An dieser Stelle möchten wir Gedanken zu aktuellen Geschehnissen aus dem Deutschrap-Kosmos zum Ausdruck bringen. Die jeweils dargestellte Meinung ist die des Autors und entspricht nicht zwangsläufig der der gesamten Redaktion – dennoch möchten wir auch Einzelstimmen Raum geben.
In unserem aktuellen Kommentar beschäftigt sich unser Redakteur Daniel mit dem Generationskonflikt der Szene in Bezug auf Kritik an modernem Rap.
"Auf deinem T-Shirt ist ein Parental Advisory-Schild – ja, niedlich!
Dann lass dir doch mal von deinen Eltern erzählen, was gute Musik ist – die hören wenigstens die Beatles."
Was Juse Ju auf "Da.Yo.Ne" rappt, könnte fast eine Blaupause für Kommentarspalten der gesamten Rapszene darstellen. Unter jedem Social Media-Post sämtlicher HipHop-Medien findet sich stets die Feststellung, dass der im Artikel oder Video erscheinende Künstler dem (einzig wichtigen) eigenen Geschmack nicht entspräche. Darauf folgt dann immer auch der Hinweis, was "gute Musik" wirklich sei – so obligatorisch, dass das Ganze bereits zum Meme avancierte. Besonders der mit erhobenem Zeigefinger posierende Kool Savas, der darauf hinweist, dass die gepostete Musik, das Video oder der Artikel nichts mit HipHop zu tun hätte, erfreut sich hier größter Beliebtheit.
Und klar, irgendwo ist es sicherlich dem Wettbewerbsgedanken der Kultur geschuldet, dass Leute sich animierter fühlen, Musik schlecht zu reden, die nicht dem eigenen Geschmack entspricht. Mehr noch, als jene zu supporten, die sie als gut empfinden. Doch gerade wenn es um den "Generationenkonflikt" geht, scheint das Ganze oftmals eher kontraproduktiv.
Wann immer ein Artikel zu einem neuen, jungen Künstler angefangen wird, beginnt ein Oldschooler mit Lockerungsübungen der Finger, um bei Veröffentlichung besagten Artikels bereitzustehen. Irgendjemand muss den ahnungslosen Jungspunden ja erklären, warum das "kein echter HipHop" sei. Und auch wenn es nicht immer in dieser Form passierte und der Einzug von Social Media in die Szene dies noch mal auf ein ganz anderes Level brachte, gab es diese Form der Kritik schon immer.
Ich muss mir nur nochmals das obenstehende Zitat ansehen und fühle mich in eine Zeit zurückversetzt, in der "HipHop-Heads" mir erklären wollten, wie lächerlich es sei, dass diese "Aggro-Typen" jetzt Warnhinweise auf ihre Cover drucken würden, nur um sich optisch dem echten Gangsterrap aus den Staaten anzugleichen. Und so wie ich damals die Vorträge über Fake-Images und die ewig langen Listen von "echten Künstlern", die "den Scheiß seit Jahren richtig machen", gekonnt ignorierte, ging es genau diesen Oldschoolern früher auch mal. Genau wie der Generation vor diesen. Und der Generation vor dieser.
Irgendwann mussten sich junge Musikkonsumenten ja auch mal anhören, dass diese "Beatles" keine echte Musik seien. Nicht zuletzt, weil deren Texte die Köpfe der Jugend verderben würden und man sich doch bitte lieber die Bands und Künstler anhören sollte, die seit Jahren erfolgreich gute Musik machten. Man stelle sich vor, wie Politiker, Lehrer oder andere Institutionen sich lautstark gegen "das schreckliche Gedudel" der Pilzköpfe echauffierten, weil es "schädlich für Kinder" sei. Eine Band, die wohl zu den prägendsten Erscheinungen der gesamten Musikgeschichte gehört und nicht zuletzt den Rekord für die meisten Nummer-eins-Hitsingles hält.
