Mit Künstlern über Politik zu sprechen, kann ernüchternd sein. Das kann gerade in der deutschen Rapszene daran liegen, dass der Gesprächspartner höchst fragwürdige Aussagen tätigt. Oder aber daran, dass man über die selben gesellschaftlichen Entwicklungen spricht wie im vorherigen Interview, welches zwei Jahre zurückliegt – Entwicklungen, die man damals, wohl zu vorsichtig, "Tendenzen" nannte. Trotz allem Engagement dagegen, auch von Bands wie Moop Mama, wird rassistisches und anderweitig diskriminierendes Gedankengut in Deutschland und Europa immer präsenter, salonfähiger und regelmäßig laut ausgesprochen. Rapper Keno und Trompeter Menzel Mutzke erklärten uns im Interview, warum sie sich als Band politisch engagieren und auch privat die Stimme erheben. Außerdem sprachen wir über die Effekte von Social Media auf unsere Gesellschaft und die Werbemaßnahmen der deutschen Polizei.
MZEE.com: Wenn eine zehnköpfige Band ihrem Album einen so "egozentrischen" Namen wie "ICH" gibt, stellt sich natürlich erstmal die Frage, wie ihr dieses "Ich" definiert. Hat da jeder von euch seine eigene Vorstellung, oder ist es ein kollektives "Ich"?
Keno: Es ist schon das kollektive "Ich" gemeint, aber natürlich sollte der Titel auch eine gewisse Verwunderung auslösen. Jeder, der uns kennt, weiß, dass es bei uns nie nur um eine Person geht, sondern um das große Ganze. Es geht um ein integratives "Ich", das für eine Vielzahl von Perspektiven steht, die ein Endergebnis erzeugen. Musikalisch funktionieren wir ja als Zehn-Mann-Monster. Dazu ist es auch als Kommentar gedacht, dass unser Album eben nicht so ein Ego-Ding ist, sondern viele Identitäten unter einem Dach vereint.
MZEE.com: Als Kommentar lässt sich auch der Track "Hier bin ich" mit Fatoni verstehen. Seht ihr einen Trend hin zu mehr Egoismus in der Gesellschaft?
Menzel: Auf jeden Fall. Ich denke, das sieht jeder … aber es beteiligt sich ja auch jeder daran, so wie beispielsweise Instagram genutzt wird. Wobei man das ja auch für total geile Sachen verwenden kann, konnte man bei Facebook ja auch …
Keno: Find' ich gut, dass du von Facebook in der Vergangenheit sprichst. (lacht)
Menzel: Man kann echt coole Sachen damit machen und Leute inspirieren, aber die Selbstdarstellung ist schon omnipräsent und nervt wahnsinnig.
Keno: Ich würd' die gesellschaftliche Ebene und das "Hier bin ich"-Ding gar nicht so krass miteinander verknüpfen. In dem Song geht's natürlich um Social Media und auch irgendwie um beide Seiten. Ich finde nicht, dass der Track das nur kritisiert. Er zeigt auf, dass man selbst mittendrin ist und das Gefühl kann, denke ich, jeder nachvollziehen. Das ist einfach ein zweischneidiges Schwert. Tonis Strophe gibt dem Ganzen ja nochmal eine ganz andere Richtung, was ich sehr cool finde. Ohne den Part könnte man den Song halt so verstehen, dass wir Instagram einfach doof finden, was ich nicht unterschreiben würde. So gibt es mehrere Perspektiven. Die gesellschaftliche Ebene würde ich davon trennen. Unsere Gesellschaft beschäftigt sich meiner Meinung nach gerade sehr stark mit Identität. In Deutschland stellt sich die Frage, was die deutsche Identität ist. Es gibt Menschen, die die gerne öffnen und darunter mehr als bisher zusammenfassen wollen. Andere sind eben egoistisch und "America First"-mäßig drauf. Und weil sich diese Punkte so extrem gegenüberstehen, ist die Zeit gerade auch so schwierig.
