CONNY und Pimf sind zwei Freigeister par excellence: Die beiden Künstler haben sich von konventionellen Erwerbstätigkeiten gelöst, gehen ihren Leidenschaften nach und verwirklichen sich dabei selbst. Vor diesem Hintergrund ist es wenig verwunderlich, dass wir unseren eigentlichen Interviewtermin verschieben mussten, da sich Pimf spontan dazu entschied, ein paar Tage in Dänemark zu verbringen. Ein neuer Termin lies sich jedoch problemlos finden und so plauderten wir wenige Tage später über die unterschiedlichsten Themen. Auch wenn die Kollabo-EP "Stadtlandflucht" der eigentliche Grund für unsere Unterhaltung war, sprachen wir ausgedehnt über Sehnsüchte und die gemeinsamen Interessen der zwei Rapper. Aus aktuellem Anlass unterhielten wir uns ebenfalls über die Trennung von Kunstwerk und der dahinterstehenden Privatperson. Im Gespräch stellte sich außerdem heraus, wie sich CONNY und Pimf zur Debatte rund um R. Kelly positionieren.
MZEE.com: Ich habe euch ein Sprichwort aus dem späten 19. Jahrhundert mitgebracht: "Man flieht vor dem Rauch und stürzt in die Flamme." – Was sind eure ersten Gedanken dazu?
Pimf: Conny, du bist doch unser Philosoph, oder nicht?
CONNY: Megadeep. (überlegt) Also, deutschunterrichtsmäßig würde ich das jetzt natürlich so interpretieren, dass man vor Symptomen oder dem allen Anschein nach nahenden Unheil flieht und erst dadurch in das eigentliche Unheil stürzt. Finde ich auf jeden Fall ziemlich deep, gefällt mir eigentlich ganz gut. Könnte ich vielleicht in einer geupdateten Version auch irgendwann mal rappen. Ich glaube, dass viele Leute vor Sachen fliehen wollen, sich dann aber letzten Endes noch tiefer reinbegeben. Was ist das, vor dem man flüchtet? Ist das überhaupt eine Sache, vor der man flüchten kann? Die Themen, mit denen wir uns auf der Platte beschäftigen, sind ja viele Dinge, die einfach in dir drin sind. Vor inneren Konflikten zu fliehen, ist immer so eine Sache. Wenn jemand mit einem Messer auf dich zukommt, kannst du in eine Richtung flüchten und sobald du weggelaufen bist, ist die Bedrohung und damit das ganze Thema weg. Wenn du aber vor Liebeskummer, Trennungsschmerz oder Depression flüchtest, ist das etwas anderes. Da ist die Frage, ob das überhaupt final möglich ist. Deswegen ist es natürlich ein sehr passendes Zitat und ich gehe davon aus, dass du es auch deshalb ausgewählt hast. (lacht)
MZEE.com: Vielleicht besteht da ein Zusammenhang. Pimf, möchtest du auch noch etwas dazu sagen?
Pimf: Ich finde, dass eine Flucht keine zielgerichtete Fortbewegung ist. Man flüchtet sich ja auch oft ins Ungewisse. Ich weiß jetzt nicht, in welchem Zusammenhang dieses Zitat gedroppt wurde, aber bei mir ist das so: Ey, ich fliehe erst mal und schaue dann, ob ich in die Flammen gestürzt oder irgendwie an die frische Luft gekommen bin. Jede Flucht hat etwas Ungewisses und das finde ich reizvoll. Man weiß nicht genau, wo man landet. Im schlechtesten Fall sind es halt die Flammen und im Idealfall ist es die Freiheit, die Luft oder was auch immer.
MZEE.com: Laut eurem Pressetext ist die Flucht auch der inhaltliche Schwerpunkt von "Stadtlandflucht". Wie verbindet euch beide dieses Thema?
Pimf: Wir haben uns jetzt nicht im Vorfeld irgendwie Gedanken darüber gemacht, wo der gemeinsame Nenner sein soll. Das kam alles im Nachhinein, durch den Titel und auch im Schaffensprozess. Wir haben beide gemerkt, dass wir relativ ähnlich an verschiedene Songs, Strukturen, Themen und Inhalte herangehen und uns in einer Lebensphase befinden, in der man flüchtet … (überlegt) Wobei, flüchten ist vielleicht etwas zu hart ausgedrückt, aber man bricht zu neuen Ufern auf und hadert auch damit. Ich glaube, das ist in der Musik unser kleinster gemeinsamer Nenner.
