Wenn es in diesem Jahr etwas gibt, was besonders wichtig ist, dann ist es Zusammenhalt. Sei es, sich mit Schwarzen und People of Color zu solidarisieren, um Haltung gegen Rassismus zu zeigen oder eine Maske zu tragen. Viele Menschen machen genau das – leider gibt es jedoch auch einige, die das nicht tun. Chefket ist kein Teil davon. Er ist ein Rapper, der weiß, was Zusammenhalt bedeutet. Nicht zuletzt bewies er das durch seine Teilnahme an der "#verantwortungtragen"-Initiative von DOJO Ruined My Life, um die zivile Seenotrettung zu unterstützen. Wer den Künstler auf Instagram verfolgt, merkt außerdem, dass er in Bezug auf Rassismus kein Blatt vor den Mund nimmt. Mit Zeilen wie "Der Virus wär' ein Einzeltäter, wenn er einen deutschen Namen hätte" verteilt er lyrisch verpackte Seitenhiebe, die seine Haltung unterstreichen. Doch wie definiert er Zusammenhalt? Und wie hat er ihn dieses Jahr in seinem Umfeld erlebt? Wir baten Chefket zum Interview, um herauszufinden, welchen Zusammenhalt er durch die Green Berlin-Crew erfährt und warum es ihm trotzdem wichtig ist, gewisse Dinge als Einzelkämpfer zu bestreiten. Außerdem ging es um die Black Lives Matter-Bewegung und welcher Zusammenhalt durch gemeinsame Diskriminierungserfahrungen entsteht.
MZEE.com: Zu Beginn möchte ich von dir wissen, ob es spezifische Momente in deinem Leben gab, in denen dir so richtig bewusst geworden ist, wie wichtig Zusammenhalt ist.
Chefket: Ich weiß, dass Zusammenhalt sehr, sehr wichtig ist, habe aber immer versucht, meinen Tisch erst mal alleine zu decken. Dann kannst du Leute einladen, die ihre Zutaten hinzufügen und gemeinsam mit ihnen essen. Ich hab' aber auch gemerkt, dass der Hokuspokus um die Individualität eine kleine Falle sein kann. Jeder will so individuell wie möglich sein, sich verwirklichen und verpasst etwas, was dieses Kollektivgefühl betrifft. Ich bin seit ungefähr zehn Jahren bei Green Berlin. Da hab' ich gemerkt, wie wichtig Zusammenhalt ist, wenn man mit allen im Studio ist und Musik macht. Man hilft sich gegenseitig – vier Ohren hören mehr als zwei. Du kannst so gut sein, wie du willst, wenn du kein gutes Team um dich herum hast, ist es wirklich schwierig, vor allem mit der Musik. Abgesehen davon wissen wir alle, wie wichtig Zusammenhalt in der Familie ist. Ich hab' damals mit DJ Werd, Amewu und Kenji451 Mucke gemacht. Wir haben nie darüber geredet, wer woher kommt. DJ Werd kommt aus Amerika, Amewu ist ghanaisch-deutsch, Kenji ist Koreaner, ich hab' türkische Wurzeln … Das war nie ein Thema. Mir ist in Berlin aufgefallen, dass es hier eine andere Art von Zusammenhalt gibt. Die Leute sind ein bisschen politischer, weil die Stadt es hergibt. Ich wurde auf Veranstaltungen eingeladen, die eher links einzuordnen sind. Bei Podiumsdiskussionen hab' ich gemerkt, dass ich anscheinend links bin. Ich dachte aber immer, ich wäre einfach Humanist. Da habe ich Zusammenhalt mitbekommen. Die Menschen hier setzen sich für diejenigen ein, die weniger haben oder eine Stimme brauchen. Kreuzberg hat mir auch gezeigt, was Zusammenhalt bedeutet. Ich komme hier hin, aus dem Dorf Heidenheim mit 50 000 Einwohnern, und bin fremd in der Stadt. In Kreuzberg leben Leute, die damals an die Mauer gedrängt wurden, weil es dort günstig war. Dann fiel die Mauer und die waren plötzlich mittendrin. Sie haben die Ecke, in die sie gedrängt wurden, rund gemacht. Es gibt Floristen, Juweliere, Restaurants und ältere Herren, die in Cafés sitzen und alle grüßen. Das war für mich ein Ort, an dem ich meine Energie aufladen konnte. Hier habe ich gemerkt, dass ich nicht alleine war. Wenn ich broke war, war das richtig wichtig für mich, weil ich hier 'ne Kippe für zehn Cent im Späti kaufen konnte. Ich konnte auch für 50 Cent 'ne Stunde im Internet surfen und meine Sachen bei Myspace hochladen. (lacht) Berlin hat mir auf jeden Fall gezeigt, dass es das gibt.
