Beatboxing – gerne auch die fünfte Säule von HipHop genannt – bezeichnet die Fähigkeit, Schlagzeugsounds, Scratches, melodische Instrumente oder ganz andere Geräusche nur mit dem Mund, dem Hals oder der Nase nachzuahmen und so zu musizieren. Der deutsche Beatbox-Pionier Bee Low bezeichnet die Fähigkeit in einem Interview als multilinguale Kunstform: "When a beatboxer makes sounds it doesn't matter if they're from Johannisburg or Norway. They communicate with sounds and beats – that's the flavor that keeps them together as a language." Beatboxer Ibarra bemerkt widerum die besondere Möglichkeit daran, die verschiedensten Sounds in unendlicher Form zu kreieren: "For example when you play piano you only got the piano sound, but with beatboxing you can make all these kind of different things, that other musicians are not able to make." Beatboxing bietet sich deshalb auch gut dafür an, sich gegenseitig zu messen und zu übertreffen. Seit 2005 findet in Deutschland die Beatbox-Weltmeisterschaft, die Beatbox Battle World Championship, statt. Bei dem Wettkampf treten die Teilnehmer:innen in verschiedenen Disziplinen an und werden anschließend bewertet. Dabei stehen den Beatboxer:innen heute verschiedene musikalische Möglichkeiten offen, etwa durch die Verwendung einer Loop Station. Bevor sich Beatboxing jedoch zu einer eigenständigen Kunstform, die im Rahmen großer Events wie der Championship zelebriert wird, entwickeln konnte, dient es bei seiner Entstehung zunächst als Begleitinstrument.
Geschichte des Beatboxing
Das klassische Beatboxing oder auch Human Beatboxing, wie wir es heute kennen, entsteht in den 70er und 80er Jahren in New York mit dem Beginn der HipHop-Kultur. Den Namen "Beat Box" tragen ursprünglich die ersten Drum Machines. Die Kunstform dient zunächst als kostengünstige Alternative zu teuren Drum Machines oder Live-Instrumenten, um Rapper:innen musikalisch zu begleiten. Ein früher Vertreter der Kunstform ist die selbst ernannte Original Human Beatbox Doug E. Fresh. Zusammen mit Rapper Slick Rick landet er mit dem ausschließlich aus Rap und Beatbox bestehenden Song "La-Di-Da-Di" 1985 einen Hit und bringt Beatboxing mehr in die Öffentlichkeit. In den 90er Jahren ist vor allem der in Queens geborene Beatboxer Rahzel Wegbereiter für die ersten Beatbox Battles. Der Musiker zieht durch New York und beginnt, sich mit anderen Beatboxer:innen in ihren Bezirken zu messen. "I lived in Queens, then I started going to the Bronx, to Long Island, to Staten Island, I started going to Manhattan. What made me different, I didn't do beats that were popular, I did beats that were my own beats, that's how I won most of my battles." Mithilfe der Beatboxer Kid Lucky und D-Cross entstehen schließlich auch die ersten Beatbox Jams in New York City. Und so entstehen daraus die ersten professionell veranstalteten Beatbox Battles. Eines davon ist die Beatbox Battle World Championship, die zu ihrer Entstehungszeit erste internationale Veranstaltung dieser Art.
