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Interview

Roger Rekless – ein Gespräch über Wut

"Ich glau­be schon, dass man­che Lin­ke nicht wegen der Inhal­te dabei sind, son­dern um etwas aus­zu­le­ben. Und es für sie kaum eine Rol­le spielt, in wel­chem Extrem das geschieht." – Roger Rekless im Inter­view über lin­ke Gewalt, sei­nen eige­nen Umgang mit Wut und Hass als Massenphänomen.

Aris­to­te­les hat ziem­lich vie­le und schlaue Sachen gesagt – zumin­dest in Anbe­tracht der Zeit, in der er sie sag­te. Auch zum The­ma "Wut" teil­te er sich mit: "Jeder kann wütend wer­den, das ist ein­fach. Aber wütend auf den Rich­ti­gen zu sein, im rich­ti­gen Maß, zur rich­ti­gen Zeit, zum rich­ti­gen Zweck und auf die rich­ti­ge Art, das ist schwer." Nun, das kann man wohl nicht leug­nen. Es gibt ver­mut­lich kaum eine Emo­ti­on, die sich im Lau­fe des Lebens so wan­delt wie die Wut. Und doch bleibt sie ein Gefühl, das sich immer auch kind­lich anfühlt, da wir ihr oft unter­le­gen sind. Sie hat vie­le Nuan­cen und bie­tet ein gro­ßes Spek­trum an Begleit­erschei­nun­gen wie Zorn und Trau­er, Angst und Aggres­si­on, Gewalt und Rebel­li­on. Ursa­che und Wir­kung flie­ßen dabei oft inein­an­der und in ihrer gro­ßen Kraft lie­gen vie­le nega­ti­ve, aber auch jede Men­ge posi­ti­ve Fol­gen. Viel­leicht, weil sie sich meist gegen einen selbst rich­tet und dadurch beson­ders viel aus­lö­sen kann. Doch gera­de des­halb ist es auch so wich­tig, einen guten Umgang mit Wut an sich zu finden. 

Roger Rekless hat dies schon oft in sei­nem Leben ver­sucht und neben Medi­ta­ti­on und Rap­pen vor allem mit der Kampf­sport­art Jiu-​Jitsu sein liebs­tes Ven­til gefun­den. Dabei zieht sich die Wut wie ein roter Faden durch sein Leben – und somit auch durch unser Gespräch. Wäh­rend uns der Münch­ner Rap­per bewies, dass es wahr­schein­lich kei­nen unauf­ge­reg­te­ren wüten­den Men­schen gibt als ihn, spra­chen wir über Fol­gen, die sei­ne unter­drück­te Wut mit sich zog, sei­nen Drang nach Gerech­tig­keit, Hass als Mas­sen­phä­no­men sowie Anti-​Bewegungen im deut­schen Rap.

MZEE​.com: Grund­sätz­lich wirkst du nicht wie ein beson­ders wüten­der Mensch und strahlst eine ziem­li­che Gelas­sen­heit aus. Den­noch gibt es bestimmt Ver­hal­tens­wei­sen dei­ner Mit­men­schen, die dich auf die Pal­me bringen …

Roger Rekless: Igno­ranz fin­de ich am schlimms­ten. Sie macht mich so unfass­bar schnell sau­er, dass ich fast nicht an mich hal­ten kann. Ich spü­re kör­per­lich, wie schwer es mir da fällt, mich zurück­zu­hal­ten. Zum Bei­spiel, wenn Men­schen von trau­ma­ti­schen Erleb­nis­sen, Über­grif­fen oder Dis­kri­mi­nie­rung erzäh­len und ihr Gegen­über dafür taub ist. Und das nicht nur nicht hört, son­dern dage­gen geht, in What­a­bou­tism abglei­tet oder die Men­schen sogar dis­kre­di­tiert. Nach dem Mot­to "Das hast du doch nicht wirk­lich so erlebt". Das ist für mich das Kras­ses­te. Und das Zwei­te ist, wenn ich für etwas ver­ant­wort­lich gemacht wer­de, für das ich nichts kann. Da wer­de ich gleich­zei­tig sau­er und trau­rig – das liegt bei mir nah beieinander.

MZEE​.com: Bei­des hat mit Gerech­tig­keit zu tun. Hast du das Gefühl, dass du Men­schen in Schutz neh­men musst, die unfair behan­delt werden?

