soll Amanda Rushing allerdings nach einer Club-Show schlecht behandelt haben. Für dieses Verhalten entschuldigte sich der Rapper in der Videobotschaft also nach rund 20 Jahren und widmete Amanda einen Song, den er am Piano performte. Im Video erscheint zudem kurz eine, vermutlich von Shock geschriebene Botschaft auf einem Spiegel: "Please don't leave. I need you." Der Musiker erscheint sichtlich emotional, nachdenklich und gebrochen – ganz im Gegenteil zu der Figur, die er zumeist auf der Bühne als Humpty Hump darstellte. Der Musiker war unter anderem als "The Piano Man" bekannt und war auch ohne offizielle Veröffentlichungen stets musikalisch unterwegs. Vor seinem Tod nahm ihn sein langjähriger Manager Atron Gregory am Piano auf, wodurch im Sommer 2022 die posthume Veröffentlichung eines Shock G-Piano-Albums in den Startlöchern steht, auf dem er unter anderem "To Zion" von Lauryn Hill interpretiert.
Shock G ist allerdings längst nicht der einzige Rapper, der durch oder in Kombination mit einem überdosierten Konsum von Drogen gestorben ist. Speziell in den letzten Jahren häufen sich diese Fälle enorm, darunter Namen wie Ol Dirty Bastard, Mac Miller, Juice WRLD und DMX. In den meisten Fällen wird dabei zwar von einer versehentlichen Überdosierung ausgegangen, aber ob dies wirklich zutrifft, ist in der Regel nicht nachweisbar. Zudem ist bekannt, dass einige Künstler:innen insbesondere psychische Probleme nicht selten durch übermäßigen Drogenkonsum "lösen" beziehungsweise kompensieren. In Anbetracht dessen sollte der textlich häufig "lockere" Umgang mit Drogen etwas genauer und kritischer betrachtet werden, ganz unabhängig davon, inwieweit gewisse Lines der Realität entsprechen.
Lisa "Left Eye" Lopes – Coolness bis in den Tod
Das Trio TLC gehörte definitiv zu den erfolgreichsten HipHop-Acts der 90er Jahre. Alle drei Alben aus dieser Zeit der 1990 gegründeten Band wurden gleich mehrfach mit Platin ausgezeichnet und "FanMail" erreichte sogar die Spitze der US-Charts. Verkaufstechnisch schlagen die ersten TLC-Platten locker die Zahlen von namhaften Künstler:innen wie etwa 2Pac. Insgesamt gingen die drei Alben bisher über 39 Millionen Mal über den Ladentresen.
Dass die Gruppe überhaupt mit HipHop assoziiert wird, liegt dabei primär an der Rapperin Left Eye, bürgerlich Lisa Lopes. Die HipHop-Journalistin Kathy Iandoli beschreibt das Debütalbum der Gruppe als eine spannende Kombination aus Salt-N-Pepa und Public Enemy. Bemerkenswert sind dabei nicht nur die Rapskills, sondern auch das generelle Auftreten und Leben von Left Eye. Left Eyes Rap bildet stets einen Gegenpol zu den nicht selten generischen Hooklines und Popmelodien von TLC. Ihre Lyrics bestechen durch Härte und Ehrlichkeit, unter anderem im Hinblick auf sexuelle Selbstbestimmung und patriarchale Strukturen.