Die Anfänge der Beatbox Battle World Championship
Ins Leben gerufen wird die Beatbox Battle World Championship 2005 von Alexander Bülow alias Bee Low. Er gilt als einer der Wegbereiter der modernen Beatbox Battles. Aufgewachsen in West-Berlin nahe einer US-amerikanischen Militärbasis kam er in den 80er Jahren früh mit der HipHop-Kultur in Berührung. In jungen Jahren versuchte er sich zunächst als B-Boy, dann als Sprüher und schließlich als Beatboxer. Gemeinsam mit Freunden entstand die Sprüher-Crew Try 2 Bust. Über seine Graffiti-Karriere erhielt er Ende der 90er Jahre schließlich Angebote, immer größere DJ Battles zu hosten. Als bei einer Veranstaltung in Hamburg für kurze Zeit die Technik ausfiel, begann er zu beatboxen, um das buhende Publikum zu besänftigen. Daraus entstand seine Idee eines internationalen Beatbox-Wettbewerbs: 2002 wurde die Plattform Beatbox Battle Networks, später Beatbox Battle TV, gegründet. Im gleichen Jahr fand zunächst das erste German Beatbox Battle statt, bevor es zur internationalen BBBWC kam. Das Event profitierte maßgeblich von Bee Lows bisher erarbeiteter Bekanntheit und wurde zum Erfolg. Nach und nach ergaben sich auch in anderen Ländern nationale Events, bis 2005 schließlich die erste Beatbox Battle World Championship stattfindet. Im Rahmen des HipHop World Challenge Music Festivals treffen sich im Kohlrabizirkus in Leipzig Beatboxer:innen aus der ganzen Welt. Promotet wird das Ganze unter anderem vom deutschen Fußballverband, genauer gesagt von der DFB Kulturstiftung, die im Zuge der anstehenden Fußball-WM 2006 die gesamte kulturelle Vielfalt Deutschlands aufzeigen will. In der nachfolgenden Zeit reist Bee Low in andere Länder zu dortigen Wettbewerben und setzt sich für eine Standardisierung der Regeln von Beatbox-Wettbewerben ein.
Seit 2009 findet die Beatbox Battle World Championship in Berlin in einem Turnus von drei Jahren statt. Der Grund: Länder, die nicht jährlich einen nationalen Wettbewerb abhalten können, haben so trotzdem die Möglichkeit, einen Champion zu küren und zum internationalen Wettkampf nach Berlin zu schicken. Denn die Teilnehmer:innen der Championship qualifizieren sich über einen Sieg ihres nationalen Pendants. Ausnahmen bilden Wildcards, die sich online bewerben können, oder Beatboxer:innen, die eine persönliche Einladung des BBBWC-Komitees erhalten.
Ablauf der Beatbox Battle World Championship
Doch wie läuft so ein Wettbewerb eigentlich ab? 2005 bestand die BBBWC zunächst aus drei Kategorien: Männer Solo, Frauen Solo und Tag Team. Die Trennung der Geschlechter entsteht aus der Hoffnung, dadurch mehr Teilnehmerinnen gewinnen zu können. Beim Tag Team-Battle treten Zweier-Teams gegeneinander an und versuchen, sich innerhalb ihres Teams gegenseitig möglichst gut zu ergänzen. Ab 2009 kommen Crew-Battles hinzu, 2018 wird das Turnier durch die Kategorie Loop Station ergänzt. Den Kontrahent:innen steht neben einem Mikrofon hier zusätzlich eine Loop Station zur Performance zur Verfügung. Ein Instrument beziehungsweise technisches Gerät, mit dem sich mehrere Vokal- oder Instrumental-Spuren gleichzeitig aufnehmen, bearbeiten und parallel abspielen lassen. Mit dieser Technik ergeben sich noch mal völlig neue musikalische Möglichkeiten. Saro aus Frankreich und Inkie aus Russland zeigen im Loop Station Finale vom BBBWC 2018 eindrucksvoll, wie die Technik kreativ eingesetzt werden kann. Etwa, wenn Saro seine Stimme in der zweiten Runde extrem entfremdet und einen überraschenden Drop liefert oder wenn Inkie in seiner zweiten Runde einen basslastigen Beat mit seinen Vocals im Stil der Band Faithless performt.
Das Auftreten der Teilnehmer:innen wird in vier Kategorien bewertet: Originalität, Musikalität, Technik und die Darbietung auf der Bühne. Die Musikalität ist wahrscheinlich am schwierigsten zu definieren, da jede:r sie anders empfindet. Insgesamt kommt es bei der Bewertung dieser Kategorie auf die Melodiösität in Kombination mit Rhythmen und Harmonien an. Bei der Technik ist die Schwierigkeit der Sounds und Patterns entscheidend sowie die Präzision bei der Ausführung. Die größte Herausforderung für jede:n Beatboxer:in liegt wohl in der Originalität, indem ein möglichst eigener Stil dargeboten wird. Die Jury bei den Wettkämpfen besteht aus erfahrenen Beatboxer:innen, oft auch ehemaligen Teilnehmer:innen.
