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Interview

Ana Ryue – ein Gespräch über die deutsche Battlerap-Szene

"Eine ganz gro­ße Leh­re für mich war, anzu­neh­men, dass mei­ne per­sön­li­che Aus­ein­an­der­set­zung und mein Zugang zu gewis­sen The­men nichts sind, das ich von ande­ren erwar­ten soll­te." – Ana Ryue im Inter­view über die Pro­ble­me des deut­schen Batt­ler­aps und ihren eige­nen Zwie­spalt beim For­mu­lie­ren von Kritik.

Der Wie­ner Som­mer – tro­cke­ne Luft, hei­ßer Asphalt, eine mit Men­schen­trau­ben gespick­te Donau. Ana, ihre zwei Hun­de und ich auf Plas­tik­stüh­len in einem kar­gen, schat­ti­gen Hin­ter­hof. Kal­te Geträn­ke, vie­le Ziga­ret­ten und ein aus­gie­bi­ges Gespräch. Es geht um die deut­sche Battlerap-​Szene. Um genau zu sein, geht es fast aus­schließ­lich um ihre nega­ti­ven Sei­ten. Denn Ana ist eine Per­son, die die­se häu­fig zu spü­ren bekommt. Ver­mut­lich mehr als vie­le ande­re Men­schen inner­halb der Sze­ne, da sie sowohl von Sexis­mus als auch Ras­sis­mus betrof­fen ist. Und dann the­ma­ti­siert sie all das auch noch. Die gebür­ti­ge Münch­ne­rin kri­ti­siert in den Inter­views für DLTLLY ger­ne grenz­über­schrei­ten­de Lines und hat kein Pro­blem damit, klar zu zei­gen, wel­che poli­ti­schen Hal­tun­gen sie ver­tritt. Oft genug pola­ri­siert sie aber bereits dadurch, dass sie sich sehr gewählt aus­drückt, wenn es um poli­ti­sche Kor­rekt­heit geht. Poli­ti­sche Kor­rekt­heit und Batt­ler­ap? Wie geht das über­haupt? Ist das schon Pro­vo­ka­ti­on genug? Ana Ryue hat sich einen Platz in einem män­ner­do­mi­nier­ten Kos­mos erkämpft und sym­bo­li­siert allein durch ihre Per­son den Wider­spruch von Batt­ler­ap und dem aktu­el­len Wan­del unse­res gesell­schaft­li­chen Bewusst­seins. Ihr Dasein bringt mit sich, reflek­tie­ren zu müs­sen. Und das tun vie­le Men­schen bekann­ter­ma­ßen eher ungern. Doch wird sie dabei nur für einen längst über­fäl­li­gen Kon­flikt inner­halb der Sub­kul­tur instru­men­ta­li­siert? Sie erklär­te mir, in wel­chen Punk­ten sie sich miss­ver­stan­den fühlt, wel­ches Pro­blem der Sze­ne für sie das der­zeit größ­te dar­stellt und zu guter Letzt: wie­so sie Batt­ler­ap nach so vie­len Jah­ren immer noch liebt.

(Anm. d. Red.: Der im Inter­view häu­fig genann­te Begriff FLINTA* steht für Frau­en, Les­ben, inter, nicht-​binäre, trans und agen­der Per­so­nen – also Per­so­nen, die auf­grund ihrer geschlecht­li­chen Iden­ti­tät patri­ar­chal dis­kri­mi­niert wer­den. Unter Cis-​Männern ver­steht man Män­ner, die als sol­che in ihrem Kör­per gebo­ren wur­den und sich auch so identifizieren.)

MZEE​.com: Du bist nicht nur in der Battlerap-​Szene, son­dern auch schon lan­ge in der Poet­ry Slam-​Szene aktiv. Letz­te­re ist dafür bekannt, in Tei­len sehr poli­tisch zu sein. Inwie­fern hat dich das beein­flusst, Tex­te in Bezug dar­auf zu bewerten? 