Roger Rekless: Zu 100 Pro­zent. Ich möch­te sowas rich­tig­stel­len und wenn ich nur zei­ge, dass ich es mit­be­kom­men habe und den Men­schen Recht gebe. Letz­tens haben sich zwei Mäd­chen in der U-​Bahn im Teen­ager­al­ter auf Rumä­nisch unter­hal­ten, als eine alte Dame zu ihnen mein­te, dass in Deutsch­land Deutsch gespro­chen wer­de. Die bei­den haben gut reagiert und gesagt, dass sie unter­ein­an­der so reden, wie sie möch­ten. Dar­auf­hin hat die Frau los­ge­legt mit "Inte­gra­ti­on" und wie "Deutsch­land sowas zulas­sen kön­ne". Ich habe mich dann bei den Mäd­chen ver­si­chert, dass es in Ord­nung ist, wenn ich mich ein­mi­sche, und die Frau gefragt, ob sie viel­leicht nei­disch ist, weil sie die Spra­che nicht ver­steht. Sie ist dann von The­ma zu The­ma gesprun­gen. Erst ging es dar­um, dass man sich in Deutsch­land halt anpas­sen müs­se und dann, dass ich den Mäd­chen nur zur Sei­te ste­he, weil sie schön sind. Die­se Leu­te kön­nen sich nicht ein­ge­ste­hen, dass sie Ras­sis­ten sind. Das ist ein­fach eklig, weil Igno­ranz auch immer ver­sucht, Unge­rech­tig­keit zu schüt­zen. Das has­se ich.

MZEE​.com: Fragst du dich dann manch­mal auch: "Wie­so muss ich schon wie­der die­se Gesprä­che mit sol­chen Men­schen führen?"

Roger Rekless: In genau sol­chen Momen­ten merkt man halt, wie hoch der Anteil an igno­ran­ten Men­schen eigent­lich ist. Und die­se Leu­te hacken wie mit einem klei­nen Mei­ßel Split­ter mei­nes Opti­mis­mus weg. Ich habe vor einer Wei­le mit mei­nem guten Freund David Pe dar­über gespro­chen, dass es unglaub­lich schwer ist, die Men­schen als Mas­se zu lie­ben, wenn man viel mit ihnen arbei­tet und zu tun hat. Es bedarf gro­ßer Moti­va­ti­on, ihnen mit Lie­be zu begeg­nen. Nicht dem ein­zel­nen Men­schen – selbst die igno­ran­ten Trot­tel haben mehr Dimen­sio­nen, wenn sie aus die­ser Situa­ti­on her­aus­kom­men. Aber der:die Ein­zel­ne reprä­sen­tiert für mich auch immer die Mas­se und das ist anstren­gend. Vor allem, wenn man Musik macht und damit Men­schen errei­chen will. Es gibt die­ses Span­nungs­feld, in dem man denkt, dass es doch sinn­los ist. Die­se igno­ran­ten Men­schen machen es allen so schwer …

MZEE​.com: Im Pod­cast "Hal­be Kat­offl" hast du erzählt, dass du dir inzwi­schen sehr bewusst dar­über bist, wel­che Kämp­fe – im Sin­ne von Wort­ge­fech­ten – du aus­tra­gen möch­test und kannst. Frü­her hast du dich über­ra­schen­der­wei­se auch mal geprü­gelt, was du als sehr viel gesün­der für die eige­ne Psy­che emp­fun­den hast. Kannst du erklä­ren, war­um das in dei­nen Augen so war?

Roger Rekless: Frü­her habe ich Wut ein­fach direkt raus­ge­las­sen – sei es ver­bal oder eben auch kör­per­lich. Das ist im ers­ten Moment viel­leicht gesund, doch im Anschluss kommt ein ande­rer Stress. Dann ist es nicht mehr Wut, son­dern Angst. Das liegt bei mir sehr nah bei­ein­an­der, weil bei­des Kon­troll­ver­lust bedeu­tet. Um die­sen Stress zu ver­mei­den, habe ich ange­fan­gen, viel an Wut nicht mehr zuzu­las­sen und statt­des­sen run­ter­zu­schlu­cken. Ich als Küchen­psy­cho­lo­ge glau­be, dass es viel dazu bei­trug, dass ich eine depres­si­ve Stö­rung ent­wi­ckelt habe. Aus unter­drück­ter Wut wird irgend­wann dif­fu­se Angst … Und die kannst du nicht mehr fest­hal­ten. In der Situa­ti­on, in der Wut raus­kommt, ist sie ja ein­deu­tig mit etwas ver­knüpft. Wenn du das Gefühl aber run­ter­schluckst, sitzt es ein­fach da und zer­fa­sert sich in eine sub­ti­le Angst. Man kann sie nicht mehr fas­sen oder abar­bei­ten und bekommt depres­si­ve Schü­be. Es ist ein schwie­ri­ger Pro­zess, da wie­der her­aus­zu­kom­men. Als ich dar­über in "Hal­be Kat­offl" gespro­chen habe, war ich an einem sehr guten Punkt. Da habe ich viel medi­tiert und eine Hyp­no­se­the­ra­pie gemacht. Aber an dem Punkt bin ich nicht mehr. Es ist krass, dar­über zu spre­chen – das weckt in mir die Erin­ne­rung, wo ich schon war und was es für eine Arbeit war, dahin­zu­kom­men. Inzwi­schen habe ich ein gutes Ver­ständ­nis davon, wo ich in der Ver­ar­bei­tung von Wut sein kann und ken­ne den Weg, der mich da wie­der hinführt.