Generell sind Beatbox Battles durch unausgesprochene Regeln in der Szene eher respektvoll. Auch bei hitzigen Duellen gilt es, seine Emotionen über die Musik statt über Beleidigungen oder Ähnliches auszulassen. Ein Handschlag oder eine Umarmung nach einem Battle sind üblich. Während die andere Seite an der Reihe ist, darf sie nicht durch Geräusche oder Berührungen gestört werden. Und natürlich sind die Battles nur ein Teil der Beatboxing-Kultur – neben dem Wettkampf geht es vor allem um Spaß und Kontakt mit Gleichgesinnten.
Die Teilnehmer:innen und Gewinner:innen
Der Wettbewerb ist in den Jahren seines Bestehens stetig gewachsen. 2018 treten bei der Championship über 200 Beatboxer:innen aus über 50 Ländern in den verschiedenen Kategorien an, rund 3 000 Zuschauer:innen sind live dabei. Insgesamt bringt die Wettbewerbsreihe 17 Gewinner:innen und Siegerteams – und damit Beatbox-Weltmeister:innen – hervor. Das Video mit den meisten Klicks des Turniers und des gesamten Kanals ist das Duell zwischen dem Bulgaren Skiller und dem Franzosen Alem von der dritten Ausgabe aus dem Jahr 2012. Über 37 Millionen Mal wurde das Finale der Kategorie Männer Solo bisher angeschaut. Die beiden Kontrahenten überzeugen das Publikum mit einer energiegeladenen Performance, Kreativität und ausgefeilten Technik.
Während sich Alem 2012 gegen seinen Kontrahenten Skiller geschlagen geben musste, konnte er sich 2015 den Titel gegen NaPoM aus den USA sichern. Ein weiterer gern gesehener Teilnehmer ist Reeps One aus England. 2009 und 2012 kämpfte er sich jeweils bis ins Halbfinale vor und musste sich nur den späteren Final-Siegern der Ausgaben geschlagen geben. Bei den Frauen Solo-Battles sticht besonders Kaila Mullady hervor. Die Beatboxerin aus den USA konnte sich sowohl 2015 als auch 2018 den Titel in ihrer Kategorie sichern. Der Sieg über zwei Titel in der gleichen Kategorie ist zuvor noch keinem:keiner Teilnehmer:in gelungen. Joel Turner aus Neuseeland, Bellatrix aus England und Alem konnten sich jedoch neben ihren jeweiligen Titeln in den Solo-Battles ebenfalls einen Sieg mit ihren Teams in den Crew- beziehungsweise Tag Team-Battles holen.
Die Relevanz des Wettbewerbs für die Beatbox-Szene
Als erster internationaler Beatbox-Wettbewerb hat die BBBWC eine besondere Rolle in der Szene inne. Bei jeder bisherigen Ausgabe versammelte sich die Beatbox-Elite in Deutschland. Die Kunstform hat sich in den Jahren weiterentwickelt – das Turnier war daran maßgeblich beteiligt. Von einfachen Drum-Beats über basslastige Performances bis hin zu aufwendigen melodiösen Battles dank neuer Möglichkeiten wie den Loop Stations zeigen die Championship-Videos auf dem YouTube-Kanal von Beatbox Battle TV die bisherigen Entwicklungen auf. Neulingen sowie erfahrenen Szene-Größen bietet das Netzwerk auch abseits der BBBWC eine (digitale) Bühne. Zudem steht dem Wettbewerb mit Erfinder Bee Low, der damit moderne Beatbox Battles gründete und sich für einheitliche Regeln bei diesen einsetzte, eine der einflussreichsten Personen der Szene vor. Das laut dem Turnus dieses Jahr stattfindene Turnier gab es bisher noch nicht. Wann und wie die nächste Championship also stattfinden wird, ist noch nicht bekannt. So kann nur gespannt darauf gewartet werden, um zu sehen, welche neuesten Entwicklungen und Szenevertreter:innen bei der nächsten Championship präsentiert werden.
(Tim Herr)
(Titelbild von Daniel Fersch)