MZEE.com: 2020 ist ein Jahr, das besonders viel Zusammenhalt fordert. Sei es im Umgang mit der Pandemie oder Rassismus und der Black Lives Matter-Bewegung. Wie hast du das in deinem persönlichen Umfeld erlebt?
Chefket: Ich bin Anfang Februar nach Taiwan geflogen. Als ich dort ankam, wurde meine Temperatur gemessen und alle Menschen haben Schutzmasken getragen. Wir reden hier über Februar – da war das in Deutschland noch gar kein Thema oder es wurde sich darüber lustig gemacht. Ich komme also da an und die Leute haben alle Masken auf, desinfizieren sich die ganze Zeit und halten Abstand. Alles funktioniert. Wir sind in eine Apotheke gegangen, weil wir uns auch Schutzmasken kaufen wollten. Da war eine riesige Schlange. Die hatten alle einen Pass in der Hand und haben uns klargemacht, dass nur die, die versichert sind, Schutzmasken bekommen. Trotzdem haben alle mitgezogen und waren kollektiv daran beteiligt, diesen Virus einzudämmen. Ich konnte es einfach nicht glauben. Die haben auch gar keine Mülleimer draußen stehen, weil alle ihren Müll mit nach Hause nehmen und recyclen. Die sind so weit. (lacht) Dann komme ich zwei Monate später zurück nach Berlin, geh' mit Schutzmaske in einen Laden und alle gucken mich komisch an. Der Kassierer sagte: "Du weißt schon, dass die Maske dich nicht schützt?" Ich hab' ihm gesagt, dass sie ja vielleicht ihn schützt, falls ich krank sein sollte. Mich hat deswegen in den zwei Monaten in Asien niemand von der Seite angequatscht. Es ist ein bisschen schade, dass es hier so lange gedauert hat. An der Black Lives Matter-Bewegung hat man gemerkt, dass es wichtig ist, zusammenzuhalten. Dass man sich einsetzt, auch wenn es einen nicht betrifft. Als ich während der BLM-Demo auf dem Alexanderplatz stand und zum ersten Mal ganz laut "Black Lives Matter" geschrien hab', ist mir erst richtig klar geworden, wie traurig es ist, dass man das überhaupt sagen muss. Wenn wir bei dem größten Problem anfangen, Rassismus gegen Schwarze, kann man von da aus weitergehen, intersektional denken und auch Rassismus gegen People of Color und Homophobie thematisieren.
MZEE.com: Es gibt viele Menschen, denen es egal zu sein scheint, was auf der Welt passiert. Woran, denkst du, könnte das liegen?
Chefket: Auf dem Weg zur BLM-Demo am Alex hab' ich mit dem Taxifahrer geredet. Als ich ihm gesagt habe, wohin ich fahren möchte, fragte er: "Ah! Bringt das was?" Ich glaube, manche haben viele Demos gesehen, bei denen anschließend keine Veränderung stattgefunden hat. Man resigniert. Die sehen vielleicht gar nicht die Power, die es haben kann, wenn man sich mit anderen zusammentut. Natürlich hat es zusätzlich damit zu tun, dass der Taxifahrer ganz andere Probleme und keine Zeit für sowas hat, weil er seinen eigenen Arsch retten muss. Das sieht man auch an den verschiedenen Communities. Wenn Demos gegen Nazis stattfinden, sind meistens keine PoCs dabei. Die haben ein ganz anderes Leben und vielleicht lebensnotwendige Sachen zu tun. Vielleicht haben die gar nicht das Privileg, darüber nachzudenken. Ich glaube, das ist das Problem. Ich bin Musiker und hab' die Zeit, nachzudenken. Es gibt Studenten, die diese auch dafür aufbringen können. Durch Corona waren es vielleicht mehr Leute, die Zeit hatten. Es ist auch krass, dass es jetzt zu dieser Zeit passiert ist. Vielleicht wäre es nicht so groß gewesen, wenn jeder seinen normalen Job hätte machen müssen.
MZEE.com: Krisensituationen können den Zusammenhalt fördern, indem man sich gegenseitig hilft oder stärker auf Ungerechtigkeiten aufmerksam macht. Glaubst du, dass diese Krisen unseren Umgang miteinander nachhaltig stärken können?
