Um als Künstler erfolgreich zu sein, muss man sich nicht jedem Trend anschließen. Dennoch gibt es Strömungen in der Musikszene, bei denen es eine negative Auswirkung auf die eigene Karriere haben kann, wenn man ihnen nicht folgt. Das Stattfinden in den wichtigen Playlisten oder auf eine Songlänge von zweieinhalb Minuten zu achten, sind zwei Beispiele für diese Sorte. Doch hat man als Künstler zwingend einen Nachteil, wenn der eigene Sound nicht mit dem der großen Playlisten konform geht? Nicht unbedingt. Musik ist Ausdruck der Persönlichkeit und einige Musiker setzen gerade durch ihre Andersartigkeit Trends. Und bekanntlich weckt besonders das Ungewöhnliche unsere Neugier und bleibt im Gedächtnis. Ein Künstler, der durch seine Einzigartigkeit besonders auffällt, ist der Rapper Galv. Seine Stimme und seine Wortspiele sind unvergleichlich und durch auffällige Outfits sticht er optisch aus der Masse hervor. Wir haben ihn zum Gespräch gebeten, um über sein Verständnis von einigen Trends in der Rapszene zu sprechen. So ging es unter anderem um das Wort "Fly", ungewöhnliche Karrierewege und das Nennen von Markennamen in Texten.
MZEE.com: In deinen Videos und Bühnenoutfits finden sich häufig Stilelemente wie auffällige Brillen oder Kopfbedeckungen. Wie wichtig sind Outfits für deine Kunst?
Galv: Sie sind nicht essenziell, aber schon sehr wichtig. Ich gehe auch mal casual auf die Bühne oder vor die Kamera, aber tendenziell verkleide ich mich gerne. Auch im Privatleben. Das ist etwas, was man aus der Kindheit mitgenommen hat. (lacht)
MZEE.com: Was hat es mit der Brille auf sich? Wenn man bei Google "Galv + Brille" eingibt, wird direkt das Modell, zum Beispiel aus deinem Musikvideo "Picasso", mit den Klappen an der Seite vorgeschlagen.
Galv: Echt? Dann kann ich mich jetzt offiziell als Trendsetter betiteln, wenn man das googlen kann. Das ist ja brutal. Das ist einfach entstanden. Ich habe so eine Mondbrille mal im "Stargate"-Video getragen. Das war unser erstes relevantes Video. Es hatte einen krassen Effekt, weil niemand diese Art von Brille so getragen hat. Dadurch ist sie automatisch zu einem Wiedererkennungsmerkmal geworden. Das habe ich dankend angenommen, weil es eine Art von Verkleidung ist. Viele Leute würden mich ohne Brille nicht erkennen. Das ist ganz praktisch.
MZEE.com: Du nennst diese Art von Brille also "Mondbrille"?
Galv: Das ist der Witz, weil wir das Album "Of the 3 Moonz" gemacht haben. Ich wollte ursprünglich die Drei-Monde-Brille verwenden. Das ist ein Designermodell mit einem "Dritten Auge". Kurz vor dem "Die Summe"-Video, das die Nonplusultra-Videoauskopplung von 3 Moonz werden sollte, hat BattleBoi Basti ein Video rausgebracht. Dort trug er einen Raumanzug und diese Third-Eye-Brille. Da war mir klar, dass er schneller gewesen ist und ich das jetzt nicht mehr machen möchte. Seitdem trage ich meistens die Mondbrille.
MZEE.com: Wie wirkt sich die visuelle Darstellung auf den Erfolg eines Künstlers aus? Als Beispiel muss ich immer an KitschKrieg denken, deren gesamtes Design einen hohen Wiedererkennungswert hat.
Galv: Das kann in der heutigen Zeit einen erheblichen Einfluss haben. Wobei ich glaube, dass die Konzepte im Film an sich noch wichtiger sind als die Outfits. Letztere sind austauschbar. Es gibt heute Künstler, die ihre Karriere auf einem Video aufbauen. In Deutschland passiert das vielleicht nicht so häufig wie in den USA. Aber dort gibt es Songs, die komplette Videokonzepte sind und auch nur mit dem Video funktionieren. Das kann man sich heutzutage sehr zunutze machen.
MZEE.com: Kannst du dafür ein Beispiel nennen?
Galv: Lil Dicky. Er hat krasse Konzepte für Videos geschrieben und zunächst nur ein Album rausgebracht. Dann haben alle aufs nächste gewartet. Damit hat er sich ein Jahr Zeit gelassen und einen Song mit einem Video veröffentlicht, auf dem alle Künstler waren, die man sich vorstellen kann. Als Nächstes hat er auf HBO eine Serie bekommen. Das ist eine völlig absurde Karriere. Das beste Beispiel ist "This Is America" von Childish Gambino. Wenn der Song ohne Video rausgekommen wäre, hätte er auch funktioniert, aber niemals diese Aufmerksamkeit bekommen. Das Video hat im positiven Sinne alles kaputtgemacht.
