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Interview

Juri Sternburg

"In dem Moment, in dem ein Chef­re­dak­teur einen Text frei­gibt, hat die Redak­ti­on die Ver­ant­wor­tung, den Autor zu schützen." – Juri Stern­burg in unse­rer Interview-​Serie mit Deutschrap-​Journalisten über Mei­nungs­frei­heit, Can­cel Cul­tu­re, die Sze­ne, Twit­ter und Printmedien.

Deutschrap-​Journalismus. Schon über das Wort lässt sich strei­ten. Die einen mei­nen, "rich­ti­ger" Jour­na­lis­mus im deut­schen Rap exis­tie­re doch gar nicht. Außer­dem kön­ne ja jeder selbst bes­se­re Arti­kel schrei­ben als "die­se Prak­ti­kan­ten". Die ande­ren fin­den, jeder, der im deut­schen Rap jour­na­lis­ti­sche Tätig­kei­ten aus­führt, sei auch ein Jour­na­list. Die nächs­ten füh­ren auf: Ja, im deut­schen Rap sind Redak­teu­re unter­wegs – aber kei­nes­falls Jour­na­lis­ten. Zusam­men­fas­sen lässt sich: Fast jeder hat zumin­dest eine Mei­nung dazu. Aber wie steht es um die Mei­nung der Jour­na­lis­ten selbst? Denn die hat kaum jemand mal gefragt. Und so star­tet unse­re neue Serie – eine klei­ne Inter­view­rei­he mit aktu­ell rele­van­ten und akti­ven Jour­na­lis­ten der deut­schen Rap­sze­ne. Dabei möch­ten wir dar­über reden, war­um die Deutschrap-​Medien von so vie­len Sei­ten – auch von der der Künst­ler – immer wie­der unter Beschuss ste­hen und wie die Jour­na­lis­ten die­se Sei­ten­hie­be per­sön­lich emp­fin­den. Wir bespre­chen, wie ein­zel­ne Jour­na­lis­ten ihren Platz in der Rap­sze­ne wahr­neh­men und ob deut­scher Rap­jour­na­lis­mus in Gossip-​Zeiten noch kri­tisch ist. Wir möch­ten erfah­ren, ob sie die Sze­ne noch unter dem Kultur-​Begriff ver­ste­hen oder das Gan­ze für sie aus­schließ­lich ein Beruf (gewor­den) ist. Es kom­men Fra­gen auf, ob es ver­ein­bar ist, in die­sem Auf­ga­ben­be­reich Geld zu ver­die­nen und wie der aktu­el­le Deutschrap-​Journalismus und sei­ne Ent­wick­lung gese­hen wird. Und: Wie steht es über­haupt um die Ent­wick­lung der Rap­sze­ne an sich? Das und vie­les mehr wer­den wir in über zehn Inter­views bespre­chen, in wel­chen es ver­ständ­li­cher­wei­se immer nur um einen Teil­be­reich die­ser gro­ßen The­men­welt gehen kann. Die­ses Mal unter­hiel­ten wir uns mit Juri Stern­burg, der an Viel­falt kaum zu über­tref­fen ist: Thea­ter­stü­cke, Bücher, ein Musi­cal, Dreh­bü­cher, eine taz-​Kolumne und sämt­li­che Tex­te über Rap in Maga­zi­nen wie der JUICE und Das Wet­ter – all das kann er vor­wei­sen. Auch wenn er zuletzt Auf­merk­sam­keit für sei­ne neu­es­te Ver­öf­fent­li­chung "Ger­ma­nia" bekam, ist vor allem der Mei­nungs­jour­na­lis­mus das, was ihn auszeichnet.

MZEE​.com: Wir wol­len heu­te über Jour­na­lis­mus spre­chen. Und das, obwohl du die­se Tätig­keit erst mal an den Nagel gehängt hast und gera­de lie­ber Dreh­bü­cher für Kida Rama­dan oder Musi­cals schreibst. 

Juri Stern­burg: (lacht) Ja, tatsächlich.

MZEE​.com: Gab es etwas Ermü­den­des am Journalismus? 