Chefket: Ich glaube schon, dass es so bleibt. Als ich die erste Zeit durch meine Nachbarschaft gelaufen bin, hab' ich Leute draußen sitzen sehen, die kein Handy auf dem Tisch oder in der Hand hatten. Die waren so froh, wieder Leute zu treffen und mit ihnen reden zu können. Du hast gesehen, dass die richtig Redebedarf hatten. (lacht) Die hatten gar keinen Bock mehr, die ganze Zeit aufs Handy zu gucken. Ansonsten hab' ich gemerkt, dass der Zusammenhalt anfangs sehr positiv war. Dann kamen die Leute, die unbedingt ihre Gedanken in die sozialen Medien husten und andere noch mehr verwirren wollten. Ich weiß nicht, ob die Maske etwas bringt, aber ich trag' die jetzt einfach mal. Der Arzt trägt die auch den ganzen Tag. Ich glaub', dass irgendwann ein Umschwung kam, nach dem es sich plötzlich nicht mehr nach Zusammenhalt angefühlt hat. Die Leute wollten sich wichtigmachen. Das hat sich aber gelegt und mittlerweile sehe ich nur noch Menschen, die eine Maske tragen.
MZEE.com: Viele Künstler haben sich an der BLM-Bewegung beteiligt und solidarisch geäußert. Wie viel davon, denkst du, war rein für die Außenwirkung?
Chefket: Das kann ich gar nicht einschätzen. Ich glaube aber, dass es egal ist – Hauptsache, sie haben es gemacht. Vor allem die, die gar nicht davon betroffen sind. Viele haben sich damit auseinandergesetzt, Bücher empfohlen und gelesen, obwohl sie Weiß sind und aus der Mehrheitsgesellschaft kommen. Das fand ich cool. Als Rapper war es für mich natürlich wichtig, das noch mal zu betonen. Ich meine, wer meine Musik kennt, weiß, dass ich nicht erst seit gestern meine Stimme gegen Missstände erhebe. Mir war es aber wichtig, den Bogen zu HipHop zu spannen. Leute, ihr verdient Geld mit einer Kultur, die von Schwarzen kommt. Wie kann man da still sein? Ich hab' nicht genau verfolgt, wer was gepostet hat und wer nicht – aber es hätten noch mehr sein können.
MZEE.com: Reden wir mal über deine Musik und dein Umfeld. Du bist schon lange Teil der Green Berlin-Crew. Wie wirkt sich der Zusammenhalt bei euch auf deine Musik aus? Kannst du dich freier entfalten, wenn du weißt, dass du deine Crew im Rücken hast, die dich bedingungslos unterstützt?
Chefket: Ich glaube, bedingungslos wäre das falsche Wort. Es muss ja auch alles geil sein, ne. (lacht) Wir haben alle einen guten Geschmack und weisen uns darauf hin, wenn etwas nicht geil ist. Wack ist es nie, aber vielleicht gibt es Dinge, an denen man etwas machen kann. Im Grunde genommen ist es einfach eine Freundschaft, die seit ungefähr zehn Jahren besteht. Es ist gut, in der Musikszene einen Freundeskreis zu haben, in dem alle einen ähnlichen Vibe haben und Dinge ähnlich sehen. Wir sind sehr erfahren in dem, was wir machen und können das auch alles umsetzen. Es geht jetzt erst richtig los. Wir machen einfach nur Musik, bringen geile Sachen raus und die Leute, die uns folgen, verstehen es auch. Wenn man zu sehr auf den Teller von anderen guckt, wird das eigene Essen kalt. Und wir gucken eben, dass wir zusammen gutes Essen machen. Fünf Sterne Restaurant. Kein Fast Food.
MZEE.com: Gordon Ramsay Type Beat.
Chefket: (lacht) Genau!
MZEE.com: Wodurch wird für dich unbedingter Zusammenhalt deutlich?
Chefket: Wenn ich mich zum Beispiel einen Tag vorher dazu entscheide, einen Text zu verändern, obwohl schon alles gemastert ist und sich jemand die Zeit nimmt und sagt: "Ja klar, machen wir, kein Problem." Wenn die Leute nicht abgefuckt sind von meinem Hin und Her. (lacht) Die wissen, dass ich so bin und andersherum ist es genauso. Wenn irgendetwas gebraucht wird, bin ich direkt dabei. Das Wort Loyalität wird so oft benutzt, aber das sind wir in jeder Hinsicht.