MZEE.com: Auf der anderen Ebene haben Instagram und Co. vermutlich schon einen Effekt auf das gesellschaftliche Zusammenleben, in Hinblick darauf, dass jeder noch mehr darauf achtet, wie er selbst wahrgenommen wird und so weiter …
Keno: Ja, das hat hundertprozentig einen Effekt auf unser tägliches Verhalten. Auf der einen Seite ist es so eine "Ich"-Zentriertheit, dass man ständig sein eigenes Gesicht in die Kamera hält. Auf der anderen Seite bricht das aber auch schon wieder. Es ist ja quasi eine Truman-Show für die ganze Gesellschaft. Natürlich gibt es einzelne YouTuber und Instagram-Stars, die extrem präsent sind, aber das Phänomen, sehr viel von sich selbst öffentlich zur Schau zu stellen, führt ja auch dazu, dass der Einzelne gar nicht mehr so wichtig ist. Im Endeffekt kannst du so fast jedem ins Schlafzimmer gucken, was es irgendwie auch wieder weniger strange und gefährlich macht.
MZEE.com: Für mich klingt das eigentlich ziemlich dystopisch und "Big Brother"-mäßig.
Keno: Okay, "weniger gefährlich" kann man vielleicht streichen. (lacht) Aber ich tue mich ehrlich gesagt schwer damit, das zu bewerten. Es ist eine Veränderung, die sicher gute und schlechte Seiten hat. Genau diesen Stempel "Prädikat Gefährlich!" will ich da eben nicht draufdrücken.
Menzel: Das wäre in unserer Position auch ein bisschen heuchlerisch. Wir nutzen Social Media ja genauso als Tool wie fast jede andere Band.
MZEE.com: Was sagt ihr zu den Aussagen von Kanye West, der vorgeschlagen hat, Followerzahlen und ähnliche Statistiken bei Instagram auszublenden, um den "Wert" eines Menschen nicht mehr an Zahlen zu messen?
Keno: Das ist auf jeden Fall ein interessanter Gedanke. Props an Kanye. (lacht) Das ist die Art von unkonventionellen Gedanken, die ich gerne häufiger von ihm hören würde. Da hat er schon weitaus dümmere Dinge gesagt. Das hätte bestimmt einen interessanten Effekt. Die Frage ist, ob man hintenrum immer noch den Werbekunden zeigen könnte, dass man Milliarden Follower hat, um das Geld einzustreichen.
Menzel: Ich denke auch, allein aus dem Grund wird das wohl niemals passieren.
Keno: Im Endeffekt ist es ja auch der Sinn der Sache.
MZEE.com: Kanye setzt das einfach durch, wenn er Präsident wird.
Keno: Es sind spannende Zeiten. Vielleicht unterstützt ihn Trump dann. (grinst)
MZEE.com: Apropos Kanye: Der erste Track eures aktuellen Albums ist eine Referenz an seinen Track "Black Skinhead". Kritiker werfen Künstlern in solchen Fällen gerne mal vor, bei anderen abzukupfern. Ihr seid aber weiterhin offen dafür, solche Dinge aufzugreifen und euer eigenes Ding daraus zu machen.
Keno: Wir haben an dem Track im Studio lange rumprobiert, weil wir viele verschiedene Vorstellungen davon hatten, wie er klingen kann. Der Rhythmus und die Ästhetik von "Black Skinhead" haben uns da definitiv sehr inspiriert und der Song ist auf jeden Fall eine Referenz, ja.
Menzel: Manchmal kann man sich gegen solche Inspirationen auch gar nicht wirklich wehren. Man fragt sich schon ab und zu, ob man das gerade eigentlich darf und ob es cool ist. Aber im Endeffekt interpretieren wir die Melodie dann eben doch total anders, von daher …
Keno: Sowas passiert ja immer wieder. Es kommt auch drauf an, woher die Inspiration kommt. Wenn wir von Anfang an das Ziel hätten, einen Song so wie einen anderen klingen zu lassen, würde ich mich dabei wohl schlecht fühlen. In dem Fall zum Beispiel hat uns unser Text und unsere Rhythmik an Kanyes Track erinnert. Dann haben wir den gehört und Dinge einfließen lassen, da sind die Grenzen einfach fließend. Wir samplen ja nicht oder so. Dadurch, dass wir die Sachen live produzieren und aufnehmen, ist auch nochmal eine Ebene dazwischen, die verhindert, dass die Grenze zwischen Referenz und Kopie zu sehr verschwimmt.
