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Reportage

Rap und Tod – zwischen Mysterium und Schicksal

Frü­he Tode von Rapper:innen sind lei­der kei­ne Sel­ten­heit. Häu­fig ste­hen sie dabei in enger Ver­bin­dung zu ihren Kar­rie­re­we­gen inner­halb der Musik­in­dus­trie. Über die Schick­sa­le von Left Eye, MF Doom und Shock G und ihre Pro­ble­me inner­halb des Musikgeschäfts.

Hip­Hop unter­schei­det sich nicht nur musi­ka­lisch von ande­ren Gen­res. Einen beson­ders ver­hee­ren­den Unter­schied gibt es auch in Bezug auf das The­ma Tod. Eine Stu­die aus dem Jahr 2015 zeigt, dass das durch­schnitt­li­che Todes­al­ter von US-Rapper:innen zwi­schen 25 und 30 Jah­ren liegt. Die­ses Durch­schnitts­al­ter dürf­te sich in den letz­ten Jah­ren eher ver­rin­gert als erhöht haben. Zwi­schen 2016 und 2022 star­ben teil­wei­se ame­ri­ka­ni­sche HipHop-Künstler:innen mit unter 20 Jah­ren, wäh­rend kei­ner der toten Acts älter als 57 wur­de. Die Musik- und Psychologie-​Professorin Dian­na Thea­do­ra Ken­ny stellt in einem Arti­kel zudem fest, dass die Tode im HipHop-​Bereich auf­fäl­lig sel­ten "natür­lich" sind, also zum Bei­spiel durch Krebs oder Herz-​Probleme. Einer der Grün­de liegt hier für Ken­ny in dem Alter des Gen­res Hip­Hop an sich: "Many musi­ci­ans from youn­ger gen­res – rock, elec­tro­nic, punk, metal, rap, and hip hop – appear unli­kely to live long enough to acqui­re the ill­nesses of midd­le and old age." Tat­säch­lich ist Hip­Hop oder auch Rap-​Musik im Ver­gleich zu vie­len ande­ren Gen­res rela­tiv jung und fei­ert erst 2023 den offi­zi­ell 50. Geburts­tag, dem­entspre­chend sind auch die meis­ten Protagonist:innen noch nicht in einem Alter für "natür­li­che" Todesursachen.

Eine Haupt­ur­sa­che dürf­te aller­dings nicht das Alter des Musik­gen­res sein, son­dern die sozia­len Milieus, aus denen wei­te Tei­le der HipHop-Musiker:innen stam­men. Die­se kom­men zumeist aus sozi­al schwä­che­ren Milieus und Schich­ten. Und tat­säch­lich muss dabei gar nicht nur an die – zum Teil Klischee-​behafteten – Ver­mu­tun­gen über dro­gen­be­zo­ge­ne Kri­mi­na­li­tät oder Gang-​Kultur gedacht wer­den. Denn die Mor­ta­li­täts­ra­te ist in sozi­al schwä­che­ren Milieus bereits seit Jahr­hun­der­ten deut­lich höher als bei sozi­al stär­ke­ren. Dies zei­gen Ergeb­nis­se hie­si­ger Sozi­al­for­schung in die­sem Bereich. Der Schwei­zer Sozio­lo­ge Micha­el Nol­lert stellt in einem Arti­kel klar: "Der Tod ist kein Zufall", denn die Lebens­er­war­tung ist seit jeher an medi­zi­ni­sche und sozi­al­po­li­ti­sche Ent­wick­lun­gen gekop­pelt, die eben zumeist nicht für alle sozia­len Milieus iden­tisch ausfallen.