CONNY: Ich würde sagen, das passt. Wir hatten irgendwann diesen Titel, der als fixe Idee da war und hatten das Gefühl, dass es gut passt. Ich lebe ja in Köln, komme ursprünglich aus Düsseldorf und hatte schon immer ein Faible für dieses Großstadt-Ding. Jonas (Anm. d. Red.: bürgerlicher Vorname von Pimf) war dagegen schon immer in Hofgeismar. Wir haben uns über dieses VCB- und VBT-Ding kennengelernt, bei einer Jam. Als wir uns das erste Mal unterhielten, haben wir festgestellt, dass meine Mutter aus einem kleinen Dorf direkt neben Hofgeismar kommt. Da gab es direkt eine krasse Verbindung und wir sind mehr ins Gespräch gekommen, dann auch in Kontakt geblieben und …
Pimf: Darf ich kurz unterbrechen? Wir haben uns morgens um halb sechs sturzbetrunken in irgendeinem Kölner Hotel kennengelernt. Man war eigentlich überhaupt nicht mehr dazu in der Lage, irgendjemanden kennenzulernen oder irgendwas zu behalten. Aber dann spazierte Conny dort irgendwie vorbei und wir kamen beide überhaupt nicht darauf klar, dass seine Mutter aus der Nähe von Hofgeismar kommt. Das war so ein Flash, dass es dann einen krassen Eindruck hinterlassen hat und wir irgendwie zwei Stunden da gesessen und gequatscht haben. Jetzt darfst du auch weitermachen. Sorry, wollte nur mal ein bisschen dramatisieren hier.
CONNY: Als wir uns das erste Mal getroffen haben und man sich in Ruhe kennengelernt hat, wurde schon klar, dass ich ein ziemlicher Stadtmensch bin und Jonas jemand, der auch gerne bei sich in der Heimat ist und das in seiner Musik zelebriert und thematisiert. Deshalb gab es dieses Stadt- und Land-Ding schon. Dann haben wir erste Songs zusammen gemacht und am Anfang viel über das Thema Reisen gesprochen. Die letzten Reisen, die ich gemacht habe, die letzten Reisen, die er gemacht hat. Er ist ja auch durch den Fußball immer superviel unterwegs. Ich war zu der Zeit ganz oft mit einem Kumpel unterwegs, weil wir beide irgendwie so auf dem Flash waren, die Welt zu sehen. Das war ein superinteressanter und gemeinsamer Punkt. Die Songs, die wir dann erst mal gemacht haben, ohne so einen thematischen Fokus, haben dann am Ende trotzdem zusammengepasst. War eigentlich eine schöne Sache.
MZEE.com: Für das Video zur Single "King of Queens" seid ihr gemeinsam nach London gereist. Inwiefern repräsentiert die Stadt die Stimmung des Songs?
Pimf: Da gab es natürlich mehrere Faktoren, teils auch eher unromantische, wie zum Beispiel, dass London halt günstig zu erreichen ist. (lacht) Ökologischer Fußabdruck to the fullest. Es stand unter anderem noch Bukarest in der engeren Auswahl, letztendlich wurde es dann London. Conny hat das sehr passend gesagt: London ist gerade im Winter eine sehr verregnete, triste, graue Stadt. Wir haben dann ja auch nicht an der Themse oder dem Big Ben gedreht, sondern in den, ich sage jetzt mal, langweiligen oder unspektakuläreren Vororten. Die haben die Stimmung des Songs richtig geil eingefangen, finde ich. Kombiniert mit der Jahreszeit, dem Großstadt-Ding, aber ohne die riesigen Hochhäuser, sondern mit diesen Vorort-Blocks und den etwas abgefuckteren Sachen. Das war stimmungstechnisch genau das Richtige. Wir hatten vorher nicht das Riesenkonzept oder Drehbuch, sondern waren eher auf gute Shots und Stimmung aus.