MZEE.com: Die Single "Molotow" dreht sich um die ungleiche Liebe zwischen einem Polizisten und einer Demonstrantin. Ich denke, es ist recht klar, auf welcher Seite der Demo ihr stehen würdet, wenn ich beispielsweise an euer Konzert im Hambacher Forst denke. Habt ihr das Gefühl, dass die Polizei und Menschen, die sich für etwas einsetzen, immer weiter auseinanderdriften?
Keno: Das ist für mich das Schwierige an dem Song. Die Inspiration dafür war die menschliche Ebene zwischen den beiden. Es ist auch nicht nur ein politisches Bild, sondern eine Darstellung einer Beziehung an sich: Der Kampf zwischen Autonomie und dem Sicherheitsbedürfnis oder anderen, persönlichen Dingen. Wenn man den Song aber auf eine politische Ebene bezieht, ist es schwierig, herauszulesen, wie ich beispielsweise denke. Da fällt das Menschliche ja eigentlich weg. Der Polizist auf einer Demonstration agiert dort ja in seiner Funktion als Teil eines staatlichen Organs. Da gelten meiner Meinung nach ganz andere Maßstäbe. Die Message des Songs, dass sich am Ende alle lieb haben, ist ein bisschen utopisch und blauäugig. Also, ich finde sie richtig, aber es ist eine Wunschvorstellung. Kurz nachdem der Song rausgekommen ist, stand ich in Hamburg am Bahnhof und hab' 'ne Polizeiwerbung gelesen. Da dachte ich kurz, dass wir diesen Song niemals hätten machen dürfen. (lacht) In der Werbung hat ein schwarzer Cop in so amerikanischer Filmästhetik 'nen tätowierten Typen direkt vor der Hamburger Davidwache auf eine Motorhaube gepresst. Dabei stand irgendein Hashtag von wegen "#handfest" oder "#knallhart".
MZEE.com: So ähnlich wie die Werbekampagnen der Bundeswehr.
Keno: Genau, eine ähnliche Ästhetik. "Cool, wir haben Waffen! Wir nehmen Leute fest!" Ich stand da, glaube ich, zehn Minuten rum, hab' dieses Plakat für mich auseinandergenommen und bin zum Schluss gekommen, dass daran echt alles falsch ist. Zum einen wurde diese Quotenvielfalt dargestellt, die in dem Job sicher nicht die Realität ist, auch wenn ich mich da jetzt weit aus dem Fenster lehne. Und gleichzeitig benutzen sie dieses krasse Vorurteil, dass der tätowierte Typ wieder etwas angestellt hat und auf die Motorhaube geknallt wird. Deshalb ist der Cop dann der Coole. Da verschwindet bei mir jede Sympathie und jedes Verständnis. Wenn ein öffentliches Organ so arbeitet, frage ich mich, welche Leute die damit ansprechen. Wenn die dorthin kommen sollen, weil sie dann Leute auf die Motorhaube knallen oder eine Waffe zücken können, ist doch klar, wer sich da im Endeffekt meldet. Bestimmt nicht die Menschen, die Polizist werden wollen, um anderen zu helfen oder auf Demos deeskalierend zu wirken. Sondern die, die es geil finden, 'ne Waffe in der Hand zu haben und jemandem Handschellen anzulegen. Die Polizei sollte eine Rolle einnehmen, die uns alle schützt. Und wenn die Realität anders aussieht, ist das ein Problem.
MZEE.com: Ich habe auch das Gefühl, dass einige Polizisten bei Kritik von außen direkt in eine Art Schutzhaltung gehen und nichts auf ihr "Team" kommen lassen. Gleichzeitig gibt es sicher auch ungerechtfertigte Kritik. Da sind die Fronten auf beiden Seiten teilweise verhärtet, was nicht allzu förderlich ist.
Menzel: Du bist als Polizist bestimmt total pissed, wenn am Hambacher Forst der Wald gerodet wird und du von RWE den Auftrag bekommen hast, da die Leute rauszuholen. Dann gehen die noch auf dich los, beschimpfen dich den ganzen Tag und eigentlich findest du es auch total scheiße, was du da machen musst. Die Polizisten, die wir am Hambacher Forst kennengelernt haben und die uns kontrolliert haben, waren unglaublich nette Typen. Die haben uns erzählt, dass sie da eigentlich keinen Bock drauf haben.