Vie­le Todes­fäl­le von Rapper:innen sind bis heu­te nicht bezie­hungs­wei­se nur teil­wei­se auf­ge­klärt. Rück­wir­kend lässt sich zumin­dest eini­ges aus den Lebens­we­gen der ver­stor­be­nen Per­so­nen zie­hen, da die­se zumeist nicht gerad­li­nig ver­lau­fen. Und spe­zi­ell die­se Lebens­we­ge soll­ten wesent­lich mehr Beach­tung erhal­ten. Zu oft wird sich auf das simp­le Bild "vom Tel­ler­wä­scher zum Mil­lio­när" ver­steift. Der soge­nann­te "sozia­le Auf­stieg" ist längst nicht nur vom wach­sen­den Geld­beu­tel abhän­gig und in man­chen Fäl­len auch gar kein Auf­stieg, son­dern viel­leicht sogar ein Abstieg. Denn die Musik­in­dus­trie ist nicht ohne Grund als Hai­fisch­be­cken, ohne Rück­sicht auf Ver­lus­te, bekannt. Die­se spielt hier eine tra­gen­de Rol­le, da sie mit ver­schie­dens­ten Instru­men­ten und teil­wei­se frag­wür­di­gen Ent­schei­dun­gen enor­men Ein­fluss auf Rapper:innen hat. Dem­entspre­chend ist ein Blick auf die Todes­fäl­le in der HipHop-​Szene durch­aus rele­vant, denn vie­len die­ser Fäl­le gehen Gescheh­nis­se vor­aus, die ein etwas ande­res Licht auf die übli­chen Nar­ra­ti­ve der Rap-​Welt wer­fen, fern­ab von Glanz und Glamour.

 

KMD – Labels mit frag­wür­di­gen Entscheidungen

1988 grün­det sich die HipHop-​Gruppe KMD in Long Beach, New York, die zunächst vor allem als Breakdance- und Graffiti-​Crew unter­wegs ist. Sie besteht aus den Brü­dern Zev Love X und DJ Sub­roc sowie Onyx the Birth­stone Kid. Letz­te­rer stößt zur Grup­pe hin­zu, als die­se vom Label Elek­tra Records gesignt wird. 1991 erfolgt dann die Ver­öf­fent­li­chung des ers­ten gemein­sa­men Albums "Mr. Hood". Ihr Erst­lings­werk ist für ein Underground-​Release durch­aus erfolg­reich und erhält eini­ge posi­ti­ve Kri­ti­ken. Die Grup­pe beginnt dem­entspre­chend umge­hend mit der Pro­duk­ti­on eines zwei­ten Albums, wel­che Anfang 1993 bereits so gut wie abge­schlos­sen ist. Die Ver­öf­fent­li­chung soll­ten jedoch nicht mehr alle Band­mit­glie­der mit­er­le­ben. Tra­gi­scher­wei­se wird am 23.04.1993 DJ Sub­roc beim Über­que­ren eines High­ways in New York von einem Auto töd­lich ange­fah­ren. Laut dem Rap­per Cage, mit dem Sub­roc sei­nen letz­ten Abend ver­bracht hat, erliegt der Künst­ler noch in der­sel­ben Nacht im Kran­ken­haus sei­nen Ver­let­zun­gen. Der 1973-​geborene DJ und Rap­per ist kei­ne 20 Jah­re alt gewor­den. Dan­te Ross, A&R von KMD, ver­mu­tet, dass der Tod mit dem Dro­gen­kon­sum von Sub­roc bezie­hungs­wei­se der gesam­ten Band in Ver­bin­dung ste­hen könn­te. Die genau­en Umstän­de sei­nes Todes sind jedoch bis heu­te unklar und die New Yor­ker Poli­zei legt den Fall qua­si unab­ge­schlos­sen ad acta. Trotz der tra­gi­schen Umstän­de beschließt sein Bru­der Zev Love X, das Album fer­tig zu pro­du­zie­ren und zu releasen. Nur ein Jahr spä­ter erscheint die ers­te Sin­gle von "Black Bas­tards" und das Album erhält einen Ver­öf­fent­li­chungs­ter­min im Mai 1994. Kurz vor Ver­öf­fent­li­chung ent­schließt sich Elek­tra Records jedoch uner­war­tet gegen ein Release. Angeb­lich sei dem Manage­ment des Labels Titel und Art­work – wel­ches von Zev Love X selbst gestal­tet wur­den – zu kon­tro­vers. Unter ande­rem emp­fin­den die Label­ver­ant­wort­li­chen das Cover wohl als ras­sis­tisch. Bei Betrach­tung des Umstands, dass die Band selbst aus Schwar­zen Künst­lern besteht, ist dies eine schwie­ri­ge Posi­tio­nie­rung. Tat­säch­lich beschäf­tigt sich das Album inhalt­lich mit der Über­win­dung ste­reo­ty­per Dar­stel­lun­gen von "Ras­sen", die stell­ver­tre­tend auf dem Album­co­ver durch eine an einem Gal­gen hän­gen­de Sambo-​Figur kari­kiert wird. Die Figur gehör­te auch bereits zuvor in ver­schie­de­nen Aus­füh­run­gen zur visu­el­len Gestal­tung von KMD. Das Label beauf­tragt dar­auf­hin Dan­te Ross, die Mas­ter­bän­der des Albums und 20.000 Dol­lar Zev Love X zu über­ge­ben und ihn damit zu "bit­ten", das Label zu ver­las­sen. Die­se Ent­schei­dung ist aus enorm vie­len Per­spek­ti­ven pro­ble­ma­tisch, allein bei Betrach­tung des Umstands, dass der Rap­per und Pro­du­zent kurz zuvor sei­nen Bru­der ver­lor und die­sen mit der Ver­öf­fent­li­chung des Albums noch ein­mal wür­di­gen woll­te. Er ver­ab­schie­det sich nach dem Ver­las­sen des Labels aus der New Yor­ker HipHop-​Szene und scheint wie vom Erd­bo­den ver­schluckt. Tat­säch­lich ver­lässt Dani­ell Dumi­le ali­as Zev Love X des­il­lu­sio­niert die Stadt und zieht nach Atlan­ta, um sich um sei­nen Sohn zu küm­mern. Dort ver­sucht er, die Gescheh­nis­se zu ver­ar­bei­ten und hat mit schwe­ren Depres­sio­nen zu kämpfen.

