DLTLLY Title-Match – Der Champ
Dass Battlerap mittlerweile keine kleine Nische mehr ist wie noch vor 10 bis 15 Jahren, ist vermutlich kein Geheimnis. Die damalige Reichweite war noch sehr überschaubar, als die ersten Freestyle-Battles bei 1ON1 auf Beat oder die ersten geschriebenen A cappella-Parts bei Feuer über Deutschland erschienen. Heutzutage gibt es mehrere Ligen in unterschiedlicher Größe, die vielen unbekannten Künstlern eine Bühne bieten, um ihre Texte einer breiteren Masse zu präsentieren. Während Toptier Takeover und Don't Let The Label Label You noch zu den größeren Plattformen zählen, fassen mit Du und Deine Lines, der Battlerap-Bundesliga oder Is doch nur Rap auch kleinere Formate mittlerweile Fuß in der Szene. Eine Besonderheit bei DLTLLY ist das jährlich stattfindende Title-Match, in dem ermittelt wird, wer der Champion dieser Liga sein soll. Und seit dem letzten Kampf um den Titel zweifelt wohl kaum mehr ein Battlerap-Fan an der Aussage:
"Der Rap am Mittwoch Menderes hat a cappella mies was drauf."
Ende 2018 kann der hungrige MC Yarambo beim "DISSember 3"-Event dem vorhergehenden Champion Nedal Nib dessen Titel mit einem eindeutigen Ergebnis abjagen. Doch wie kommt es dazu, dass der kontroverse Rapper aus Bonn überhaupt erst gegen den zweimaligen Titelträger antreten darf? Um es mit den Worten eines der sieben Judges zu sagen:
"… weil er dieses Jahr einfach alle weggewixt hat."
Erste Runde: Yarambo!
Yarambo feiert sein Debüt bei DLTLLY 2015 in Berlin gegen Zeptah und kämpft sich nach seinem ersten Triumph immer weiter nach oben. Die Liga stellt ihm in regelmäßigen Abständen mehr oder weniger routinierte MCs gegenüber. Doch zu Beginn gelingt es keinem, dem selbsternannten "Copkiller" das Wasser zu reichen. Weder Mave oder Indoor Stan noch Fabiga schaffen es, ihn in seine Schranken zu weisen. Obwohl die Siege nicht immer eindeutig sind, geht der junge Mann aus Bonn sehr zügig seinen Weg nach vorne. Der Stil aus frechem Humor, verrückten Wortspielen und einer Menge fragwürdiger Lines verschaffen ihm schnell einen Namen. Aber nicht nur bei DLTLLY erzielt Yarambo zu dieser Zeit erste Erfolge. Auch in der Battlemania Championsleague (BMCL), der ehemaligen A cappella-Plattform von Rap am Mittwoch, erhält er die Möglichkeit, in Erscheinung zu treten und sich seine Lorbeeren zu verdienen. In seinem ersten Match gegen den Newcomer Gugo behält er nur knapp die Oberhand. Doch bereits in der nächsten Begegnung mit Barracuda kann "Bonn's Most Wanted" zeigen, was in ihm steckt. Dass Yarambo sich selbst in seiner Catchphrase auch den "Rap am Mittwoch Menderes" nennt, liegt nicht etwa daran, dass seine ersten Schritte in der BMCL nicht von Erfolg gekrönt wären. Die Zeile rührt daher, dass er sich in den Freestyle-Runden nie bis zum King-Titel durchschlagen kann. Dafür macht er sich in ebendiesen Vorrunden erneut durch einen sehr bedenklichen Freestyle einen Namen:
"… Faust oder Ficker – Ben, wieso bekomm' ich eigentlich immer 'nen Ni**a?"
Die Line ist dem damaligen Format eindeutig zu extrem, sodass sie gar zensiert wird. Doch das Internet und besonders die Rap-Community vergessen nicht.