Juri Stern­burg: Ermü­dend war eigent­lich gar nichts. In Bezug auf Rap­jour­na­lis­mus hat­te ich das Gefühl, vie­le Sachen schon oft gesagt zu haben. Die Pro­ble­me, die auf­tau­chen, sind ja kei­ne neu­en. Irgend­wann hat man kei­ne Moti­va­ti­on mehr, den zwan­zigs­ten Text über die anti­se­mi­ti­schen Codes von Kol­le­gah zu schrei­ben. Nach­dem dann auch mei­ne taz-​Kolumne nach drei Jah­ren vor­bei war, habe ich mir gedacht, dass es sicher­lich Leu­te gibt, die jün­ger und wüten­der sind als ich – wobei ich die Wut nicht ver­lo­ren habe.

MZEE​.com: Hat man viel­leicht das Gefühl, dass vie­les schon oft gesagt wur­de, weil es meis­tens die männ­li­che, wei­ße Per­spek­ti­ve ist, aus der geschrie­ben wird? 

Juri Stern­burg: Das sowie­so. Den Men­schen, die bei den ent­spre­chen­den The­men per­sön­lich betrof­fen sind, soll­te mehr Platz gebo­ten wer­den. Es gibt vie­le Leu­te, die aus ihrem Blick­win­kel span­nen­de­re Sachen zu erzäh­len haben.

MZEE​.com: Die meis­ten Men­schen erwar­ten vom Jour­na­lis­mus eine objek­ti­ve Dar­stel­lung der Fak­ten. Du warst jah­re­lang im Rah­men des Mei­nungs­jour­na­lis­mus tätig. War­um ist es wich­tig, dass es die­sen gibt? 

Juri Stern­burg: Boah, das ist ehr­lich gesagt eine Fra­ge, die ich mir so noch nicht gestellt habe. (über­legt) Mir fällt immer häu­fi­ger auf, dass man­che Leu­te gar nicht ver­ste­hen, was Mei­nungs­jour­na­lis­mus ist, wenn ich mir die Kom­men­tar­spal­ten unter Arti­keln anschaue, die ein­deu­tig als Kom­men­tar gekenn­zeich­net sind. Man fin­det unzäh­li­ge Bei­trä­ge dar­über, wie es mög­lich wäre, so sub­jek­tiv sei­ne Mei­nung raus­zu­po­sau­nen. Da merkt man, dass es für die­se Form nur noch wenig Ver­ständ­nis gibt. Ich weiß gar nicht, ob das so wich­tig ist. Es ist ein­fach inter­es­sant, die Mei­nung bestimm­ter Jour­na­lis­ten und Jour­na­lis­tin­nen zu erfah­ren, von denen man viel hält.

MZEE​.com: Ich den­ke schon, dass es manch­mal wich­tig ist, Din­ge zu bewer­ten, ein­zu­ord­nen und nicht nur neu­tral zu berich­ten. Zum Bei­spiel bei Horst See­ho­fers Reak­ti­on auf Hen­g­ameh Yag­hoo­bi­fa­rahs Arti­kel über die Abschaf­fung der Polizei. 

Juri Stern­burg: Ja, voll. Dazu muss es Stim­men geben. Es ist Wahn­sinn, dass in Deutsch­land eine Kolum­ne über Poli­zis­ten mehr Auf­re­gung ver­ur­sacht als rechts­extre­me Netz­wer­ke. Das fin­de ich sehr bezeich­nend. Des­we­gen ist es, den­ke ich, schon wich­tig, dass Leu­te manch­mal einen Fin­ger in die Wun­de legen. Auch mit ihrer sub­jek­ti­ven Mei­nung – das fin­de ich gar nicht schlimm.

MZEE​.com: Fehlt das Inter­es­se an Mei­nun­gen, weil oft wenig Sub­stanz hin­ter die­sen steckt? 

Juri Stern­burg: Ich fin­de, es kommt immer dar­auf an. Das ist ähn­lich wie in der Rap­mu­sik. Ich bin jemand, der es mag, wenn eine Form von Wut, Hun­ger und Pro­ble­men mit bestimm­ten Din­gen in der Gesell­schaft zu hören ist. Auch im Jour­na­lis­mus ist es manch­mal sehr erfri­schend, wenn Leu­te ran­ten und ihre Wut her­aus­brül­len. Klar, ich muss kei­ne Kolum­ne von Jan Fleisch­hau­er lesen, in der er sich zum zwan­zigs­ten Mal ohne Sub­stanz über Gre­ta Thun­berg lus­tig macht. Aber an sich den­ke ich, dass es in die­ser viel­fäl­ti­gen Medi­en­land­schaft Platz für alles gibt. Sowohl für einen ordent­li­chen Rant als auch für fak­ten­ba­sier­te, sau­ber gear­bei­te­te Artikel.

