Triggerwarnung: In diesem Artikel wird queer- und trans*-feindliche Gewalt beschrieben. Falls Euch das triggert, solltet Ihr hier vielleicht nicht weiterlesen.
Ende August 2022 in Münster: Der trans* Mann Malte C. eilt zwei queeren Frauen zu Hilfe, die am Rande des Christopher Street Days auf offener Straße von einem Mann bedroht und mit queerfeindlichen Aussagen beleidigt werden. Der Angreifer schlägt daraufhin mehrfach auf ihn ein. Malte C. erleidet schwere Kopfverletzungen und verstirbt wenige Tage später in einem Krankenhaus. Dieses erschütternde Ereignis markiert einen weiteren Tiefpunkt in der Liste an Feindlichkeiten, denen queere und trans* Personen inmitten unserer Gesellschaft tagtäglich im Kleinen wie im Großen ausgesetzt sind. Das gilt auch für einige Künstler:innen der deutschsprachigen Rapszene wie beispielsweise Kerosin95 aus Wien. Kerosin ist trans* und verzichtet im Deutschen in Bezug auf die eigene Person auf die Verwendung von Pronomen. Auf der 2022 erschienenen EP "Trans Agenda Dynastie" wird Frust entladen und Kerosin widmet sich all den Ungerechtigkeiten, mit denen trans* Personen Tag für Tag konfrontiert werden. "Es gibt endlich auf die Fresse, das geschieht euch recht. Ich und meine trans* Cuties feiern heut' ein Fest", heißt es auf dem gleichnamigen Titeltrack der EP. Die Message ist klar: Queeres Leben ist keine ausgedachte Agenda, sondern die Realität vieler Menschen – und es ist an der Zeit, dafür einzustehen. Dass dies nicht an queeren Artists selbst hängen bleiben darf und auch große, nicht-queere Rapper:innen mehr Verantwortung übernehmen sollen, forderte Kerosin95 in unserem Interview ebenso deutlich ein wie auf "Trans Agenda Dynastie". Außerdem ging es um queerfeindiche Strukturen in der Musikindustrie sowie die Frage, was Medien und wir selbst besser machen können.
MZEE.com: Wir sprechen heute über ein sehr sensibles Thema mit dir. Du wolltest vorab wissen, ob wir selbst Teil der queeren Community sind. Welche Befürchtungen oder Überlegungen werden automatisch bei dir ausgelöst, wenn du darüber nachdenkst, mit Menschen über Queerfeindlichkeit zu sprechen, die selbst nicht davon betroffen sind?
Kerosin95: Ich habe bei cis oder hetero Personen oft das Gefühl gehabt, dass die Interviews unglaubliche Zeitverschwendung waren, weil die Lebensrealitäten der Personen weit weg von meiner waren. Entweder war ich ein Lexikon, das Dinge erklärt, die man auch googeln kann, und habe mich gefühlt, als müsste ich unbezahlt Aufklärungsarbeit leisten. Oder die Interviews waren in sich trans*- beziehungsweise queerfeindlich. Das passiert ständig, auch im Kleinen oder im Höflichen. Niemand ist davon ausgenommen. Meine Besties sind trans*feindlich. Auch ich bin trans*feindlich, obwohl ich trans* bin. Ab einem gewissen Maß kann das anstrengend werden. Deshalb habe ich vorab gefragt, ob es in der Redaktion queere Personen gibt oder ob das Interview wieder irgendein Frederik macht.
MZEE.com: Warum hast du dennoch zugesagt, das Interview mit Personen zu führen, die nicht Teil der queeren Community sind?
Kerosin95: Das ist eine Frage meiner Kapazitäten. Für mich bedeutet das hier, einen Raum zu betreten, den ich nicht kenne und in dem ich nicht weiß, was passiert. Ich muss mich davor fragen: "Habe ich gerade einen Scheißtag oder nicht? Schaffe ich das emotional? Schaffe ich es, zu kontern, wenn die Leute blöd werden?" Wenn ich die Kapazitäten habe, nehme ich, was ich kriegen kann, da es wichtig ist, für das Projekt Kerosin95 Publicity zu kriegen. Ich bin ein zu kleiner Fisch in diesem Game, um jedes Interview absagen zu können. Manchmal kann ich diese Arbeit allerdings nicht leisten und scheiße darauf. Gerade ist die Zeit okay, deshalb geht es.
