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Interview

Steasy – ein Gespräch über Angst

"Men­schen den­ken, dass ihnen etwas weg­ge­nom­men wird und dass sie nicht mehr so wei­ter­le­ben kön­nen wie zuvor." ‒ Steasy im Inter­view über die aktu­el­le Corona-​Lage und die Ängs­te, die sie bei vie­len Men­schen auslöst.

Sie beglei­tet uns von klein auf und wan­delt sich mit den Jah­ren: die Angst. Das ein­ge­bil­de­te Mons­ter unter dem Bett wird mit dem Älter­wer­den von Zukunfts­sor­gen oder dem Bewusst­sein der eige­nen Sterb­lich­keit abge­löst. So gut wie jeder Mensch trägt Ängs­te in sich und muss im Lau­fe sei­nes Lebens ler­nen, mit ihnen umzu­ge­hen. Wäh­rend vie­le Rap­per ver­su­chen, sich als mög­lichst aut­ark und furcht­los dar­zu­stel­len, wird Angst oft­mals noch als eine Schwä­che aus­ge­legt, die es zu ver­ber­gen gilt. Steasy wur­de in den ver­gan­ge­nen Jah­ren mit Sor­gen kon­fron­tiert, die sei­ne Sicht auf vie­le Din­ge ent­schei­dend ver­än­dert haben. Sein kom­men­des Album zeigt des­halb eine zer­brech­li­che­re Sei­te des Rap­pers, der in sei­ner Musik sonst immer einen eher läs­si­gen und unbe­schwer­ten Ein­druck ver­mit­tel­te. Wir haben mit Steasy über sei­nen Wan­del gespro­chen und dar­über, wie die Corona-​Pandemie vie­le von uns beein­flusst. Außer­dem ging es dar­um, wie sich bei­spiels­wei­se die AfD die Ängs­te der Men­schen zu Nut­ze macht, um Stim­men für sich zu gewinnen.

MZEE​.com: Zu Beginn möch­ten wir ger­ne von dir wis­sen, wann du zum ers­ten Mal in dei­nem Leben inten­si­ve Angst ver­spürt hast. 

Steasy: Ich kann mich an zwei Erleb­nis­se erin­nern: Ein­mal war ich mit mei­nem Vater und mei­nem Bru­der im Urlaub Body­board fah­ren. Dabei bin unter eine gro­ße Wel­le gekom­men und für meh­re­re Sekun­den nicht mehr auf­ge­taucht. Als klei­nes Kind hat sich das wie eine hal­be Ewig­keit ange­fühlt. Außer­dem kann ich mich an eine Heim­fahrt wäh­rend mei­ner Grund­schul­zeit erin­nern. Ich bin allei­ne aus dem Bus gestie­gen und an der Hal­te­stel­le saß ein mut­maß­li­cher Obdach­lo­ser. Er schäl­te einen Apfel und bedroh­te mich mit sei­nem Mes­ser. Ich war noch klein und hat­te tie­ri­sche Angst in die­sem Moment. Zunächst konn­te ich das nicht ver­ar­bei­ten und habe abends vor mei­ner Mut­ter ange­fan­gen, zu weinen.

MZEE​.com: Wie macht sich Angst heu­te bei dir bemerkbar?

Steasy: Bei mir hat sich Angst oft län­ger­fris­tig in Form von Schlaf­lo­sig­keit, Panik, Herz­ra­sen oder Schweiß­aus­brü­chen bemerk­bar gemacht. Manch­mal sind es nur kur­ze Momen­te, aber andau­ern­de Angst zeigt sich bei mir mit kör­per­li­chen Symptomen.

MZEE​.com: Du hast eben zwei Bei­spie­le genannt, die schon eine län­ge­re Zeit zurück­lie­gen. Inwie­weit hast du das Gefühl, dass sich dei­ne Sor­gen mit dem Älter­wer­den ver­än­dern oder verlagern? 

Steasy: Die Ängs­te neh­men mit dem Alter zu. Man hat wesent­lich mehr Sor­gen wie zum Bei­spiel Exis­tenz­ängs­te und wird sich der eige­nen Sterb­lich­keit bewusst. Man nimmt immer mehr wahr, dass gelieb­te Men­schen um einen her­um irgend­wann nicht mehr da sind. Wenn man dann selbst beim Arzt sitzt und auf eine Dia­gno­se war­tet, wird einem das alles noch stär­ker bewusst.

MZEE​.com: Wo wür­dest du die Gren­ze zwi­schen gesun­der und unge­sun­der Angst ziehen?

Steasy: Angst kann schnell unge­sund wer­den, wenn sie zu einem Dau­er­zu­stand wird – zu einem Teu­fels­kreis, aus dem man nicht mehr her­aus­kommt. Gesun­de Angst hat etwas mit einem gesun­den Men­schen­ver­stand zutun. Es geht zum Bei­spiel dar­um, sich nicht in lebens­ge­fähr­li­che Situa­tio­nen zu bege­ben. Dazu gehört auch, dass man sich Hil­fe sucht und über sei­ne Ängs­te spricht, sobald man allei­ne nicht mehr weiterkommt.

MZEE​.com: Reden wir in die­sem Zusam­men­hang über die Gesell­schaft und die­ses prä­gen­de Jahr. Die Corona-​Pandemie hat bei vie­len Men­schen Unsi­cher­hei­ten aus­ge­löst und dazu geführt, dass diver­se Ver­schwö­rungs­theo­rien ver­brei­tet wur­den. Wie bewer­test du das?