MZEE​.com: Soll­te immer die Ansicht von jedem gefragt sein dürfen? 

Juri Stern­burg: Hm … Natür­lich brau­chen wir kei­nen Text von einem wei­ßen Mann dar­über, wie sich Schwar­ze Frau­en füh­len. (lacht) Ich glau­be, das haben die meis­ten inzwi­schen begrif­fen. Obwohl man auch immer wie­der dar­an erin­nert wird, dass es genü­gend Aus­nah­men gibt. Man setzt die­se Sachen vor­aus und ist dann über­rascht, was sich man­che Men­schen den­ken. Wenn man sich aus­rei­chend damit beschäf­tigt, kann man zu vie­len Din­gen etwas sagen, aber sehr oft ist es ein­fach nicht angebracht.

MZEE​.com: Auf Twit­ter wer­fen vie­le Men­schen – auch aus der Poli­tik und dem Jour­na­lis­mus – mit Annah­men um sich, als wären es Fak­ten. Inwie­fern kann das gefähr­lich werden? 

Juri Stern­burg: Donald Trump ist natür­lich der König die­ser Dis­zi­plin. Und die gan­ze Welt sieht, dass er damit unglaub­li­chen Erfolg hat. Die Medi­en kön­nen zum zigs­ten Mal "Donald Trump kurz vor dem Sturz. Jetzt geht's ihm wirk­lich an den Kra­gen" schrei­ben, aber das wird nicht pas­sie­ren. Mal ganz abge­se­hen davon, ob er wie­der­ge­wählt wird oder nicht, ist das die Rea­li­tät, die wir seit vier Jah­ren sehen: dass er damit sehr erfolg­reich ist. Und ich glau­be, dass in einer Gesell­schaft, in der es viel um Ellen­bo­gen geht, ein­fach das gemacht wird, was erfolgs­ver­spre­chend ist. Es ist schon erstaun­lich, dass sich ein Die­ter Nuhr oder eine Lisa Eck­hart als Can­cel Culture-​Victims ver­kau­fen, wäh­rend ihre Bücher gleich­zei­tig auf den Best­sel­ler­lis­ten sind und sie dadurch erst bekannt wurden.

MZEE​.com: Hast du denn das Gefühl, dass Twit­ter Ein­fluss auf unse­re poli­ti­schen Debat­ten hat? 

Juri Stern­burg: Ich weiß es selbst nicht so genau. Mir ist es schon ein paar Mal pas­siert, dass ich Tex­te an Zei­tun­gen geschickt habe und dar­auf von Kol­le­gen und Kol­le­gin­nen die Rück­mel­dung kam, dass sie nicht che­cken, wor­über ich schrei­be. Das war auf Twit­ter voll das The­ma, aber vie­le haben kein Twit­ter oder hal­ten sich dort kaum auf. Der nor­ma­le Leser ver­steht das somit auch nicht. Da denkt man sich dann schon: "Okay, viel­leicht ist das nur in mei­ner Bla­se prä­sent." Ich mei­ne, wie vie­le Nut­zer hat Twit­ter in Deutsch­land? 1,5 Mil­lio­nen User. Das sind nicht so vie­le. Inso­fern: Ja, es stößt immer wie­der etwas an, weil Jour­na­lis­ten und Jour­na­lis­tin­nen sowie Medi­en oft dar­über auf Din­ge auf­merk­sam gemacht wer­den. Ich glau­be auch, dass man dort mit sechs oder sie­ben star­ken Accounts ein The­ma plat­zie­ren kann – aber ob das dann lang­fris­tig hält? Dasha­ben wir doch gese­hen: "Okay, jetzt haben wir halt ent­deckt, dass es eine Ter­ror­ein­heit in der Bun­des­wehr gibt, die aus Neo­na­zis besteht. Aber über­mor­gen kommt schon wie­der ein neu­es The­ma und dann ist auch wie­der gut. Okay, es gibt zwar immer noch jeden Tag Black Lives Matter-​Demos in Ame­ri­ka, aber wir haben die Bil­der inzwi­schen alle gese­hen." Wenn kein neu­er Nach­rich­ten­wert kommt, ist die Bericht­erstat­tung schnell vor­bei. Da hilft auch Twit­ter nicht viel.