MZEE.com: Auf "Kultur" rappt Audio88: "Baggys sind nicht Trend, doch Statement." – Welche Bedeutung hat Kleidung als Ausdruck von Haltung für dich?
Galv: Das ist enorm wichtig. Es ist die erste Möglichkeit am Tag, ein Statement abzugeben, in erster Linie zu sich selber. Wie fühle ich mich? Wie sehe ich mich heute? Und wie soll der Rest der Welt mich sehen? Wenn ich es eine Weile übertrieben habe, dann wird Casual wieder etwas Besonderes. (lacht) Auf HipHop bezogen kann ich damit meine Versiertheit als Künstler und mein Faible für Kunst ausleben. Ich kann eigentlich alles tragen. Es ist eine Analogie zu meinem Handwerk. Genauso kann ich als Rapper auch sehr viele verschiedene Styles machen, in denen ich mich wohlfühle. Ein Outfit ist zu neunzig Prozent Attitüde. Ich habe eine Zeit lang in Videos nur Sachen getragen, die eigentlich gar nicht klargingen, weil sie entweder keine Klamotten sind oder nicht unpassender hätten sein können. Ich habe versucht, immer das Unmöglichste zu tragen, was gerade rumlag. Das hat tatsächlich auch funktioniert. In einem Video in Amsterdam trage ich einfach Vorhangheber. Das sind geknotete Dinger, die Vorhänge zusammen heben wie Ketten. Und das ist niemandem aufgefallen. (lacht)
MZEE.com: Ein auffälliger Trend ist der Luxusmarken-Hype und das Droppen von Markennamen in Texten. Shindy rappt auf "ROLI": "Siebenhundert-Euro-Sweater ohne Aufdruck, wenn ich eines Tages sterbe, dann an Kaufsucht." – Hältst du es für gefährlich, wenn HipHop die Jugend auf diese Weise beeinflusst?
Galv: Ich würde das nicht auf HipHop beschränken. Reich und schön ist ja ein Prinzip, das überall stattfindet. Es gibt keinen Rapper, den ich höre, bei dem ich das besonders feier'. Wobei es bestimmt einen Haufen gibt, die das machen und bei denen es mich nicht stört. Ich habe für das nächste Album einen Song in der Mache, der genau dieses Thema anspricht. Es wird um eine Marke gehen, die alle krass feiern. Mehr will ich jetzt noch nicht verraten. Marken sind Statussymbole. Die lösen mitunter das stärkste Verlangen aus, was Menschen in unserer Gesellschaft haben. Sie wollen sich in der Gesellschaft spiegeln, aber als etwas Besseres. Nicht um die anderen abzuwerten, sondern um sich aufzuwerten. Gerade Kinder und Jugendliche sehnen sich nach dem Gefühl, bedeutsam zu sein. Das kannst du durch die Symbolik und Emotionen, die man mit solchen Marken verbindet, erreichen. Wobei es auch reflektierte, selbstbewusste Heranwachsende gibt, denen so etwas weniger gibt. Dann findet man es eher abstrus. Ich habe da noch mal eine ganz andere Sicht drauf, weil ich Leute kenne, die in der Produktion in der Modebranche gearbeitet haben. Es ist kein Geheimnis, dass das ganze Zeug in denselben Fabriken hergestellt wird wie alle anderen Sachen auch. Unter Konditionen, die absurd sind. Du bezahlst nur ein Vielfaches mehr, weil etwas anderes drauf steht. Daran würde ich denken, wenn ich siebenhundert Euro für einen Sweater ausgeben würde, aber wüsste, er hätte in der Produktion nicht mehr gekostet als ein Galv-Sweater. (lacht)
MZEE.com: Du hast mal in einem Interview gesagt, dass du sehr viele Vintage-Sachen trägst. Spielt Nachhaltigkeit dabei für dich auch eine Rolle?
Galv: Das war mal ein Gedanke, aber es hat sich mittlerweile geändert. Der Idealismus ist ein bisschen abgestumpft. Ich kriege brutal viel, insbesondere Shirts und Hoodies, geschenkt. Mittlerweile lehne ich ständig Klamotten ab, weil ich zu viele habe. Nachhaltigkeit ist ein interessantes Thema. Beim Merchandise hört sie oft auf. Mehr als fair gehandelte Baumwollshirts sind da nicht drin. Selbst die Rapper, die von nichts anderem rappen, ballern einmal im Jahr Merchandise raus. Das ist der Clinch, in dem wir sind. Ich habe jetzt die erste Recycling-Vinyl gesehen, unter anderem mit Keno. (Anm. d. Red.: Faraway Friends – "Rain Is Coming") Bei Vinyl muss ich immer daran denken, denn es ist ja Plastik, somit nicht "green" und zurzeit wird so viel davon einfach rausgeballert. Ich rappe selbst eigentlich kaum über solche Themen, weil ich mich nicht als diszipliniert genug wahrnehme, um mir rauszunehmen, den Teacher zu machen.
