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Interview

Vassili Golod & Jan Kawelke

"Ich glau­be, dass man es schwer haben wird, wenn man die Rap-​Kultur von poli­ti­scher Sei­te aus igno­riert und sich nicht damit aus­ein­an­der­setzt." – Vas­si­li Golod & Jan Kawel­ke in unse­rer Interview-​Serie mit Deutschrap-​Journalisten über die gesell­schafts­po­li­ti­sche Rele­vanz, die Rap haben sollte.

Deutschrap-​Journalismus. Schon über das Wort lässt sich strei­ten. Die einen mei­nen, "rich­ti­ger" Jour­na­lis­mus im deut­schen Rap exis­tie­re doch gar nicht. Außer­dem kön­ne ja jeder selbst bes­se­re Arti­kel schrei­ben als "die­se Prak­ti­kan­ten". Die ande­ren fin­den, jeder, der im deut­schen Rap jour­na­lis­ti­sche Tätig­kei­ten aus­führt, sei auch ein Jour­na­list. Die nächs­ten füh­ren auf: Ja, im deut­schen Rap sind Redak­teu­re unter­wegs – aber kei­nes­falls Jour­na­lis­ten. Zusam­men­fas­sen lässt sich: Fast jeder hat zumin­dest eine Mei­nung dazu. Aber wie steht es um die Mei­nung der Jour­na­lis­ten selbst? Denn die hat kaum jemand mal gefragt. Dazu soll unse­re Serie die­nen – eine klei­ne Inter­view­rei­he mit aktu­ell rele­van­ten und akti­ven Jour­na­lis­ten der deut­schen Rap­sze­ne. Dabei möch­ten wir dar­über reden, war­um die Deutschrap-​Medien von so vie­len Sei­ten – auch von der der Künst­ler – immer wie­der unter Beschuss ste­hen und wie die Jour­na­lis­ten die­se Sei­ten­hie­be per­sön­lich emp­fin­den. Wir bespre­chen, wie ein­zel­ne Jour­na­lis­ten ihren Platz in der Rap­sze­ne wahr­neh­men und ob deut­scher Rap­jour­na­lis­mus in Gossip-​Zeiten noch kri­tisch ist. Wir möch­ten erfah­ren, ob sie die Sze­ne noch unter dem Kultur-​Begriff ver­ste­hen oder das Gan­ze für sie aus­schließ­lich ein Beruf (gewor­den) ist. Es kom­men Fra­gen auf, ob es ver­ein­bar ist, in die­sem Auf­ga­ben­be­reich Geld zu ver­die­nen und wie der aktu­el­le Deutschrap-​Journalismus und sei­ne Ent­wick­lung gese­hen wird. Und: Wie steht es über­haupt um die Ent­wick­lung der Rap­sze­ne an sich? Das und vie­les mehr wer­den wir in über zehn Inter­views bespre­chen, in wel­chen es ver­ständ­li­cher­wei­se immer nur um einen Teil­be­reich die­ser gro­ßen The­men­welt gehen kann. Für das neu­es­te Inter­view unse­rer Rei­he baten wir Vas­si­li Golod und Jan Kawel­ke zum Gespräch. Zwei Jour­na­lis­ten, die man auch guten Gewis­sens so bezeich­nen kann – lern­ten sie sich vor eini­gen Jah­ren doch bei ihrem öffentlich-​rechtlichen Volon­ta­ri­at ken­nen und sind mit ihrer Aus­bil­dung inner­halb des HipHop-​Journalismus somit eine ech­te Aus­nah­me. So ver­bin­dend der gemein­sa­me Wer­de­gang auch ist, so unter­schied­lich sind die per­sön­li­chen Inter­es­sen der bei­den. Vas­si­li wur­de schon früh poli­tisch geprägt und heg­te lan­ge den Traum, ein­mal Aus­lands­kor­re­spon­dent für die ARD zu wer­den. Jan hin­ge­gen fand als ech­ter Rap-​Fan bald nach dem Abitur den Weg zum damals wich­tigs­ten deut­schen HipHop-​Medium, der JUICE. Als sich die Wege dann kreuz­ten, wur­de bald klar, dass ihre bei­den Inter­es­sen – Rap und Poli­tik – sich wun­der­bar jour­na­lis­tisch mit­ein­an­der ver­bin­den las­sen. Und sie somit einen Mehr­wert für den deut­schen Rap­jour­na­lis­mus schaf­fen kön­nen. Denn auch wenn Rap und Poli­tik irgend­wie "schon immer zusam­men­ge­hör­ten" und sehr vie­le Gescheh­nis­se inner­halb der deut­schen Rap­sze­ne eine Ver­bin­dung zu Poli­tik haben, wur­de nur sel­ten und als abso­lu­te Aus­nah­me mal die Brü­cke zwi­schen den bei­den The­men in der Szene-​eigenen Medi­en­land­schaft geschla­gen. Der aus all die­sen Gedan­ken her­aus gegrün­de­te Pod­cast "Machia­vel­li" bie­tet nun seit eini­ger Zeit Akteu­ren aus dem Rap-​Kosmos Raum für gesell­schaft­li­che The­men und bringt die­se unter ande­rem mit Politiker:innen zusam­men. Neben Jan und Vas­si­li spielt dabei auch Sal­wa Benz beim Podcast-​Ableger "Machi­val­li Push" eine tra­gen­de Rol­le. Sal­wa wur­de von uns bereits 2018 zu ihrem Wir­ken in der deut­schen Rap­sze­ne befragt, was hier nach­ge­le­sen wer­den kann. In unse­rem Gespräch mit den bei­den Machiavelli-​Gründern spra­chen wir über ihr Podcast-​Projekt, des­sen Idee, Grün­dung und Zie­le. Außer­dem wur­den ihre ers­ten Schrit­te in Rap und Poli­tik the­ma­ti­siert, das Pro­blem des kri­ti­schen Rap­jour­na­lis­mus in Deutsch­land sowie der Ein­fluss von Social Media auf Jour­na­lis­mus und das gro­ße The­ma der Can­cel Culture.