MZEE.com: Uns ist das Thema Queerfeindlichkeit ein Anliegen, weil sie leider regelmäßig inmitten unserer Gesellschaft stattfindet. Dass Queerfeindlichkeit tötet, haben nicht erst die letzten Monate gezeigt. Anfang September starb der trans* Mann Malte C. infolge eines tätlichen Angriffs am Rande des CSDs in Münster. Im Oktober wurden unweit deiner Heimat Wien in Bratislava zwei Menschen an einer Bar erschossen, die als Treffpunkt der lokalen queeren Szene gilt. Welche Gefühle lösen solche Nachrichten in dir aus?
Kerosin95: Solch eine Frage bekomme ich in Interviews häufig gestellt. "Hey, es passieren trans*feindliche Dinge. Du bist doch trans*! Wie geht es dir damit?" Das ist eine wichtige Frage, weil es darum geht, wie sich die Lebensrealitäten von trans* Personen verändern und wie diese mit Angst umgehen. Gleichzeitig ist es auch eine sehr persönliche Frage, weil du mich etwas zu meinen Ängsten fragst. Die Antwort ist nicht spannend: Es geht mir nicht gut mit solchen Nachrichten. Es ist unheimlich. Aber für mich ist das eine selbstverständliche Frage. Ich würde 100 Euro wetten, dass du mit dieser Antwort gerechnet hast. Das gilt auch für die Frage nach der Gewalt, die ich selbst jede Woche auf der Straße in Wien erfahre. Damit geht es mir auch nicht gut. Spannender kann ich solche Fragen nicht beantworten. Wie geht es denn euch damit?
MZEE.com: Ich kann schwer einschätzen, warum ich das Thema verstärkt wahrnehme. Entweder steigt gerade die Akzeptanz dafür und es findet deshalb häufiger in den Medien statt, ich bin selbst sensibler für das Thema geworden oder solche Vorfälle werden gerade einfach häufiger.
Kerosin95: Das Ding ist: Eigentlich ist es kein Thema, sondern eine Lebensrealität. Mein gesamtes Umfeld besteht aus queeren und trans* Personen. Ich bin schon länger als ein Jahrzehnt damit beschäftigt, mit psychischer und struktureller Gewalt umzugehen. Deshalb ist die Frage, wie es mir damit geht, auch viel zu groß und persönlich. Man müsste sie mit einem Buch beantworten.
MZEE.com: Gibt es auch Momente, in denen du dich von der Gewalt abkapseln kannst – zumindest, wenn sie dir gerade nicht selbst widerfährt?
Kerosin95: Ich kann die Nachrichten nicht lesen. Ich kann nicht auf Instagram sein. Ich kann im Winter in Wien in die Öffentlichkeit, weil ich dann sehr oft als hetero cis Mann gelesen werde. Dieses Privileg ist großartig. Im Frühling, Sommer und Herbst ist das nämlich anders. Generell ist es eine tickende Zeitbombe, weil früher oder später sowieso wieder etwas passiert. Im besten Fall hat man mal ein paar Wochen Pause davon. Dann passiert aber Leuten aus meinem Umfeld etwas, also gibt es keine richtigen Pausen. Das ist meine Realität und wird mein ganzes Leben lang so sein. Man darf aber nicht vergessen, dass ich über Privilegien verfüge, die andere nicht haben. Ich bin eine weiße, dünne, ableisierte trans* Person mit einem Job und einer Miete, die ich mir leisten kann.
MZEE.com: Was könnte man unternehmen, um deine Sicherheit in der Gesellschaft zu erhöhen?
Kerosin95: Ich gebe dir eine von tausend möglichen Antworten: Wählt trans* Politiker:innen wie Tessa Ganserer in den Bundestag. Wählt trans* Personen in den Landtag, in den Bezirkstag oder in den Stadtrat. Trans* Personen müssen in die Politik kommen, weil sonst ständig cis oder hetero Personen über sie entscheiden, so wie überall auf der Welt Bros über den Körper von Frauen entscheiden. Hier gibt es schon große Bewegungen und Kämpfe und cis Frauen sind viel sichtbarer in der Politik geworden. Um diese Sichtbarkeit geht es. Wir müssen Leute wie Tessa Ganserer supporten, Petitionen starten und uns in unseren Kreisen organisieren. Ich muss das tun, weil es um mein Überleben geht. Aber auch ihr könnt euch organisieren, denn vielleicht habt auch ihr in eurem Umfeld eine queere Person, die ihr im Kleinen supporten könnt. Ladet trans* Personen und queere Personen ein und hört zu, was ihnen wichtig ist.
