DIGGEN mit Pimf
Das erste Konzert, das man ohne Eltern besuchen durfte. Nachts alleine auf der Autobahn und den gleichen Song immer und immer wieder hören, weil man nicht fassen kann, wie gut er ist. Der Track, den man mit den Freunden von früher laut grölend auf jeder Party mitgesungen hat. Vermutlich kennt jeder Mensch diesen Moment: Es läuft ein bestimmtes Lied oder Album, das einen direkt emotional in eine Situation zurückversetzen kann, nostalgisch werden lässt oder einfach nur aufgrund seiner Machart immer wieder zum Staunen bringt. Und genau darum geht es in unserem neuen Format "DIGGEN mit …". Wir diggen mit verschiedenen Protagonist:innen der Szene in ihren gedanklichen Plattenkisten und sprechen über Musik, die diese Emotionen in ihnen auslöst. Dafür stellen unsere Gäste jeweils eine eigene Playlist mit Songs zusammen, die sie bewegen, begeistern und inspirieren.
Für unser diesjähriges Special zur Bundestagswahl hat uns Pimf eine Playlist mit politischen Songs zusammengestellt. Er selbst verpackt seine politischen Überzeugungen immer häufiger in seiner Musik. Da er in Nordhessen aufwuchs, war vor allem der NSU-Mord an Halit Yozgat einschneidend für sein Verständnis von Rassismus und rechter Gewalt – die Themen, die ihn am meisten umtreiben. Abseits davon, dass er uns einige Songs mitbrachte, die sich mit dieser Thematik beschäftigen, sprach er auch über den unterschiedlichen Zugang, den man Menschen durch Musik zu gesellschaftlich relevanten Themen möglich machen kann sowie die eindrückliche Lebensrealität verschiedener Künstler:innen, der wir mit Empathie begegnen sollten. Er brachte dabei nicht nur Songs, sondern auch Menschen zusammen, die alle ihre Geschichte zu erzählen haben.
1. Yassin – Abendland (prod. by Yassin, Philipp Schwär)
Pimf: Yassin ist wahrscheinlich mein Lieblingsrapper in Deutschland. Ich fand das Album unfassbar krass. Als die erste Single-Auskopplung "Abendland" rauskam, hat mich das richtig weggeflasht. "Hass, der keine Gründe braucht, sucht sich den schwächsten Feind" bringt für mich so krass auf den Punkt, was gerade abgeht. Auch das von seinem Vater am Ende gesprochene Gedicht finde ich total spannend. Da bekomme ich jedes Mal Gänsehaut. Der Song kam in einer Zeit raus, in der es für mich als Künstler eine immer größere Rolle gespielt hat, mich in der Musik auch politisch zu äußern. Und dafür hat mir Yassin mit dieser Platte und auch seinem Schaffen drumherum noch mehr Anstoß gegeben. Weil er es nicht Zeigefinger-mäßig, sondern cool macht – alleine, was für Perspektiven er einnimmt.