1997 taucht dann ein Rap­per in New York auf, der umge­hend ins­be­son­de­re sei­ne Rapkolleg:innen begeis­tert: MF Doom. Der Künst­ler, der vor­her noch unter dem Pseud­onym Zev Love X unter­wegs war, tritt nun mit metal­le­ner Gesichts­mas­ke in Erschei­nung und wird schnell zu einem welt­weit bekann­ten Underground-​Phänomen. Das Album "Black Bas­tards" wur­de längst durch Boot­legs gele­akt und erhält schließ­lich im Jahr 2000 – aller­dings erst nach dem Solo­de­büt "Ope­ra­ti­on: Doomsday" von MF Doom – sein offi­zi­el­les Release über das Label Rea­dy­Rock. 2004 wid­met MF Doom sei­nem ver­stor­be­nen Bru­der den Track "Kon Kar­ne": "I dedi­ca­te this mix to Sub­roc, the Hip­Hop Hen­drix." Nach über 15 Jah­ren erfolg­rei­cher Solo­kar­rie­re kün­digt MF Doom 2017 dann mit der Sin­gle "True Ligh­tye­ars" gemein­sam mit Jay Elec­tro­ni­ca das Comeback-​Album von KMD an. Die­ses soll­te jedoch nicht mehr erschei­nen. Am 31.10.2020 stirbt MF Doom aus bis heu­te unbe­kann­ten Grün­den. So teilt sei­ne Frau den Ver­lust der Öffent­lich­keit auch erst am Sil­ves­ter­abend 2020 durch einen Instagram-​Post mit. Das Erbe und die Geschich­te der bei­den Dumile-​Brüder erscheint enorm mys­tisch und inspi­riert auch wei­ter­hin vie­le HipHop-Künstler:innen. Etli­che Rapper:innen, dar­un­ter Rej­jie Snow und Sa-​Roc, bedan­ken sich in der fol­gen­den Zeit ins­be­son­de­re bei dem "Super­vil­lain" durch gemein­sa­me Erin­ne­run­gen, Fea­tures und Samples. Die HipHop-​Gruppe Czar­face ver­öf­fent­licht 2021 sogar mit "Super What?" noch ein gesam­tes gemein­sa­mes Album mit Doom.