Keno: Da liegt ja das Problem, die sind eben nicht wirklich als Menschen dort. Die können nett sein, aber agieren eben als Teil dieses Organs, das etwas durchsetzen soll, das an anderer Stelle entschieden worden ist. Und es wird woanders entschieden, ob das okay ist oder nicht.
Menzel: Ich denke, dass sich da eben auch Frust aufbaut und deshalb Vielen leider die Sicherung durchbrennt. Ich will das überhaupt nicht verteidigen, aber ich denke, dass das von außen nicht so leicht zu beurteilen ist.
MZEE.com: Könntet ihr in eine ähnliche Situation wie die Protagonisten in "Molotow" gelangen? Oder wart ihr sogar schon mal in so einer Beziehung?
Keno: Wie gesagt, der Song zeichnet für mich ein sehr allgemeines Bild. Das lässt sich auf ganz viele Beziehungen übertragen, in denen ich schon war, nicht nur auf Liebesbeziehungen. Für mich gilt das sogar bis hin zur Beziehung zu einem selbst. Ich weiß, dass ich beide Seiten in mir trage: Ich hab' einen starken Freiheitsdrang und den Drang, ganz viel über den Haufen zu werfen und einfach auszusteigen. Gleichzeitig will ich natürlich dazugehören und habe ein Sicherheitsbedürfnis. Das sind ja menschliche Grundeigenschaften, die miteinander kämpfen. Auf der Beziehungsebene war ich schon in ähnlichen Situationen. Eine Freundin von mir ist total anders als ich und geht mit Dingen vollkommen anders um. Da kommt es dann zu Streit, aber wenn man sich traut, sich gemeinsam damit auseinanderzusetzen, kann das total bereichernd sein.
MZEE.com: Das stimmt. Man hat vermutlich genug Menschen um sich herum, die die gleiche Meinung vertreten, wie man selbst.
Keno: Witzige Anekdote dazu: Im Video zu dem Song schlüpfen wir ja in Polizeiuniformen. Ich hab' früher mal Kung Fu gemacht und von da ein paar Leute akquiriert, die sich eben ein bisschen bewegen können. Darunter war auch eine Kung Fu-Meisterin aus meiner alten Schule, die uns erzählt hat, dass sie tatsächlich mit einem Cop zusammen ist. (lacht) Und sie ist ziemlich links und häufig auf Demos unterwegs. Das fand ich krass, weil es gezeigt hat, dass die Idee des Songs nicht so irreal ist. Von daher finde ich die Aussage des Tracks auch richtig. In der menschlichen Beziehung zu einem gleichwertigen Gegenüber oder in der Familie liegt ja eigentlich die größte Chance, solche Gegensätze zu überwinden. Wenn du es schaffst, auf so einer emotionalen Ebene eine Verbindung zu schaffen, kannst du auch Grenzen überschreiten, die unüberwindbar erscheinen. Du bist ja quasi gezwungen beziehungsweise gewillt, einen Kompromiss zu finden.
MZEE.com: Auch wenn der Track allgemein auf Beziehungen anwendbar ist, bietet er auf jeden Fall Nährboden für politische Diskussionen. Den habt ihr auch schon in der Vergangenheit geliefert. Wie wichtig ist es euch, politisch Position zu beziehen und Diskussionen anzustoßen?
Menzel: Wir entdecken auf jeden Fall immer mehr, dass wir die Möglichkeit haben, etwas zu sagen. Wir können, ohne jemandem weh zu tun, das machen, was wir gerne tun. Im Hambacher Forst konnten wir Leuten das Gefühl geben, dass sie unterstützt werden. Das war eine krass rührende Erfahrung, weil die sehr emotional auf uns reagiert haben. Die haben teilweise geweint und sich irrsinnig bedankt. Dabei machen wir nur Musik und die besetzen seit sechs Jahren diesen Wald und sind krass. Das hat uns auf jeden Fall darin bestärkt, so etwas häufiger zu machen. Es ist so einfach, seine Meinung zu äußern. Uns folgen eben einige Leute und das wollen wir gerne nutzen. Ich find's auch schade, dass viele Künstler mit größerer Reichweite das nicht machen. Ich weiß nicht, ob die Angst haben, Fans zu vergraulen.