MZEE​.com: Hast du abseits von Medi­ta­ti­on und Hyp­no­se noch wei­te­re Ven­ti­le gefun­den, die dir beim Ver­ar­bei­ten von Wut gehol­fen haben? 

Roger Rekless: Ja, Jiu-​Jitsu war mei­ne Ret­tung. Das war das ers­te Mal, dass ich mit kind­li­chen Wut­ge­füh­len wie­der kon­fron­tiert wur­de. Jiu-​Jitsu ist ein Boden-​Kampfsport, bei dem man im Ste­hen anfängt und den:die Gegner:in auf den Boden brin­gen will. Dort hört der Kampf aber nicht auf, son­dern du musst ihn:sie dazu brin­gen, auf­zu­ge­ben. Du domi­nierst also mit dei­nem Kör­per und allem, was dir zur Ver­fü­gung steht. Zum Bei­spiel mit kom­ple­xen Tech­ni­ken, die das Kräf­te­ver­hält­nis auf­he­ben. Eine schwä­che­re Per­son kann dadurch jeman­den über­vor­tei­len, der stär­ker ist – und das ganz ohne Magie … Ich habe dort gegen jeman­den gekämpft, der schwe­rer war als ich. Er war auf mir, hat mich im Hal­te­griff gehabt und ich habe einen klaus­tro­pho­bi­schen Panik­an­fall bekom­men. Die­ser Druck auf mei­nen Brust­korb hat in mir sofort das Gefühl von "Schul­hof, Kind, ras­sis­ti­sche Belei­di­gung, Schlä­ge­rei, ich kann mich nicht weh­ren und Wut" getrig­gert. Das ging schnell von Kämp­fen in hoff­nungs­lo­se Panik über. Zum Glück muss man nur abklop­fen und die Situa­ti­on ist sofort vor­bei. Danach spricht man auch nicht zehn Minu­ten dar­über, son­dern fängt von vor­ne an. Es ist so gesund, in einem Safe Space immer wie­der in die­se Gefüh­le rein­zu­kom­men, aber sagen zu kön­nen, wenn es zu viel ist. Das hat dazu geführt, dass ich die­se impul­si­ve, kind­li­che Wut bes­ser hand­len kann. Und irgend­wann kann man die­se Wut für sich ein­set­zen. Nicht gegen eine Per­son, son­dern gezielt gegen eine Akti­on. Das durch Coro­na über ein Jahr lang nicht machen zu kön­nen, war schreck­lich, weil der nivel­lie­ren­de Aus­gleich wegfiel.

MZEE​.com: Kannst du nach­voll­zie­hen, dass Men­schen sich bewusst kör­per­li­chen Aus­ein­an­der­set­zun­gen stel­len – wie bei ver­ab­re­de­ten Kämp­fen in Hooligan-Kreisen? 

Roger Rekless: Abso­lut. Was ich krass nach­voll­zie­hen kann, ist der Wunsch, sich sel­ber in eine Situa­ti­on zu brin­gen, die einen dazu zwingt, ganz nah bei sich zu sein und in der nur ganz ele­men­ta­re Sachen zäh­len. Ich kann ver­ste­hen, wenn Leu­te Bun­gee jum­pen, Fall­schirm sprin­gen oder sich im Wald tref­fen, um sich aufs Maul zu hau­en oder die Köp­fe ein­zu­tre­ten. Ich wür­de das nicht machen, weil ich viel sen­si­bler bin. Was nicht bedeu­tet, dass die­se Men­schen gefühl­lo­se Klöt­ze sind, aber ich brau­che viel weni­ger, um eine Stress­si­tua­ti­on zu erfah­ren, in der ich auf das Not­wen­digs­te redu­ziert bin. Ich kann das aber ver­ste­hen, weil es ja noch mehr ist, als nur Wut raus­zu­las­sen. Hoo­li­gans wis­sen ja schon Don­ners­tag oder Frei­tag, dass sie das am Sams­tag machen. Die den­ken ja dar­über nach und das, glau­be ich, mit gemisch­ten Gefüh­len. Vor­freu­de, Auf­re­gung, Angst – das ist ein super­star­ker Gefühls­cock­tail, den man sich selbst braut. Ein wich­ti­ger Teil der Dro­ge ist der Auf­bau davor, um die­ses Gefühl des Raus­las­sens so stark zu emp­fin­den. Die sind auf dem Weg nach Hau­se noch so hyped, dass sie erst in der Nacht mer­ken, dass ihnen etwas weh­tut. Ich glau­be, dass man­che Men­schen sowas brau­chen, um sich zu spü­ren. Das ist für die so, wie für mich jeden Tag zu medi­tie­ren. Es ist nur ein ande­rer Weg, dahinzukommen.