MZEE.com: Generell geht es auf "Stadtlandflucht" inhaltlich unter anderem um Liebe, Frustration, Ängste und Sehnsüchte, was ja zu diesen Szenerien passt. Was ist eure größte Sehnsucht im Leben?
CONNY: Es ist schwierig, das auf eine große Sehnsucht herunterzubrechen, beziehungsweise festzulegen, wie weit man das abstrahieren möchte. Mein Leben hat sich insofern ein bisschen verändert, dass ich vor etwas mehr als einem Jahr meinen ganz normalen Nine-to-five-Job als Programmierer und Entwickler an den Nagel gehängt habe und mich aktuell nur dem Schreiben widme. Romane, Novellen, Theater – das alles möchte ich gerne schreiben. Hier und da habe ich bereits damit angefangen, aber es ist schon so, dass der Fokus eindeutig auf der Musik liegt. Das spannt mich natürlich sehr ein, deswegen kann ich jetzt nicht sagen, dass in drei Monaten noch mein Roman herauskommt. Schön wär's, aber so ist es leider nicht. (lacht) Ich habe mich viel damit beschäftigt, mich selbst irgendwie zu verwirklichen und mir Fragen zu stellen: "Was bist du denn überhaupt selber? Ist arbeiten gehen und am Wochenende versuchen, möglichst viel Leben in 48 Stunden zu pressen, überhaupt das, was du bist und sein möchtest? Kann ich mein Leben anders gestalten und am Ende das Gefühl haben, dass ich wirklich mehr ich bin?" – Deswegen würde ich momentan sagen, dass meine große Sehnsucht darin liegt, einen Weg zu finden, mich selbst zu verwirklichen. Auf eine Art und Weise, bei der es nicht notwendig ist, so viel Arbeit zu machen, die nichts mit mir zu tun hat. Im Moment habe ich das Glück, dass ich mir viel Erspartes angelegt habe und nebenbei als Programmierer immer so kleine Jobs machen kann, die es mir ermöglichen, einen für mich sehr, sehr angenehmen Lebensstil zu haben und mich trotzdem komplett etwas zu widmen, bei dem ich das Gefühl habe, mich verwirklichen zu können. Das ist gerade so mein großes Ding. Irgendwie.
Pimf: Also, ich mache das ja schon ein bisschen länger so. Ich glaube, es sind schon sechs Jahre vergangen, seitdem ich nicht "vernünftig" arbeite, sondern eher von Musik, Luft und Liebe lebe. Diese Selbstverwirklichung ist da natürlich auch bei mir ein Riesenthema und es ist immer alles irgendwie ein Hustle. Man muss sich häufig erklären, rechtfertigen und kämpfen, damit man über die Runden kommt. Ich stehe oft morgens auf und frage mich: "Worauf hast du heute Bock? Was willst du machen?" – Und neulich dachte ich mir, dass ich Bock habe, mit dem Auto nach Dänemark zu fahren und mir ein paar geile Tage zu machen. Ich habe halt diese Möglichkeit, Conny hat sie auch. Du hast vielleicht einen Nine-to-five, aber wir als West- beziehungsweise Mitteleuropäer haben alle Möglichkeiten der Welt und schöpfen sie viel zu selten aus. Ich diskutiere ganz oft mit meiner Freundin oder meinen Eltern darüber. Ich bin jetzt zweieinhalb Tage in Dänemark gewesen und meine Mutter sagt immer: "Das lohnt sich nicht!" Natürlich ist es dumm, zehn Stunden da hochzufahren und zwei Tage später wieder zehn Stunden zurückzufahren, aber es ist besser, als es nicht zu machen. Viel wird vor sich hergeschoben, aber ich bin halt so einer, der dann sagt: "Ey, komm, scheiß drauf, ich mach' das jetzt einfach!" Und dadurch mache ich superviel. Es dreht sich dann immer sehr um Fußball und Reisen, das ist auch ein Stück weit eine Flucht aus meinem Alltag heraus. Die Decke fällt mir auf den Kopf und ich fahre dann irgendwohin, gucke Fußball, erlebe andere Kulturen und Menschen. Wenn ich eine Woche hier Zuhause bin, sehne ich mich danach, unterwegs zu sein und abgefuckt und stressig irgendwo durch die Welt zu reisen. Wenn ich dann unterwegs bin, freue ich mich sehr auf mein Zuhause und auf die Ruhe, die hier in meinem Kaff herrscht. Das, was man nicht hat, will man ja immer. Das ist die Kombination meiner zwei großen Sehnsüchte.