MZEE.com: Da gibt's natürlich mehrere Sichtweisen. Ich persönlich finde es super, wenn sich Künstler wie zum Beispiel bei "#wirsindmehr" in Chemnitz öffentlich positionieren. Man kann aber natürlich auch den Standpunkt vertreten, dass es nicht die Pflicht der Künstler ist, das zu tun, nur weil sie in der Öffentlichkeit stehen.
Menzel: Aber man bricht sich doch keinen Zacken aus der Krone. Ich versteh's nicht wirklich.
Keno: Gut, auf der anderen Seite kann man eben keinen dazu zwingen. Bei manchen Leuten bin ich auch echt froh drum, dass sie sich nicht äußern. Andere sagen etwas und du denkst nur, dass sie doch bitte die Klappe halten sollen.
Menzel: Das stimmt auch.
Keno: Das muss jeder für sich selbst beurteilen. Aber man sollte schon wissen, dass man eine gewisse Verantwortung hat, wenn man ein großes Publikum hat. Das wäre zumindest mein Wunsch. Wir hatten nie die bewusste Agenda, eine politische Band zu sein. Ich hab' mich anfangs sogar dagegen gewehrt und nicht verstanden, warum Leute das so sehen. Ich fand‘s eigentlich absurd, weil wir nicht besonders politisch oder Aktivisten sind. Wir haben eben ein paar Mal bei verschiedenen Sachen mitgemacht. Aber von Mal zu Mal wächst auch unser Verständnis davon, was man erreichen kann und welche Rolle wir in dem Ganzen spielen können. Gleichzeitig wächst vielleicht auch das Bedürfnis, es wieder zu tun, wenn du merkst, dass du Menschen unterstützen kannst.
MZEE.com: Es ist vielleicht sogar besonders sinnvoll, wenn man es als Band macht, die keinen bestimmten politischen Stempel aufgedrückt hat. So kann man möglicherweise eher Menschen mit verschiedenen Einstellungen erreichen.
Keno: Schon, aber im Endeffekt ist unsere Hörerschaft auch relativ homogen. Selbst bei Sachen, bei denen wir mit Gegenwind gerechnet haben, kommt da sehr, sehr wenig.
MZEE.com: Ich hab's zumindest bei Marteria gesehen, der wegen seines Engagements bei "#wirsindmehr" durchaus Gegenwind in seiner ja sehr großen Hörerschaft bekommen hat. Wobei man sich dann eben auch fragt, wie man überhaupt die Musik hören kann.
Keno: Da muss man auf jeden Fall an sehr vielen Stellen weghören, um nicht zu merken, dass Marteria kein Nazi ist. (grinst) Das ist ja auch die Schwierigkeit. Wir werden in der Öffentlichkeit jetzt beispielsweise im Vergleich zu Feine Sahne Fischfilet nicht als sonderlich kontrovers wahrgenommen. Die werden so in die linksradikale Ecke gesteckt, solche Leute identifizieren sich dann damit und andere hassen sie. Das ist 'ne kontroverse Position und die löst eine bestimmte Art von Diskussion aus. Wir werden eher so mittig, ausgleichend und lieb wahrgenommen … man muss sich eben seiner Rolle bewusst sein. Wir zum Beispiel sind natürlich in den Hambacher Forst gefahren, um die Aktivistinnen und Aktivisten dort zu unterstützen. Das war klar. Und nichtsdestotrotz konnten wir vor Ort ein positives Gefühl erzeugen, obwohl wir diese Menge an Leuten, die direkt an der Polizeifront standen, zum Ausrasten gebracht haben. Es war nicht aggressionsgeladen oder so, sondern eher eine nette Stimmung. Irgendjemand hat auch ein Gespräch zwischen zwei Cops belauscht. Als wir da über die Barrikaden in den Wald geklettert sind, hat der eine wohl zum anderen gesagt: "Hey, ich hab' gehört, Moop Mama kommt!" (lacht) Auch das ist ja irgendwie eine Möglichkeit.
MZEE.com: In unserem letzten Interview haben wir im Zusammenhang mit dem Track "Meermenschen" über die Flüchtlingssituation und den politischen Umgang mit ihr gesprochen. Da ging es vor allem darum, dass häufig nicht über Menschen, sondern über Zahlen geredet wird. Ich habe das Gefühl, dass sich diese Entwicklung in den vergangenen zwei Jahren noch verstärkt hat und auch Einzug in die Mitte gefunden hat. Wie seht ihr das das?