MZEE​.com: Anders als vie­le, mit denen wir in die­ser Rei­he ins Gespräch kom­men, hat jeder von euch eine jour­na­lis­ti­sche Aus­bil­dung. Wie habt ihr bei­de zum Jour­na­lis­mus gefunden?

Vas­si­li Golod: Schon wäh­rend mei­ner Schul­zeit habe ich ähn­lich viel gere­det wie jetzt und stän­dig Fra­gen gestellt. Ein Leh­rer mein­te damals: "Vas­si­li, du bist neu­gie­rig – nervst aber auch. Du bist per­fekt für die Radio-​AG!" Da habe ich dann gelernt, wie man ande­ren das Mikro unter die Nase hält und schnei­det. Etwas spä­ter war ich beim Lokal­ra­dio, radio aktiv, für ein Schul­prak­ti­kum, habe dar­auf­hin frei gear­bei­tet und das FSJ Kul­tur dort gemacht. Ich wuss­te schon da, dass ich unbe­dingt Jour­na­list wer­den und irgend­wann im Aus­land arbei­ten möch­te. Mein gro­ßer Traum war es, als Kor­re­spon­dent für die ARD tätig zu sein. Zwi­schen­durch habe ich für die Rhei­ni­sche Post gear­bei­tet, ein Prak­ti­kum in Lon­don absol­viert und kam dann über ein Bewer­bungs­ver­fah­ren zum WDR-​Volontariat. Dort habe ich Jan ken­nen­ge­lernt und der Pod­cast nahm sei­nen Anfang.

Jan Kawel­ke: Ich habe mich immer sehr für Spra­che inter­es­siert und sel­ber geschrie­ben. Als es Rich­tung Abitur ging, habe ich mich gefragt, wie man damit Geld ver­die­nen kann. Da mir Jour­na­lis­mus finan­zi­ell attrak­ti­ver erschien, als Autor zu wer­den, habe ich ein Stu­di­um begon­nen. Dazu kommt mei­ne gro­ße Lei­den­schaft für Rap – eine zeit­ge­nös­si­sche Spra­che am Puls der Zeit. Er hat mich so gecatcht und berührt, dass ich mehr über die­se Kul­tur wis­sen, aber auch Teil von ihr sein woll­te. Da gibt es dann die bekann­ten zwei Wege: Ent­we­der man rappt selbst oder man berich­tet dar­über. Im Stu­di­um bin ich dann zur JUICE gekom­men und habe gemerkt, dass ich das ger­ne machen möch­te. Ich habe einen gro­ßen Arti­kel über Rap und Depres­sio­nen geschrie­ben und dach­te, dass man eine Ver­knüp­fung zwi­schen Rap, Poli­tik und der Gesell­schaft her­stel­len kann … Was das WDR-​Volontariat angeht, war es eher Zufall, dass ich mich dar­auf bewor­ben hat­te. Der Aus­bil­dungs­lei­ter war damals an der Uni und hat von die­sem her­aus­for­dern­den Bewer­bungs­ver­fah­ren gespro­chen, in dem man sich über vier Run­den durch­kämp­fen muss. Ich wuss­te nicht, ob ich die Aus­bil­dung will – aber ich woll­te die Her­aus­for­de­rung. (grinst) Im Volon­ta­ri­at hab' ich dann Vas­si­li ken­nen­ge­lernt und wir wur­den zwei Jah­re lang durch die Redak­tio­nen gejagt – jeden Monat durch eine neue. Mal beschäf­tigt man sich mit Sport, mal mit Poli­tik. Man ist in Brüs­sel, Ber­lin oder Ham­burg und will sich über­all bewei­sen, etwas ver­öf­fent­li­chen und über­zeu­gen. Wir haben das auch mal als zwei­te Puber­tät beschrie­ben, weil man nicht weiß, wo man hin­will, was das alles ist und was das Gan­ze emo­tio­nal mit einem macht.

Vas­si­li Golod: Von dem Ver­gleich habe ich mich distan­ziert. (grinst)

Jan Kawel­ke: Genau! (lacht) Für Vas­si­li war es eher das gro­ße Abenteuer-​Wunderland, von dem er schon als 12-​Jähriger geträumt hat. End­lich konn­te er sei­ne gan­zen Journalist:innen-Idole tref­fen und von ihnen ler­nen. Ich war davor noch nie beim Radio oder Fern­se­hen, ich hab' immer nur geschrie­ben. Des­halb war es eine auf­re­gen­de Zeit. Und ich glau­be nach wie vor, dass es eine der bes­ten Aus­bil­dun­gen für Journalist:innen in Deutsch­land ist. Wir konn­ten viel ler­nen, haben uns ken­nen­ge­lernt und die Idee für Machia­vel­li entstand.

MZEE​.com: Habt ihr durch das WDR-​Volontariat die glei­che Ausbildung?

Vas­si­li Golod: Gleich und den­noch unter­schied­lich. Wir haben bei­de das Aus­wahl­ver­fah­ren absol­viert und waren dann zwei von ins­ge­samt zehn Leu­ten, die zusam­men Semi­nar­blö­cke hat­ten, in denen theo­re­ti­sche und prak­ti­sche Sachen aus­pro­biert wur­den. Danach gab es Pra­xis­sta­tio­nen. Jan war zum Bei­spiel bei der Lokal­zeit in Dort­mund und ich bei der in Köln. Oder Jan bei der ZEIT in Ham­burg beim Feuil­le­ton und ich bei POLITICO Euro­pe in Brüssel.

Jan Kawel­ke: (lacht) Du hast dir direkt die geils­ten Sta­tio­nen rausgepickt …

MZEE​.com: Ihr ver­bin­det mit eurem Pod­cast Machia­vel­li die The­men Rap und Poli­tik. Jan, was waren dei­ne ers­ten Schrit­te im Rap-​Bereich und Vas­si­li, wel­che dei­ne in der Politik?