Ana Ryue: Mitt­ler­wei­le ist die Poet­ry Slam-​Szene mega­po­li­tisch, aber das war nicht immer so. Als ich vor 15 Jah­ren damit ange­fan­gen habe, gab es zwar immer wie­der poli­ti­sche Tex­te, aber es war vor allem lyrisch – es gab vie­le klas­si­sche Gedich­te. Die Pro­gres­si­vi­tät kam, glau­be ich, mit dem all­ge­mei­nen Wan­del des poli­ti­schen Bewusst­seins. Die Sze­ne besteht aus vie­len aka­de­mi­schen Per­so­nen und sobald es aka­de­misch wird, wird es gefühlt auch poli­ti­scher. Ich glau­be, es hat mich gar nicht so beein­flusst, was Battlerap-​Texte angeht. Aber in mei­ner all­ge­mei­nen Poli­ti­sie­rung wahr­schein­lich schon.

MZEE​.com: Es gibt inzwi­schen vie­le diver­se Rapper:innen außer­halb des Batt­ler­aps. Fehlt der Battle-​Szene eine gewis­se Poli­ti­sie­rung, damit das auch dort der Fall sein kann?

Ana Ryue: (über­legt) Ich glau­be, dass Per­so­nen, die in der Battlerap-​Szene statt­fin­den – egal, ob aktiv oder als Zuschauer:innen – gar nicht so viel unpo­li­ti­scher sind. Ich glau­be aber, dass sich Batt­ler­ap ähn­lich wie Come­dy zu einer Nische ent­wi­ckelt hat, in der gewis­se Sachen noch okay sind und gesagt wer­den dür­fen, weil es in einem bestimm­ten Rah­men statt­fin­det, dem sich ver­meint­lich alle bewusst sind. Weil es ein Rah­men ist, in dem gewis­se Gren­zen über­schrit­ten wer­den "dür­fen" und Leu­te noch eine "Nar­ren­frei­heit" haben, die es auf Tracks und im rea­len Leben so nur noch wenig gibt. Ich mer­ke auch, dass Anstö­ße und eine Inter­ven­ti­on von außen sehr schwie­rig sind, weil vie­le schnell das Gefühl bekom­men, dass ihnen damit noch ein Space genom­men wird, in dem sie völ­lig frei sein kön­nen. Des­we­gen wird sich ganz krass dage­gen gewehrt und ver­langt, dass man die Kunst­frei­heit von poli­ti­schen Richt­li­ni­en trennt. Was FLINTA* angeht, hof­fe und glau­be ich, dass immer mehr Rap­batt­les machen wol­len. Auf den Events neh­me ich auch in der Crowd viel mehr weib­lich gele­se­nes Publi­kum wahr als noch vor ein paar Jah­ren. Ich kann das natür­lich nur aus mei­ner Sicht her­aus sagen, aber ich glau­be schon, dass vie­le FLINTA* kei­nen Bock haben, sich da hin­zu­stel­len und sexis­tisch nie­der­ge­macht zu wer­den. Nicht nur von einem Batt­ler­ap­per, der im schlimms­ten Fall Rape-​Jokes bringt, son­dern auch vor einer haupt­säch­lich cis-​männlichen Crowd. Man belei­digt sich dann nicht mehr auf Augen­hö­he, son­dern bringt einen struk­tu­rel­len Nach­teil mit. Das kann ich sehr gut ver­ste­hen, auch wenn das sicher nicht bei allen so ist. Vie­le sind eben unsi­cher, auch weil dann sofort ein beson­de­rer Fokus auf ihnen liegt. Das ist alles eine Fra­ge der Zeit, aber es tut sich auf jeden Fall etwas. Zum Bei­spiel gibt es inzwi­schen FRESH – eine Battlerap-​Liga mit Fokus auf FLINTA*-MCs. Ein Safe-​Space, in dem man sich erst mal aus­pro­bie­ren kann.