MZEE.com: Das ist schon spannend und zugleich ambivalent.
Pimf: Mega. Es geht natürlich voll weg von dem, was die meisten Leute hier so treiben und es ist auch schwer nachvollziehbar, was das Ziel ist. Meine Family kriegt auch immer voll den Rappel, wenn ich die ganze Zeit so Aktionen reiße. Ich habe zum Beispiel gestern Abend spontan einen Flug nach Montenegro gebucht und bin dann einfach drei, vier Tage in Montenegro und Albanien unterwegs. Und alle drehen schon wieder durch und fragen sich, was die Kacke soll. (überlegt) Aber ja, ich habe die Zeit und die Möglichkeit dazu, also mache ich das einfach.
MZEE.com: Conny, du rappst auf eurem Intro "Können Wollen" über "das Zünglein an der Waage zwischen Constantin und Conny". Ihr seid zwar beide für authentische Texte bekannt, hier scheint es aber eine Differenz zwischen Künstler und Privatperson zu geben. Wo verläuft für euch die Grenze?
CONNY: Voll lange waren Constantin und Conny getrennt. Es ist so, wie ich es in der Zeile sage: Auf der Arbeit haben mich alle Constantin genannt, ich habe mich auch als Constantin vorgestellt. Dann komme ich nach Hause, ich fahre ins Studio oder in den Proberaum, treffe mich am Wochenende mit Leuten, mit denen ich Mucke mache und dann fängt eben das Conny-Sein erst an. Zum Zeitpunkt, als ich zu Jonas gefahren bin und wir diese Songs gemacht haben, war das auch ein großes Thema. Zu der Zeit hatte ich den Job bereits auf 80% reduziert, also nur vier Tage die Woche gearbeitet, und bin dann immer von Freitag bis Sonntag zu Jonas gefahren. Bei der Selbstverwirklichung gibt es natürlich die Frage: Will man das hundertprozentig deckungsgleich werden lassen? Ich weiß nicht, ob ich das möchte. Ich finde es eigentlich gut, dass es noch immer eine gewisse Grenze gibt. Aber das macht natürlich auch gewissermaßen den Reiz aus, dass man damit ein bisschen spielt. In den nächsten Songs, die rauskommen, finden sich viele Zeilen und Passagen, die supernah an mir dran sind, aber nicht immer zu 100% wirklich auch so passiert sind. Ich finde es eigentlich voll interessant, ein bisschen damit zu spielen. An welchen Stellen lässt man das deckungsgleich werden? An welchen Stellen lässt man sich einen gewissen Puffer? Wenn ich immer nur das schreiben würde, was auch wirklich passiert, dann würde ich irgendwann an einen Punkt kommen, an dem ich über das Einkaufen rappen müsste. Ich glaube, dass man es immer größer und kleiner werden lassen muss, das Zünglein an der Waage.
Pimf: Bei mir sind die Inhalte meiner Musik relativ deckungsgleich mit meiner Privatperson. Da ist nur sehr wenig Fiktion. Vor allem in meinem Privatleben ist es mir aber wichtig, dass ich dann sage: "Jetzt bin ich Jonas. Es geht jetzt nicht um meine Musik." Es gibt immer wieder diese typischen Situationen: "Yo, du bist doch Rapper. Jetzt rapp mal was!" In dem Moment bin ich aber nicht Pimf, sondern Jonas. Vor allem in solchen Situationen finde ich es wichtig, eine kleine Separierung drin zu haben.
MZEE.com: Das ist definitiv eine stilistische Gemeinsamkeit bei euch, auch wenn natürlich jeder dabei für sich steht. Worin seht ihr eure Stärken als Duo?
Pimf: Keine Ahnung. Wenn du mich fragst, was allein meine Stärke ist, dann wüsste ich das schon nicht. (lacht) Das müssen andere beurteilen, oder?