 

Shock G – Im Schat­ten des Erfolgs

Wer sich mit bereits ver­stor­be­nen Rapper:innen beschäf­tigt, denkt in der Regel zuerst an The Noto­rious B.I.G. und 2Pac. Letz­te­rer star­te­te sei­ne Kar­rie­re aller­dings nicht als Rap­per, son­dern zunächst als Background-​Tänzer und Roa­die der Grup­pe Digi­tal Under­ground. Front­mann der Band war Shock G, wel­cher 2Pac bereits nach kur­zer Zeit die Mög­lich­keit bot, für die Grup­pe eben­falls zu rap­pen. Auf dem Track "Same Song" war dann 1991 zum aller­ers­ten Mal sei­ne Stim­me zu hören. In der Fol­ge ent­stan­den etli­che Digi­tal Underground-​Songs, auf denen auch Tupac zu hören ist. Shock G beglei­te­te 2Pac fort­an bei den ers­ten Schrit­ten sei­ner Rap-​Karriere. Er pro­du­zier­te sei­ne ers­te eige­ne Sin­gle "Trap­ped" und war Co-​Produzent des dazu­ge­hö­ri­gen Debüt­al­bums "2Pacalypse Now".

Shock G ist gebür­ti­ger New Yor­ker und stu­dier­te bereits Ende der 70er Jah­re Musik. Digi­tal Under­ground grün­de­te der Rap­per zusam­men mit Chop­mas­ter J schon im Jahr 1987. Mit ihrer ers­ten Sin­gle "Under­wa­ter Rimes" lan­de­te die Band direkt einen ers­ten klei­nen Hit und schaff­te es unter ande­rem in den Nie­der­lan­den auf Platz eins der Charts. Mit dem Song "The Hump­ty Dance" sicher­te sich Digi­tal Under­ground dann end­gül­tig einen Platz in den HipHop-​Geschichtsbüchern. Shock G erschuf sich im Zuge des Songs sein Alter-​Ego "Hump­ty Hump". Die­ses trat in der Regel mit Son­nen­bril­le und einer brau­nen "Nasen­mas­ke" in Erschei­nung. Der Hump­ty Dance, der ursprüng­lich eine Par­odie von typi­schen HipHop-​Tänzen wer­den soll­te, wur­de schnell selbst zu einem typi­schen und unver­kenn­ba­ren Tanz­schritt inner­halb der HipHop-Szene.

Obwohl Digi­tal Under­ground in den 90ern durch­weg Musik pro­du­zier­te, sank der finan­zi­el­le Erfolg der jewei­li­gen Ver­öf­fent­li­chun­gen mit jedem neu­en Release wei­ter. Die Band hat­te es grund­sätz­lich schwer, sich mit ihrem unty­pi­schen Erschei­nungs­bild durch­zu­set­zen. Sie ließ sich für vie­le Rap-​Fans nicht wirk­lich ein­ord­nen, sie pass­te nicht in klas­si­sche Kate­go­rien wie Gangster- oder Conscious-​Rap die­ser Zeit. Auch ihr Sound ent­sprach nicht dem Zeit­geist: Anstatt der damals erfolg­rei­chen Boom bap-​Beats oder G-​Funk-​Anleihen pro­du­zier­te die Band über­wie­gend ver­rück­te Jazz- und Funk­beats, die zumeist stark an den HipHop-​Sound der 80er Jah­re erin­ner­ten. Für die Pro­duk­tio­nen war Shock G übli­cher­wei­se selbst ver­ant­wort­lich. Aber auch sei­nen opti­schen Ideen räum­te er stets viel Platz ein und war für vie­le Art­works der Band verantwortlich.