2. Pimf – Leg dein Ohr auf die Schiene der Geschichte (prod. by bitbeats)
Pimf: Vielleicht komisch, bei dem Format einen eigenen Track zu nehmen, aber ich hatte das Gefühl, dass er hier reinpasst. Wie in dem Song beschrieben, ist rechte Gewalt für mich in Nordhessen sehr nah. Auch, wenn ich nicht davon betroffen bin. Früher war mir das nicht so bewusst. Ich bin Weiß, behütet aufgewachsen, hatte nie Probleme und die Rechten stehen hier auch nicht in Thor Steinar-Klamotten vor der Kneipe. Das findet verborgener statt. Und in jungen Jahren hatte ich kein Auge dafür. Aber mit der Zeit habe ich das immer mehr mitbekommen und 2006 wurde dann Halit Yozgat nicht weit von meinem Zuhause vom NSU ermordet. Wenn ich von Hofgeismar nach Kassel fahre, fahre ich immer am Tatort vorbei, der heute Halit-Platz heißt. Damals hatte das natürlich keine tiefere politische Bedeutung für mich, da es ja auch in den Medien erst mal nicht als rechter Terror dargestellt wurde. Aber umso mehr man in das Thema reinkommt, desto eindrücklicher ist es auch. Deswegen habe ich immer mehr dazu gelesen und angeschaut. Dadurch sind mir die Ausmaße von rechter Gewalt erst bewusst geworden. Das passiert nicht nur in einem dunklen Plattenbau-Keller in Ostdeutschland, sondern überall. Auch direkt vor meiner Haustür. Andreas Temme, der Ex-Verfassungsschutz-Mitarbeiter, der zum Zeitpunkt des Mordes vor Ort war, wohnt nur ein paar Straßen weiter. Und vor zwei Jahren wurde dann auch noch in unmittelbarer Nähe Walter Lübcke ermordet. Diese beiden Geschehnisse waren sehr einschneidend für mich. Auf dem Song habe ich dann noch einige andere Dinge aufgearbeitet, die ich im Zuge meiner Politisierung wahrgenommen habe. Das ist aber natürlich bei Weitem nicht alles, sonst wäre der Song länger geworden als "DONDA".
3. KUMMER – 9010 (prod. by BLVTH)
Pimf: Was für ein Song. Heftig. Als "9010" rauskam, dachte ich: Dieses Album wird die Blaupause für politischen, ostdeutschen Sound. Im Nachhinein hat mir das ein bisschen auf dem Rest der Platte gefehlt. "9010" war für mich mit Abstand der beste Song auf "KIOX". Das Video ist auch geisteskrank. Ich finde die Thematik sehr spannend, weil man das so einfach nicht kennt. Ich kenne keinen anderen Song, der an einen bestimmten Nazi adressiert ist und eine persönliche Beziehung zu ihm beschreibt. Auch Respekt für Felix Kummer, der aus einem faschistischen Brennpunkt kommt und trotzdem immer wieder so deutlich die Fahne hochhält und klar Stellung bezieht. Und dafür, sich zu trauen, das musikalisch so umzusetzen. Das ist eigentlich wie eine Doku, man hat die ganze Zeit Bilder im Kopf.
4. Jaz Donell & Michael Davis – Hans-Jürgen (prod. by Oliver Parvini)
Pimf: Ich weiß gar nicht, was die beiden sonst so machen. Ein Kumpel aus Hamburg, der die Jungs über mehrere Ecken kennt, hat mir den Song gezeigt. Und ich kam überhaupt nicht drauf klar, wie deutlich und geil das formuliert ist. Das hat nicht den Anspruch, ein musikalisch kranker Track oder Hit zu sein, sondern ist einfach nur straight up runtergeschrieben. Das ist so auf den Punkt gebracht und kommt aus tiefstem Herzen. Solche Themen waren früher gar nicht präsent für mich, aber da ist natürlich die Frage, wie empathisch man für sowas ist. Tust du das ab als "Die Kassiererin ist zu jedem unfreundlich. Mach mal 'nen Punkt, Bruder"? Oder nimmst du das wirklich ernst? Das ist nicht nur Politik auf dem Papier, das ist deren Realität. Und inzwischen regen mich Leute wie zum Beispiel Samy Deluxe einfach auf. Der "Fighter for solidarity and equality", der aber 2018 sein MTV Unplugged mit Xavier Naidoo zusammen gemacht hat. Auch 2018 war das schon komplett hirnrissig. Und 2021 findet man "Adriano" immer noch auf allen Plattformen und es wird Cash damit gemacht. Es geht mir so krass auf den Sack, dass solche Leute als die politischen Fighter dargestellt werden. Wir haben alle eine gewisse Doppelmoral und jeder drückt mal ein Auge zu. Wenn ich Songs mit 100 Sexisten gemacht habe, kann ich mich natürlich nicht als der Rainbow-Representer schlechthin geben. Aber Bruder, hör dir bitte mal zu. Das kriege ich nicht in meinen Kopf rein. Es ist schon ewig klar, dass Xavier komplett am Leben vorbei geht. Credibil war der einzige, der direkt seinen Track mit ihm runtergenommen hat. Die ganzen ach so politischen Rapper juckt das gar nicht. Wenn du das von Label-Seite nicht runternehmen kannst, ist okay. Aber dann mach doch ein Statement, das für alle zugänglich ist. Und nicht eine Antwort auf einen Fragen-Sticker in der Insta-Story: "Habe schon länger nicht mehr mit Xavier telefoniert."