Steasy: Men­schen den­ken, dass ihnen etwas weg­ge­nom­men wird und dass sie nicht mehr so wei­ter­le­ben kön­nen wie zuvor. Ein ande­res Bei­spiel ist die Flücht­lings­kri­se, die bei Men­schen Ängs­te schürt und rech­tes Gedan­ken­gut befeu­ert. Die Frei­heit, die sie nor­ma­ler­wei­se in die­sem Land genie­ßen, wird wäh­rend der Pan­de­mie ein wenig ein­ge­schränkt. Im Ver­gleich zu ande­ren Län­dern leben wir hier aber in einem Para­dies. Des­halb habe ich wenig übrig für der­ar­ti­ges Gedan­ken­gut. Ich kann aber auch die Ängs­te von Men­schen ein Stück weit ver­ste­hen, deren Exis­tenz bedroht ist und die sich des­halb in sol­che Ver­schwö­rungs­theo­rien flüch­ten. Das ist sehr gefähr­lich und wir müs­sen alle etwas gegen die­se Spal­tung der Gesell­schaft tun.

MZEE​.com: Die Bericht­erstat­tung hat in die­sem Fall ihren Teil dazu bei­getra­gen. Was für eine Rol­le spielt dei­ner Mei­nung nach Angst in gesell­schaft­li­chen und poli­ti­schen Diskussionen?

Steasy: Poli­ti­ker muss­ten schon vor Coro­na mit den Sor­gen der Men­schen umge­hen. Jeder will sein Stück vom Kuchen haben und damit muss die Poli­tik klar­kom­men. Coro­na macht das Gan­ze noch mal um eini­ges schwieriger.

MZEE​.com: Oft wur­de Angst als Mit­tel genutzt, um Men­schen auf die eige­ne Sei­te zu zie­hen. Glaubst du, dass bei­spiels­wei­se die AfD dadurch mehr Zuspruch erlangt?

Steasy: Defi­ni­tiv! Par­tei­en wie die AfD gewin­nen einen Groß­teil ihrer Wäh­ler dadurch, dass sie irra­tio­na­le Ängs­te schü­ren. Genau­so funk­tio­niert es auch bei Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­kern wie Atti­la Hild­mann. Ängs­te spie­len hier­bei eine ganz ent­schei­den­de Rolle.

MZEE​.com: Zie­hen wir mal dei­ne Musik hin­zu. Dein neu­es Album ist um eini­ges per­sön­li­cher als dei­ne vor­he­ri­gen Wer­ke. Hat­test du beim Ent­ste­hungs­pro­zess oder auch jetzt noch Beden­ken, dich so ver­letz­lich zu zeigen?

Steasy: Bei gewis­sen Songs habe ich über­legt, ob sie mich irgend­wann noch mal ein­ho­len könn­ten und ich eine Gren­ze über­schrei­te, wenn ich sie ver­öf­fent­li­che. Man­che der Tracks sind sehr intim und könn­ten auch Men­schen aus mei­nem Umfeld ver­let­zen oder vor den Kopf sto­ßen. Den­noch kamen die Songs so aus mir raus und ich habe schnell aus­ge­schlos­sen, ein­zel­ne zu ver­wer­fen. Letz­ten Endes war es eine Form von Selbst­the­ra­pie, an der Musik zu arbei­ten, ohne sie bis dato ver­öf­fent­licht zu haben.

MZEE​.com: Auf dem Track "Mein Herz" the­ma­ti­sierst du dei­ne Furcht vor dem Tod, der unaus­weich­lich ist. Wie hast du gelernt, mit die­sem Gefühl umzugehen?

Steasy: Ich weiß nicht, ob man ler­nen kann, mit sol­chen Gefüh­len umzu­ge­hen. Vor allem nicht, wenn man Erfah­run­gen wie ich gemacht und sich nicht mehr in die­ser Welt gese­hen hat. Am ein­fachs­ten ist es, das Leben zu genie­ßen und sich abzu­len­ken. Im All­tag wird man damit nicht kon­fron­tiert. Aber wenn es einem schlecht geht und man auf eine Dia­gno­se war­tet, die alles ver­än­dern könn­te, dann schwingt die Angst natür­lich im All­tag mit und schlägt auf die Psy­che. In genau sol­chen Situa­tio­nen ist es wich­tig, dass einem gehol­fen wird.

MZEE​.com: Wir haben dir zu dem The­ma ein Zitat von Pries­ter Antho­ny de Mel­lo her­aus­ge­sucht: "Angst liegt nie in den Din­gen selbst, son­dern dar­in, wie man sie betrach­tet." – Wür­dest du der Aus­sa­ge zustimmen?

Steasy: Für mich leuch­tet das Zitat ein, weil die Angst immer im Auge des Betrach­ters liegt. Bei man­chen ist die Angst durch bestimm­te Ereig­nis­se aus­ge­präg­ter. Man muss ler­nen, mit sei­nen eige­nen Ängs­ten umzu­ge­hen und sich not­falls pro­fes­sio­nel­le Hil­fe holen. Ich selbst habe dar­über nach­ge­dacht, dann aber doch noch einen Weg gefun­den, mir selbst hel­fen zu können.

MZEE​.com: Hast du zum Schluss noch einen Rat für die­je­ni­gen, die mit star­ken Ängs­ten zu kämp­fen haben?

Steasy: Geht offen mit euren Ängs­ten um und redet mit euren Liebs­ten über Din­ge, die euch belas­ten, bevor ihr eine The­ra­pie in Erwä­gung zieht. Selbst, wenn ihr nie­man­den habt oder mit euren Freun­den nicht über eure Pro­ble­me reden könnt, gibt es immer noch ande­re Optio­nen als eine kost­spie­li­ge The­ra­pie anzu­fan­gen, wegen der mög­li­cher­wei­se auch noch Geld­sor­gen hinzukommen.

(Moritz Frie­den­berg & Sicko)
(Fotos von Dani­el Pries & Mari­an Pollok)