Erste Niederlagen
Kontroverse Lines und Schemes gelten oftmals als Garant für eine Reaktion, einen Aufschrei oder einen anständigen Lacher in der Menge. Dass diese Strategie allerdings auch eine Kehrseite hat, beweist in Berlin der damals vielen noch unbekannte Cleptomatic. Dieser bereitet der Siegesserie von Yarambo nämlich ein plötzliches Ende, indem er dessen eigene Texte gegen ihn verwendet. Dadurch verleiht er dem Künstler ein Image, welches ihm ebenso stark anhaftet, wie es verhasst ist: das eines rechtsextremen Pädophilen. Yarambo verliert dieses Match mit einem eindeutigen 5:0 und verlässt Berlin mit seiner ersten Niederlage. Diese soll allerdings nicht die letzte sein. Seine grenzüberschreitenden Lines erschweren ihm nicht nur im Kreis bei DLTLLY oftmals die Performance. Auch in der BMCL scheitert er gegen Notyzze am Ende an seinen eigenen Zeilen.
"… ich mach' die Führerpose in der Synagoge …"
Notyzze nutzt diesen Text in bestmöglicher Weise, lässt Yarambo als antisemitisch dastehen und trifft besonders auf dieser Bühne mit jenem Angle ins Schwarze. (Anm. d. Red.: Der Host und Gründer des Formats Ben Salomo ist Jude.) Der Ausschnitt an sich stammt aus dem Battle gegen Mars B., welches Yarambo ebenfalls knapp verliert – allerdings aufgrund einiger Textunsicherheiten. Die regelmäßigen Verhaspler, "Slip-Ups" und kurzen "Stumbler" ziehen sich bis dahin regelmäßig durch seine Runden. Selbst einige gute Leistungen im Tag-Team mit unterschiedlichen Partnern – wie seinem früheren Gegner Indoor Stand oder dem Luxemburger T-Way – geben Yarambo nicht den gewünschten Aufschwung. Besonders das Battle mit Indoor Stan scheitert daran, dass sich die beiden nicht wie erhofft ergänzen, sondern sich eher gegenseitig die Energie nehmen. Generell wirkt Yarambo zu dieser Zeit weniger hungrig und aggressiv als sonst. Trotz eines knappen Sieges 2017 gegen Merlin beim "DISSember 2" in Berlin hat er laut eigenen Angaben seinen Fokus verloren. In einem Facebook-Post im Februar 2018 kündigt er das kommende Match gegen Davie Jones als sein letztes an. Doch genau dieses Battle soll ihm den erhofften Aufstieg bescheren.
Levelsprung
Dass Yarambo seit Beginn seiner Karriere ein krasser Gegner ist, bei dem man mit einem Punchline-Hagel rechnen muss, ist kein Geheimnis. Doch der "Rap am Mittwoch Menderes" mausert sich in seinem Match gegen Davie Jones aus München endgültig zu einem der Besten der Szene. Mit Witzen, Wortspielen und Vergleichen lässt er seinem Gegner drei Runden lang keine Verschnaufpause und macht auch keinen Halt vor Beleidigungen bezüglich Davies Hautfarbe. Sein Auftreten, seine Stimme, die Atmosphäre – all diese Dinge unterstützen zu jeder Zeit die noch mal krasseren Punchlines, die er mitsamt seines plumpen Humors auf die nächste Stufe gebracht zu haben scheint. Diese Energie überträgt sich letztendlich auch auf das Publikum, welches gebannt an seinen Lippen hängt. Die Leistung des Rappers ist dermaßen stark und kontrovers zugleich, dass sich sogar der damalige Titelchamp Nedal Nib fragt, ob man über diese Lines überhaupt lachen darf. Yarambo selbst spricht in der letzten Runde aus, was sich vermutlich sowieso schon jeder denken kann: Sein innerer Teufel wurde wiedergefunden und er hat Hunger – Hunger wie nie zuvor, denn er will den Gürtel nach Bonn holen.
Spätestens nach dieser Begegnung werden die Rufe nach einem Title-Match auch auf Facebook und YouTube lauter, doch vorerst steht für Yarambo ein anderer Gegner im Vordergrund. Denn seine erste Niederlage bei DLTLLY ist ihm immer noch ein Dorn im Auge. Deswegen gibt es zuallererst ein Rematch gegen seinen ehemaligen Gegner Clep, damals noch Cleptomatic. Dass die Stimmung in Hamburg zum Zerreißen gespannt ist, wenn diese zwei Hochkaräter aufeinandertreffen, ist von Anfang an klar. Beide präsentieren ihre Parts und sich selbst makellos. Yarambo mit Aggressivität und Asozialität und Clep mit durchdachten Lines und atmosphärischen Angles. Ein Kopf-an-Kopf-Rennen, bei dem letztendlich nur zählt, welchen Style man mehr feiert. Doch auch dieses Battle kann der Bonner für sich entscheiden und kündigt gleichzeitig seinen Griff nach dem Titel an. Ein unjudged Match gegen Bong Teggy und zwei mehr als solide Leistungen im "Alpha Royale"-Turnier von Toptier Takeover genügen Yarambo als Warm-up, um schlussendlich gegen Nedal Nib in den Ring zu steigen. (Anm. d. Red.: TTT eröffnete im Herbst 2018 gemeinsam mit Kollegah ein Turnier namens "Alpha Royale".)
