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Interview

NOEL – ein Gespräch über ihre HipHop-Sozialisation

"Es geht dar­um, dass du durch­ziehst und dich nicht auf Dro­gen auf die Büh­ne stellst, nicht mehr klar kommst und nur dei­ne Adlibs mit­rappst." ‒ NOEL im Inter­view über schlech­te Büh­nen­per­for­man­ces, ihre eige­nen Ansprü­che an Musik und das Auf­wach­sen mit einem Vater, der Tän­zer ist.

Geht man der HipHop-​Geschichte ein wenig auf den Grund, gelangt man ziem­lich schnell zum Ende der 80er Jah­re. Es wer­den Jams gefei­ert, die ers­ten Pie­ces gesprüht, es wird gefree­styl­et und "Wild Style" ange­se­hen. Inzwi­schen sind ein paar Deka­den ins Land gezo­gen, in denen die­se Kul­tur es geschafft hat, meh­re­re Gene­ra­tio­nen her­vor­zu­brin­gen – sol­che, die Kon­flik­te aus­tra­gen, Gemein­sam­kei­ten tei­len und wie­der­um die nächs­te Gene­ra­ti­on erzeu­gen. Die Rap­pe­rin NOEL ist Teil die­ser Nach­fol­ge, ihr Vater Var­tan Bas­sil ist Mit­be­grün­der der Breakdance-​Crew Fly­ing Steps. Des­halb haben wir mit der jun­gen Ber­li­nern über die oben genann­ten Ver­hält­nis­se gespro­chen. Sie erzähl­te uns auch von ihrem Auf­wach­sen mit einem Vater, der einen krea­ti­ven Beruf mit Lei­den­schaft aus­übt und Wer­ten, die ihr mit auf den Weg gege­ben wur­den sowie ihre ganz eige­ne Inter­pre­ta­ti­on davon.

MZEE​.com: Wenn man so in die HipHop-​Kultur inte­griert ist wie dein Vater, ist das ver­mut­lich auch ein Stück weit eine Lebens­ein­stel­lung. Hat das dei­ne Kind­heit beeinflusst?

NOEL: Ich war bis zu mei­nem 4. Lebens­jahr in einer Bal­lett­schu­le und dann hat mein Vater mich raus­ge­nom­men, weil er sei­ne eige­ne Tanz­schu­le auf­ge­macht hat. Dadurch habe ich schon sehr früh ange­fan­gen, Break­dance zu tan­zen. Ich wür­de aber sagen, er hat mir nicht unbe­dingt Hip­Hop ver­mit­telt, son­dern dass ich etwas Krea­ti­ves mit mei­nem Leben machen kann, wenn ich Bock dar­auf habe. Er hat mir immer die Angst genom­men – mit sechs war ich das ers­te Mal auf einer Büh­ne und dadurch waren die­se Ein­drü­cke spä­ter sehr nor­mal für mich.

MZEE​.com: Hat Hip­Hop für dich etwas mit Wer­ten zu tun? 

NOEL: Ich fin­de, Hip­Hop gibt dir viel Selbst­be­wusst­sein, wenn du es rich­tig lebst. Allei­ne in einer Crowd zu ste­hen und zu tan­zen, benö­tigt schon Selbst­be­wusst­sein. Man geht da aber gemein­sam hin, fei­ert zusam­men und hört die glei­che Musik. Das macht schon total viel aus. Ich füh­le mich nie ver­bun­de­ner damit, als wenn ich Par­ty machen will und ein Teil der Crowd bin. Das steht in kei­nem Ver­gleich zur Bühne.

MZEE​.com: Wel­che Rol­le hat denn Musik und kon­kret Rap bei euch Zuhau­se gespielt?

NOEL: Mein Vater war immer ein gro­ßer Micha­el Jackson-​Fan und Rap hat er, wenn, nur aus Ame­ri­ka gehört. Deut­schen Rap hat mir in der sechs­ten Klas­se dann mein Sitz­nach­bar gezeigt. Damals waren Fard, Sido, Bushi­do und so popu­lär. Und ich fand es total krass, dass man auch auf Deutsch so rap­pen kann.

MZEE​.com: War die­se Art Rap zu hören, Rebel­li­on für dich?

NOEL: Nein, mit zwölf Jah­ren habe ich mei­nen ers­ten Text geschrie­ben, weil wir im Deutsch­un­ter­richt eine Bal­la­de abge­ben muss­ten und ich einen Rap­text geschrie­ben habe. Obwohl Rap­pen zu dem Zeit­punkt kein Ziel von mir war, habe ich ein paar Mal bei der Dich­ter­schlacht an mei­ner Schu­le mit­ge­macht und auch drei­mal gewon­nen. Irgend­wann habe ich dann mit dem Kif­fen ange­fan­gen und das sehe ich eigent­lich als mei­ne Rebel­li­on. Dadurch habe ich die Tex­te auch viel mehr gefühlt. Ich glau­be, ich habe immer mehr auf die Tex­te gehört, wenn man tanzt, hört man eher auf den Beat. Für mich war es aber wich­ti­ger, etwas zu sagen.