MZEE​.com: In ihrem Buch "Spra­che und Sein" erklärt Kübra Gümüşay, dass fünf Pro­zent aller Accounts für 50 Pro­zent der Hass­kom­men­ta­re im Inter­net ver­ant­wort­lich sind. Durch die­se Men­schen wird der Gebrauch von gewis­sen Wör­tern, wie bei­spiels­wei­se "Flücht­lings­wel­le" oder "Kopf­tuch­mäd­chen", geför­dert, wel­che dann wie­der­um Platz in poli­ti­schen Debat­ten finden.

Juri Stern­burg: Ja, das stimmt. Da blickt man aber auch teil­wei­se gar nicht mehr durch, war­um irgend­ein Begriff sol­che Auf­merk­sam­keit bekommt. Rechts-​Twitter ver­sucht, sagen wir mal, ein bestimm­tes Wort oder einen Hash­tag zu eta­blie­ren. Das über­neh­men dann wie­der ande­re und sagen: "Wir beset­zen das jetzt posi­tiv." Dadurch kommt es auf Platz eins der Twitter-​Trends und kei­ner weiß mehr genau, wor­um es eigent­lich geht. (lacht) So kann man mit ein paar gro­ßen Accounts eine Wel­le los­tre­ten, die dann aber nur kurz­fris­tig besteht, glau­be ich.

MZEE​.com: Ich wür­de gern noch mal auf den Arti­kel "All cops are berufs­un­fä­hig" von Hen­g­ameh Yag­hoo­bi­fa­rah zurück­kom­men. See­ho­fers Reak­ti­on, aber auch die ers­te Reak­ti­on der taz hat vie­le Men­schen sehr auf­ge­bracht – unter ande­rem dich. Inwie­fern ist eine Zei­tung dafür ver­ant­wort­lich, die Mei­nungs­frei­heit ihrer Redak­teu­re zu schützen? 

Juri Stern­burg: Die Fra­ge stellt sich für mich über­haupt nicht. In dem Moment, in dem ein Chef­re­dak­teur oder eine Chef­re­dak­teu­rin einen Text frei­gibt, hat die Redak­ti­on die Ver­ant­wor­tung, den Autor oder die Autorin zu schüt­zen. Wenn man dann noch mit­kriegt, dass pri­va­te Feh­den aus der Redak­ti­on eine Rol­le spie­len, hört bei mir jedes Ver­ständ­nis auf. Da war bei mir der Punkt erreicht, an dem ich öffent­lich etwas dazu sagen woll­te, obwohl ver­schie­de­ne Leu­te aus der Redak­ti­on gesagt haben: "Wir wür­den ger­ne den Frie­den nach außen wah­ren, damit es nicht aus­ein­an­der­bricht." Vor allem bei einer Per­son wie Hen­g­ameh, die mas­siv ange­fein­det wur­de und wird, unter ande­rem von See­ho­fer, der AfD und Neo­na­zis. Wes­halb man sich da nicht ohne Fra­ge davor­stellt, son­dern auch noch dis­ku­tie­ren will, ist mir ein Rät­sel. Am nächs­ten Tag sind bei der taz sogar zwei Tex­te erschie­nen, die eher gegen Hen­g­ameh gerich­tet waren. Da muss man irgend­wann etwas sagen, fin­de ich.

MZEE​.com: Vor­hin ist der Begriff "Can­cel Cul­tu­re" gefal­len. Dar­un­ter ver­steht man das sys­te­ma­ti­sche Boy­kot­tie­ren von Per­so­nen. Ist das ein rea­les Pro­blem und so gefähr­lich für die Mei­nungs­frei­heit, wie vie­le Stim­men behaupten? 