Vas­si­li Golod: Bei uns zu Hau­se lie­fen stän­dig Nach­rich­ten, mei­ne Eltern haben viel über Poli­tik gespro­chen. Wir haben zwangs­läu­fig viel über die Ent­wick­lun­gen in Russ­land und der Ukrai­ne gere­det. Ich kann mich noch gut an die Ele­fan­ten­run­de mit Ger­hard Schrö­der und Ange­la Mer­kel erin­nern. Das sind die ers­ten poli­ti­schen Erin­ne­run­gen, die ich habe.

Jan Kawel­ke: Ich habe einen vier Jah­re älte­ren Bru­der. Jeder Rap-​Fan, der ähn­lich auf­wuchs, wird es ken­nen: Irgend­wann tau­chen die CDs im Kin­der­zim­mer auf. Bei mir waren es DMX und Emi­nem. Ich hat­te damals noch eine gro­ße Lie­be für Lin­kin Park und Limp Biz­kit, aber durch die bei­den ist Rap dann in mein Leben gekom­men. Ich hab' mich ein­ge­schlos­sen oder war mit dem Disc­man unter­wegs und habe mei­ne Fas­zi­na­ti­on für die­se Kul­tur entwickelt.

Vas­si­li Golod: Dann hast du "Numb/​Encore" bestimmt gefeiert.

Jan Kawel­ke: Es hat mich auf jeden Fall sehr gefreut – auch wenn ich das alles inhalt­lich mit mei­nen neun Jah­ren nicht ver­ste­hen konn­te. Ich bin mit die­ser Kul­tur und den MTV-​Shows auf­ge­wach­sen, fand Bas­ket­ball inter­es­sant, hab' die gan­ze Zeit ein Allen Iverson-​Trikot und Baggy-​Jeans getra­gen. Ich bin auf dem HipHop-​Film hän­gen­ge­blie­ben, auch wenn ich nicht weiß, war­um er mich so fas­zi­niert hat. Dann hab' ich ange­fan­gen, deut­schen Rap zu hören und hat­te das "MT3"-Album der Mas­si­ven Töne, das ich zwar sprach­lich ver­stan­den habe, aber inhalt­lich nicht. Es gab dann die­sen Moment, in dem mei­ne Mama im Kin­der­zim­mer stand und "Crui­sen" gehört hat, in dem sexu­el­le Anspie­lun­gen gemacht wer­den. Sie hat mich dann damit kon­fron­tiert und gefragt, ob ich ver­ste­he, was da gerappt wird. Habe ich nicht.

MZEE​.com: Umge­kehrt gefragt: Vas­si­li, was waren dei­ne ers­ten Schrit­te im Rap-Bereich?

Vas­si­li Golod: Ich habe Emi­nem gehört, aber nie die Ori­gi­nal­al­ben beses­sen. Sie waren ein­fach zu teu­er. Im Tür­kei­ur­laub mit mei­ner Mut­ter habe ich mir für 50 Cent ein Eminem-​Album gekauft, das rich­tig bil­lig auf­ge­macht war … Ich hab' auch Aggro Ber­lin gehört: Es gibt Vide­os, in denen ich coo­le Bewe­gun­gen imi­tie­re und Sido mit­rap­pe – ich bin froh, dass ich die nicht mehr wie­der­fin­de. Wür­de Jan sie in die Hän­de bekom­men, wür­de es schlecht aus­se­hen. (grinst) Als Jugend­li­cher habe ich Rap gehört, aber das ist dann abge­bro­chen. Ich hat­te irgend­wie kei­nen Bezug zu Musik. Als ich dann beim Radio mode­riert habe, war Musik nur Mit­tel zum Zweck, um die Pau­sen zwi­schen den Mode­ra­tio­nen zu fül­len. Ich hab' ein­fach gespielt, was die Musik­re­dak­ti­on aus­ge­wählt hat. Für mich lag der Fokus auf der Moderation.

MZEE​.com: Hörst du denn heu­te wie­der mehr Musik?

Vas­si­li Golod: Ich höre Musik heu­te anders – dann vor allem Rap. Nach­dem wir eine gan­ze Rei­he an Künstler:innen inter­viewt haben, fin­de ich das auch span­nen­der. Wenn ich einen neu­en K.I.Z-Song mit einer Gysi-​Zeile höre, erin­ne­re ich mich dar­an, wie wir K.I.Z mit Gre­gor Gysi im Gespräch hat­ten. Dann zei­ge ich das Jan – viel­leicht ist das ja von uns inspiriert.

Jan Kawel­ke: Bestimmt … (grinst) Es ist aber schon so, dass Vas­si­li mir seit Beginn unse­rer Zusam­men­ar­beit regel­mä­ßig Songs schickt und mich fragt, ob ich das schon gehört oder auf eine Zei­le schon geach­tet habe. Immer häu­fi­ger pas­siert es, dass ich mir dann ein­ge­ste­hen muss, dass ich das noch nicht auf dem Schirm hat­te und er da was aus­ge­gra­ben hat.

Vas­si­li Golod: In mei­nem Freun­des­kreis bin ich inzwi­schen sowas wie der Musik­ex­per­te gewor­den: "Kennt ihr schon den neu­en Track? Die Zei­le ist inter­es­sant, hat den Hin­ter­grund und ist eine Refe­renz auf …" (grinst) Hät­ten sie mir vor fünf Jah­ren erzählt, dass ich die neu­es­ten Songs prä­sen­tie­re und auch noch ein­ord­nen kann, hät­te ich ihnen nicht geglaubt.

MZEE​.com: Und Jan, wel­che waren dei­ne ers­ten Berüh­rungs­punk­te mit der Politik?