MZEE​.com: Wel­che Bedeu­tung hat­te das Tan­zen denn für dich? 

NOEL: Ich bin beim Tan­zen irgend­wann nicht mehr wei­ter­ge­kom­men, weil es nie mei­ne Lei­den­schaft war. Natür­lich hat es auch Spaß gemacht, aber ich war dort vor allem wegen mei­nen Freun­den. Es ging um die Gemeinschaft.

MZEE​.com: Was hat dich dann letzt­end­lich moti­viert, doch mit dem Rap­pen anzufangen? 

NOEL: Mit 15 habe ich Drob Dyna­mic in einem Jugend­zen­trum ken­nen­ge­lernt und er hat mich moti­viert, auf­zu­tre­ten. Den Auf­tritt habe ich lei­der total ver­kackt, weil ich nicht genug geübt hat­te – das war mir rich­tig unan­ge­nehm. Ab dem Zeit­punkt hat­te ich eigent­lich nichts mehr mit Rap zu tun. Wäh­rend Coro­na hat­te ich dann einen lus­ti­gen Abend mit Freun­den und da habe ich aus einer Lau­ne her­aus einen Text geschrie­ben. Das hat mir rich­tig Spaß gemacht. Anschlie­ßend habe ich das ein­fach mit mei­nem Han­dy auf­ge­nom­men, ein Video dazu gedreht und es ohne groß nach­zu­den­ken her­aus­ge­bracht. Dar­auf­hin hat sich direkt mein jet­zi­ges Manage­ment bei mir gemel­det und ich habe noch mehr Tracks auf­ge­nom­men. Auf ein­mal war ich Rap­pe­rin. (lacht)

MZEE​.com: Vide­os hast du ja auch schon davor gemacht – wie kam es dazu?

NOEL: Es gab nichts Bestimm­tes, das mich dazu ani­miert hat. Ich bin ja Gene­ra­ti­on Han­dy. Mit 13 Jah­ren habe ich mein ers­tes bekom­men und dann habe ich das ein­fach gemacht. Mir hat das schon immer Spaß gemacht.

MZEE​.com: Legst du dadurch gro­ßen Wert auf das Erschei­nungs­bild dei­ner Kunst?

NOEL: Ja, auf jeden Fall. Ein paar mei­ner Vide­os habe ich nicht selbst geschnit­ten und damit war ich wirk­lich unzu­frie­den. Nicht, weil die Per­son es nicht gut gemacht hat, son­dern weil es nicht mei­ner Vor­stel­lung ent­sprach. Zu der Zeit war aber auch mein Lap­top kaputt und es war mei­ne Schuld, dass ich es nicht selbst machen konn­te. Also, ich mache es lie­ber sel­ber. Für ande­re möch­te ich das aber eigent­lich nicht mehr machen. Ab und zu geht das schon, aber es muss nicht sein. Die Rap­per in der Sze­ne ver­hal­ten sich Frau­en gegen­über teil­wei­se wirk­lich schei­ße. Wie die mit mir umge­gan­gen sind – ich habe da schon Sachen erlebt … Und ich steh' halt auch auf und sage etwas, aber dann kriegt man es dop­pelt zurück. Du kommst gegen man­che Jungs ein­fach nicht an. Ich kann ja auch nicht mei­ne gan­zen Leu­te mit­neh­men und muss zu sol­chen Ter­mi­nen allei­ne hin. Des­we­gen will ich das nicht mehr für ande­re Rap­per machen.

MZEE​.com: Ist die­se Art, mit Frau­en umzu­ge­hen etwas, das du schon in dei­nem Breakdance-​Umfeld so wahr­ge­nom­men hast? 

NOEL: Ja, schon auch. Aber das ist schwer zu ver­glei­chen, weil mich beim Tan­zen vie­le Men­schen durch mei­nen Papa kann­ten, wes­halb sie mir gegen­über respekt­vol­ler waren und ich war auch noch jün­ger. Auf­ge­fal­len ist mir das mit der Zeit immer mehr. Das fing wahr­schein­lich erst so mit 15 an.

MZEE​.com: Hat sich das beim Rap­pen ver­stärkt oder hast du es nur anders wahrgenommen?