MZEE​.com: Denkst du, dass Wut dabei eine Rol­le spielt?

Roger Rekless: Das glau­be ich nicht. Viel­leicht spielt Wut an ande­rer Stel­le im Leben eine Rol­le, bei der die­se Erfah­rung hilft, mit der Wut bes­ser klar­zu­kom­men. Wobei es wahr­schein­lich auch ein Ven­til sein kann, jeden Scheiß, den man erfährt, auf eine Situa­ti­on oder Per­son zu pro­ji­zie­ren und raus­zu­las­sen. Das ist wie beim Graf­fi­ti­ma­len: Für man­che zählt das Pie­ce, für ande­re das Gefühl der Crew-​Zugehörigkeit und die Auf­re­gung, die sich entlädt.

MZEE​.com: Du bist schon lan­ge Teil der Rap­sze­ne. Hat Rap dir in all den Jah­ren auch im Umgang mit nega­ti­ven Emo­tio­nen geholfen?

Roger Rekless: Rap war tat­säch­lich sehr wich­tig. Wenn du etwas auf­schreibst, ist die­ses Gefühl nicht mehr nur in dir drin. Wenn man das dann auch noch singt, schreit oder rappt, gibt man dem Gan­zen eine Ener­gie. Ich habe oft mit­hil­fe von Musik Situa­tio­nen rekon­stru­iert, in denen ich Wut gespürt und sie dann so ver­ar­bei­tet habe. Das war mir immer wich­tig und ist es noch. Jede Fest­plat­te, die ich besit­ze, ist rand­voll mit für mich wich­ti­gen Songs, die nie jemand hören wird. Und obwohl ich das schon so lan­ge mache, hat es in den letz­ten Jah­ren noch mal geklickt und funk­tio­niert noch bes­ser für mich.

MZEE​.com: Wie­so bringst du die­se Songs nicht raus? Sind sie dir zu persönlich?

Roger Rekless: Ich glau­be eher, dass die Leu­te sie nicht ver­ste­hen wür­den, weil sie so nah an mir dran ist. Das holt nie­man­den ab. Es macht auch was mit einem beim Schrei­ben, wenn man weiß, dass es nie­mand hören wird. Man schreibt dann anders und traut sich, ganz ande­re Sachen raus­zu­las­sen. Ich glau­be, wenn ich sowas ver­öf­fent­li­chen wür­de, wür­de ich mir damit einen Safe Space klau­en, weil ich nicht mehr so unbe­fan­gen ran­ge­hen könnte.

MZEE​.com: Gibt es denn auch etwas, das dich in Bezug auf die deut­sche Rap­sze­ne momen­tan so rich­tig wütend macht?

Roger Rekless: Ja, die Ver­tei­di­gung von Sexis­mus im Hip­Hop. Wenn Men­schen, die sexu­el­le Über­grif­fe anpran­gern, gesagt wird, dass sie Hip­Hop nicht ver­stan­den hät­ten – das macht mich sau­er. Und auch, dass sich so weni­ge mit Black Lives Mat­ter soli­da­ri­siert haben. Die ver­die­nen ihr Cash mit die­ser Kul­tur und neh­men nur. In dem Moment, in dem sie hät­ten zei­gen kön­nen, dass sie auch geben kön­nen, waren super­vie­le still. Wenn man nicht weiß, wie man es machen soll, fin­det man es doch her­aus? Das hat mich sehr sau­er gemacht.

MZEE​.com: Haben dich Anti-​Bewegungen, die zum Bei­spiel gegen deutschrap­me­too vor­ge­hen, dazu gebracht, dar­über nach­zu­den­ken, dass du kein Teil der Sze­ne mehr sein möchtest?