MZEE.com: Orte, an denen sich organisiert wird, sind beispielsweise Konzerte oder Kulturveranstaltungen. Durch die Pandemie haben diese Orte, die für viele Communitys Safe Spaces darstellen können, lange Zeit gefehlt. Was hat dieses Fehlen für dich bedeutet?
Kerosin95: Ich habe ein bestimmtes Verhältnis zu dem Wort Safe Space. Ich war nur in ganz wenigen Situationen in meinem Leben in Spaces, die ich als wirklich sicher bezeichnen würde. Mein einziger richtiger Safe Space ist mein privates Umfeld. Ansonsten spreche ich lieber von Safer Spaces. Wenn ich zum Beispiel auf eine Veranstaltung gehe, die dominiert ist von weißen trans* Personen, dann ist das vielleicht für mich ein etwas sichererer Space. Aber eigentlich müssen wir beim Thema Safe Space intersektional und viel größer denken. Es geht auch um Religion, Hautfarbe, Sexualität oder Behinderungen und hat für mich gar nicht so viel mit der Pandemie zu tun. Durch COVID wurde zwar viel weggenommen oder in digitale Räume verlagert, die auch problematisch sein können, aber eigentlich gab es auch davor kaum wirkliche Safe Spaces. Ich persönlich fühle mich vielleicht einmal im Jahr voll safe auf einer Veranstaltung in Wien. Man denkt das vielleicht, aber auch Kerosin95-Konzerte sind keine Safe Spaces. Dort sollen so viele Menschen wie möglich ein so gutes Gefühl wie möglich haben, aber das ist bei Veranstaltungen nicht nur von mir, sondern auch von Organisator:innen und anderen beteiligten Personen abhängig.
MZEE.com: Ist es gar nicht möglich, Safe Spaces zu schaffen, ohne dass alle an einem Konzert beteiligten Personen selbst Teil der queeren Community sind?
Kerosin95: Doch, ich glaube schon, aber dann müssen die Beteiligten auf Zack sein. Grundsätzlich ist es schon etwas anderes für mich, wenn ich beispielsweise auf ein Festival gehe und mich dort ein queeres Line-Up erwartet, als wenn ich, wie so oft, die einzige trans* Person in einem Backstage voller Menschen bin, die ich als hetero cis Männer lese. Es gab allerdings auch schon viele Orte, an denen ich gemerkt habe, dass sich die Veranstalter:innen zumindest grundlegend damit auseinandergesetzt haben. Das ist cool zu sehen, auch wenn dafür niemand einen Pokal, eine Medaille oder ein extragroßes Danke bekommen sollte. Oft ist es nämlich so, dass queere Personen diese Jobs aus Selbstverständlichkeit machen und dafür keine extra Credits bekommen, während hetero oder cis Personen dafür gelobt werden, wenn sie sich mal grundlegend mit queeren Perspektiven beschäftigen.
MZEE.com: Du sagtest eben, dass auch deine eigenen Konzerte für dich keine Safe Spaces darstellen. Du behandelst in deiner Musik viele queere Themen und gehst sehr offen mit deiner Identität um – nicht zuletzt auch, indem du Interviews wie dieses gibst. Damit bietest du vermutlich viel Angriffsfläche für Queerfeindlichkeit. In einem anderen Interview hast du gesagt, dass der Hass, mit dem du konfrontiert wirst, auch dir manchmal nahegeht und es nicht immer einfach ist, so viel von sich preiszugeben. Woher nimmst du die Kraft, es dennoch regelmäßig zu tun?
Kerosin95: Ich schöpfe die Kraft zum Großteil aus meiner Community, aber auch aus Sport, gutem Essen oder Tagen mit Sonnenschein. Das bringt mir alles Energie. Genau wie die Hoffnung, dass die Aufklärungsarbeit, die ich in Interviews oder bei anderen Gelegenheiten leiste, euch oder den Leuten etwas mitgibt. Wie ihr merkt, bin ich mittlerweile ehrlich und direkt. Noch vor einem Jahr habe ich in Interviews immer sehr höflich geantwortet und immer das Gleiche heruntergebetet. Jetzt rede ich auch mal über die Struktur von Fragen und hoffe, dass daraus für das nächste Interview mit einer trans* Person etwas mitgenommen wird.