Title-Match
Nach mehr als einem Jahr ist es Ende 2018 wieder soweit und es wird in Berlin um den Titel gekämpft. Als Einstieg gibt es eine kurze, doch schöne Eröffnung durch den Host der Liga Big Chief – unverkennbar durch sein ebenso lautes wie sympathisches Organ. Selbst dem Publikum merkt man die angespannte Atmosphäre an, denn trotz mehrerer hochkarätiger Matches warten alle sehnsüchtig auf das Highlight des Abends. Beide MCs schenken sich über die gesamte Rundenzeit rein gar nichts. Und wie es in einem richtig guten Battle auch sein soll, wird kein Thema ausgelassen, bleibt kein Aspekt unberührt und kein Schwachpunkt des Gegenübers unangetastet. Allen ist klar: Dies ist ein Match auf Augenhöhe. Beide Rapper beweisen mehrfach, warum sie es verdient haben, hier um diesen Titel zu kämpfen. Entgegen anderer Match-Ups ist es in diesem Fall kein "Clash of Styles", bei dem die Kontrahenten komplett unterschiedliche Stilmittel benutzen. Beide Protagonisten sind für ihre aggressive Attitüde, ihre direkten Strophen und ihre harten Punchlines bekannt. Auf der einen Seite steht der Herausforderer Yarambo und versucht klarzumachen, warum er den Gürtel mehr verdient als sein Gegner. Nedal Nib beweist auf der anderen Seite erneut, warum er immer noch zu den Besten der Szene gehört und diesen Titel nicht umsonst seit zwei Jahren innehat. Doch der Hunger des Herausforderers überstrahlt auch dessen Delivery und Attitude, weshalb er einen kleinen Vorteil besitzt: Von Anfang an hat er die Crowd auf seiner Seite – und lässt sie in den kommenden Runden auch nicht wieder los. Nedal hat die stärkeren Wortspiele, die durchdachteren Lines und somit auch die herausstechenderen Bars. Gleichzeitig sind seine Angles einfach schon etwas ausgelutscht und von vielen vorhergehenden Gegnern bereits gebracht worden. Hinzu kommt, dass Yarambo sämtliche Nazi- und Pädophilenlines in seinen Parts mehr als elegant auskontert.
"Nazi- und Pädolines – da muss ich 'nen Schulterblick machen, denn das sind tote Winkel."
In seiner dritten Runde stellt Yarambo noch mal seine eigene Laufbahn und die seines Gegners gegenüber. Dadurch gelingt es ihm, deutlich zu machen, dass sich Nedal im Schatten seines erfolgreichen Partners Mighty Mo einen Namen machen konnte, während er sich hingegen von unten nach oben kämpfen musste. Des Weiteren beweist Yarambo, dass er seinem Stil treu bleibt, indem er gleich zu Beginn einige Zeilen über Nedals Mutter rappt. Natürlich sehr generisch, doch gleichzeitig verdeutlicht diese Strategie, dass er immer noch der Gleiche ist wie zu Beginn seiner Karriere. Ein kurzer Hinweis in seiner dritten Runde darauf, dass er bald Vater wird, verschafft ihm für einige Fans und Judges noch dazu den nötigen persönlichen Aspekt. Diesen haben viele in seinen vorhergehenden Battles vermisst. Obwohl das komplette Match auf Augenhöhe stattfindet, machen es einige wenige Punkte letztendlich aus, dass Yarambo der neue King bei DLTLLY wird. Während Tierstar, Drob Dynamic, Brian Damage, SSYNIC und Falk von Team Reiben ihre Stimme an Yarambo geben, erhält Nedal Nib die Punkte von N'Antinein und Wolff. Das endgültige Ergebnis 5:2 spiegelt somit das Battle sehr gut wieder, welches ausschließlich von Protagonisten gejudget wurde, die bereits selbst in mehreren A cappella-Battles standen.