Roger Rekless: Ja, sehr häu­fig. Aber man muss dann trotz­dem blei­ben und Din­ge anspre­chen, damit die Leu­te in die­ser Sze­ne mer­ken, dass sie für die Sze­ne ver­ant­wort­lich sind. Oft sagen Leu­te in Inter­views im Radio oder Kul­tur­be­reich, dass Rap frau­en­feind­lich ist. Das gibt es natür­lich, aber es gibt vie­le, die das auch inner­halb der Sze­ne anpran­gern und anders machen. Die sieht man in so einem State­ment aber nicht. Ich möch­te das nicht ver­tei­di­gen – aber es gibt eben auch Leu­te inner­halb der Kul­tur, die was machen und nicht aus der Ecke kom­men, die Sexis­mus repro­du­ziert. Das macht es oft so ermü­dend, weil man das Gefühl hat, inner­halb der Sze­ne etwas ver­än­dern zu wol­len, aber die­je­ni­gen nicht zu errei­chen, bei denen man was ver­än­dern müss­te. Es ist aber auch ein männ­li­ches Pri­vi­leg, sich da raus­zu­zie­hen und dar­auf aus­zu­ru­hen, dass "man sel­ber ja nicht so ist".

MZEE​.com: Oder wenn Män­ner sich damit raus­re­den, dass sie sich zurück­zie­hen, weil sie ande­ren eine Büh­ne geben möchten.

Roger Rekless: Ja, das mer­ke ich auch bei mir. Ich hät­te mich mehr äußern kön­nen, aber sage mir dann, dass ich gera­de kei­ne Ener­gie dafür habe. Dann las­se ich Sachen ein­fach so pas­sie­ren und ent­schul­di­ge es damit, dass ich in mei­nem Umfeld etwas sage. Da muss ich ehr­lich sein: Got shit to upgrade. Das ist ja das Ding mit der Ver­ant­wor­tung, die man inner­halb die­ser Kul­tur hat – näm­lich, sich nicht dar­auf aus­zu­ru­hen, dass wir "die ande­ren" sind. Man müss­te eigent­lich für einen offe­nen Dis­kurs sor­gen und dafür, dass man gehört wird.

MZEE​.com: Der Autor Tobi­as Gins­burg hat 2021 mit sei­nem Buch "Die letz­ten Män­ner des Wes­tens", für das er sich in die Gefil­de von Anti­fe­mi­nis­ten und rech­ten Män­ner­bün­den bege­ben hat, viel Auf­se­hen in der deut­schen Rap­sze­ne erregt. Denn: Wie sich gezeigt hat, bestehen Ver­bin­dun­gen zwi­schen Anti­fe­mi­nis­ten und der rech­ten Rap­sze­ne. Glaubst du – da Wut mit Sicher­heit auch eine Facet­te von Rap ist –, dass es nur logisch ist, hier Men­schen mit die­sen Ansich­ten wiederzufinden?

Roger Rekless: (über­legt) Jein. Ich glau­be, dass Rap eine sehr gute Mög­lich­keit ist, Wut eine gerich­te­te und kon­struk­ti­ve Form zu geben. Gleich­zei­tig den­ke ich aber auch, dass Rech­te Rap weni­ger als emo­tio­na­les Ven­til nut­zen, son­dern als Pro­pa­gan­da­mit­tel, das gut funk­tio­niert. Das mag aber auch falsch sein und viel­leicht holt die­ser aggres­si­ve Rapshit auch sol­che Leu­te mit ab. Ich bin mir gera­de nicht sicher, ob ich zu sub­jek­tiv bin und das ande­re nicht sehen kann – oder Rap ver­tei­di­gen will. Aber ich glau­be eher, dass sie das als Pro­pa­gan­da­mit­tel nutzen.

MZEE​.com: Nach dem Mot­to, dass Rap jetzt das gro­ße Ding ist – also müs­sen sie sich das auch aneignen?

Roger Rekless: Ja, es ist halt text­ba­sier­te Musik. Damit kön­nen sie The­men an den Mann brin­gen – weni­ger Emo­tio­nen, son­dern Geschich­ten. Ein Nar­ra­tiv, das bei den Leu­ten als Sound­track für ihre Wut funk­tio­niert, die sie auf sich selbst, Leu­te wie mich oder die Welt haben. Viel­leicht ist es ein biss­chen von allem. Dass die­ses hart Mas­ku­li­ne, das vie­le aus­strah­len, schon dazu führt, dass sich sol­che Leu­te davon ange­spro­chen füh­len und sagen, dass jemand "nicht Rap ist", wenn er die­sem Bild nicht entspricht.

MZEE​.com: Wir haben noch das Buch "Ohne Rück­sicht auf Ver­lus­te" von Mats Schö­nau­er und Moritz Tscher­mak mit­ge­bracht. Der ehe­ma­li­ge und der aktu­el­le Chef­re­dak­teur des BILD­blogs recher­chie­ren seit einem Jahr­zehnt über die Arbeit der BILD und haben ein Buch dazu ver­öf­fent­licht, wie sie mit Angst und Hass die Gesell­schaft spal­tet und Rech­te befeu­ert. Der fol­gen­de Aus­zug erläu­tert das recht plakativ:

Wie essen­ti­ell ist dei­ner Mei­nung nach das Schü­ren und Aus­nut­zen von Ängs­ten für Wut als Massenphänomen?