Jan Kawel­ke: Ich kann mich sel­ber nicht mehr dar­an erin­nern – es ist also eine Pseudo-​Erinnerung, weil sie mir erzählt wur­de. Soweit ich weiß, wur­de ich schon mit Arbeiterkampf-​Liedern von mei­nem Vater in die Wie­ge gesun­gen. Ich kom­me aus einem doch sehr poli­ti­schen Haus­halt, aber abseits von den Gesän­gen hat das in mei­ner Kind­heit kei­ne gro­ße Rol­le gespielt. Das ers­te poli­ti­sche Ereig­nis, an das ich mich erin­nern kann und von dem ich als Kind eine poli­ti­sche Hand­lung ablei­ten konn­te, war der 11. Sep­tem­ber und der dar­aus ent­stan­de­ne Krieg. Ein Freund und ich haben danach Zet­tel geschrie­ben, auf denen sowas stand wie "Stoppt den Krieg!" und haben sie in die Brief­käs­ten der Nach­barn gewor­fen. (lacht) Da pas­sier­te etwas in der Welt, das mir als unge­recht erschien. Ich woll­te etwas tun und in mei­ner legi­ti­mier­ten Hand­lungs­mög­lich­keit war es dann Zet­tel­schrei­ben. Mei­ne zuneh­men­de Poli­ti­sie­rung im jugend­li­chen Alter hat mich dann von Rap weg­ge­führt, weil es genau die Zeit war, in der Rap in Deutsch­land sehr unpo­li­tisch war. Ich habe mich stark poli­ti­siert, war viel auf Demons­tra­tio­nen und habe mich mit dem Kampf gegen Rechts beschäf­tigt. Das hat in der Musik nicht mehr statt­ge­fun­den. Ich war dann eher dem Punk-​Genre zuge­wandt und bin zu Rap zurück­ge­kom­men, als ich gemerkt habe, dass sich wie­der mit ande­ren Inhal­ten als nur der Stra­ße aus­ein­an­der­ge­setzt wird. Im Rück­blick hat das natür­lich auch eine poli­ti­sche Kom­po­nen­te, aber die konn­te ich damals noch nicht sehen.

MZEE​.com: Die The­men­ge­bie­te Rap und Poli­tik lie­gen nicht so weit aus­ein­an­der – die Ursprün­ge von Rap sind poli­tisch und sozio­kul­tu­rell. Wie ent­stand die Idee zum Machiavelli-​Podcast und war­um habt ihr die­se The­men mit­ein­an­der verbunden?

Vas­si­li Golod: Die Podcast-​Idee ent­stammt zur Hälf­te unse­rem Volon­ta­ri­at. Zu der Zeit fand die Echo-​Verleihung mit der Nomi­nie­rung von Kol­le­gah und Farid Bang statt und es gab die dar­aus resul­tie­ren­de Antisemitismus-​Debatte in den Medi­en. Ich habe Jan mit Arti­keln kon­fron­tiert, weil ich das The­ma total span­nend fand. Er hat mir dann erklärt, was davon rich­tig und falsch ist. Es hat mich völ­lig erstaunt, dass gestan­de­ne Politik-Journalist:innen ein­fach fal­sche Din­ge schrei­ben, Zei­len falsch zitie­ren oder sie dem fal­schen Künst­ler zuord­nen. Ich hab' ihn dann gebe­ten, mir eine gute Ana­ly­se aus einem HipHop-​Magazin zu schi­cken. Da hat er mir erklärt, dass es inner­halb die­ser Sze­ne zwar Journalist:innen gibt, aber Rap-​Journalismus nicht wirk­lich kri­tisch ist und es somit kaum Ana­ly­sen gibt. Wir haben dann viel dar­über dis­ku­tiert und fest­ge­stellt, dass es kein rich­ti­ges For­mat an der Schnitt­stel­le von Rap und Poli­tik gibt. Obwohl Rap auch im "nor­ma­len" Jour­na­lis­mus statt­fin­det, wird die­se Bericht­erstat­tung der Kul­tur nicht gerecht – es ist kein Jour­na­lis­mus auf Augen­hö­he. Im Rap­be­reich aber fehlt das Kri­ti­sche, das der "nor­ma­le" Jour­na­lis­mus mit­bringt. Wäh­rend die­ser Dis­kus­sio­nen haben uns Leu­te gefragt, war­um wir kei­nen Pod­cast machen – da es span­nend sei, was wir erzäh­len und wie wir strei­ten. Es war schon immer ein rich­ti­ger Streit, aber fair und mit dem Ziel, die eige­ne Per­spek­ti­ve zu erläu­tern und argu­men­ta­tiv zu begrün­den. Im Nachrichten-​Journalismus fehl­te mir die Tie­fe, in das The­ma ein­zu­stei­gen und Jan fehl­te das Kri­ti­sche im Kul­tur­jour­na­lis­mus. Durch die­sen Streit sind wir dann auf die Idee gekom­men, die­se Berei­che durch die Kom­pe­ten­zen, die wir uns ein­bil­den, in unse­ren Berei­chen zu haben, zu einem eige­nen For­mat zu verbinden.

Jan Kawel­ke: Es ging nicht dar­um, die gro­ße kri­ti­sche Stim­me zu sein, son­dern her­vor­zu­he­ben, was an die­ser Kul­tur so berei­chernd ist. Und was man dar­aus ler­nen kann. Auch, was Politiker:innen und Men­schen dar­aus ler­nen kön­nen, die sich nicht mit Rap aus­ein­an­der­set­zen. Ich glau­be, dass man es eher schwer haben wird, wenn man die Rap-​Kultur von poli­ti­scher Sei­te aus igno­riert und sich nicht damit aus­ein­an­der­setzt, weil sie so ein­fluss­reich und wich­tig ist. Sie zeigt The­men in unse­rer Gesell­schaft auf, die Men­schen nicht bewusst sind und ist inso­fern hori­zont­er­wei­ternd. Was den Pod­cast angeht: Wir kön­nen uns anein­an­der intel­lek­tu­ell berei­chern und ande­re kön­nen dar­an teil­ha­ben. Wir rut­schen in kein Gefäl­le rein, weil wir auf bei­den Sei­ten immer ein Kor­rek­tiv haben. Da ist immer jemand, der eine Sei­te ver­steht und ein­grei­fen kann, was zu mehr Ver­ständ­nis führt.