MZEE.com: Du sagtest auch mal, dass du nicht unbedingt die Rolle eines Vorbilds einnehmen möchtest. Siehst du dich dennoch als Sprachrohr der österreichischen oder deutschsprachigen LGBTQIA+-Community im Rap?
Kerosin95: Ich versuche, als Person in der Öffentlichkeit Verantwortung zu übernehmen. Ich finde das schräg, aber mein Arbeitsplatz ist die Öffentlichkeit. Dieses Interview ist eine von vielen Bühnen und ich möchte sie nicht nur eigennützig, sondern verantwortungsvoll nutzen, um meinen Teil der Arbeit zu machen. Leider wird in der Industrie die meiste Arbeit von queeren und trans* Personen gemacht. Ich wünsche mir, dass sich das ändert und auch die vielen Bros und cis Frauen im Game sich mal überlegen, wofür sie ihre Bühnen nutzen wollen. Ob ich eine Vorbildfunktion für Leute habe oder ihnen überhaupt etwas mitgebe, kann ich sowieso nicht beeinflussen. Ich kann nur meinen Teil dazu beitragen und freue mich, wenn diese Arbeit nicht umsonst ist.
MZEE.com: Was kann ein:e cis Rapper:in tun, um mehr Aufmerksamkeit und Raum für queeres Leben zu schaffen, damit dies nicht immer nur an den betroffenen Künstler:innen selbst hängen bleibt?
Kerosin95: Die könnten einfach mal anfangen, darüber zu reden, und nicht immer die Fresse halten. Ich finde das peinlich. Leute machen einfach ihre Karrieren, feiern ihre Erfolge und gönnen es sich dabei, in ihrem gesamten Handeln unpolitisch zu bleiben. Das ist so was von 2010 und einfach peinlich. Lass uns doch mal in zehn Jahren auf die Karriere von Yung Hurn zurückblicken. Was wird er geleistet haben? Er wird nichts zur Gesellschaft beigetragen haben. Und was haben im Vergleich dazu trans* Personen schon heute an Strukturen verändert? In nur wenigen Jahren sehr viel. In meinen Augen muss Kunst politisch sein und es gibt tausend Möglichkeiten, das umzusetzen. Leider ist es vielen Künstler:innen aber komplett egal. Sie interessieren sich nicht für andere Lebensrealitäten, strukturelle Gewalt oder wer da mit ihnen im Backstage sitzt. Irgendwann kommen sie schon noch darauf, aber ich befürchte erst spät.
MZEE.com: Auch als Hörer:in könnte man ja Verantwortung übernehmen. Es gibt einige alteingesessene und erfolgreiche Rapper:innen, die schon ihre ganze Karriere lang mit homophoben Aussagen auffallen. Wie sollte ich in deinen Augen damit umgehen, wenn ich Musik konsumiere, die nicht frei von Diskriminierung ist?
Kerosin95: Das ist eine schwierige Frage. Ich denke, es geht nicht um die Frage, ob man bei jedem Song, den man hört, aufpassen muss. Auch ich finde ein paar Produktionen von Yung Hurn geil. Ich höre auch gerne Haftbefehl, weil er krassen Klassenkampf als Musik macht, auch wenn er teilweise sexistische Texte rappt. Ich finde, man kann dann differenzieren. Ich kann den Sexismus anstatt den gesamten Text kritisieren. Man sollte als Hörer:in einen größeren Betrachtungswinkel einnehmen und sich fragen: "Wie beteiligen wir uns sonst an queerfeministischen Kämpfen?" Wir müssen nicht alle unsere Playlists ausräumen, sondern überlegen, wo wir Verantwortung übernehmen, welche Bücher wir lesen, wo wir arbeiten und für was wir Geld sammeln können. Und man könnte überlegen, ob man auch noch sämtlichen Merch von bestimmten Künstler:innen kaufen muss, wenn man schon deren Musik hört.
MZEE.com: Übernimmt die Musikindustrie in deinen Augen auch Verantwortung oder behindert sie eine Entwicklung?
