An dieser Stelle möchten wir Gedanken zu aktuellen Geschehnissen aus dem Deutschrap-Kosmos zum Ausdruck bringen. Die jeweils dargestellte Meinung ist die des:der Autor:in und entspricht nicht zwangsläufig der der gesamten Redaktion – dennoch möchten wir auch Einzelstimmen Raum geben.
Im Folgenden setzt sich unser Redakteur Simon mit dem Lidl-Podcast, in dem Yassin zu Gast war, auseinander.
Podcasts sind ein zweischneidiges Schwert. Zum Teil bieten sie hervorragende Unterhaltung und liebevoll aufbereitete Informationen für alle, die früher zu viel "Die drei ???" gehört haben und deshalb nicht mehr ohne Hintergrundgeschichte Wäsche aufhängen können. Inzwischen macht sich aber eher häufiger als selten Langeweile breit. Jede Person mit mehr als fünf Follower:innen auf Instagram hält sich scheinbar dazu verpflichtet, ihre Meinung zu allem und jedem auf dem Streamingdienst der Wahl kundtun zu müssen. Grundsätzlich sind diese dauerhaften Belanglosigkeiten nichts Schlimmes. Der Erfolg gibt schließlich recht und wenn genug Leute dabei zuhören wollen, wie Mitte 30-Jährige ihren Alltag als gut bezahlte Kunstschaffende reflektieren, dann tut das ja erst mal niemandem weh. Allerdings würde es auch nicht schaden, wenn sich so manche Podcast-Produzierende zweimal überlegten, ob die fünfte Folge zum selben Thema notwendig sei. Gleiches gilt für Künstler:innen, die als Gäste geladen werden. Nur weil man eingeladen wird, heißt das nicht, dass man auch zusagen muss.
Besonders deutlich wurde das kürzlich in dem "Es gibt vegan, Baby!"-Podcast mit Yassin in der Gastrolle. Der von Lidl produzierte Podcast beschäftigt sich regelmäßig mit allem, was es zum Thema vegane Ernährung und Lebensführung zu sagen gibt. So lesen sich zumindest die Beschreibungen. Yassin ist dabei ein sehr eloquenter Gesprächspartner. Er antwortet ausführlich und mit viel Witz, auf den die Moderatorin Johanna Klum spielerisch leicht einzugehen weiß. Inhaltlich wird aber so wenig geboten, dass die Folge höchstens als Einschlafhilfe weiterempfohlen werden kann. Der Rapper wird im Podcast dazu befragt, wie er Veganer wurde (Moral, Gesundheit und die Freundin), was sein liebstes veganes Gericht ist (Köfte und Chili sin Carne) und ob es sehr schwer ist, sich auf Tour vegan zu ernähren (nein). Viel mehr passiert in den knapp 45 Minuten Spielzeit nicht. Auf ein Nachhaken oder Beleuchten kritischerer Aspekte, bei den sich durchaus häufig bietenden Möglichkeiten, wird beidseitig gänzlich verzichtet. Was sind denn zum Beispiel die moralischen Überlegungen des Berliners, die ihn zu der Entscheidung gebracht haben, vegan zu leben und auf welchem Weltbild fußen sie? Wie passt dieses Weltbild mit Werbung für einen Lebensmitteldiscounter zusammen, der untrennbar mit Massentierhaltung verwoben ist? Ist es klug, vegane Ernährung grundsätzlich als gesund und alle tierischen Produkte als ungesund zu labeln, gerade in einem Podcast eines Lebensmitteldiscounters? Ich weiß nicht genau, was in der veganen Salami von Lidl drin ist, aber ausschließlich gesunde Inhaltsstoffe sind das ganz sicher nicht. Wie funktioniert vegane Ernährung, wenn man nicht Geld, Zeit und soziale Ressourcen hat, um sich durch die fancy vegane Restaurantszene in Berlin zu schlemmen? All diese Themen werden überhaupt nicht bearbeitet, es gibt jeweils lediglich eine Punchline zum Thema, denn man ist ja unter sich und weiß, wie es so als Veganer:in läuft.
Warum es inhaltlich so flach bleibt, ist so nachvollziehbar wie heuchlerisch: Lidl hat eine immer größere vegane Produktpalette, die verkauft werden will. Und je mehr darüber gesprochen wird, desto besser für das Geschäft. Gleiches gilt für Yassin. Sowohl solo als auch im Verbund mit Audio88 stößt der Rapper mittlerweile in Chartsphären vor, von denen er vor zehn Jahren noch geträumt oder sich davor gegraust haben dürfte – je nach Haltung zum Thema Sellout vermutlich. Daher ist es vollkommen logisch, dass jetzt promotechnisch ebenso versucht wird, aufzuleveln und sich bei einer breiteren Zielgruppe bekannt zu machen. Und das funktioniert über solche inhaltlich niedrigschwelligen Podcasts wie den angesprochenen hervorragend. So weit, so profitorientiert. Die aktivistische Motivation aber, die sich Podcast und Yassin selbst zuschreiben, ist überhaupt nicht nachvollziehbar: Wenn ich Menschen wirklich überzeugen will, fokussiere ich mich doch auf inhaltliche Argumente und tausche nicht Rezepte aus.
Wo es grundsätzlich nur weniger spannend wird, wenn man sich auf inhaltliches Frühstücksfernsehen-Niveau begibt, ist es im Falle von Yassin jedoch ärgerlich. Der Rapper schreibt sich "links" immer größer auf die eigene Fahne, will sich die "Banker und Cops" schnappen und verordnet sich selbst zwischen "Antifa und Abifahrt". Dennoch bekommt er es innerhalb seiner minutenlangen Monologe nicht gebacken, wenigstens einmal darauf hinzuweisen, in wessen Podcast er hier eigentlich sitzt. Von problematischen Aspekten individualisierter Konsumkritik ganz zu schweigen. Im Gegenteil, der Rapper bedankt sich artig für die Einladung und freut sich über die Möglichkeit, Menschen vom Veganismus überzeugen zu können. In einem Podcast, bei dem es ausschließlich um Veganismus geht. Die Zielgruppe dürfte bei der thematischen Einschränkung denkbar klein ausfallen. Ganz abgesehen davon, dass überhaupt keine Überzeugungsarbeit geleistet, sondern lediglich geplaudert und Werbung gemacht wird. Wenn das sein Verständnis politischer Arbeit ist, sind wir doch noch viel näher an der Abifahrt, als das bloße Alter vermuten lassen würde.
(Simon Back)
(Grafik von Daniel Fersch)