Shock G schrieb bereits 2005 einen Abschieds­brief, in wel­chem er sei­nen Rück­zug aus der Musik­in­dus­trie erklär­te. Dar­in erläu­ter­te er, dass ihn die Musik­in­dus­trie in die Depres­sio­nen und den Dro­gen­miss­brauch getrie­ben habe und er kein Musik­stu­dio mehr betre­ten wol­le, weil ihn die­ser Raum emo­tio­nal nur noch zusätz­lich belas­te. Zudem habe er in den sechs Jah­ren zuvor mit sei­ner gesam­ten musi­ka­li­schen Arbeit kei­ner­lei finan­zi­el­len Gewinn erzie­len kön­nen. Nach­dem es auch zuneh­mend stil­ler um die Band Digi­tal Under­ground wur­de, ver­kün­de­te Shock G 2008 nach rund 20 Jah­ren das Ende der Band mit dem letz­ten Stu­dio­al­bum "..Cuz a D.U. Par­ty Don't Stop!". Gene­rell schien sich Shock G danach zuneh­mend aus der Öffent­lich­keit fern­zu­hal­ten. Inter­views waren seit jeher eine Sel­ten­heit, aber auch die Live­auf­trit­te nah­men ins­ge­samt ab. Im April 2021 erfolgt dann die plötz­li­che und uner­war­te­te Nach­richt über den Tod von Shock G. Die Ursa­che ist ein lebens­ge­fähr­li­cher "Drogen-​Cocktail" bestehend aus Alko­hol, dem Schmerz­mit­tel Fen­ta­nyl und einer Über­do­sis Crys­tal Meth. Am 23.04.2021 lädt die Schau­spie­le­rin Aman­da Rus­hing auf ihrem YouTube-​Kanal ver­mut­lich eine der letz­ten Video­bot­schaf­ten von Shock G hoch. Das Video zeigt den Rap­per im Febru­ar 2021. Die Schau­spie­le­rin und der Rap­per führ­ten schein­bar einst eine Bezie­hung, hat­ten jedoch bereits seit 2002 kei­nen Kon­takt mehr. Shock G soll Aman­da Rus­hing aller­dings nach einer Club-​Show schlecht behan­delt haben. Für die­ses Ver­hal­ten ent­schul­dig­te sich der Rap­per in der Video­bot­schaft also nach rund 20 Jah­ren und wid­me­te Aman­da einen Song, den er am Pia­no per­form­te. Im Video erscheint zudem kurz eine, ver­mut­lich von Shock geschrie­be­ne Bot­schaft auf einem Spie­gel: "Plea­se don't lea­ve. I need you." Der Musi­ker erscheint sicht­lich emo­tio­nal, nach­denk­lich und gebro­chen – ganz im Gegen­teil zu der Figur, die er zumeist auf der Büh­ne als Hump­ty Hump dar­stell­te. Der Musi­ker war unter ande­rem als "The Pia­no Man" bekannt und war auch ohne offi­zi­el­le Ver­öf­fent­li­chun­gen stets musi­ka­lisch unter­wegs. Vor sei­nem Tod nahm ihn sein lang­jäh­ri­ger Mana­ger Atron Gre­go­ry am Pia­no auf, wodurch im Som­mer 2022 die post­hu­me Ver­öf­fent­li­chung eines Shock G-​Piano-​Albums in den Start­lö­chern steht, auf dem er unter ande­rem "To Zion" von Lau­ryn Hill interpretiert.

Shock G /​ Hump­ty Hump /​ Greg Jacobs last video sent to Aman­da Rus­hing apo­lo­gi­zing. Read the mirror

Shock G ist aller­dings längst nicht der ein­zi­ge Rap­per, der durch oder in Kom­bi­na­ti­on mit einem über­do­sier­ten Kon­sum von Dro­gen gestor­ben ist. Spe­zi­ell in den letz­ten Jah­ren häu­fen sich die­se Fäl­le enorm, dar­un­ter Namen wie Ol Dir­ty Bas­tard, Mac Mil­ler, Juice WRLD und DMX. In den meis­ten Fäl­len wird dabei zwar von einer ver­se­hent­li­chen Über­do­sie­rung aus­ge­gan­gen, aber ob dies wirk­lich zutrifft, ist in der Regel nicht nach­weis­bar. Zudem ist bekannt, dass eini­ge Künstler:innen ins­be­son­de­re psy­chi­sche Pro­ble­me nicht sel­ten durch über­mä­ßi­gen Dro­gen­kon­sum "lösen" bezie­hungs­wei­se kom­pen­sie­ren. In Anbe­tracht des­sen soll­te der text­lich häu­fig "locke­re" Umgang mit Dro­gen etwas genau­er und kri­ti­scher betrach­tet wer­den, ganz unab­hän­gig davon, inwie­weit gewis­se Lines der Rea­li­tät entsprechen.