Juri Stern­burg: Ich weiß über­haupt nicht, was die Can­cel Cul­tu­re sein soll. All die­se Leu­te, die angeb­lich gecan­celt wur­den – sei es Thi­lo Sar­ra­zin oder jetzt Lisa Eck­hart –, ver­kau­fen doch wun­der­bar vie­le Bücher. Die­ter Nuhr ist in der ARD, Ulf Pos­ch­ardt ist WELT-​Chefredakteur und Don Alphon­so schreibt wei­ter­hin sei­ne Kolum­nen und wirft Leu­te auf Twit­ter mit Adres­sen dem Fraß vor. Also, ich ver­ste­he wirk­lich nicht, wo die­se Can­cel Cul­tu­re statt­fin­den soll. Es ist nur so, dass man, wenn man sich öffent­lich äußert, auch öffent­lich Gegen­wind bekommt. Das ist ein ganz nor­ma­ler Vor­gang. Im Fall von Lisa Eck­hart wur­de eine kom­plet­te Geschich­te erfun­den, die bis heu­te nie rich­tig­ge­stellt wur­de. Das ist aber alles im Nach­hin­ein nicht mehr so wich­tig – Haupt­sa­che, man kann rum­brül­len, dass man gecan­celt wur­de. Auch im Fall von Ser­dar Somun­cu sieht man, wie das teil­wei­se offen­sicht­lich genutzt wird. Ein paar Tage lang war es mir echt zu blöd, zu die­sem Pod­cast etwas zu sagen, weil klar ist, was er will. Ich habe irgend­wann doch etwas geschrie­ben, weil ich gemerkt habe, dass vie­le Leu­te mit dem Argu­ment kamen, dass er eine Kunst­fi­gur sei. Der Typ gefällt sich in die­ser Rol­le, das macht er auch pri­vat und auf irgend­wel­chen Szene-​Partys. Oder in dem Inter­view mit SSYNIC, in dem er mehr­mals das N-​Wort sagt, obwohl SSYNIC ihm sagt, dass er das nicht cool fin­det. Das ist ein­fach so ekel­haft. Er ist ein schlecht geal­ter­ter Come­di­an, der Auf­merk­sam­keit braucht.

MZEE​.com: Ist die deut­sche Rap­sze­ne zu zim­per­lich, was das Can­celn man­cher Künst­ler angeht? 

Juri Stern­burg: Auch wenn mir da ein paar Leu­te aus mei­nem Freun­des­kreis wider­spre­chen wür­den, glau­be ich, dass zum Bei­spiel einem Jamu­le die­ses Video scha­den wird. Viel­leicht bin ich auch zu opti­mis­tisch. Gene­rell ist es schon so, dass sich nicht viel ver­än­dern wird, solan­ge Labels und Künst­ler kei­ne finan­zi­el­len Ein­bu­ßen haben. Da wird viel­leicht mal, wie damals bei Kol­le­gah und Farid Bang, vom Label gesagt: "Wir über­le­gen uns, ob die ihre nächs­te Plat­te bei uns machen." Und damit ist die Sache eigent­lich auch durch. Ich glau­be, wir müs­sen uns da nichts vor­ma­chen. Rap ist inzwi­schen ein gro­ßer Teil der Musik­in­dus­trie und die­se ist ein­fach ein Geschäft. Solan­ge da nie­mand weni­ger ver­dient, wird auch nie­mand wirk­lich gecan­celt werden.

MZEE​.com: Du hast die­ses Jahr das YouTube-​Format "Ger­ma­nia", in dem pro­mi­nen­te Men­schen über ihre Erfah­run­gen in Deutsch­land spre­chen, für einen Ver­lag ver­schrift­licht. Du wur­dest dafür kri­ti­siert, weil stel­len­wei­se pro­ble­ma­ti­sche Per­so­nen Teil des Buches sind. Dei­ne Mei­nung dazu war, dass auch die­se etwas Wich­ti­ges zum The­ma "Migra­ti­on" bei­tra­gen kön­nen. Man bie­tet den Leu­ten aber trotz­dem eine Platt­form, auf der sie sich auch in posi­ti­vem Licht zei­gen kön­nen. Fin­dest du das nicht bedenk­lich oder war dir der ande­re Aspekt wichtiger? 