Roger Rekless: Abso­lut ele­men­tar. Wut und Angst sind ja sehr nah bei­ein­an­der. Wenn du es schaffst, dass Men­schen in stän­di­ger Angst vor etwas leben, hast du immer auch einen Teil, der mit dem Kon­troll­ver­lust ringt. Der ist dank­bar für jede Kon­trol­le und jeden Weg­wei­ser von außen. Nimm zum Bei­spiel den anti­mus­li­mi­schen Ras­sis­mus, den die BILD dau­er­haft abdruckt. Sie warnt vor Isla­mis­mus und setzt ihn mit dem Islam gleich. Das Nar­ra­tiv ist: "Wir sind hier, da sind die und wir haben Angst, also müs­sen wir die ande­ren ein­schrän­ken. Das ist legi­tim." So haben sie auf ein­mal ein Ven­til für die­se Wut und Angst gefun­den. Aber das sind Men­schen, gegen die sich das rich­tet. Es ist total irre, dass die BILD das schafft. Das ist ein ele­men­ta­res Mit­tel, um Men­schen zu mani­pu­lie­ren. Wenn wir alle ruhig wären, könn­ten wir bes­se­re Gedan­ken fas­sen. Wenn man aber im Eifer des Gefechts mit so vie­len Sachen zu kämp­fen hat, merkt man viel­leicht gar nicht, was das für Fol­gen hat.

MZEE​.com: Ist der Kon­troll­ver­lust, den du ange­spro­chen hast, mit Macht­ver­lust gleich­zu­set­zen? Also wer­den die Ängs­te, die von rech­ten Bewe­gun­gen wie der Pegi­da oder der AfD the­ma­ti­siert wer­den, durch Macht­lo­sig­keit ausgelöst?

Roger Rekless: Ich glau­be schon. Gera­de Pegi­da und ande­re rech­te Orga­ni­sa­tio­nen arbei­ten ja oft mit die­sem Underdog-​Prinzip. "Wir hier unten und die da oben." Die begrei­fen sich als unter­drück­te Per­so­nen und recht­fer­ti­gen damit auch die Wut gegen ande­re, weil sie aus ihrer Sicht die Armen sind, die nach oben tre­ten. Sie küm­mern sich ver­meint­lich um ihr eige­nes Über­le­ben. Durch sol­che Nar­ra­ti­ve ist die Wut dann posi­tiv kon­no­tiert. Dann ist auf ein­mal alles erlaubt. Ich glau­be aller­dings, dass es weni­ger die Angst vor Macht­ver­lust als das stän­di­ge Erzäh­len von den Mäch­ti­gen "da oben" ist. Dage­gen muss man sich ja erhe­ben und weh­ren. Es ist immer das­sel­be Gere­de und es funk­tio­niert auch immer wie­der. Das sind ja pri­vi­le­gier­te Men­schen, die einen Macht­ver­lust spü­ren, der nicht da ist. Dann kom­men auch Sachen wie "Na ja, wir kön­nen ja nicht alle auf­neh­men" oder "Hät­ten ja auch zu Hau­se blei­ben kön­nen". Wenn ich per­ma­nent in Furcht lebe, ver­ur­tei­le ich eine men­schen­ver­ach­ten­de Akti­on auf ein­mal nicht mehr, die mir als Weg aus der Gefahr ver­kauft wird. Das ist ein hart mani­pu­la­ti­ver Ein­griff in gesell­schaft­li­che Strukturen.

MZEE​.com: Macht dir das Angst?