 

Lisa "Left Eye" Lopes – Cool­ness bis in den Tod

Das Trio TLC gehör­te defi­ni­tiv zu den erfolg­reichs­ten HipHop-​Acts der 90er Jah­re. Alle drei Alben aus die­ser Zeit der 1990 gegrün­de­ten Band wur­den gleich mehr­fach mit Pla­tin aus­ge­zeich­net und "Fan­Mail" erreich­te sogar die Spit­ze der US-​Charts. Ver­kaufs­tech­nisch schla­gen die ers­ten TLC-​Platten locker die Zah­len von nam­haf­ten Künstler:innen wie etwa 2Pac. Ins­ge­samt gin­gen die drei Alben bis­her über 39 Mil­lio­nen Mal über den Ladentresen.

Dass die Grup­pe über­haupt mit Hip­Hop asso­zi­iert wird, liegt dabei pri­mär an der Rap­pe­rin Left Eye, bür­ger­lich Lisa Lopes. Die HipHop-​Journalistin Kathy Ian­do­li beschreibt das Debüt­al­bum der Grup­pe als eine span­nen­de Kom­bi­na­ti­on aus Salt-​N-​Pepa und Public Ene­my. Bemer­kens­wert sind dabei nicht nur die Raps­kills, son­dern auch das gene­rel­le Auf­tre­ten und Leben von Left Eye. Left Eyes Rap bil­det stets einen Gegen­pol zu den nicht sel­ten gene­ri­schen Hook­li­nes und Pop­me­lo­dien von TLC. Ihre Lyrics bestechen durch Här­te und Ehr­lich­keit, unter ande­rem im Hin­blick auf sexu­el­le Selbst­be­stim­mung und patri­ar­cha­le Strukturen.

Lisa Lopes kam aus einer musi­ka­li­schen Fami­lie und war bereits als Jugend­li­che künst­le­risch aktiv: Sie tanz­te, model­te, rapp­te und mal­te. Media­le Auf­merk­sam­keit erziel­te sie jedoch eher mit ihren Faux­pas. 1994 zün­de­te sie Turn­schu­he mit Leicht­ben­zin im Bade­zim­mer ihres dama­li­gen Freun­des an – dem Foot­bal­ler And­re Rison, der sie mut­maß­lich zuvor mehr­fach betro­gen hat­te. In der Fol­ge brann­te die gesam­te Vil­la des Sport­lers bis auf die Grund­mau­ern ab. Left Eye erhielt infol­ge­des­sen eine fünf­jäh­ri­ge Bewäh­rungs­stra­fe und zusätz­lich eine Geld­stra­fe von 1.000 Dol­lar. Ihre gene­rell rebel­li­sche Art wur­de zuneh­mend zu ihrem Mar­ken­zei­chen. Left Eye hat­te bereits früh mit ihrer Dro­gen­sucht zu kämp­fen und befand sich mehr­fach in The­ra­pien und auf Ent­zug. Im Gegen­satz zu Shock G war ihre Kar­rie­re rela­tiv schnell von enor­mem Erfolg gekrönt, was ihre Sucht­pro­ble­me aller­dings nicht lös­te, son­dern zum Teil sogar ver­schlim­mer­te. Sie selbst mach­te ihren Vater dafür ver­ant­wort­lich, sie in die Alko­hol­sucht getrie­ben zu haben, unter ande­rem durch sei­nen "mili­tä­ri­schen" Erziehungsstil.

In den fol­gen­den Jah­ren steck­te die gesam­te Band, trotz des enor­men Erfolgs ihrer Musik, in finan­zi­el­len Schwie­rig­kei­ten. Left Eye traf es in die­ser Zeit aller­dings dop­pelt, da sie musi­ka­lisch zuneh­mend an den Rand der Grup­pe gedrängt wur­de. Grund hier­für waren ins­be­son­de­re die ers­ten Chart­erfol­ge der Band. Um an die­se anknüp­fen zu kön­nen, soll­te der Sound mög­lichst radio­taug­lich wer­den, für die eher här­te­ren Rap-​Strophen von Left Eye inmit­ten von Songs war also kaum noch Platz. Das prä­gnan­tes­te Bei­spiel lie­fert hier ver­mut­lich die Radio­ver­si­on des Klas­si­kers "Water­falls", in dem ihr Rap-​Part gleich ganz gestri­chen wur­de. Aus "Realkeeper"-Perspektive war die­se Ent­wick­lung durch­aus pro­ble­ma­tisch, denn Lisa Lopes war von den drei Künst­le­rin­nen am meis­ten an den Songwriting-​Prozessen betei­ligt und schrieb ihre Text­pas­sa­gen grund­sätz­lich selbst.