Juri Stern­burg: Erst mal fand ich das ande­re ein­fach wich­ti­ger. Ich weiß aber ehr­li­cher­wei­se nicht, wie posi­tiv das Licht ist, wenn jemand von sei­nen Erfah­run­gen mit Ras­sis­mus erzählt. Das macht kein Künst­ler, um sich rein­zu­wa­schen. Es ist kein Marketing-​Move, zu sagen: "Hey, ich bin Manu­ell­sen und als ich sie­ben Jah­re alt war, durf­te ich nicht mit auf Klas­sen­fahrt, weil ich Schwarz bin." Das ist ein­fach nur ein unfass­ba­res Schick­sal. In der Ver­gan­gen­heit habe ich mir auch eher Fein­de als Freun­de in der Sze­ne gemacht. Ich bin nicht als der Typ bekannt, der Promo-​Interviews mit Rap­pern macht. Son­dern eher als der, bei dem sich der Mana­ger mel­det und es Ärger gibt. In die­sem Fall war es so, dass ich die Geschich­ten wich­ti­ger und es nicht ange­bracht fand, zu sagen: "Okay, aber jetzt musst du dich auch noch dazu äußern, was du damals gemacht hast." Das bedeu­tet nicht, dass ich die Kri­tik nicht ver­ste­he. Natür­lich gibt es auf Ama­zon den ein oder ande­ren, der schreibt, dass Leu­te wie Capi­tal Bra gene­rell nichts zu Deutsch­land zu sagen haben und man so einen Dreck nicht lesen soll­te. Aber eine brei­te gro­ße Kri­tik dar­an gab es nicht. Ich habe mir viel eher die Fra­ge gestellt, ob es als wei­ßer Typ, der höchs­tens Erfah­rung mit Juden­feind­lich­keit gemacht hat, in Ord­nung ist, mit die­sem Buch Geld zu ver­die­nen. Dann habe ich aber für mich fest­ge­stellt, dass es auf jeden Fall ein Pro­blem wäre, wenn ich irgend­wel­che Men­schen abbil­den wür­de, die nie­mand kennt und die kein Geld krie­gen. Aber wir reden von Leu­ten, die alle groß im Geschäft und erfolg­reich sind. Das fand ich weni­ger pro­ble­ma­tisch – was nicht heißt, dass ich dar­über nicht mehr nachdenke.

MZEE​.com: Du hast jah­re­lang für die JUICE und Das Wet­ter geschrie­ben. Die aktu­el­le Aus­ga­be von Das Wet­ter fei­ert ihr sie­ben­jäh­ri­ges Bestehen, wäh­rend die JUICE Ende letz­ten Jah­res ihre Print­aus­ga­be ein­stel­len muss­te. Was muss ein Print­me­di­um heu­te mit­brin­gen, damit es sich hal­ten kann? 

Juri Stern­burg: Ich glau­be, bei Das Wet­ter spielt mit rein, dass es ein sehr fami­liä­res und freund­schaft­li­ches Pro­jekt ist. Im Team sind nur Leu­te, die dafür leben, das lie­ben und viel­leicht auch mal drei Tage arbei­ten, ohne dafür bezahlt zu wer­den. So stellt man sich das natür­lich nicht vor und so soll­te es in der Regel auch nicht lau­fen. Ich sage nicht, dass man sich aus­beu­ten las­sen muss, um ein coo­les Maga­zin zu machen. Aber ich den­ke schon, dass man sieht, wie sie Stück für Stück grö­ßer wer­den, mehr ver­kau­fen, sehr viel Lie­be rein­ste­cken und vor allem Con­tent bie­ten, den du im Inter­net so nicht krie­gen kannst. Es gibt Foto­stre­cken, Kurz­ge­schich­ten und all die­se Sachen – ich fin­de das schon ziem­lich hoch­wer­tig. Ich lie­be die JUICE und bin denen mega dank­bar für alles, aber ich den­ke, dass sie den Online-​Schritt viel zu spät gehen woll­ten. Sie hät­ten das vor zehn Jah­ren oder noch frü­her che­cken müs­sen. Es gibt ver­mut­lich kein ulti­ma­ti­ves Rezept, aber der Online-​Markt ist natür­lich extrem wich­tig. Und Das Wet­ter ist das Gegen­stück dazu. Sowas funk­tio­niert online ein­fach nicht und das ist auch gut so. Selbst­ver­ständ­lich fra­gen sich Künst­ler und Künst­le­rin­nen, wie­so sie etwas mit der JUICE machen soll­ten, bei der zehn Pro­zent der Leser und Lese­rin­nen ihre Fans sind, wenn sie mit einem Post auf Insta­gram eine Mil­li­on Leu­te errei­chen kön­nen, die sie cool fin­den. War­um soll­ten die zur JUICE gehen und ihr Album bespre­chen las­sen? Das ergibt aus kapi­ta­lis­ti­schen Moti­ven betrach­tet kei­nen Sinn.

MZEE​.com: Auch den Online-​Magazinen geht es nicht mehr so gut. Der Musik­jour­na­lis­mus lebt mei­ner Mei­nung nach davon, die Geschich­te der Kunst­schaf­fen­den aus einer ande­ren Per­spek­ti­ve zu beleuch­ten. Stirbt das Bedürf­nis danach wirk­lich aus? 