Roger Rekless: Es gibt einer­seits vie­le Men­schen, die von einer posi­ti­ven Visi­on getrie­ben sind, wie die Welt sein könn­te. Und dann gibt es ande­rer­seits Men­schen, die rück­wärts­ge­wandt sind und eine Visi­on haben, die nicht für alle gut ist. Es macht mir schon Angst, wie bru­tal die­se rück­wärts­ge­wand­ten Leu­te reden. War­um ein Jun­ge ein Jun­ge und ein Mäd­chen ein Mäd­chen ist und dass jeder, der etwas ande­res erzählt, kein Recht auf Bestand und Schutz hat. Ich fin­de es krass, dass man das so sagen kann und denkt, man sei Teil einer Bewe­gung, die etwas für die Gesell­schaft tun will. Denn sie spre­chen ja von "Wir sind das Volk". – Ne, ne, wir auch … Ich habe Angst davor, dass sich zum Bei­spiel ein gro­ßer Glo­bal Play­er auf die rück­wärts­ge­wand­te Bewe­gung fokus­siert. Dass dann eine welt­wei­te Min­der­heit die Zukunft bestimmt. Ich habe das Gefühl, dass wir in einem Pro­zess sind, in dem man merkt, dass eine ganz ele­men­ta­re Ver­än­de­rung bevor­steht. Die Zeit der euro­päi­schen Vor­herr­schaft ist lang­sam durch. Und es ist schlimm, wie vie­le auto­kra­ti­sche und dik­ta­to­ri­sche Strö­mun­gen die­ses Rück­wärts­ge­wand­te im Rin­gen um die Nar­ra­ti­ve befeu­ern. Dann bekom­men sol­che Bewe­gun­gen von gan­zen Staatsführer:innen Rücken­wind. Ich glau­be auch, dass es bei Wah­len in vie­len Fami­li­en mit Migra­ti­ons­ge­schich­te die ekel­haft natür­li­che Unter­hal­tung gibt, ob man noch hier blei­ben möch­te. Aber da sich die­se Strö­mun­gen glo­bal dar­stel­len, ist die gro­ße Fra­ge, wo man sonst hin­will. Das macht mir schon Angst.

MZEE​.com: Ich den­ke, dass eini­ge poli­ti­sche The­men in den letz­ten Jah­ren unter­schätzt wur­den – sei es die Wahl in den USA oder Deutsch­land. Man hat nie ein Gefühl von Sicher­heit, son­dern eher, dass man gera­de noch so davon­ge­kom­men ist. Und ich glau­be auch, dass sich viel ver­än­dern wird – aber eben nicht unbe­dingt zum Positiven.

Roger Rekless: Ja, wenn man kei­ne Ver­än­de­rung will, gibt es auch kei­nen Schritt nach vor­ne. Für mich war das ein State­ment, wie Men­schen auf Taten wie in Mün­chen, Hal­le und Hanau reagier­ten. Die AfD wur­de vom Ver­fas­sungs­schutz als Ver­dachts­fall ein­ge­stuft, aber Leu­te rela­ti­vie­ren immer noch, dass es eine Gefahr von rech­ten Netz­wer­ken gibt. Das ist völ­lig absurd. Ich glau­be, das rührt daher, dass ein Groß­teil immer noch glaubt, dass es ihn nicht betrifft. Die ver­ges­sen, dass wir zusam­men in die­ser Gesell­schaft leben. Sie spre­chen von Mei­nungs­frei­heit und dass man sowas in einer Demo­kra­tie aus­hal­ten müs­se – das ist aber nicht aus­halt­bar für eine Demo­kra­tie. Das ist belas­tend, bedrü­ckend. Und es kann nicht sein, dass Men­schen in der Gesell­schaft vor einer rea­len Bedro­hung Angst haben müs­sen. Das macht mich so wütend. Die­se Leu­te, die jetzt Men­schen rela­ti­vie­ren, die Mord an poli­tisch Anders­den­ken­den legi­ti­mie­ren, wer­den am Ende wie­der sagen, dass sie es nicht waren. Ich hal­te es immer noch für mög­lich, dass sich Deutsch­land als ein kol­lek­tiv men­schen­feind­li­ches Land zeigt.

MZEE​.com: Das macht es ja gera­de auch – nur nicht hier, son­dern eben an den EU-​Außengrenzen. Da ster­ben jeden Tag Men­schen auf­grund unse­rer Poli­tik und Verantwortung.

Roger Rekless: Hier drin­nen reden die Leu­te dann aber wie­der von Wer­ten und dem christ­li­chen Abend­land. Ich fin­de es total krass, dass sowas funk­tio­niert. Dass man einer­seits Leu­te kri­mi­na­li­siert, die das mensch­lich Rich­ti­ge tun, und ande­rer­seits Leu­te, die men­schen­feind­li­ches Gedan­ken­gut haben, relativiert.

MZEE​.com: Im öffent­li­chen Dis­kurs wird oft das Nar­ra­tiv des genau­so schlim­men lin­ken Extre­mis­mus genutzt, obwohl er teils eine Reak­ti­on auf rech­te Bewe­gun­gen ist und bei Wei­tem nicht sol­che Aus­ma­ße nach sich zieht. Trotz­dem kön­nen auch die­se Gewalt und Ein­stel­lun­gen kon­tra­pro­duk­tiv und gefähr­lich sein. Fin­dest du, dass das von lin­ken Krei­sen manch­mal ver­harm­lost wird?