MZEE.com: Auf "Vola" rappst du auch über Disziplin bezüglich des Fleischkonsums.
Galv: Das taucht immer wieder auf. Ich habe letztens einen alten Song gehört, in dem ich genau dasselbe schon mal hatte. Ich versuche seit Jahren, darauf zu achten. Aber gerade meine Verwurzelung mit Südamerika und Sardinien haben mir das immer wieder schwer gemacht. Dort herrscht noch mal eine ganz andere Fleischkultur. Es ist nicht so eine Massenproduktion und noch tiefer verankert im Alltäglichen. Da kann ich auch offen drüber reden. In Deutschland fällt es mir leicht, darauf zu verzichten. Da macht mich das Fleisch nicht so krass an. Ich weiß, wo es herkommt und was damit in Verbindung steht. Angefangen mit der Tierhaltung, der Nachhaltigkeit und dem Wasserverbrauch. Aber wenn ich zurück in meine Heimat oder die meiner Tochter gehe, ist es etwas ganz anderes.
MZEE.com: Gehen wir mal auf die musikalische Ebene. Deine Musik ist durch einen überwiegend Oldschool-lastigen Sound geprägt und folgt keinen Trends. Auf "Funky Time" rappst du: "Der Nerv der Zeit, der nervt derzeit." – Was löst es in dir aus, wenn Musik sich an der Nachfrage orientiert und dadurch Kreativität und Vielfalt auf der Strecke bleiben?
Galv: Ich versuche, mich im Emotionalen sowie im Künstlerischen nicht davon beeinflussen zu lassen. Wobei ich happy bin, wie vielseitig Rap ist und wie vielseitig ich sein kann. Ich versuche, mich auszuprobieren. Natürlich mache ich auch Sachen, die man als modern bezeichnen würde. Aber ich habe es nicht nötig, jedem Trend hinterher zu lechzen, auch wenn es vielleicht ganz gut für mein Playlisten-Game wäre. Ich finde, dass das Playlisten-Game sich sehr verselbstständigt hat in eine Richtung, die man vielleicht auch mit der HipHop-Medienlandschaft vergleichen kann. Die großen Formate reproduzieren nur das, was eh schon funktioniert, um sich gegenseitig mit Reichweite zu beschwängern. Alles andere bleibt unter dem Radar. Ich würde mich darüber nicht beschweren, so funktioniert es einfach. Wenn ich ein wirkliches Problem damit hätte, müsste ich eine Woche ins Studio gehen und genau das machen. Dann würde bestimmt irgendwas davon auch irgendwo landen.
MZEE.com: Dadurch werden viele spannende Sachen von den immer gleich Klingenden verdrängt.
Galv: Ich glaube, das läuft immer so, bis es übersättigt ist. Dann gibt es wieder eine Gegenbewegung. Durch das Internet und den Untergrund-Platten-Hustle kannst du, wenn du wirklich Blut geleckt hast, immer krasse Sachen entdecken. Es hängt natürlich vom Konsumenten ab. Daran hat sich nichts geändert. Denn der Endkonsument von heute ist derselbe wie vor 20 Jahren. Mainstream heißt: Die Menschen haben keinen wirklich differenzierten Musikgeschmack und einigen sich auf Trends. Klar, wenn es gerade wichtig für ihr jugendliches Weltbild ist, dann definieren sie sich durch irgendwelche Rapper, denen sie folgen. Aber eigentlich haben sie überhaupt keinen differenzierten Plan und den müssen sie auch nicht haben. Dasselbe kann man auf Mode übertragen. Leute konsumieren Dinge, um dazuzugehören. Das verselbstständigt sich dann. Es sind komplexe Dynamiken in einer großen Gesellschaft. Ich nehme das nicht anders wahr als in meiner Teenagerzeit. Da war plötzlich Aggro Berlin der Shit und alle haben einen auf Gangster gemacht. Auf einmal haben Leute Rap gehört, die sich dafür eigentlich nicht interessiert haben. Da waren sich alle einig. Damals hat mich das mehr gestört, weil ich jünger und auf der Suche nach Definition war. Jetzt habe ich das schon so oft gesehen.
MZEE.com: Einerseits gibt es immer den größten gemeinsamen Nenner, auf den sich alle einigen können. Andererseits gibt es Menschen ein gutes Gefühl, wenn sie denken, sie hätten etwas als erstes entdeckt.