MZEE​.com: Ich den­ke, eine Sache bezüg­lich des deut­schen HipHop-​Journalismus müs­sen wir nicht schön­re­den: Es ist – auch aus der His­to­rie her­aus – den Maga­zi­nen und Jour­na­lis­ten noch nie leicht­ge­fal­len, rich­tig kri­tisch gegen­über Künst­lern auf­zu­tre­ten. Mit dem Gene­ra­tio­nen­wech­sel scheint sich das Gan­ze lang­sam, aber sicher zu ändern. Und genau des­halb ist euer Pod­cast auch so wich­tig: Ihr habt eine gesun­de Distanz zur Sze­ne, sodass ihr euch mit man­chen The­men anders befas­sen, über sie berich­ten oder kri­ti­sie­ren könnt.

Vas­si­li Golod: Unser Anspruch ist es, kri­tisch, aber gleich­zei­tig respekt­voll zu sein. Wir gehen damit so an die Arbeit ran, dass wir den Kon­text ver­ste­hen und die Kul­tur ernst neh­men wol­len. Für den HipHop-​Journalismus ist es schwer, Geld zu ver­die­nen, weil es vie­le Abhän­gig­kei­ten gibt, die eine kri­ti­sche Bericht­erstat­tung erschwe­ren. Unser Vor­teil ist, dass wir das Pro­blem als Teil des öffentlich-​rechtlichen Rund­funks nicht haben. Das ist einer­seits ein rie­si­ges Pri­vi­leg, ande­rer­seits eine rie­si­ge Ver­ant­wor­tung. Aber auch wich­tig – denn wir alle zah­len Rund­funk­bei­trä­ge und müs­sen des­halb auch For­ma­te ent­wi­ckeln, die ver­schie­de­ne Ziel­grup­pen anspre­chen. Ich will nicht sagen, dass wir etwas revo­lu­tio­niert haben, aber wir sind eine wert­vol­le Ergän­zung zu dem, was es schon gibt.

MZEE​.com: Wel­che Ziel­grup­pe habt ihr zum Start des Pod­casts erwartet?

Vas­si­li Golod: Unser Ziel war es, bei­de Wel­ten zusam­men­zu­brin­gen: die Politik- mit der Rap-​Blase. Wir fan­den, dass im Hip­Hop viel Gesell­schafts­po­li­ti­sches steckt. Die Poli­tik ver­sucht zwar immer, die Jugend bes­ser zu ver­ste­hen, aber spricht zu wenig mit Play­ern, die für die Jugend rele­vant sind. Wir woll­ten ver­su­chen, mit den Leu­ten auf bei­den Sei­ten zu spre­chen – im bes­ten Fall hören uns ein paar Leu­te im Bun­des­tag und eini­ge Künstler:innen. Die Ziel­grup­pe, die ich immer vor Augen hat­te, waren jün­ge­re Men­schen wie Erstwähler:innen. Oder ein biss­chen Älte­re, die sich für Poli­tik inter­es­sie­ren und ger­ne Hip­Hop hören.

Jan Kawel­ke: Ich hat­te Leu­te wie mich vor Augen, viel­leicht auch jün­ger, die sich eine Ein­ord­nung zu The­men wün­schen. Zugän­ge sind beim Ler­nen immer das Wich­tigs­te und Musik kann ein Zugang sein, um viel über die Welt zu erfah­ren. Bei COSMO, dem Radio­sen­der, bei dem wir mit Machia­vel­li sind, haben wir auch das Mot­to, die Welt über die Musik vor Ort zu ver­ste­hen. Was bedeu­tet es, wenn in Kolum­bi­en bestimm­te Pro­test­songs lau­fen? Wor­aus sind sie ent­stan­den? Wie spie­geln sie die Gesell­schaft dort wider? Über die­sen Zugang kann man ganz viel ler­nen. Es ist eine gro­ße Her­aus­for­de­rung für uns, sich nicht die gan­ze Zeit in der eige­nen Rap- oder Politik-​Bubble zu bewe­gen und nur mit der Anti­lo­pen Gang, Fato­ni, KeKe und Ebow zu spre­chen – auch wenn das natür­lich tol­le und immer berei­chern­de Gesprä­che sind. Wir möch­ten dar­über hin­aus­ge­hen, die Leu­te ernst neh­men und auch die ein­bin­den, die außer­halb die­ses Kos­mos sind und den­ken, dass sie kei­ne poli­ti­sche Mei­nung haben. Wich­tig ist dabei auch, an bestimm­ten Stel­len nicht zuzu­ma­chen, wenn Din­ge mit dem eige­nen Welt­bild nicht über­ein­stim­men. Teil­wei­se ist Rap ein har­tes Gen­re und es wer­den immer noch pro­ble­ma­ti­sche Sachen gerappt. Aber ein Gespräch auf Augen­hö­he zu füh­ren, ist ganz ent­schei­dend – auch bezo­gen auf die Ziel­grup­pe. Ich glau­be, dass der Groß­teil der Rap­sze­ne noch nicht unse­ren Pod­cast hört. (grinst) Viel­leicht ist es auch unse­re Ver­ant­wor­tung, dar­über nach­zu­den­ken, wie wir die Leu­te errei­chen, weil wir inklu­siv sein und alle abho­len möchten.

Vas­si­li Golod: Die Poli­tik­ver­dros­sen­heit, die Jan ange­spro­chen hat, ist ein wich­ti­ger Punkt. Sie ist ja nicht nur in der Rap­sze­ne ver­brei­tet, son­dern in Tei­len der gesam­ten Gesell­schaft. Einer­seits wer­be ich dafür, Ver­ständ­nis für Poli­tik auf­zu­brin­gen und zu erklä­ren, war­um Pro­zes­se sind, wie sie sind. Ande­rer­seits wer­ben wir auch auf poli­ti­scher Sei­te dafür, die Pro­zes­se kla­rer zu machen und bes­ser zu erklä­ren. Damit es gar nicht erst zu die­ser Ver­dros­sen­heit kommt. Natür­lich ist das eine rie­si­ge Auf­ga­be, die wir allein mit unse­rem For­mat nicht meis­tern kön­nen – aber wir ver­su­chen, einen klit­ze­klei­nen Bei­trag zu leisten.