MZEE​.com: Ist es den gän­gi­gen Ligen denn ein Anlie­gen, ein viel­fäl­ti­ge­res Spek­trum an MCs abzubilden? 

Ana Ryue: Ja, defi­ni­tiv. Ich kann natür­lich nur für DLTLLY spre­chen, weil ich bei der Battlerap-​Bundesliga und Top­Tier Take­over weni­ger Ein­bli­cke habe. Aber auch mit denen bin ich immer wie­der con­nec­tet und alle haben Bock dar­auf. Ich glau­be nur, dass sie oft rat­los sind, wie ein Weg dort­hin aus­se­hen könn­te. Das ist aller­dings Spe­ku­la­ti­on. Die Lust ist da, aber es wird nichts in Gang gesetzt, um das zu beschleu­ni­gen, außer immer wie­der FLINTA* anzu­fra­gen. Es gibt kei­ne Aktio­nen im Sin­ne von inter­nen Struk­tur­än­de­run­gen. Aber das ist auch eine gro­ße Erwartungshaltung.

MZEE​.com: Es ist natür­lich schwie­ri­ger, wenn nur Män­ner inner­halb der Struk­tu­ren über­le­gen müs­sen und es dort kei­ne Men­schen gibt, die aus ihrer Per­spek­ti­ve her­aus Ideen mit­brin­gen kön­nen, wie man auch ein ande­res Publi­kum anspre­chen könnte. 

Ana Ryue: Genau das ist es. Jamie und Han­no von DLTLLY sind sehr bedacht dar­auf und am Anfang war ich oft über­for­dert, wenn sie dies­be­züg­lich nach mei­ner Mei­nung gefragt haben. Irgend­wann habe ich aber gecheckt, dass es ihnen wirk­lich wich­tig ist und sie eine ande­re Per­spek­ti­ve hören wol­len. Allei­ne, dass sie von Anfang an mit mei­nen kri­ti­schen Interview-​Fragen cool waren, zeigt für mich schon, dass sie ehr­li­ches Inter­es­se dar­an haben. Und dass jemand wie Mag­da bei Top­Tier Take­over so eine gro­ße Rol­le spielt, obwohl sie erst mal nur als Fan da hin­ge­kom­men ist, fei­er' ich voll.

MZEE​.com: Ich muss sagen, dass ich der Battlerap-​Szene nie beson­ders nahe­stand, aber inzwi­schen auch eini­ge Batt­les gese­hen und Gefal­len dar­an gefun­den habe. Aller­dings sind mei­ner Mei­nung nach all­ge­mein sehr vie­le Pun­ch­li­nes und Wit­ze ein­fach aus­er­zählt. "Ich ficke dei­ne Mut­ter" ist halt irgend­wann langweilig. 

Ana Ryue: Das kann ich gut nach­voll­zie­hen. (schmun­zelt) Es ist oft Ansatz mei­ner Kri­tik, nicht über den poli­ti­schen Weg zu gehen, son­dern anzu­mer­ken, dass ich es bei sexis­ti­schen und ras­sis­ti­schen Lines scha­de fin­de, dass ein Geg­ner­be­zug fehlt und es sich leicht gemacht wird. Ich fän­de es viel krea­ti­ver, wenn indi­vi­du­el­ler gebat­telt wer­den wür­de. Ich muss aber dazu­sa­gen, dass es auch da einen Wan­del gab. Es gab das Batt­le "Laas Unltd. vs. Drob Dyna­mic", das eines der weni­gen ist, bei dem mit Laas ein Rap­per, der nicht der Battlerap-​Szene ent­sprun­gen ist, betei­ligt war. Laas hat damals Drob Dyna­mic in drei ana­ly­ti­schen Run­den auf höchs­tem tech­ni­schen Rapni­veau kom­plett aus­ein­an­der genom­men. Und gefühlt war das der Start­schuss für den Trend, dass es ana­ly­ti­scher und auch emo­tio­na­ler gebat­telt wird. Die Rap­per recher­chie­ren mehr und ver­su­chen, den Geg­ner damit lächer­lich zu machen. Dadurch ist es mitt­ler­wei­le aber auch schwie­ri­ger, in den Kos­mos rein­zu­kom­men. Die Batt­les, die wirk­lich span­nend sind und von ober­fläch­li­chen Lines weg­ge­hen, beinhal­ten so vie­le Refe­ren­zen, dass es als außen­ste­hen­de Per­son schwie­rig ist, mit­zu­kom­men. Wenn man die Hälf­te der Lines nicht checkt, ist es nicht mehr unter­hal­tend. Das ist, glau­be ich, aktu­ell das größ­te Pro­blem der Sze­ne. Es ist eine Kunst, Refe­ren­zen so zu ver­pa­cken, dass sie jede:r versteht.