Galv: (lacht) Genau. Das ist es ja. Selbst beim Diggen und im Untergrund geht es den Leuten darum, sich zu definieren. Am einfachsten kannst du das, indem du dich abgrenzt. Das ist im Rap schon immer total ausgeprägt. Ich habe das nie verstanden und mich davon freigemacht. Auf meinen Reisen habe ich gesehen, wie HipHop in anderen Ländern funktioniert. Das hat mir noch mal mehr die Augen geöffnet. Rapper, die andere Rapper wegen ihres Stils ablehnen, haben nicht kapiert, dass sie von außen betrachtet nicht näher aneinander sein könnten. Wenn du eine dritte Perspektive von jemandem, der kein Deutsch spricht, annehmen würdest, und ihm einen Trap- und einen Boom bap-Song vorspielst, dann hört der zwei deutsche Stimmen, die Rap machen. Er würde sagen, dass das Deutschrap ist. Da bin ich nicht so drin. Ich feier' was oder es ist mir wurscht. Da bist du dem ja nicht ausgeliefert. Du kannst einfach Stop drücken und weiter geht's, ohne dich negativ aufladen zu müssen.
MZEE.com: Kommen wir zu musikalischen Strömungen innerhalb der Szene: Viele Musiker werden in der öffentlichen Wahrnehmung als Teil der HipHop-Szene betrachtet, aber ihre Musik ähnelt eher Pop. Ist sowas eher eine Bedrohung oder eine Bereicherung der HipHop-Kultur?
Galv: Das ist mir egal. Jeder kann machen, was er will. HipHop ist nicht mehr das, was es mal war, ohne das negativ zu meinen. Er erfindet sich die ganze Zeit neu. HipHop ist schon so lange relevant, das ist doch das Geile daran. Evolutionär haben sich viele Zweige verselbstständigt und entwickeln sich weiter. Ich bin mein halbes Leben schon darüber hinweg, jemanden definieren zu müssen, um mich besser zu fühlen. Am Ende ist es Musik. Die kann keine Bedrohung für irgendjemanden sein.
MZEE.com: Die Grenzen verschwimmen teilweise sehr. Das ist ja an sich nichts Schlechtes.
Galv: Das ist doch HipHop. Irgendwas nehmen und etwas Neues daraus machen. Und etwas wirklich Neues gibt es nie. Alles war schon mal da. Da muss man schon richtig ignorant sein, wenn man sagt: "Das geht ja gar nicht!"
MZEE.com: Auch Sprache entwickelt sich ständig. In deiner Musik kommt häufig das Wort "Fly" vor. Es war Jugendwort des Jahres 2016. Wie bewertest du den Einfluss von Deutschrap auf die Sprache?
Galv: Echt? 2016? (lacht) Da muss ich mal anfangen, drauf zu achten. Der Einfluss auf die Sprache ist enorm. Dadurch, dass Rap insgesamt wahrscheinlich aktuell der größte gemeinsame Nenner der westlichen Kultur zu sein scheint. Rap ist sprachlich stark amerikanisiert. Da manifestieren sich natürlich Ausdrücke und die setzen sich dann in unserem Sprachgebrauch fest.
MZEE.com: Warum musst du mehr darauf achten?
Galv: Ich habe ein komplettes Album gemacht, das sich ums Fliegen dreht. "Vola" ist auf Italienisch der Imperativ für Fliegen. Darauf habe ich dann als Konzeptsong "Fly sein" gemacht, weil ich gemerkt habe, dass ich das Wort nicht einmal benutzt habe, weder in einem Song noch als Titel. Wenn ich diesen Song performe oder mir Gedanken über den Begriff mache, lande ich eher bei Curtis Mayfield und "Superfly". So oldschool bin ich dann schon wieder. "Fly" war bestimmt schon 1973 mal Jugendwort des Jahres in Amerika. Natürlich mit einem "super" davor. (lacht)
MZEE.com: Zum Abschluss: Welcher Trend ist deiner Meinung nach der beständigste?
Galv: Ich glaube "Rich and Famous" ist der stärkste, weil das eine globale Dynamik ist. Auch wenn du eine Gegenbewegung mit Nachhaltigkeit hast, ist diese nicht zu vergleichen mit dem Streben nach einem besseren Leben. Ich denke, das ist die stärkste Strömung auf der Welt. Es ist der älteste und konstanteste Trend, der immer da sein wird. Der ist für uns immer unverständlich, weil wir die Privilegiertesten sind. Für den Großteil der Erde ist es das stärkste Grundbedürfnis, ein besseres Leben zu haben. Ich glaube, das war immer relevant und wird immer relevant sein.
(Malin Teegen)
(Fotos von Rob Hak)