MZEE​.com: Euch scheint kein The­ma zu groß oder kom­plex zu sein: Jüdi­sches Leben, Pro­tes­te in Russ­land, Boulevard-​Journalismus – The­men, die bei Machia­vel­li statt­ge­fun­den haben. Habt ihr euch den­noch auf Berei­che geei­nigt, die ihr nicht the­ma­ti­sie­ren möchtet?

Vas­si­li Golod: Nein.

Jan Kawel­ke: Das Ein­zi­ge, wor­über wir manch­mal strei­ten, ist, dass Vas­si­li über etwas Bestimm­tes spre­chen möch­te und es für mich wich­tig ist, dass die The­men auch eine Rap-​bezogene Grund­la­ge haben. Manch­mal gibt es aber The­men, die schwer mit Rap zu fas­sen sind und mit denen sich noch nicht genug beschäf­tigt wird. Die Klima-​Folge hat zum Bei­spiel gezeigt, dass Rap in dem Bereich sehr inak­tiv ist, obwohl er ein gro­ßes The­ma dar­stellt – viel­leicht sogar das Wich­tigs­te unse­rer Gene­ra­ti­on. Für mich war es da schwie­rig, Punk­te zum Anknüp­fen zu fin­den. Ansons­ten haben wir uns immer die Frei­heit genom­men und von COSMO und unse­rer Che­fin bekom­men, die The­men umzu­set­zen, die wir machen woll­ten. Ich wür­de nicht sagen, dass es ein The­ma gibt, das wir aus­schlie­ßen. Unser Wunsch ist es grund­sätz­lich, nicht über The­men zu spre­chen, ohne dabei Men­schen ein­zu­bin­den, die sel­ber betrof­fen oder Exper­ten sind. Das ist unser jour­na­lis­ti­scher Antrieb.

Vas­si­li Golod: An jede Fol­ge gehen wir mit dem jour­na­lis­ti­schen Hand­werk ran, das wir gelernt haben und uns wich­tig ist. Aber: Es gibt nicht die per­fek­te Fol­ge, die man hören soll, um ide­al zu einem The­ma infor­miert zu sein. Jede Fol­ge stellt unse­re Her­an­ge­hens­wei­se, unse­ren Blick und den unse­rer Gesprächspartner:innen dar. Für unse­re Hörer:innen soll das ein Anreiz sein, sich tie­fer mit einem The­ma zu beschäf­ti­gen, wenn es sie denn interessiert.

Jan Kawel­ke: Eigent­lich ist es ein neu­gie­ri­ger Ver­such von uns, sich einem The­ma zu nähern, das wir ver­ste­hen wol­len. Wir muss­ten auch immer wie­der ler­nen, dass man an bestimm­ten Stel­len schei­tert und nicht jeden Win­kel abbil­den kann.

Vas­si­li Golod: Ich wür­de das gar nicht schei­tern nen­nen. Das ist eher der gesun­de, nor­ma­le jour­na­lis­ti­sche Pro­zess. Schei­tern wäre, wenn wir eine Fol­ge nicht ver­öf­fent­li­chen könn­ten. Und das gab es bis­her, selbst in den schwie­rigs­ten Situa­tio­nen, noch nicht. Es kam vor, dass wir gemerkt haben, wie groß oder kom­plex ein The­ma ist. Dann kommt die Fol­ge mal einen Tag spä­ter. Das ist aber auch das Coo­le an non-​linearen For­ma­ten. Auch wenn die Fol­ge nicht pünkt­lich da ist, wird es uns ver­zie­hen, wenn wir dann eine hoch­wer­ti­ge Fol­ge abliefern.

MZEE​.com: The­ma Can­cel Cul­tu­re – der Aus­schluss von Per­so­nen und Orga­ni­sa­tio­nen, denen belei­di­gen­de oder dis­kri­mi­nie­ren­de Aus­sa­gen und Hand­lun­gen vor­ge­wor­fen wer­den: Wie steht ihr dazu? Spielt sie eine Rol­le und ist sie eine Opti­on für jour­na­lis­ti­sche Berichterstattung?

Vas­si­li Golod: Das ist ein rie­si­ges Feld. Und das Pro­blem bei Can­cel Cul­tu­re ist, dass sie von ver­schie­de­nen Men­schen unter­schied­lich defi­niert wird. Das macht es pro­ble­ma­tisch, über sie zu spre­chen. Neh­men wir als Bei­spiel Jan Josef Lie­fers und die "Allesdichtmachen"-Aktion: Die Leu­te haben gefor­dert, dass er kei­ne Rol­le mehr spie­len soll. Aber die Kon­se­quenz war, dass er nach die­ser Akti­on in jeder Talk­show saß und der WDR sei­nen Ver­trag für den Tat­ort ver­län­gert hat. Auch wenn in die­sem Zusam­men­hang von Can­cel Cul­tu­re gespro­chen wur­de, war die rea­le Aus­wir­kung, dass er wei­ter­hin vor gro­ßem Publi­kum statt­fin­det und ein Forum bekommt, um sei­ne Mei­nung zu ver­tre­ten. Ich wür­de eher sagen, das Pro­blem ist, wie wir dis­ku­tie­ren und wie Debat­ten ablau­fen. Ich fin­de es völ­lig in Ord­nung, wenn Künstler:innen The­sen auf­stel­len, pro­vo­zie­ren, auch mal falsch lie­gen. Und dann im Dis­kurs eine Gegen­mei­nung ent­steht, die ihnen deut­lich ver­mit­telt, war­um sie falsch lie­gen. Es ist wich­tig, dass die­ser Dis­kurs respekt­voll, auf Augen­hö­he und mit Argu­men­ten statt­fin­det. Wir strei­ten auch viel über The­men, haben unter­schied­li­che Mei­nun­gen in Redak­ti­ons­kon­fe­ren­zen, aber ver­su­chen, das Gan­ze mit Argu­men­ten auf­zu­lö­sen. Wür­den wir sagen, dass bei uns gewis­se Leu­te nicht statt­fin­den, dann wür­den mir sofort meh­re­re Fol­gen ein­fal­len, die wir so nicht hät­ten sen­den können.