CONNY: Das sehe ich auch so, das müsste eher jemand von außen sagen. Aber wie du schon sagst: Wir haben da eine stilistische Ähnlichkeit, die uns auch verbindet und wegen der wir überhaupt Bock haben, miteinander Mucke zu machen. Ich finde es voll interessant, diese beiden Aspekte nebeneinander auf einem Track zu hören. Auf dem letzten Song auf der Platte, "Einer von den Guten", sagt Jonas, dass er meinen Part viel lieber mag als seinen eigenen. Ich sehe das genau andersrum. Ich feier' seinen Part extrem ab, da ist so eine krasse Ehrlichkeit drin. Manchmal ist es so, dass man Sachen einfach runtergeschrieben hat und die sich zufällig gereimt haben. Das Krasse ist: "Einer von den Guten" ist komplett auf denselben Reim geschrieben, das muss also noch mehr Absicht als sonst gewesen sein. Trotzdem habe ich bei Jonas' Part das Gefühl, als würde er es mir einfach erzählen und nicht vorrappen. Ein Thema zu nehmen und zwei Leute zu haben, die stilistisch ähnlich über sowas rappen, kann natürlich langweilig sein. Aber ich finde es bei uns voll interessant, weil wir doch eine andere Art haben, über Dinge zu sprechen. Die Art und Weise, wie wir darüber reden wollen – nämlich ehrlich – und die Grundemotion sind gleich. Das ist geil. Es sind zwei Perspektiven, aber mit der gleichen Intention.
Pimf: Meistens sind Kollabos ja auch so Dinger, bei denen auf die Kacke gehauen wird. Es passiert selten, dass zwei Leute sich zusammensetzen und deepe und persönliche Songs machen. Ich finde es krass, wie ähnlich unsere musikalischen Herangehensweisen sind, dafür dass wir so komplett unterschiedliche Typen sind. Das ist ein Kollabo-Ding und es wird nicht ein einziges Mal representet, sexistische Kackscheiße oder sonst was gelabert. (lacht) Und das ist ja eigentlich eher so ein typisches Kollabo-Album. MoTrip und Ali As sind das beste Beispiel. MoTrip macht alleine irgendwelche deepen Songs und mit Ali As haut er auf die Kacke. Die sind dann wohl zusammen im Studio und machen Turn Up oder Party und wir sitzen halt da wie beim Therapeuten und erzählen uns gegenseitig irgendwelche Sachen, aus denen dann Songs entstehen.
MZEE.com: Euch kennt man ja ursprünglich auch aus so einer "Auf die Kacke hauen"-Richtung, wenn man an eure Battleturnier-Zeit denkt. Habt ihr ab und an Lust, auch mal wieder richtig auszuteilen?
Pimf: Ich absolut gar nicht, ehrlich gesagt. Für mich war das eher so ein Ausflug, in den ich reingerutscht bin. Das ist überhaupt nicht meine Art und reizt mich aktuell nicht. Das war damals irgendwie geil und auch eine gute Zeit, aber ich habe sowohl davor als auch relativ straight danach schon wieder ruhigere Musik gemacht, das finde ich interessanter.
CONNY: Ich habe zusammen mit einer Kölner Crew – Projekt Gummizelle – und mit Elmäx eine sechs Song starke EP zusammengeschustert. Das ist ein bisschen rappiger, da sind weniger deepe Sachen drauf, eher ein bisschen Geflexe. Das reicht mir dann aber auch schon wieder. Die nächsten Conny-Solo-Sachen sind auf jeden Fall wieder ziemlich viel Konzeptkram und deep. Das nächste Plot-Ding wird eine superpolitische Platte werden. Ab und zu kommt die Lust darauf, etwas Leichteres zu machen, also schon auf, aber länger als zwei Tracks kann ich das eigentlich nicht machen.
MZEE.com: Pimf, auch wenn du eigentlich gar keine Lust hast auszuteilen, hast du im März 2019 einen provokanten Tweet veröffentlicht: "Mein WhatsApp-Verhalten ist wie Deutschrap-Alben. Ich mach' immer zwei Minuten Sprachnachrichten, aber eigentlich ist nach zehn Sekunden alles gesagt. Rest ist nur dummes Geschwafel." – Was meint ihr, warum haben Rapper oft eine Abneigung gegenüber ihrem eigenen Genre und wie begründet ihr das bei euch?