Auch wenn es an diesem Abend scheinbar das letzte Mal sein soll, dass man den Satz aus dem Munde des neuen Champions hört, bestreiten kann es nun definitiv niemand mehr:
"Der Rap am Mittwoch Menderes hat A cappella mies was drauf."
Bleibt abzuwarten, ob er den Titel auch wie angekündigt mehr als nur einmal im Jahr verteidigen wird.
Kunstfreiheit?
Um sich ein komplettes Bild vom Champion zu machen, reicht es nicht, nur seine Erfolge und Stärken aufzuzeigen. Auch die Kehrseite der Medaille – oder besser gesagt des Gürtels – sollte beleuchtet werden. In der Szene hört man immer wieder kritische Kommentare, die hinterfragen, ob es für ein Title-Match ausreicht, einfach asozialer zu sein als sein Gegner. Hat Nedal Nib recht, wenn er seinem Gegenüber vorwirft:
"Keine Kunstfreiheit der Welt rechtfertigt, dass ein Weißer zu 'nem Schwarzen in 'nem Battle Ni**a sagt"?
Grenzen zu überschreiten, ist ein Stilmittel im Rap, besonders im A cappella-Match. Und Yarambo setzt in seiner gesamten Karriere mehr als nur seine kleine Zehe über alle möglichen Grenzen. Er bekommt dafür allerdings auch seine Quittung und verliert durch diese Angriffsfläche mehrere Battles. Im Endeffekt kann sich kein Künstler darauf ausruhen, dass im Rap alles erlaubt ist. Denn abseits der Kunst bleibt hinter dem MC immer noch der Mensch an sich und dieser muss für seine Kunstfigur geradestehen. Somit muss jeder Protagonist selbst entscheiden, wie weit er als Rapper gehen will und ob er seine Texte in erster Linie gegenüber sich selbst und im nächsten Schritt gegenüber seinem Umfeld verantworten kann. Zumindest so viel sei gesagt: Yarambo hat den Titel bestimmt nicht wegen seiner kontroversen Inhalte oder seiner grenzüberschreitenden Texte gewonnen. Es ist vielmehr sein Humor, seine Verbindung zur Crowd, seine Attitüde und besonders sein Hunger und Wille, die ihn zum Champion machen. Seine kontroverse Art hingegen ist eher das Stilmittel, welches dem Betrachter ins Auge sticht und somit seinen Gegnern eine riesige Angriffsfläche bietet. Wie auch schon so häufig geschehen, könnte man stundenlang über dieses Thema diskutieren und würde dennoch zu keinem Ergebnis kommen. Die Hauptfrage dreht sich im Endeffekt darum, ob es tatsächlich Wörter oder Aussagen gibt, die selbst in einem Rapbattle nichts verloren haben. Darf man sich über bestimmte Ethnien oder Minderheiten nicht lustig machen oder diese durch den Kakao ziehen? Um es mit Yarambos eigenen Worten zu sagen:
"… Diskriminieren fängt für mich beim Ignorieren an."
Doch Rassismus hat – wie überall auf der Welt – auch im Battlerap nichts verloren. Dementsprechend wird der neue Champ vermutlich immer wieder auf seine kontroverse Wortwahl reduziert werden, da er damit ein gefährliches Spiel betreibt. Besonders im Rap-Genre sind die Grenzen zwischen Kunstfreiheit und Diskriminierung verschwindend gering. Einerseits schwebt über jedem, der sich gewissen fragwürdigen Begriffen oder Aussagen bedient, stets das Schwert des Damokles. Andererseits ist eine Zensur von manchen Wörtern nur kurzfristig erfolgreich. Auf lange Sicht muss man das Problem ganzheitlich betrachten und an der Wurzel packen. Denn gerade in der heutigen Zeit sollte Rassismus keine Bühne bekommen – weder in der Politik, im Sport oder in Werbeslogans, am Arbeitsplatz und beim Stammtisch noch in der Musik.
(Schinie)
(Fotos: Smerrob)