5. BABYJOY – Viele Leute gucken (prod. by KazOnDaBeat)
Pimf: Dieser Song ist etwas kryptischer geschrieben und die starken Aussagen findet man eher zwischen den Zeilen, aber genau das finde ich so geil bei ihr. Dass es zwischendurch immer wieder durchkommt. Dass es präsent, aber trotzdem easy listening ist. Generell ist das total musikalisch und hat einen guten Vibe. Das kann abends, wenn man mit Freunden chillt, im Hintergrund laufen, aber man kann auch zuhören und etwas daraus ziehen. Ich finde es wichtig, dass so etwas manchmal leicht vermittelt wird, damit man nicht nur politische Leute anspricht. Gerade bei der neuen Rap-Generation ist das noch stark unterrepräsentiert. Ich finde sie und die EP allgemein superkrass.
6. Horst Wegener – Mein Name ist Horst (prod. by Golow)
Pimf: Ich mag, wie jazzy Horst Wegener das vorträgt. Der Song klingt so selbstbewusst und locker, obwohl er die Tragik des Alltagsrassismus behandelt, der ja von vielen Menschen gar nicht als Rassismus wahrgenommen wird und der wahrscheinlich oft auch gar nicht böse gemeint ist. Ihm gelingt dieser Spagat sehr gut. Der Track kommt so lapidar, wie dieses Thema wahrgenommen werden sollte. Es könnte nicht egaler sein, ob jemand Horst oder Mohammed heißt. Und er trägt das mit einem Selbstbewusstsein vor, als könnte es auch ihm nicht egaler sein, aber es ist trotzdem existent. Das finde ich schön auf den Punkt gebracht.
7. Grinch – Chameleon (prod. by Eam Triplin)
Pimf: Grinch ist mein Bühnenpartner, Backup-Rapper, DJ und bester Freund, mit dem ich diesen Weg zusammen beschreite. Er ist derjenige, mit dem ich meinen ersten Auftritt mit 15 auf einer Schulfete hatte. Und ich habe das gerade gehört und war richtig stolz. Auf die ganze Platte "INDA". Das steht für "indisch nicht deutsch auch". Und das thematisiert eben dieses "zwischen den Stühlen sitzen". Grinch kommt aus so einem richtigen Dorf und hat auch schon 2006 thematisiert, dass er der einzige "Kanacke" dort ist. Aber ohne das politische Bewusstsein dahinter. Damals war ihm der Alltagsrassismus, der ihm ständig widerfährt, noch nicht so bewusst. Das war aber natürlich immer präsent und ein permanenter, lästiger Begleiter. Und dieses "Pass' mich an, grenz' mich aus" kann er sehr gut. Er kann diese Rollen spielen, weil er Schutzmechanismen entwickelt hat. Das ist natürlich auch krass zu sehen und mitzuerleben. Früher war uns das Thema noch nicht so bewusst, aber er hat trotzdem diese Rolle vom "Vorzeige-Bürger" gespielt. Mittlerweile passiert das viel bewusster.