Pimf: Ich finde Deutschrap prinzipiell nicht scheiße. Gerade in letzter Zeit, mit der Diversität und allem, gibt es sehr viel geilen Deutschrap und ich höre das aktuell auch wieder sehr gerne. Man darf meinen Tweet natürlich nicht auf die Goldwaage legen, das ist auch mit einem Augenzwinkern gemeint. (lacht) Das, was an geilem Zeug dazugekommen ist, ist natürlich in gleichem Maß auch an Müll dazugekommen. Es ist immer einfach, sich im eigenen Gehege zu ärgern. Beim Fußball ärgern sich die Fans auch untereinander, die sagen ja nicht, dass die Basketball-Fans kacke sind. Man gräbt da so in seinem eigenen Metier.
CONNY: Ich kann dir da eigentlich gar keine Begründung geben. Passiert das auch innerhalb des Pop-Genres? Ich glaube, es hat oft was mit Authentizität zu tun. Die meisten Rapper würden ja von sich selbst sagen, dass sie sehr authentische Mucke machen. Welcher Rapper sagt schon, dass er komplett erfundene Musik macht? Elmäx zum Beispiel sagt als erstes über Rap, dass es ein Genre ist, das immer superpersönlich und ehrlich ist. Vielleicht fühlt man sich deswegen auch ein bisschen auf den Schlips getreten und denkt sich: "Ich habe hier jetzt krass mein Herz ausgeschüttet, das ist mein Leben, mein Life, Alter. Ich packe hier mein Leben rein und du rappst auf irgendwelchen Shisha-Beats über Autos. Was soll das? Das ist überhaupt nicht real!"
MZEE.com: Abneigung gibt es in der Musikbranche auch an ganz anderen Stellen: Könnt ihr die Musik von Künstlern genießen, auch wenn sie schreckliche Taten begangen haben? Auf "Können Wollen" erwähnt Conny beispielsweise, dass er R. Kelly hört.
CONNY: Ey, ich sage dir ganz ehrlich – wenn diese Platte erst etwas später rausgekommen wäre, hätte ich diese Zeile auch gepiept. Es gibt tatsächlich auf diesem eben angesprochenen Plot- und Gummizelle-Tape einen Song, auf dem Elmäx auch R. Kelly sagt und da haben wir es gepiept. Die "Stadtlandflucht"-Platte ist einfach schon länger fertig und abgegeben, deswegen ist das jetzt so. Dass wir es auf dem anderen Tape zensiert haben, finde ich auch richtig. Du hast vielleicht von dieser "Mute R. Kelly"-Aktion mitbekommen, das unterstütze ich. Ich finde es richtig und wichtig, dass solche Themen in die Öffentlichkeit kommen und solche Künstler keine Plattform mehr bekommen. Deswegen ist es ein bisschen schwierig, weil ich mit dieser Zeile genau in einer Transition-Phase gelandet bin.
MZEE.com: Ich finde das Thema sehr spannend, weil ich immer wieder unterschiedliche Meinungen zu der Trennung von Privatperson und Künstler höre. Bei Michael Jackson ist das ja eine ganz ähnliche Geschichte.
CONNY: Meine Zeile hat eigentlich auch nichts mit R. Kelly als Person zu tun, ich rappe ja "Ich höre R. Kelly und schaue traurig auf die Zeiger der Uhr". Ich beziehe mich da eigentlich nur auf die Zeile "If I could turn back the hands of time". Ich höre R. Kelly nicht, weil ich traurig bin, es geht nur um diesen Song und das damit verbundene Gefühl, sich zu wünschen, die Zeit zurückdrehen zu können. Im Fall von "Können Wollen" ist das sozusagen, noch mal von vorne zu beginnen und diese Entscheidung: "Werde ich Künstler oder nicht?" Trotzdem ist es aber meiner Meinung nach nicht mehr möglich, diese Person irgendwie einzubauen ohne diese traurige Legacy, die sie letztendlich hinterlässt, mit einzubeziehen. Deswegen bin ich der Meinung, dass ich ihn für zukünftige Projekte nicht mehr einbinden möchte.