MZEE​.com: Du bist bekannt dafür, kri­tisch zu sein und dis­kri­mi­nie­ren­de Tex­te anzu­pran­gern. Wie­so, glaubst du, ste­hen dem so vie­le Leu­te aus der Battlerap-​Szene nega­tiv gegenüber? 

Ana Ryue: Man muss da zwi­schen zwei Lagern unter­schei­den. Es gibt in den Hate-​Kommentaren die Men­schen, die ein ähn­li­ches poli­ti­sches Ver­ständ­nis haben, aber Rap auf­grund der ver­meint­li­chen Kunst­frei­heit da aus­klam­mern wol­len. Und es gibt die­je­ni­gen, die mit der all­ge­mei­nen gesell­schaft­li­chen Ent­wick­lung ein Pro­blem haben und teil­wei­se Ansich­ten von neu­en Rech­ten an den Tag legen. Ich habe immer wie­der das Gefühl, dass viel auf mich pro­ji­ziert wird, ehr­lich gesagt. Was zum einen sicher­lich mit mei­nem Geschlecht zu tun hat, zum ande­ren damit, dass ich nicht rap­pe, und zuletzt mit der Sor­ge, dass nichts mehr gesagt wer­den darf und Batt­ler­ap eine poli­tisch kor­rek­te Student:innen-Szene wird. Vie­le befürch­ten, dass die Här­te der Pun­ch­li­nes ver­lo­ren geht, wenn man ein biss­chen mehr Bewusst­sein for­dert. Das glau­be ich aber nicht. Ich weiß, dass auch ohne Homo­pho­bie, Sexis­mus, Anti­se­mi­tis­mus und Ras­sis­mus sehr krass gepuncht wer­den kann. Mitt­ler­wei­le ist das poli­ti­sche Bewusst­sein aber so divers und inten­siv gewor­den, dass die meis­ten pri­vi­le­gier­ten Per­so­nen mer­ken, dass sie immer wie­der etwas falsch machen. Und vie­le che­cken nicht, dass die Leu­te, die auf sowas hin­wei­sen, selbst ganz viel inter­na­li­siert haben. Das Pro­blem ist, dass das oft nicht mit­kom­mu­ni­ziert und so ein Bild von Über­le­gen­heit ver­mit­telt wird. Das kann einen her­ab­las­sen­den Vibe haben. Ich kann nach­voll­zie­hen, dass man kei­nen Bock hat, immer auf alles zu ach­ten. Auf der ande­ren Sei­te ver­su­che ich mir aber immer wie­der in Erin­ne­rung zu rufen, dass es für Betrof­fe­ne noch anstren­gen­der ist. Und da kann man sich schon wün­schen, dass nicht-​betroffene Per­so­nen die­se Anstren­gung der Vor­sicht in Kauf neh­men. Aber das betrifft ja die gan­ze Gesell­schaft. Ver­än­de­rung braucht Zeit. Auch ich habe super­viel gefei­ert, was ich heu­te nicht mehr wit­zig und cool fin­de. Vor allem als Frau über sowas zu lachen und nicht so emp­find­lich zu sein, hat dabei eine Rol­le gespielt.