Ach nee, ist ja gar nicht mehr so … Denn genau dieser Rekord wurde 2019 gebrochen. Und auch wenn die Oldschooler schon verächtlich schnauben und die Finger auf die Tastatur legen, um zu kommentieren, warum sich sein Erfolg nicht mit dem der Beatles vergleichen ließe, der neue Rekordhalter ist Capital Bra. Gleich vorweg: Capital trifft auch meinen Musikgeschmack nicht im Geringsten. Drei, maximal vier seiner Tracks habe ich jemals wirklich bewusst angehört – und auch die eher aus Interesse daran, ob der Hype um ihn meiner Meinung nach berechtigt ist oder nicht. Doch auch wenn ich weder mit dem Sound noch den Texten oder der Attitüde etwas anfangen kann, würde ich es mir nicht erlauben, anderen, speziell jüngeren Generationen, ihren persönlichen Geschmack abzusprechen. Nicht zuletzt, weil es ja sogar wissenschaftliche Erklärungen für den geschmackstechnischen Generationskonflikt gibt. Die empirisch belegten Gründe liegen dabei unter anderem beim "alternden" Gehirn, dem es mit den Jahren immer schwerer fällt, subtile Unterschiede und Details im Soundbild festzumachen und neue Tracks daher gefühlt immer gleich klingen. Dies geschieht nicht zuletzt, weil wir uns selbst moderner Musik weniger aussetzen – der sogenannte "Mere-Exposure-Effekt".
Dass sich die Szene auch über unseren Geschmack hinaus weiterentwickelt, ist also nicht nur normal – es ist auch notwendig. Auch die Oldschooligsten unter den Oldschooligsten müssen sich irgendwann eingestehen, dass der Sound und vor allem die Künstler, mit welchen sie ihre Jugend verbinden, irgendwann zum "alten Eisen" gehören und Rap auch ohne sie im Schlepptau voranschreitet. Der Stillstand wäre der Tod der Szene. Wenn ich mir vorstelle, Rap stünde in allen Belangen noch an dem Fleck, an dem ich ihn für mich entdeckte und Gefallen daran fand, würde ich mir heute wohl gerade die "Aggro Ansage Nr. 20" ins Regal stellen – und nichts, was Nummer 20 von irgendwas ist, ist gut. Denn ohne Entwicklung würde darauf Sido mit fast 40 (und weiterhin mit Maske) von Geld, Sex, Gewalt und Drogen rappen und B-Tight in jeder zweiten Zeile das N-Wort droppen. Nichts an einer "Ansage Nr. 20" – abgesehen von weiteren Tony D-Parts – klingt also in irgendeiner Weise verlockend.
Akzeptieren zu müssen, dass sich Rap weiterentwickelt, heißt dabei aber noch lange nicht, sich mit jeder Entwicklung abfinden zu müssen. Niemand verlangt von irgendwelchen Torch-Heads, dass sie Sero, Mero und andere -eros feiern. Genau so wenig verlangt man, dass sie deren Kunst unkommentiert hinnehmen.
Schließlich kann die Kritik an modernem Rap ja durchaus legitim sein – nicht nur im Hinblick auf rein geschmackliche Aspekte. Denn nicht erst, seit die Szene sich fest in den deutschen Albumcharts etablierte und mehr und mehr zur reinen Unterhaltungsmusik avanciert, scheint sie oftmals an kritischem Anspruch, Biss und Aussagekraft zu verlieren. Gerade vor dem Hintergrund Spotify-geprägter "Lelele"-Hits kann man jenen, die hier die "guten alten Tage" herbeisehnen, ihren Wunsch nach Rückkehr zu inhaltlicher Tiefe kaum übel nehmen. Selbst, wenn diese "guten alten Tage" dabei oftmals ebenso idealisiert wie die positiven Seiten aktueller Titel ignoriert werden. Werden entsprechende Punkte in den Kommentarspalten angesprochen, findet sich oftmals Zuspruch von allen Seiten und das sogar generationenübergreifend.
Aber genau hieran scheitert das Gros der Kritiker meist: ihr Problem mit moderner Musik nachvollziehbar zu kommunizieren und treffend zu formulieren. Geht es um schlichtes Meckern und Jammern, verpufft die Kritik, wird nicht ernstgenommen und verendet letztlich als die eingangs erwähnten Memes.
Zusammenfassend ist wohl zu sagen, dass sich die Rapszene immer im Wandel befinden wird – und das ist auch gut so. Jüngere Generationen werden ihre eigenen Inspirationen einbringen, frischen Wind in die Segel blasen und die Musik auf ihre Weise prägen. Selbstverständlich sind dabei nicht alle Veränderungen positiv, nicht jede Entwicklung mag den eigenen Geschmack, Anspruch oder gar moralische Vorstellungen treffen. Die Kritik daran ist also durchaus angebracht – sofern sie denn entsprechend formuliert wird. Es ist wie im Battlerap: Eine treffende, auf den Gegner zugeschnittene Punchline hat immer mehr Wirkung als irgendwelche generischen Bars, die sich mit dem Gegenüber nicht auseinandersetzen.
(Daniel Fersch)
(Grafik von Daniel Fersch)