Juri Stern­burg: Ich glau­be, dass Musik­jour­na­lis­mus auf kei­nen Fall aus­stirbt. Ich per­sön­lich lese aber auch lie­ber Por­traits und Ähn­li­ches. Wir brau­chen nie­man­den mehr, der uns Musik erklärt. Wir sind alle mit einem Klick auf Spo­ti­fy. War­um soll­te ich mir also anhö­ren, was ein Jour­na­list oder eine Jour­na­lis­tin zu einem Beat zu sagen hat, wenn ich in drei Sekun­den den Song sel­ber hören kann? Frü­her hat man eine Kri­tik gele­sen, um zu über­le­gen, ob man sich eine CD kau­fen möch­te. Aber Musik­jour­na­lis­mus ist nicht tot. Wir sehen ja auch, dass es immer mehr Kol­le­gen und Kol­le­gin­nen gibt, die Newsletter-​Blogs anbie­ten, auf Twitch Bei­trä­ge oder Pod­casts machen. Man muss ein­fach neue Wege finden.

MZEE​.com: Um dich zu zitie­ren: "Die Mein­hof passt immer." – Des­we­gen habe ich dir ein Zitat von ihr mit­ge­bracht: "Was erwar­tet der Geld­ge­ber von sei­nem Kolum­nis­ten? Daß er sich ein eige­nes Publi­kum erschreibt, mög­lichst eins, das ohne ihn die Zei­tung nicht kau­fen wür­de. Das ist der Pro­fit­fak­tor. Ein Kolum­nist, der das nicht leis­tet, wird über kurz oder lang gefeu­ert. Die Kehr­sei­te der Kolumnisten-​Freiheit ist die Unfrei­heit der Redak­ti­on." – Wie siehst du das? 

Juri Stern­burg: Das sehe ich ganz genau­so und das ist tat­säch­lich etwas, was mich oft an mei­ner taz-​Kolumne gestört hat. Irgend­wann habe ich mich gefragt, für wen ich das eigent­lich schrei­be. Gene­rell schreibt man erst mal für Leu­te, die der glei­chen Mei­nung sind. Ich habe mich sehr oft dabei erwischt, eher Kri­tik an der lin­ken Bubble zu üben, weil ich mir dach­te: "Ey, was bringt uns das, alle einer Mei­nung zu sein?" Die Leser der taz sind größ­ten­teils auf einem ähn­li­chen Film wie ich – auch, wenn ich kein gro­ßer Fan der Grü­nen bin. Aber es gibt Über­schnei­dun­gen. Ich hat­te mal ein Ange­bot von der WELT. Das ist schon eine Wei­le her und mitt­ler­wei­le wür­de ich das nie­mals mehr machen, aber ich habe ehr­li­cher­wei­se dar­über nach­ge­dacht. Ich dach­te mir, dass man viel­leicht in neue Sphä­ren vor­dringt und Leu­te erreicht, die mei­ne Tex­te sonst nicht lesen wür­den. Aber für so ein Arschloch-​Medium zu schrei­ben, ist ja auch nicht die Lösung. Abge­se­hen davon wür­de ich sehr ger­ne die Kolum­ne von Franz Josef Wag­ner über­neh­men. (lacht) Aber nur, wenn ich wirk­lich schrei­ben darf, was ich will. Jeden Tag mor­gens um zehn ein paar Sät­ze bei einer Fla­sche Rot­wein und dafür fürst­lich bezahlt zu wer­den, wäre eine Kolum­nen­form, die mir sehr zusa­gen wür­de – wenn sie nicht bei der BILD ist.

MZEE​.com: Gibt es denn irgend­ein Medi­um, für das du noch ger­ne schrei­ben würdest? 

Juri Stern­burg: Oh ja, ich will unbe­dingt für irgend­ein Fußball-​Magazin schrei­ben! Irgend­wie habe ich mich aber noch nie bewor­ben. Ich bin auch nicht der Typ, der groß Ahnung von Tak­tik oder 4-​4-​2 und 3-​5-​2 hat. Ich will ein­fach umsonst ins Sta­di­on und danach mei­ne Erleb­nis­se auf mög­lichst amü­san­te Wei­se auf­schrei­ben. Das wäre mein Traum­job. Viel­leicht soll­te ich mich da ein­fach mal drum küm­mern und aktiv vorgehen.

(Yas­mi­na Rossmeisl)
(Fotos von Wil­liam Minke)