"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem:einer Künstler:in oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der:die Gesprächspartner:in ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm:ihr das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
Ich liebe an Rap, dass musikalisch immer wieder etwas völlig Neues aufgetischt wird. Egal, wie häufig man denkt, bereits alles gehört und gesehen zu haben. Das letzte Mal ging es mir so, als im Juni 2020 RMR auf der Bildfläche erschien. Auf seiner Debüt-EP "Drug Dealing Is A Lost Art" kombiniert der Artist aus Los Angeles Trap, R 'n' B und Country-Elemente zu Hits, die nicht mehr aus dem Kopf verschwinden wollen.
RMR kam im Februar 2020 aus dem Nichts und landete mit dem Video zu "RASCAL" einen Internethit, der ihn auch auf mein Radar brachte. Der Mann mit der Sturmmaske posiert im Video mit kugelsicherer Weste, diversen Schusswaffen und einigen ziemlich unentspannt dreinblickenden Kollegen – bevor er beginnt, gefühlvoll und mit hoher Stimme eine Hood-Ballade zu intonieren. Auf seiner Debüt-EP bietet RMR, was er mit der zuvor erschienenen Single bereits angedeutet hat: ein kreatives Gesamtkunstwerk. Der Künstler ist sowohl fähig, komplexe Flows auf energetische Trap-Beats zu setzen, als auch gefühlvolle Melodien auf langsame Gitarrenrhythmen zu singen. Dazu kommen hochkarätige Features aus dem obersten Regal der US-Szene: Auf dem Intro "WELFARE" wird der Newcomer von Westside Gunn unterstützt, auf dem meistgestreamten Song der EP "DEALER" liefern Future und Lil Baby starke Parts ab. Im Gegensatz zu diesen Rap-Bangern stehen Songs wie "I'M NOT OVER YOU" und "SILENCE", auf denen RMR fast durchgehend singt und seiner außergewöhnlichen Stimme Raum verschafft. Kein Song auf diesem Release klingt gleich, trotzdem drückt der Künstler jedem seinen eigenen Stempel auf.
Auch die weiteren Videos zu den Singles der EP und folgenden Songs tragen ihren Teil zur Kunstfigur RMR bei. Egal, ob in einer Live-Performance eines Tracks oder in schnellen, psychedelisch anmutend abgedrehten Bildern – der Artist inszeniert sich selbst stets auf eine sehr eigene und einnehmende Weise. "Drug Dealing Is A Lost Art" könnte somit der Start einer langen Karriere eines außergewöhnlichen Musikers sein.
(Alexander Hollenhorst)