Ab Ende der 90er ging die Rap­pe­rin dem­entspre­chend zuneh­mend ihren eige­nen Weg und war als Solo­ar­tist bei eini­gen Rap-Kolleg:innen Feature-​Gast. 2001 ver­öf­fent­lich­te sie dann nach über zehn Jah­ren Kar­rie­re ihr ers­tes Solo­al­bum "Super­no­va". Das Album erschien aller­dings ledig­lich in Euro­pa und Japan über das Label BMG. In den USA ist es bis heu­te nicht releast, da das Label Aris­ta Records, das auch für fast alle TLC-​Veröffentlichungen bis dato ver­ant­wort­lich gewe­sen ist, mit dem ers­ten Feed­back auf das Album nicht zufrie­den war. Statt­des­sen ließ das Label die Rap­pe­rin auf etli­chen Kos­ten für Pro­mo und Musik­vi­de­os sit­zen, zahl­te ihr die Ein­nah­men aus Euro­pa und Japan nicht aus und emp­fahl ihr, sich lie­ber auf das nächs­te TLC-​Album vorzubereiten.

Im Früh­jahr 2002 begab sich die Rap­pe­rin dann mit Fami­lie und Freund:innen auf eine Rei­se nach Hon­du­ras. Dort dreh­te sie – neben den eher übli­chen Urlaub­s­tä­tig­kei­ten – eine Art Doku­men­ta­ti­on über ihr bis­he­ri­ges Leben und ihre Rei­se. Der Film wur­de aller­dings erst 2007 von der Regis­seu­rin Lau­ren Lazin unter dem Titel "The Last Days of Left Eye" ver­öf­fent­licht. Die Regis­seu­rin ist in die­sem Bereich nicht uner­fah­ren und pro­du­zier­te bereits Doku­men­ta­tio­nen unter ande­rem über Dr. Dre und 2Pac. Der gesam­te Film erzeugt eine Vlog-​Atmosphäre, da Left Eye häu­fig selbst direkt in die Kame­ra spricht. Par­al­lel erzählt er aller­dings ihre Geschich­te, woher sie kommt und wie sie zur Künst­le­rin wur­de. Unter­malt wird ihre Sto­ry mit pas­sen­den Fotos und Video­aus­schnit­ten ver­gan­ge­ner Jah­re. Neben den Erfol­gen von TLC wird es in der Doku­men­ta­ti­on aber auch sehr per­sön­lich: Left Eye spricht über ihre Kon­flik­te mit dem Gesetz, ihren pro­ble­ma­ti­schen Alko­hol­kon­sum und den Alkohol- und Drogenentzug.

Am 25.04.2002 ver­starb Lisa Lopes bei einem Auto­un­fall wäh­rend der Honduras-​Reise. Ihre letz­ten Augen­bli­cke sind eben­falls Teil der Doku­men­ta­ti­on. Im letz­ten Drit­tel des Films ist sie beim unan­ge­schnall­ten Auto­fah­ren zu sehen. Mit dem über­be­setz­ten Auto ver­such­te Left Eye, einem ent­ge­gen­kom­men­den Fahr­zeug aus­zu­wei­chen. Bei dem Manö­ver über­schlug sich der Wagen und lan­de­te neben der Stra­ße. Die Rap­pe­rin ver­starb infol­ge ihrer schwe­ren Kopf­ver­let­zun­gen, alle ande­ren Mitfahrer:innen über­leb­ten den Unfall. TLC ver­öf­fent­lich­ten noch im sel­ben Jahr das Album "3D" mit den letz­ten gemein­sa­men Auf­nah­men mit Left Eye. Der Titel ist dabei ange­lehnt an eine älte­re Idee der Rap­pe­rin, dass die drei Band-​Mitglieder jeweils ein Solo­al­bum pro­du­zie­ren soll­ten und die­se dann gebün­delt als 3CD-​Set her­aus­zu­brin­gen könn­ten. TLC ent­schloss sich nach dem Tod von Lisa Lopes expli­zit dazu, die­se nicht durch ein neu­es Mit­glied zu "erset­zen", son­dern als Duo wei­ter­zu­ma­chen. Zu einem neu­en Album kam es aller­dings erst 15 Jah­re später.