8. OG Keemo – Nebel (prod. by Funkvater Frank)
Pimf: Die Stelle mit Michelle aus seiner Klasse ist so krass berührend und eine heftige Story. Egal, mit wem du über OG Keemo sprichst, jeder kennt diesen Part. Jeder fühlt das. Das war beim ersten Mal Gänsehaut und ist es immer noch. Das ist zu krass geschrieben und geil erzählt. Es ist so emotional, obwohl es nur runtererzählt wird. Auch die Stelle, an der er keinen Ärger von seinem Vater kriegt, als er den Jungen aus seiner Klasse geschlagen hat. Das wird so beiläufig erwähnt. Es wird gut beschrieben, woher das kommt, dass man sich abgrenzt, ohne dass er es deutlich sagt. Er erzählt einfach nur seine Geschichte. Das ist politischer Rap, der einfach nur geil ist und Spaß macht.
9. Sugar MMFK – BLM (prod. by Prof)
Pimf: Hier werden Ursache und Wirkung so schön gegenübergestellt. "Alle wollen das Geld, andere haben das Geld schon von Kindheit an." – Es wird ja oft kritisiert, dass Straßenrap so materialistisch ist, aber die Ursache dahinter wird nur selten beleuchtet. Das hat Sugar MMFK sehr gut auf den Punkt gebracht. Er hat ja auch immer wieder politische Anleihen, ohne der überpolitisierte Typ zu sein. Das finde ich einfach spannend und geil, weil es die richtigen Leute erreicht. Ich mag auch diese gesungenen Hooks mit dieser einmaligen Stimme. Das ist für mich perfekte Musik fürs Auto und gibt mir geile Vibes. Seine Musik kommt mit wenig aus und hat eine straighte Aussage.
10. Nura – Niemals Stress mit Bullen (prod. by Drunken Masters)
Pimf: Nura ist die Geilste. Sie ist einfach komplett straight up mit der richtigen Intensität und hat keine Scheu. Ich kenne im deutschen Rap keine:n Rapper:in, der:die so durchzieht und so eine krasse Entwicklung hinter sich hat. Dabei ist sie aber immer extrem cool und locker. "Meine Hautfarbe bleibt Trend, bis du Blaulicht siehst und rennst." – Das sind geile Lines, die auch noch auf einem positiven Banger-Beat erzählt werden. Ich war nie großer SXTN-Fan, weil es mir ein zu gemachtes Industrie-Produkt war. Deswegen hätte ich niemals gedacht, dass daraus eine solche Entwicklung resultiert. Ich appreciate einfach, was sie macht und finde sie superwichtig für deutschen Rap. Die Machiavelli-Session mit ihr hat auch alles auseinandergenommen. Sie ist einfach die Queen.
11. Danger Dan – Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt (prod. by Danger Dan)
Pimf: Ich finde geil, dass das so durch die Decke gegangen ist. Das hat einfach jeder gehört. Er hat es damit aus unserer Szene herausgeschafft und das geht vermutlich auch nur durch die Kontroverse. Das trifft genau die Richtigen und findet dadurch auch in ganz anderen Kreisen statt. Ich höre gerne Konstantin Wecker, der am Klavier kabarettartig Geschichten erzählt. Und das ist hier ähnlich gut gelungen. Manchmal ist mir Danger Dan zu schlau, aber dadurch spricht er auch noch mal ein ganz anderes Publikum an, wie es zum Beispiel Sugar MMFK tut. Es ist intellektueller. Aber es beschreibt gut, dass Linkssein oft Protest benötigt und nicht immer nur friedlich sein kann. Das muss auch mal wehtun und für die bürgerliche Mitte radikal wirken, weil es nicht reicht, nur zu sagen, dass man alle Menschen gleich lieb hat. Man muss den Faschisten ganz entschlossen gegenübertreten.
All diese Tracks findet ihr hier in unserer "DIGGEN mit Pimf"-Playlist auf Spotify.
(Yasmina Rossmeisl)
(Foto von Lagunenstyles)