Roger Rekless: Ja. Und ich wür­de sagen, dass ich das auch mache. Das hängt bei mir auch mit Wut zusam­men. Ich erin­ne­re mich an eine Zeit, in der Leu­te ras­sis­ti­sche Pro­ble­me abge­strit­ten und nur Lin­ke oder extrem Lin­ke sie aner­kannt haben. Ich habe unglaub­lich viel in die­sen Nar­ra­ti­ven ent­schul­digt. Ich wür­de nicht sagen, dass lin­ke Radi­ka­li­tät in irgend­ei­ner Wei­se ver­gleich­bar ist mit rech­ter – das ist ein­fach nicht so. Und trotz­dem muss man defi­ni­tiv mit bei­spiels­wei­se sexis­ti­schen oder anti­se­mi­ti­schen Posi­tio­nen inner­halb der Lin­ken hart ins Gericht gehen. Ich glau­be schon, dass man­che Lin­ke nicht wegen der Inhal­te dabei sind, son­dern um etwas aus­zu­le­ben. Und es für sie kaum eine Rol­le spielt, in wel­chem Extrem das geschieht. Viel­leicht rührt daher die­ses gefähr­li­che Gleich­set­zen von Links und Rechts. Ich glau­be, es ist unfass­bar wich­tig, inner­halb von lin­ken Struk­tu­ren dar­über zu diskutieren.

MZEE​.com: Ich habe einen Arti­kel dazu gele­sen, wie sich der Links­extre­mis­mus in den letz­ten Jah­ren gewan­delt hat. Dass Gewalt­ta­ten zuneh­men und sich nicht mehr nur gegen Din­ge, son­dern auch wie­der ver­mehrt gegen Men­schen gerich­tet wird. Ich habe oft das Gefühl, dass es ein Pro­blem vie­ler lin­ker Krei­se ist, die Ursa­chen dafür nicht zu thematisieren.

Roger Rekless: Es ist total krass, wenn du sagst, dass sich lin­ke Gewalt auch gegen Men­schen rich­tet. In mei­nem Kopf ist da sofort das Bild der Lin­ken, die Nazis ver­prü­geln, damit sie Angst haben. Ich will mich als sen­si­blen Men­schen begrei­fen. Aber ich mer­ke – und es ist bru­tal, das zu sagen –, dass dadurch, dass Nazis ande­re Men­schen dehu­ma­ni­sie­ren, sie für mich ihr Recht auf Schutz ver­wirkt haben. Es ist total schlimm, das zu sagen, aber es ist ehr­lich. Ich fin­de es krass, zu mer­ken, dass ich Gewalt, die ihnen pas­siert, ent­schul­di­ge. Weil ich mir den­ke: Ihr habt euch aus­ge­sucht, eine men­schen­feind­li­che Geis­tes­hal­tung ein­zu­neh­men. Und sicht­bar gefähr­lich zu sein für Men­schen, die nichts dafür kön­nen, wie sie sind, und dadurch mit dem Tod bedroht wer­den. Ich fin­de es höchst pro­ble­ma­tisch, dass einen die­se Radi­ka­li­tät und Men­schen­feind­lich­keit dazu bringt, auch eine radi­ka­le und men­schen­feind­li­che Hal­tung anzu­neh­men. Da muss inner­halb der Lin­ken auf jeden Fall etwas pas­sie­ren. Gleich­zei­tig pas­siert die Radi­ka­li­sie­rung auch, weil die Lin­ke von der gesell­schaft­li­chen Mit­te der­art ver­teu­felt wird. Wenn du etwas so ver­teu­felst, wird es auch für Leu­te attrak­tiv, die viel­leicht nur zum Teil den Posi­tio­nen zustim­men, aber an etwas radi­kal Moti­vier­tem betei­ligt sein möchten.

MZEE​.com: Wut an sich ist eher ein nega­ti­ves Gefühl – aber auch der Stoff, aus dem Ver­än­de­run­gen und Revo­lu­tio­nen gespon­nen sind – wie die BLM-​Bewegung und Fri­days for Future. Hoffst du trotz­dem, irgend­wann gar nicht mehr wütend zu sein?

Roger Rekless: Ich glau­be, man ist gar nicht am Leben, wenn man nicht mehr wütend ist. Aber ich hof­fe, dass mei­ne Wut nicht mehr destruk­tiv ist, son­dern gesun­de Out­lets fin­det. Dass mei­ne Wut nicht am Steu­er, son­dern auf dem Bei­fah­rer­sitz Platz nimmt. Eine Freun­din hat mir mal gesagt, dass der wüten­de David genau­so viel Lie­be ver­dient wie der ande­re. Das ist für mich ein schwer zu leben­der Satz, aber es wäre mein Wunsch, das zu schaffen.

(Flo­rence Bader & Yas­mi­na Rossmeisl)
(Fotos von Phil­ipp Wulk)