MZEE​.com: Wie schwie­rig ist bei sol­chen The­men die Grat­wan­de­rung zwi­schen dem fun­dier­ten Unter­mau­ern von Kri­tik und dem Abho­len von Leu­ten für dich? 

Ana Ryue: Das ist ein ganz gro­ßes Dilem­ma. Dar­über mache ich mir sehr vie­le Gedan­ken, weil ich immer wie­der mer­ke, dass die bei­den Bubbles, in denen ich mich bewe­ge, so unter­schied­lich sind. Zum einen bin ich in einer sehr anti-​rassistischen und queer-​feministischen Bubble und zum ande­ren in der Battlerap-​Szene unter­wegs. Und ich mer­ke, wie ich bei­den gerecht wer­den will. Ich fin­de mich immer wie­der in Situa­tio­nen, in denen ich in Inter­views das Gefühl bekom­me, dass ich mich selbst und die Idea­le ver­ra­te, für die ich mich ein­set­ze, wenn ich etwas nicht anspre­che. Frü­her oder spä­ter haben aber weder die MCs noch die Konsument:innen Bock auf die Inter­views, wenn ich jede pro­ble­ma­ti­sche Zei­le anspre­che. Ich ver­ste­he auch, dass man nicht jedes Mal nach der Leich­tig­keit eines Batt­les Bock auf eine schwe­re, poli­ti­sche Dis­kus­si­on hat. Ich wer­de aber mitt­ler­wei­le auch so abge­stem­pelt, dass ich die­se Dis­kus­sio­nen immer füh­re, obwohl ich das inzwi­schen nur noch sehr sel­ten mache, weil gewis­se Punk­te ein­fach schon klar­ge­macht wur­den. Ich ach­te ein­fach ger­ne auf mei­ne Spra­che. Wenn ich bestimm­te Begrif­fe in einem Inter­view drop­pe, wer­den Leu­te die Augen ver­dre­hen, bevor ich den Satz been­det habe. Und damit mei­ne ich nicht, dass ich nicht ver­stan­den wer­de, wenn ich so rede. Es gibt so ver­schie­de­ne Lebens­rea­li­tä­ten und Per­spek­ti­ven, sodass ich eine aka­de­mi­sche Spra­che nicht von allen erwar­ten kann. Des­we­gen will ich auch dar­an arbei­ten, dass ich ver­ständ­lich blei­be, ohne das Gefühl zu haben, mir nicht treu zu blei­ben. Ich will ja einen guten Zugang schaffen.

MZEE​.com: Men­schen impli­zie­ren häu­fig eine gewis­se Erwar­tungs­hal­tung vom Gegen­über, wenn diese:r bestimm­te Begriff­lich­kei­ten ver­wen­det oder gen­dert. Dabei hat man viel­leicht ein­fach nur für sich selbst ent­schie­den, die eige­ne Spra­che der poli­ti­schen Aus­rich­tung anzupassen. 

Ana Ryue: Ja, vor allem füh­len sich vie­le Leu­te wirk­lich schnell davon ange­grif­fen. Das war mir lan­ge nicht klar. Zum Bei­spiel, wenn ich in einem Twitch-​Stream gen­de­re. Oder durch Trig­ger­war­nun­gen vor Batt­les. Das sind ein paar Sekun­den, die davor ein­ge­blen­det wer­den. Ein wich­ti­ger Schritt, der kei­nen Auf­wand und kei­ne Anstren­gung für irgend­wen bedeu­tet. Aber in den Kom­men­ta­ren geht es ab.

MZEE​.com: Hast du das Gefühl, dass dir die Neu­tra­li­tät abge­spro­chen wird, wenn poli­ti­sche Ansich­ten in dei­ner Kri­tik mitschwingen?