Menzel: Irgendwie ist es auch auf einmal klar, dass wir "so viele" auf jeden Fall nicht noch einmal aufnehmen. Das war vor zwei Jahren überhaupt nicht klar. Das stimmt schon.
Keno: Du hast auf jeden Fall Recht, dass das ein Effekt von dieser ganzen Skandalisierung ist. Es geht ja auch um Worte, darum, wie Sachen gesagt werden, und wer sich traut, was zu sagen. Da ist es offensichtlich, dass man mittlerweile ungestraft oder unhinterfragt Dinge sagen kann, die vor zehn Jahren noch die Alarmglocken hätten läuten lassen. Einfach menschenverachtendes Zeug und widerliche Sprache. Parallel dazu wird die gesellschaftliche Spaltung immer extremer. Die andere Seite wächst ja auch. Aber das Schlimme ist eben, dass der ganze rechtspopulistische Scheiß über die vergangenen Jahre so viel Aufmerksamkeit bekommen hat, dass die sich wahrscheinlich die Hände reiben und sich darüber freuen, was sie verursacht haben. Die Gegenseite ist leider ein bisschen diffus und kann sich nur schwer dagegenstellen. Das ist einfach die Natur der Sache, wenn man differenzierter über Dinge nachdenkt. Das macht es schwerer, sich hinter irgendwelche Slogans zu stellen.
MZEE.com: Es fällt auf jeden Fall oft schwer, in diesem Kontext positiv zu denken. Im Umgang mit Rechtspopulisten wirkt halt oft jede Option falsch und noch scheint kein Lösungsansatz in Sicht.
Menzel: Man hat das Gefühl, die gewinnen die ganze Zeit.
MZEE.com: Auch wenn sie natürlich in keiner Weise die Mehrheit sind.
Menzel: Aber es wird auf jeden Fall mehr. Die AfD ist ja im Deutschlandtrend im September erstmals die zweitstärkste Kraft gewesen. Das hätte man sich vor zwei Jahren nicht vorstellen können. Ich finde das furchtbar. Es sind ja offensichtlich ganz rechte Typen dabei und das weiß mittlerweile auch jeder, der einen Fernseher oder Internet hat. Dass das trotzdem die zweitstärkste Partei werden könnte, finde ich unfassbar krass.
Keno: Ich hab' für mich Entscheidungen getroffen. Was die Band angeht, ist der Wunsch größer geworden, sich immer wieder zu positionieren und klar zu sagen, wo man steht. Ich denke, dass das aktuell sehr wichtig ist. Außerdem wollen wir im Hinterkopf behalten, wen wir jeweils vor uns haben und was wir dann sagen. Ich grüble auch noch darüber und wäre sehr froh über Input. Ich hab' mich schon mit vielen Leuten darüber unterhalten. Unser Publikum mag uns eh schon und kann sich mit unseren meisten Gedanken identifizieren. Was ist dann der nächste Schritt? Welche Inhalte muss man transportieren, damit man gemeinsam etwas bewegen kann? Persönlich fange ich einfach da an, wo ich bin. Ich führe mittlerweile häufiger Grundsatzdiskussionen, auch in meinem engeren Umfeld. Das ganze Thema "Rassismus", das auch in die Mitte der Gesellschaft ragt, baut ja auf etwas auf. Und zwar darauf, dass sich die wenigsten Menschen wirklich damit auseinandergesetzt haben, sondern immer nur für sich gesagt haben: "Ich bin doch kein Nazi.". Das sagt aber eben auch der Typ, der die ganze Zeit Nazi-Sachen sagt. Das sind so platte Slogans. Ich stell' auch in meinem engeren Kreis fest, dass sich Leute mit den betreffenden Themen nie auseinandergesetzt haben. Wenn jemand einen dummen, rassistischen Witz reißt oder einen sexistischen Spruch bringt, dann sage ich einfach etwas. Und wenn das zu einer Diskussion führt, zieh' ich mir den Schuh auch an. Ich sehe das mittlerweile einfach als Verpflichtung an, weil Ignoranz der Boden für Rassismus und andere Diskriminierung ist.