Lisa Lopes kam aus einer musikalischen Familie und war bereits als Jugendliche künstlerisch aktiv: Sie tanzte, modelte, rappte und malte. Mediale Aufmerksamkeit erzielte sie jedoch eher mit ihren Fauxpas. 1994 zündete sie Turnschuhe mit Leichtbenzin im Badezimmer ihres damaligen Freundes an – dem Footballer Andre Rison, der sie mutmaßlich zuvor mehrfach betrogen hatte. In der Folge brannte die gesamte Villa des Sportlers bis auf die Grundmauern ab. Left Eye erhielt infolgedessen eine fünfjährige Bewährungsstrafe und zusätzlich eine Geldstrafe von 1.000 Dollar. Ihre generell rebellische Art wurde zunehmend zu ihrem Markenzeichen. Left Eye hatte bereits früh mit ihrer Drogensucht zu kämpfen und befand sich mehrfach in Therapien und auf Entzug. Im Gegensatz zu Shock G war ihre Karriere relativ schnell von enormem Erfolg gekrönt, was ihre Suchtprobleme allerdings nicht löste, sondern zum Teil sogar verschlimmerte. Sie selbst machte ihren Vater dafür verantwortlich, sie in die Alkoholsucht getrieben zu haben, unter anderem durch seinen "militärischen" Erziehungsstil.
In den folgenden Jahren steckte die gesamte Band, trotz des enormen Erfolgs ihrer Musik, in finanziellen Schwierigkeiten. Left Eye traf es in dieser Zeit allerdings doppelt, da sie musikalisch zunehmend an den Rand der Gruppe gedrängt wurde. Grund hierfür waren insbesondere die ersten Charterfolge der Band. Um an diese anknüpfen zu können, sollte der Sound möglichst radiotauglich werden, für die eher härteren Rap-Strophen von Left Eye inmitten von Songs war also kaum noch Platz. Das prägnanteste Beispiel liefert hier vermutlich die Radioversion des Klassikers "Waterfalls", in dem ihr Rap-Part gleich ganz gestrichen wurde. Aus "Realkeeper"-Perspektive war diese Entwicklung durchaus problematisch, denn Lisa Lopes war von den drei Künstlerinnen am meisten an den Songwriting-Prozessen beteiligt und schrieb ihre Textpassagen grundsätzlich selbst.
Ab Ende der 90er ging die Rapperin dementsprechend zunehmend ihren eigenen Weg und war als Soloartist bei einigen Rap-Kolleg:innen Feature-Gast. 2001 veröffentlichte sie dann nach über zehn Jahren Karriere ihr erstes Soloalbum "Supernova". Das Album erschien allerdings lediglich in Europa und Japan über das Label BMG. In den USA ist es bis heute nicht releast, da das Label Arista Records, das auch für fast alle TLC-Veröffentlichungen bis dato verantwortlich gewesen ist, mit dem ersten Feedback auf das Album nicht zufrieden war. Stattdessen ließ das Label die Rapperin auf etlichen Kosten für Promo und Musikvideos sitzen, zahlte ihr die Einnahmen aus Europa und Japan nicht aus und empfahl ihr, sich lieber auf das nächste TLC-Album vorzubereiten.
Im Frühjahr 2002 begab sich die Rapperin dann mit Familie und Freund:innen auf eine Reise nach Honduras. Dort drehte sie – neben den eher üblichen Urlaubstätigkeiten – eine Art Dokumentation über ihr bisheriges Leben und ihre Reise. Der Film wurde allerdings erst 2007 von der Regisseurin Lauren Lazin unter dem Titel "The Last Days of Left Eye" veröffentlicht. Die Regisseurin ist in diesem Bereich nicht unerfahren und produzierte bereits Dokumentationen unter anderem über Dr. Dre und 2Pac. Der gesamte Film erzeugt eine Vlog-Atmosphäre, da Left Eye häufig selbst direkt in die Kamera spricht. Parallel erzählt er allerdings ihre Geschichte, woher sie kommt und wie sie zur Künstlerin wurde. Untermalt wird ihre Story mit passenden Fotos und Videoausschnitten vergangener Jahre. Neben den Erfolgen von TLC wird es in der Dokumentation aber auch sehr persönlich: Left Eye spricht über ihre Konflikte mit dem Gesetz, ihren problematischen Alkoholkonsum und den Alkohol- und Drogenentzug.