Ana Ryue: Defi­ni­tiv. Einer der größ­ten Vor­wür­fe mir gegen­über ist, dass ich "mei­ne Agen­da durch­brin­gen möch­te". Wenn mir Leu­te zustim­men, ist das "auch nur Beweis dafür, dass sie Teil mei­ner Anhän­ger­schaft sind". Was ich dabei krass fin­de, ist, wie das Wort "Mei­nung" ver­wen­det wird. Das, was ich mache, ist angeb­lich nur mei­ne per­sön­li­che Mei­nung. Das stimmt natür­lich auch ein Stück weit. Aber für mich ist es schwie­rig, das so abzu­tun, wenn es dar­um geht, Dis­kri­mi­nie­rung zu bekämp­fen. Das ist die Mei­nung ganz vie­ler betrof­fe­ner Per­so­nen und nicht nur mei­ne per­sön­li­che. Und ich fin­de es pro­ble­ma­tisch, wenn ich unter dem Deck­man­tel der Mei­nungs­frei­heit belei­digt wer­de. Ich kann aber zu Tei­len nach­emp­fin­den, wie­so mir Befan­gen­heit unter­stellt wird. Weil den Leu­ten durch mei­ne poli­ti­sche Mei­nung, die ich sehr stark nach außen tra­ge, vor­her klar sein kann, wel­che MCs ich ten­den­zi­ell fei­er' und wel­che eher nicht. Ich gebe mir aber gro­ße Mühe, bei allen gleich kri­tisch an die Fra­gen her­an­zu­ge­hen und gleich freund­lich zu sein. Natür­lich gelingt mir das nicht jedes Mal gleich gut. Es hat aber jede:r die Mög­lich­keit, mir zu sagen, dass er:sie etwas anders sieht. Und es ist ja auch gut für die Rapper:innen, wenn man gewis­se Zei­len in einen Kon­text set­zen kann.

MZEE​.com: Gibt es im deut­schen Batt­ler­ap dei­ner Mei­nung nach eine frucht­ba­re Feh­ler­kul­tur? Also die Mög­lich­keit, sich auch außer­halb der Batt­les selbst zu reflek­tie­ren und zu entwickeln?

Ana Ryue: Ich habe das Gefühl, dass die Com­mu­ni­ty in sehr unter­schied­li­che Lager geteilt ist. Es gibt einen sehr wert­schät­zen­den Teil, der für Fehler-​Eingeständnisse offen ist, einen Teil, der ein­fach unpo­li­tisch ist und Bock auf coo­le Batt­les hat, und dann den pro­ble­ma­ti­schen Teil, der das ver­mut­lich eher als Schwä­che abtun wür­de. Es gibt aber auf jeden Fall eine Feh­ler­kul­tur. Team Rei­ben zum Bei­spiel sind wahn­sin­nig selbst­kri­tisch und reflek­tiert. Falk hat letz­tens einen Post ver­fasst, in dem er sich dazu äußert, dass er vie­le Sachen so nicht mehr sagen wür­de. Es gibt also auf jeden Fall Leu­te, die gene­rell für die­se poli­ti­sche Ent­wick­lung offen sind und öffent­lich Feh­ler ein­ge­ste­hen. Das ist natür­lich schwie­rig, weil es einen ver­letz­lich macht. Ich kann mir auch vor­stel­len, dass vie­le MCs einen Pro­zess durch­ge­macht haben, den sie nicht öffent­lich machen. Und das erwar­tet auch nie­mand, aber es ermu­tigt ande­re natürlich.

MZEE​.com: Hat­test du schon mal den Gedan­ken, dass dir das alles zu viel wird?