MZEE.com: Wir kommen langsam zum Ende. Moop Mama existiert mittlerweile seit mehr als neun Jahren. Wenn ihr zurückblickt: Was war für euch das Highlight in dieser Zeit?
Menzel: Wir hatten jetzt am Freitag ein wahnsinnig geiles Konzert in Bielefeld-Bethel, an einer Schule für behinderte Menschen. Das war für mich und ich glaube, auch für viele andere, ein echtes Highlight, weil wir da so viel Liebe bekommen haben. Wir haben schon mittags auf dem Schulhof gespielt und dann kam heraus, dass die Schüler dort seit einem halben Jahr Moop Mama durchnehmen. Die kannten alle unsere Namen, wussten, was wir spielen und haben über unsere Texte gesprochen. Es gab noch 'ne kleine Pressekonferenz und ein Meet and Greet, bei dem die Kinder uns Fragen gestellt haben. Bei den ersten Nummern vom Konzert hatte ich echt ein bisschen Angst, dass ich heulen muss, weil es so schön war. (schmunzelt) Wir hatten an verschiedenen Stellen des Abends alle mal einen Kloß im Hals und waren total glücklich. Das ist für mich ein sehr aktuelles und ich denke, auch bleibendes Highlight. Und jetzt kommt Keno mit irgendetwas Oberflächlichem. (lacht)
Keno: Du hast jetzt die emotionale Latte natürlich ziemlich hochgesetzt. Ich finde es superschwer, sowas festzumachen. Für mich gibt es immer wieder total heftige Situationen. Das hat meistens mit Leuten und Reaktionen zu tun, wenn wir live spielen. Du merkst, dass du etwas gemacht hast, das bei irgendjemandem mega ankommt. Auf der letzten Tour haben wir die Show immer mit "Meermenschen" begonnen und danach "Komplize" gespielt. Der ist sowas wie ein Lieblingssong von mir, weil ich zu dem eine sehr emotionale Verbindung habe. In der Studioversion summe ich da am Anfang so ein bisschen rum. Als wir den dann live gespielt haben, haben die Leute diese Summ-Melodie dann mitgesungen. Das war für mich ein totaler Flash und da sind mir auch ein wenig die Tränen in die Augen geschossen.
MZEE.com: Damit kommen wir zur letzten Frage. Das Video zum Track "Kapuze" zeigt, welche Superkräfte ein Kapuzenpulli dem Träger verleihen kann. Wenn ihr euch selbst eine Superkraft aussuchen könntet: Welche wäre das?
Menzel: Puh, die Frage ist geil, aber da muss ich erstmal in mich gehen … Ich würde gerne in mich gehen können! (alle lachen) Das wäre richtig cool. Ich war vor Kurzem in "Incredibles 2" und ich liebe den Film so sehr. Der ist unglaublich kreativ. Hat nur indirekt mit der Frage zu tun, aber den musst du dir anschauen. (lacht) Ich hab' dann mit meiner Freundin am nächsten Tag darüber geredet, welche Superkraft wir am liebsten hätten und das war echt schwer zu entscheiden.
Keno: Es gibt natürlich viele geile. Aber ich glaube, ich würde so etwas Klassisches nehmen. Dass ich wie bei "Stranger Things" den Kopf bewege, es macht "Knack!" und irgendwer ist tot. (lacht) Aber, um mal etwas kreativer zu sein: Es gibt so einen Comic, in dem jemand immer Leute slappt, wenn sie richtig dumme Sachen sagen. Die Superkraft hätte ich gerne. Immer, wenn jemand irgendeinen dummen Scheiß sagt, kann ich ihm eine reinhauen.
Menzel: Aber das ist doch keine Superkraft. Mach das doch einfach so mal.
Keno: Nein, ich könnte überall gleichzeitig sein und Backpfeifen verteilen. (lacht)
Menzel: Von Trump zu Kanye und zurück.
Keno: "Slavery was a choi …" Batz! Ich wär' immer da, kurz bevor der Satz zu Ende gesprochen ist. Damit dieses Scheißprinzip, dass etwas da ist, wenn es einmal ausgesprochen wird, nicht mehr funktioniert. Dann erwischt man die Leute auch zu einem Zeitpunkt, an dem man sie noch nicht umbringen muss. (grinst)
(Alexander Hollenhorst)
(Fotos von Felix Baab)