Am 25.04.2002 verstarb Lisa Lopes bei einem Autounfall während der Honduras-Reise. Ihre letzten Augenblicke sind ebenfalls Teil der Dokumentation. Im letzten Drittel des Films ist sie beim unangeschnallten Autofahren zu sehen. Mit dem überbesetzten Auto versuchte Left Eye, einem entgegenkommenden Fahrzeug auszuweichen. Bei dem Manöver überschlug sich der Wagen und landete neben der Straße. Die Rapperin verstarb infolge ihrer schweren Kopfverletzungen, alle anderen Mitfahrer:innen überlebten den Unfall. TLC veröffentlichten noch im selben Jahr das Album "3D" mit den letzten gemeinsamen Aufnahmen mit Left Eye. Der Titel ist dabei angelehnt an eine ältere Idee der Rapperin, dass die drei Band-Mitglieder jeweils ein Soloalbum produzieren sollten und diese dann gebündelt als 3CD-Set herauszubringen könnten. TLC entschloss sich nach dem Tod von Lisa Lopes explizit dazu, diese nicht durch ein neues Mitglied zu "ersetzen", sondern als Duo weiterzumachen. Zu einem neuen Album kam es allerdings erst 15 Jahre später.
Nicht nur das Auto wird – von vielen Rapper:innen – als wertvolles Statussymbol betrachtet, sondern auch das "coole" und zumeist unangeschnallte Autofahren scheint den Freshness-Wert scheinbar zu steigern. Und dabei ist auch egal, ob Cypress Hill in einem Lowrider durch Los Angeles fahren, Shindy lässig seinen Arm aus dem Fenster seines Autos hängen lässt oder sich Fatoni bei Schrittgeschwindigkeit auf einem Waldweg halb aus einem Cabrio lehnt. Der Gurt ist einigen Verkehrsteilnehmer:innen weiterhin ein Dorn im Auge trotz seiner bewiesenen Wichtigkeit. Auch innerhalb der Rap-Szene ist diese Haltung teilweise vorhanden und wird auch öffentlich in Musikvideos oder auf Social Media verbreitet. Eine Studie aus dem Jahr 2018 kommt zu dem Schluss, dass allein in Deutschland jährlich 200 Verkehrstode nur durch das korrekte Anschnallen hätten verhindert werden können. Und vermutlich auch ein prominenter Fall wie der von Left Eye.
Psychische Krankheiten, Drogenkonsum und eine zermürbende Industrie
Die drei Karriere- und auch Lebenswege von MF Doom, Shock G und Left Eye könnten kaum unterschiedlicher sein. Trotzdem eint sie eine Vielzahl an problematischen Umständen, die zumeist mit ihrem Dasein in der Musikindustrie in Verbindung stehen. Ebenjene Aspekte lassen sich in Rap-Biografien wesentlich häufiger vorfinden als in anderen popkulturellen Kontexten. Speziell aus diesem Grund sollten die Geschichten von Künstler:innen wie MF Doom, Shock G und Left Eye erzählt werden. Denn die zumeist in Rap-Texten präsentierten Narrative, wie etwa Unverwundbarkeit und das Leben als ewige Party, sind in vielen Fällen nur ein kleiner Teil der Lebensrealitäten der Künstler:innen oder dienen sogar gänzlich als Fassade eines emotionalen Wracks.
Künstler:innen wird nicht selten indirekt die Aufgabe zugeteilt, anderen Menschen auf verschiedenste Weise einen kulturellen Mehrwert zu liefern und ihnen somit etwas Positives mit auf den Weg zu geben. Häufig geraten dabei allerdings die Künstler:innen selbst in problematische Situationen, aus denen sie sich nur schwer alleine befreien können. Entsprechend wichtig ist es, speziell für das künstlerische Umfeld – zum Beispiel Manager:innen, Plattenfirmen, andere Musiker:innen –, Hilfe anzubieten und rücksichtsvoll zu handeln, sollten etwa psychische Krankheiten auftreten. Dies hat bei MF Doom, Shock G und Left Eye leider zumeist nicht stattgefunden und stellt somit eine weitere Schattenseite des Ablebens dieser Künstler:innen dar.
(Alec Weber)
(Titelbild von Daniel Fersch)