MZEE.com: Pimf, das ist zwar nicht deine Zeile, aber wie stehst du allgemein zu dieser Problematik?
Pimf: Es klingt alles logisch und nachvollziehbar, was Conny sagt. Ich war allerdings nie ein R. Kelly-Hörer und bin auch ganz froh darüber. Ich weiß nicht, mir ist jetzt gerade niemand eingefallen, bei dem es mich betrifft, was dieses Zusammenspiel von Privatperson und Musik angeht. Hast du noch irgendwelche konkreten Beispiele im Kopf?
MZEE.com: XXXTentacion hat beispielsweise seine Ex-Freundin misshandelt.
Pimf: Ja … (überlegt) Schwierige Geschichte. Ich war nie der krasseste Fan, aber dieses "17"-Album fand ich schon sehr gut. Da muss ich zugeben, dass da schon ein, zwei Songs immer wieder durch meine Playlist rotieren. Es kommt, glaube ich, immer darauf an, wie eng man mit dem Künstler verbunden war. Ich war jetzt niemand, der XXXTentacion über Jahre hinweg gehört und seine komplette Entwicklung und sein Schaffen erlebt hat. Für mich kam der halt und ich fand den ganz cool, dann berührt einen das nicht so krass, wie bei Künstlern, die einen über Jahre hinweg prägen. Ich verstehe zum Beispiel absolut keinen Spaß bei dieser Absztrakkt-Geschichte. Ich war nie der größte Fan, aber bei diesen ganzen rechten, wutbürgerlichen Parolen hört für mich der Spaß auf. Bei R. Kelly bin ich froh, dass ich nie der größte Fan war, denn ich trauere der Musik jetzt nicht hinterher.
MZEE.com: Wenn man keinen Bezug zum Künstler hat, nimmt einem das ja auch gewissermaßen die Entscheidung ab.
Pimf: Genau, da kann man das einfach scheiße finden und die Musik kann einem dann genauso egal sein wie vorher. (lacht)
MZEE.com: Nachdem wir jetzt viel über belastende Dinge in der Musikbranche gesprochen haben, möchte ich noch über etwas Positives reden. Was hat euch in unserer Rapszene zuletzt eine Freude bereitet?
Pimf: Das Tua-Album, das Döll-Album, das Yassin-Album. Da sind in diesem Jahr schon sehr viele coole und spannende Alben rausgekommen. Ich habe das Gefühl, dass wir, was geile Deutschrap-Alben angeht, relativ stabil in das Jahr gestartet sind. Das kam mir die letzten Jahre auf jeden Fall nicht so vor.
CONNY: Ich habe auch viel an dem Tua-Album gemocht, das Yassin-Album hat mir auch sehr gut gefallen. Auf die Fatoni-Platte freue ich mich krass. Ich glaube, die wird sehr nice werden. Ich habe das Gefühl, es passiert grundsätzlich viel. Zum Beispiel folge ich der splash! Mag-Chefredakteurin Miriam Davoudvandi auf Twitter und sie hat auch superviele feministische Themen auf der Agenda. Salwa Houmsi ist auch bei vielen Sachen am Start. Ich habe das Gefühl, dass, obwohl auf der einen Seite sehr viel sexistischer und materialistischer beziehungsweise kapitalistischer Kram durch die Shisha-Playlisten auf unsere Telefone gespült wird, gleichzeitig auch durch Künstlerinnen wie Ebow oder Haszcara etwas ganz anderes passiert. Vielleicht bedingt sich das auch gegenseitig ein bisschen. Dazu gehören auch Waving the Guns, die sehr politische Musik machen. Auf der einen Seite kann man natürlich sagen: "Boah krass, Shisha-Playlist übernimmt das Land!" Aber auf der anderen Seite rücken ganz viele andere Sachen immer weiter in meinen Wahrnehmungsbereich und ich habe voll Bock darauf, noch mehr Künstler aus dieser Richtung zu entdecken und kennenzulernen.
(Jens Paepke)
(Fotos: Urban Tree)