Jan Kawel­ke: Ich stim­me zu, dass Can­cel Cul­tu­re Defi­ni­ti­ons­sa­che ist. In der Rap-​Szene haben wir Artists, die pro­ble­ma­ti­sche Sachen sagen und Kri­tik erhal­ten. Dar­auf kommt dann der Vor­wurf, dass man nichts mehr sagen darf und sofort gecan­celt wird – aber das stimmt ja ein­fach nicht. Per­so­nen der Skan­da­le des letz­ten Jah­res fin­den immer noch statt. Kol­le­gah hat zwar eini­ges an Follower:innen ein­ge­büßt, aber ist immer noch am Start – es wird über ihn berich­tet, sei­ne Lines wer­den zitiert. Natür­lich bekom­men wir auch Nach­rich­ten, in denen gefragt wird, wie wir beim The­ma Armut einen Refrain aus einem Fler-​Song als Beleg spie­len kön­nen, weil Fler doch die­ses und jenes gemacht hat. Wir fin­den, dass Leu­te, die sich zu einem The­ma pro­ble­ma­tisch geäu­ßert haben, trotz­dem noch bei ande­ren zu Wort kom­men soll­ten. Und dass es wich­ti­ger ist, deren Trei­ben in ihrer Lebens­rea­li­tät abzu­bil­den und mit den Leu­ten ins Gespräch zu gehen. Natür­lich gibt es irgend­wo Gren­zen, aber bei allem ande­ren sind wir in einem Pro­zess. Ich glau­be, dass Künstler:innen auch eine gewis­se Form von Refle­xi­ons­be­reit­schaft besit­zen, wenn man mit ihnen dar­über redet.

MZEE​.com: Wenn wir einen Blick auf die deut­schen HipHop-​Medien wer­fen, fällt auf, dass sie sich oft über ihre Jour­na­lis­ten ver­mark­ten. Nehmt ihr das im deut­schen Rap als extre­mer wahr oder ist das in euren Augen in jour­na­lis­ti­schen Berei­chen so üblich?

Jan Kawel­ke: Ich glau­be, dass das ein gene­rel­les The­ma ist, weil man sich eher an Gesich­ter und Stim­men erin­nert. Das Medi­um Pod­cast bestä­tigt, dass wir etwas Per­sön­li­ches haben wol­len, denn am Ende der Woche sit­ze ich mit mei­nen zwei liebs­ten Podcast-​Hosts in der Knei­pe und sie erzäh­len mir, was sie so erlebt haben. Ich sehe das als gar nicht so pro­ble­ma­tisch – aber natür­lich muss man dar­über dis­ku­tie­ren und die Trenn­li­ni­en scharf hal­ten, wenn es in einen Bereich zwi­schen Jour­na­lis­mus, Akti­vis­mus und Influen­cing rein­rutscht. Im ame­ri­ka­ni­schen Rap-​Journalismus gibt es die Figu­ren und Gesich­ter, auf die man sich ver­lässt und in Deutsch­land exis­tie­ren teil­wei­se Äqui­va­len­te dazu. Ich mer­ke auch bei mir selbst, dass es Men­schen gibt, denen ich auf­grund ihrer Hal­tung ver­traue. Und wir haben auch bewusst ent­schie­den, dass Sal­wa zum Machiavelli-​Team gehört, damit Men­schen sich auch mit ihr iden­ti­fi­zie­ren kön­nen. Wir schät­zen sie für ihre Stim­me und Gedan­ken, mit denen sie den Pod­cast bereichert.

Vas­si­li Golod: Ich fin­de, es bedingt ein­an­der. Die Süd­deut­sche Zei­tung ist ein star­kes Medi­um, weil sie von sehr guten Journalist:innen gemacht wird und pro­fi­tiert davon, dass sie auch auf ande­ren Kanä­len prä­sent sind. Leu­te, die in der Tages­schau statt­fin­den, wer­den durch die­se Mar­ke bekannt und haben dadurch eine beson­de­re Ver­ant­wor­tung – tra­gen aber auch selbst dazu bei, dass die­se Mar­ke auf ande­ren Kanä­len rele­vant bleibt. Der Zusam­men­hang ist wich­tig und man soll­te dank­bar sein, ein Forum zu haben, aber sich auch der Ver­ant­wor­tung bewusst sein, dass man mit der eige­nen Arbeit die Mar­ke wei­ter stärkt.

Jan Kawel­ke: Es ist aber kei­ne Bedin­gung. Wer im Jour­na­lis­mus arbei­ten will, muss nicht auto­ma­tisch zu einer Mar­ke wer­den. Das ist ein fal­scher Schluss, den vie­le dar­aus zie­hen. Man muss sich dar­über klar wer­den, kann die­se Ent­schei­dung tref­fen und dar­auf hin­wir­ken. Wir funk­tio­nie­ren zum Bei­spiel auch nur in dem klei­nen Rah­men, in dem wir unter­wegs sind, weil wir ein Team haben, das jour­na­lis­tisch mit uns arbei­tet. Zu dem Team gehö­ren vie­le Leu­te, die genau­so wich­tig sind wie wir, die dann als Gesicht oder Stim­me funktionieren.

MZEE​.com: Glaubt ihr, dass das Gan­ze einer kri­ti­schen Bericht­erstat­tung teils im Weg steht?

Vas­si­li Golod: Wenn man sich für wich­ti­ger nimmt als der Inhalt, über den man berich­tet, dann hat man ein Pro­blem. Und das ist bei eini­gen der Fall.