Kerosin95: Die Musikindustrie ist ein Zusammenschluss von Leuten, denen es darum geht, Geld zu erwirtschaften. Das muss in der Theorie nichts Schlimmes sein, aber wenn es um Geld geht, geht es meistens auch um Bullshit. Die Musikindustrie ist da genau wie jede andere Wirtschaft. Die sagen: "Wir wollen Kohle machen. Die Inhalte sind uns scheißegal." Die wissen genau, welche Künstler:innen funktionieren. Mit weißen hetero Künstler:innen und sanften Inhalten macht man viel Geld. Je radikaler, je queerer, je feministischer es wird, desto seltener überleben diese Acts in der Musikindustrie. Aus diesem Grund werde ich als Kerosin95 auch niemals viel Kohle machen. Ich will das zwar auch gar nicht und würde das Geld sowieso wieder umverteilen, aber so funktioniert die Musikindustrie. Es ist ein gefährlicher Ort für trans* Personen und queere Leute. Die trans*feindlichen oder sexistischen Leute überleben darin länger. Das sehen wir, wenn wir mal die deutschen oder österreichischen Charts ansehen.
MZEE.com: Denkst du, dass dieses Problem im deutschsprachigen Raum besonders ausgeprägt ist?
Kerosin95: Wenn wir mal in die USA blicken, gibt es dort beispielsweise mit Lil Nas X, Sam Smith oder Kim Petras queere und trans* Personen, die regelmäßig in den Charts sind. Jetzt gerade ist der Song "Unholy" von Sam Smith und Kim Petras auf Platz drei in den Billboard Charts. Das ist richtig groß. In Deutschland und Österreich ist man wie immer gefühlt 100 Jahre hinterher. Es ist peinlich, sich anzuschauen, wer in der österreichischen Musikindustrie Geld macht. Es sind immer die gleichen Gesichter weißer cis Männer und das ändert sich nur langsam. Das spiegelt sich auch in der Politik wider. In den USA gibt es einige trans* Politiker:innen. In Österreich fallen mir keine ein.
MZEE.com: Mit Kim de l'Horizons "Blutbuch" hat queere Literatur dieses Jahr den deutschen Buchpreis gewonnen, auch andere Bücher wie "Detransition, Baby" oder "Dschinns" feiern große Erfolge. Gibt es vielleicht Hoffnung, dass wir uns doch auf einem richtigen Weg befinden und sich die Strukturen ändern?
Kerosin95: Ja, aber es ist ein langer Weg. Ich bin jetzt 27 Jahre alt und werde zu 100 Prozent nicht mehr erleben, dass ich in Österreich einen dritten Geschlechtseintrag bekomme. Es passieren coole Dinge, aber es geht mir viel zu langsam.
MZEE.com: Was fehlt dir in Interviews wie diesem und gibt es Themen, bei denen du es schade findest, dass sie nie besprochen werden?
Kerosin95: Es wäre wirklich wichtig, dass diese Interviews von queeren oder trans* Personen geführt werden, wenn die Möglichkeit dazu besteht. Natürlich kenne ich nicht die Strukturen einzelner Redaktionen, aber wenn die Leute wirklich wollen, finden sich sicher Möglichkeiten.
MZEE.com: Ich kann das nur aus unserer Warte beurteilen, aber ich kann mir vorstellen, dass queere Journalist:innen vielleicht keine Lust darauf haben, sich bei reinen HipHop-Magazinen zu bewerben, da man sich automatisch auch mit queerfeindlichen Texten, Aussagen und Menschen auseinandersetzen muss.
Kerosin95: Vielleicht muss man externe Personen hinzuziehen, wenn in einer Redaktion keine queeren Leute sind. So würden auch queere Journalist:innen, von denen es genug gibt, mehr Sichtbarkeit erhalten. Das würde einen großen Unterschied machen. Manche Leute regen sich darüber auf so wie bei Schwarzen Rapper:innen, die keine Interviews mit weißen Personen machen. Ich finde, das ist das Sinnvollste überhaupt und sollte unbedingt so gemacht werden. Davon abgesehen finde ich Fragen wie zu Beginn dieses Interviews oft sehr groß und fände es spannender, wenn man mehr ins Detail gehen würde. Wenn man über queerfeministische Kämpfe und Strukturen spricht, kann das sonst schnell eine Ebene erreichen, die für einige Leser:innen kryptisch und unzugänglich klingt.
(Yasmina Rossmeisl & Enrico Gerharth)
(Fotos von Hanna Fasching)