Nicht nur das Auto wird – von vie­len Rapper:innen – als wert­vol­les Sta­tus­sym­bol betrach­tet, son­dern auch das "coo­le" und zumeist unan­ge­schnall­te Auto­fah­ren scheint den Freshness-​Wert schein­bar zu stei­gern. Und dabei ist auch egal, ob Cypress Hill in einem Lowri­der durch Los Ange­les fah­ren, Shin­dy läs­sig sei­nen Arm aus dem Fens­ter sei­nes Autos hän­gen lässt oder sich Fato­ni bei Schritt­ge­schwin­dig­keit auf einem Wald­weg halb aus einem Cabrio lehnt. Der Gurt ist eini­gen Verkehrsteilnehmer:innen wei­ter­hin ein Dorn im Auge trotz sei­ner bewie­se­nen Wich­tig­keit. Auch inner­halb der Rap-​Szene ist die­se Hal­tung teil­wei­se vor­han­den und wird auch öffent­lich in Musik­vi­de­os oder auf Social Media ver­brei­tet. Eine Stu­die aus dem Jahr 2018 kommt zu dem Schluss, dass allein in Deutsch­land jähr­lich 200 Ver­kehrs­to­de nur durch das kor­rek­te Anschnal­len hät­ten ver­hin­dert wer­den kön­nen. Und ver­mut­lich auch ein pro­mi­nen­ter Fall wie der von Left Eye.

 

Psy­chi­sche Krank­hei­ten, Dro­gen­kon­sum und eine zer­mür­ben­de Industrie

Die drei Karriere- und auch Lebens­we­ge von MF Doom, Shock G und Left Eye könn­ten kaum unter­schied­li­cher sein. Trotz­dem eint sie eine Viel­zahl an pro­ble­ma­ti­schen Umstän­den, die zumeist mit ihrem Dasein in der Musik­in­dus­trie in Ver­bin­dung ste­hen. Eben­je­ne Aspek­te las­sen sich in Rap-​Biografien wesent­lich häu­fi­ger vor­fin­den als in ande­ren pop­kul­tu­rel­len Kon­tex­ten. Spe­zi­ell aus die­sem Grund soll­ten die Geschich­ten von Künstler:innen wie MF Doom, Shock G und Left Eye erzählt wer­den. Denn die zumeist in Rap-​Texten prä­sen­tier­ten Nar­ra­ti­ve, wie etwa Unver­wund­bar­keit und das Leben als ewi­ge Par­ty, sind in vie­len Fäl­len nur ein klei­ner Teil der Lebens­rea­li­tä­ten der Künstler:innen oder die­nen sogar gänz­lich als Fas­sa­de eines emo­tio­na­len Wracks.

Künstler:innen wird nicht sel­ten indi­rekt die Auf­ga­be zuge­teilt, ande­ren Men­schen auf ver­schie­dens­te Wei­se einen kul­tu­rel­len Mehr­wert zu lie­fern und ihnen somit etwas Posi­ti­ves mit auf den Weg zu geben. Häu­fig gera­ten dabei aller­dings die Künstler:innen selbst in pro­ble­ma­ti­sche Situa­tio­nen, aus denen sie sich nur schwer allei­ne befrei­en kön­nen. Ent­spre­chend wich­tig ist es, spe­zi­ell für das künst­le­ri­sche Umfeld – zum Bei­spiel Manager:innen, Plat­ten­fir­men, ande­re Musiker:innen –, Hil­fe anzu­bie­ten und rück­sichts­voll zu han­deln, soll­ten etwa psy­chi­sche Krank­hei­ten auf­tre­ten. Dies hat bei MF Doom, Shock G und Left Eye lei­der zumeist nicht statt­ge­fun­den und stellt somit eine wei­te­re Schat­ten­sei­te des Able­bens die­ser Künstler:innen dar.

(Alec Weber)
(Titel­bild von Dani­el Fersch)