MZEE​.com: Wenn ihr eure Arbeit in den ver­gan­ge­nen Jah­ren betrach­tet und die an Bedeu­tung zuneh­men­den Platt­for­men: Hat Social Media einen gro­ßen Ein­fluss auf Jour­na­lis­mus all­ge­mein und auf eure jour­na­lis­ti­schen Tätig­kei­ten im Speziellen?

Vas­si­li Golod: Ich sehe Social Media als wei­te­ren Kanal, um wich­ti­ge Inhal­te zu trans­por­tie­ren, ande­re Ziel­grup­pen zu errei­chen und in den Dis­kurs zu gehen. Der gro­ße Mehr­wert ist, dass Social Media als direk­ter Aus­tausch funk­tio­niert. Anders als frü­her sen­det man nicht und kriegt viel­leicht mal einen Hörer:innen-Brief. Wir geben eine Pod­cast­fol­ge in die Welt und auf eine Aus­sa­ge, die ich getä­tigt habe, erhält nicht nur der Machiavelli-​Account eine Nach­richt, son­dern Sal­wa, Jan und ich bekom­men jeweils eine. Ich sehe das als Berei­che­rung, weil ich mich mit dem, was ich mache, noch mal anders aus­ein­an­der­set­ze. Man soll­te aber auch eine kri­ti­sche Distanz dazu haben. Das fällt manch­mal leich­ter und manch­mal schwe­rer. Selbst wenn ich in einer Nach­richt beschimpft wer­de, ant­wor­te ich immer nett und höf­lich, gehe auf Inhalt­li­ches ein und stel­le dann fest, dass der Ton und die Anspra­che, die dann zurück­kom­men, oft ande­re sind.

Jan Kawel­ke: Gera­de, was die direk­te Inter­ak­ti­on angeht, fin­de ich es auch wahn­sin­nig berei­chernd. Ab einem gewis­sen Punkt funk­tio­niert es aber nicht mehr, mit allen zu inter­agie­ren, weil sich dar­aus Kom­mu­ni­ka­ti­ons­schlei­fen erge­ben und man sich ver­pflich­tet fühlt, immer zu ant­wor­ten. Social Media hat inso­fern Aus­wir­kun­gen auf mei­ne Arbeit, die ich gera­de heu­te ver­sucht habe, ein­zu­fan­gen: Ich habe Insta­gram und Twit­ter von mei­nem Han­dy gelöscht, um mich voll auf die nächs­te Fol­ge zu kon­zen­trie­ren. (lacht) Inso­fern raubt es viel Zeit, dort unter­wegs zu sein, aber man kriegt wich­ti­ge Impul­se. Es ist so, wie wir es in unse­rer ers­ten Fol­ge gesagt haben: Wir sind nicht die all­wis­sen­den Exper­ten zu die­sen The­men. Wir sind dank­bar, wenn Leu­te uns mit ihren Gedan­ken und Anre­gun­gen berei­chern, um die neu­gie­ri­ge Suche zu kom­plet­tie­ren, auf die wir uns bege­ben haben.

MZEE​.com: Kom­men wir zu guter Letzt zu euren Träu­men und Wün­schen: Habt ihr jour­na­lis­ti­sche Vor­bil­der inner­halb und außer­halb der deut­schen Rapszene?

Vas­si­li Golod: Wir ver­fol­gen und schät­zen das, was ande­re Kolleg:innen machen. Mal fin­den wir was gut und mal nicht, wir ler­nen dazu und zie­hen unse­re Schlüs­se dar­aus. Aber ich wür­de nicht sagen, dass ich ein Vor­bild habe. Ich will ein­fach ich selbst sein und bes­ser wer­den in dem, was ich mache. Und ich wet­te, dass das für Jan genau­so gilt.

Jan Kawel­ke: Das gilt für mich genau­so. Ich tue mich damit schwer, Namen zu nen­nen, und kann nur auf die zurück­grei­fen, die immer genannt wer­den … Aber ich bin gro­ßer Fan von Roger Wil­lem­sen und allem, was er gemacht hat. Und ver­su­che, mich dar­an zu orientieren.

Vas­si­li Golod: Ich wuss­te gar nicht, dass Roger Wil­lem­sen Rap-​Journalist war! (bei­de grinsen)

Jan Kawel­ke: Ich fin­de, bei Inter­views spielt der Vibe immer eine ganz wich­ti­ge Rol­le und auch, mit wel­cher Hal­tung man dar­an geht. Gera­de in den letz­ten Jah­ren ist es schön, zu sehen, wel­che Stim­men unter­wegs sind. Die Sei­te an Sei­te mit uns aktiv sind, die die­se Sze­ne um Per­spek­ti­ven berei­chern, die mutig und kri­tisch sind. Es macht rich­tig Spaß und berei­chert mich. Wenn Miri (Anm. d. Red.: Miri­am Davoud­van­di) ein Inter­view mit Haft­be­fehl macht, ist das ein gro­ßer Moment für mich. Ich freue mich für sie und die deut­sche Rap­sze­ne, dass sie die­ses Inter­view macht, weil sie über The­men wie Depres­sio­nen spricht.

MZEE​.com: Und habt ihr Zie­le oder Träu­me in Bezug auf eure jour­na­lis­ti­schen Karrieren?

Vas­si­li Golod: Barack Oba­ma und Kendrick Lamar in einer Podcast-​Folge zusammenbringen.

Jan Kawel­ke: Das ist die Stan­dard­ant­wort. (grinst) Auf jeden Fall. In Hin­blick auf die Machiavelli-​Sessions haben wir noch ein paar Din­ge vor. Und für den Pod­cast haben wir auch noch vie­le Wunschkandidat:innen auf unse­rer Lis­te. Wir sind noch lan­ge nicht am Ende.

Vas­si­li Golod: Wir wol­len ein­fach mit sehr gutem Jour­na­lis­mus an der Schnitt­stel­le von Rap und Poli­tik wei­ter­ma­chen. Das ist etwas, das nie abge­schlos­sen sein kann: ein Prozess.

(Flo­rence Bader & Lai­la Drewes)
(Fotos von Nils vom Lan­de und WDR COSMO)