NOEL: Vie­le Jungs in mei­nem Umfeld haben mei­ne Musik gar nicht ernst genom­men, aber dann schlech­te Sachen von ihren Kum­pels gepos­tet. Und da bin ich rich­tig froh, dass ich es durch­ge­zo­gen habe, weil genau die jetzt kom­men und sagen: "Voll krass." Man wird als Mäd­chen ein­fach gene­rell anders wahr­ge­nom­men. Du musst viel mehr auf dein Aus­se­hen ach­ten. Man­che Rap­per sehen so schei­ße aus, aber juckt nicht. Und bei Frau­en wird auto­ma­tisch dar­auf geguckt, ob sie geil aus­se­hen und was Gei­les tragen.

MZEE​.com: Hast du das Gefühl, dass du dich davon lösen kannst? 

NOEL: Ich bin nicht so, dass ich 24/​7 auf mein Aus­se­hen ach­te, außer es geht um mei­ne Musik­vi­de­os oder Büh­nen­auf­trit­te. Da will man natür­lich schon ein coo­les Out­fit anha­ben. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass ich zum Bei­spiel nicht auf­tre­ten kann, wenn nicht alles per­fekt passt.

MZEE​.com: Du rappst auf der Büh­ne dei­ne Tex­te kom­plett, obwohl der Trend bei jun­gen Rapper:innen gera­de eher in eine ande­re Rich­tung geht. Wie­so ist dir das wichtig? 

NOEL: Ich habe zwi­schen­durch auch nicht genug Luft und kann den Text mal nicht per­fekt, dar­um geht es aber nicht. Es geht dar­um, dass du durch­ziehst und dich nicht auf Dro­gen auf die Büh­ne stellst, nicht mehr klar kommst und nur dei­ne Adlibs mit­rappst. Das machen genug Rap­per und ich fin­de das scha­de. Du bist doch da, weil Leu­te dei­ne Musik hören wol­len – ich fin­de, das kann man nicht so locker neh­men. Das sind Fans, die Geld bezah­len, um eine Live-​Show zu sehen und da muss man halt ablie­fern. Das sind doch dei­ne Tex­te. Wenn man zu auf­ge­regt ist, ist das etwas ande­res, aber wenn du ein­fach einen Fick drauf gibst, ist das nicht cool. Jeder schafft das. Ich bin auch nicht in Top­form und muss mir vor Auf­trit­ten mei­ne Kräf­te ein­tei­len, aber das kriegt man hin. Man­che Leu­te unter­schät­zen auch, dass Live-​Auftritte gera­de wie­der viel wich­ti­ger werden.

MZEE​.com: Hast du das Gefühl, dass dir die vie­len Über­schnei­dun­gen in dei­nem Leben mit der Kul­tur dei­nen Weg als Rap­pe­rin erleich­tert haben?

NOEL: Ja, voll. Also mein Vater hat mir, was Rap angeht, nicht gehol­fen und hält sich da raus. Aber ich bin schon früh mit Rhyth­mus in Berüh­rung gekom­men und habe gelernt, wie man sich zu Musik bewegt – wie kom­me ich auf den Beat und wie tan­ze ich dazu. Dadurch hat er mir, glau­be ich, viel Moti­va­ti­on mitgegeben.

MZEE​.com: Wur­de dir auch etwas mit auf den Weg gege­ben, wovon du dich viel­leicht sogar abgren­zen möch­test oder das du bewusst anders handhabst?

NOEL: (über­legt) Ich glau­be, ich ver­ste­he mei­nen Vater inzwi­schen sogar in vie­lem mehr als davor. Zum Bei­spiel habe ich erst mit der Zeit rea­li­siert, dass er ein rich­ti­ger Künst­ler ist. Frü­her hat­te ich nur das Gefühl, dass er wegen der Arbeit wenig Zeit für mich hat und wir hat­ten nicht immer ein gutes Ver­hält­nis. Inzwi­schen kann ich nach­voll­zie­hen, dass das nicht so ein­fach ist, wenn man mit Lie­be und Lei­den­schaft an etwas arbei­tet. Das ist nicht irgend­ein Büro­job. Und ich bin froh, dass mir die­se Mög­lich­kei­ten vor­ge­lebt wurden.

MZEE​.com: Wo möch­test du mit dei­ner Kunst ger­ne noch hin? 

NOEL: Ich möch­te kras­ser wer­den, was mei­ne Vide­os und Sto­rys dazu angeht und mich dar­auf fokus­sie­ren, Geschich­ten zu erzäh­len. Das mache ich noch nicht wirk­lich in mei­nen Tracks. Aber des­we­gen habe ich ursprüng­lich mal damit ange­fan­gen – wie mit der Bal­la­de in der Schu­le. Ich möch­te Text und Video mit­ein­an­der ver­bin­den. Mich ein­fach immer stei­gern und bes­ser werden.

(Yas­mi­na Rossmeisl)