Ana Ryue: Ja. Das war immer nur in hef­tig emo­tio­na­len Momen­ten, als es die gro­ßen Shit­s­torms gab. Da habe ich mich teil­wei­se schon gefragt, wofür ich den Scheiß eigent­lich mache. Aber ich habe nie wirk­lich ernst­haft dar­über nach­ge­dacht. Es wird nur ein­fach anstren­gend, wenn man sich so für ein The­ma ein­setzt, bei dem es viel Gegen­wind gibt, weil es vie­le noch nicht grei­fen können.

MZEE​.com: Wel­che per­sön­li­chen Leh­ren hast du aus den Kon­flik­ten gezo­gen, die du im Batt­ler­ap mit­er­lebt hast? 

Ana Ryue: (über­legt) Eine ganz gro­ße Leh­re für mich war, anzu­neh­men, dass mei­ne per­sön­li­che Aus­ein­an­der­set­zung und mein Zugang zu gewis­sen The­men nichts sind, das ich von ande­ren erwar­ten soll­te. Dass ich mir bewusst machen muss, dass es wich­tig ist, mit wem man eine Dis­kus­si­on führt, wie man kri­ti­siert und man dabei immer beach­ten muss, was für eine Lebens­rea­li­tät das Gegen­über hat. Außer­dem habe ich gelernt, Kri­tik zwar anzu­neh­men, Belei­di­gun­gen aber trotz­dem nicht per­sön­lich zu neh­men. Das war schwie­rig für mich, weil ich sowie­so schon oft an mir selbst zweif­le. Man kann sich so oft, wie man möch­te, ein­re­den, dass das nur irgend­wel­che YouTube-​Kommentare sind. Aber wenn das nicht nur eine, son­dern ganz vie­le Per­so­nen sind, kann ich das nicht aus­blen­den. Manch­mal ver­letzt es mich mehr und manch­mal weni­ger. Wenn ich mir das aller­dings anschaue, weiß ich jetzt, dass das meis­tens nichts mit mir per­sön­lich zu tun hat.

MZEE​.com: Nach­dem wir jetzt aus­gie­big über die schwie­ri­gen Sei­ten einer auch sehr schö­nen Kul­tur gespro­chen haben: Was weißt du an der Battlerap-​Szene am meis­ten zu schätzen? 

Ana Ryue: Sehr gut! Ich bin natür­lich rie­si­ger Battlerap-​Fan. (lacht) Ich wür­de da nicht sit­zen, wenn ich Batt­ler­ap nicht so krass fei­ern wür­de. Vor allem nach all dem, was in den letz­ten Jah­ren gewe­sen ist. Ich lie­be die­se Kul­tur seit 15 Jah­ren. Des­we­gen will ich sie auch für mehr Men­schen zugäng­lich machen. In den letz­ten Jah­ren hat sich die Sze­ne so krass ent­wi­ckelt und ich sit­ze immer noch jede Woche vor You­Tube und schau mir an, wie sich zwei Per­so­nen krass belei­di­gen. Ich kann nicht ganz erklä­ren, was mich dar­an so fas­zi­niert. Ich glau­be, es ist die­ser Competition-​Gedanke in Kom­bi­na­ti­on mit Spra­che in all sei­nen Facet­ten. Ich kann plum­pe Pun­ch­li­nes fei­ern, es muss auch nicht alles ohne pro­ble­ma­ti­sche Begrif­fe aus­kom­men, aber ich fei­er' auch die­se ana­ly­ti­schen Batt­les voll. Ich glau­be, dass vie­le gesell­schaft­li­chen Kon­flik­te span­nend auf einer Battlerap-​Bühne aus­ge­tra­gen wer­den kön­nen. Natür­lich nicht fak­ten­ba­siert und kom­plex. Ich glau­be trotz­dem, dass der Ursprung von Batt­ler­ap, Kon­flik­te mit Wor­ten statt mit Gewalt zu lösen, ein wun­der­schö­ner und wert­vol­ler Aspekt ist. (Bei die­ser Ant­wort hat Ana regel­recht gestrahlt.)

(Yas­mi­na Rossmeisl)
(Fotos von Smerrob)