MZEE.com: Auf "Egotrip" jedoch rappst du "Jeder gegen jeden, jeder hatet, jeder gegen dich" und "Ich bin allein, nein, ich halte mich an niemand". – Fällt es dir leichter, Ziele als Einzelkämpfer zu erreichen?
Chefket: "Egotrip" war für mich ein krasser Befreiungsschlag, weil ich beim Major nicht zufrieden war und mich nicht wohlfühlte. Ich musste da raus und hab' während Corona mein eigenes Label gegründet, damit ich Musik so herausbringen kann, wie ich es will. Das war der positive Egotrip, den ich damit meinte. Ich hab' es aber extra nicht so ausgedrückt. Ich wollte, dass dieser Egotrip erst mal negativ wahrgenommen wird. Sich an niemanden zu halten, bedeutet aber nicht zwangsläufig etwas Negatives. Wenn jemand zu mir sagt "Du kommst aus Heidenheim, was willst du denn jetzt in Berlin? Da kennst du niemanden!", gehe ich dahin und mache mein Ding. Oder es wird gesagt: "Ey, beim Major ist es doch gemütlich, da kriegst du das ganze Geld und die pushen das." Ich will das aber selbst machen, weil ich keine Lust darauf habe, irgendwelchen Leuten Musik vorzuspielen, die ich nicht mag. Manchmal muss man das einfach machen, um Haltung zu zeigen und zu merken, dass man Leute mitziehen kann. Wenn ich keine Haltung habe, kann ich niemanden von meiner Vision überzeugen.
MZEE.com: Ich möchte mit dir noch über deinen Gastbeitrag in David Mayongas Buch "Ein Neger darf nicht neben mir sitzen" reden. Dort schreibst du Folgendes: "Die Einzigen, die mich verstanden haben, waren Frauen. Weil sie auch nie genug sind." – Denkst du, dass Diskriminierung Menschen automatisch zusammenschweißt?
Chefket: Es ist ein cooler Nebeneffekt. Man muss sich dann aber auch damit auseinandersetzen. Als ich das Buch "Alte weiße Männer: Ein Schlichtungsversuch" von Sophie Passmann gelesen hab', konnte ich sehr viele Parallelen zu anderen Diskriminierungsformen sehen. Ich habe gemerkt, dass der Feminismus weiter ist, weil viele wissenschaftliche Begriffe benutzt werden und du ein Wort hast, das alles erklärt: Intersektionalität. Woher soll ich das wissen? Man kann viel besser darüber reden, wenn die Bildung da ist. Das ist in der Gesellschaft leider noch nicht der Fall. Die nächsten Generationen der PoCs sind da schon weitergekommen, es ist aber noch nicht so wissenschaftlich. Man kann vom Feminismus sehr viel lernen. Auch wie man mit Diskriminierung umgehen kann und wie man darüber redet, ohne gesagt zu bekommen, dass man sich in der Opferrolle wohlfühlen würde. Man kann sagen "Guck mal, das und das ist ungerecht. Wie seht ihr das?", um einen Diskurs zu beginnen. Vieles ist emotional aufgeladen und man kann als Nicht-Betroffener nichts dazu sagen. Bei einer Veranstaltung für Rap for Refugees habe ich zum ersten Mal einen trans Mann kennengelernt. Der hat gerappt und ich bin danach zu ihm hin und hab' gesagt: "Ey, das ist voll cool, was ihr gerappt habt." Er hat mir seine Story erzählt und es ging auch um Diskriminierung. Zusammen mit einer trans Frau, die dabei war, hat er mir sehr viele Sachen erzählt. Ich war echt geschockt. Die werden bespuckt und geschlagen. Am nächsten Tag beim Frühstück im Hotel saßen die beiden am Tisch und haben wieder darüber geredet. Ich war dann raus und hab' gemerkt, dass es so wohl den Weißen gehen muss, die von den Problemen von Schwarzen und PoCs hören und irgendwann sagen: "Ja, was soll ich jetzt machen? Du hast mir das erzählt, aber ich weiß nicht, was ich machen soll." Der Punkt muss kommen, an dem man Leuten ein Buch empfehlen kann. Aber nicht als Kultur-Informant. Wir können den Leuten in zehn Jahren ja nicht davon erzählen, wie wir gelebt haben und einen Gefühlsporno dahinlegen, wie wir diskriminiert wurden. Es ist wichtig, herauszufinden, wie man kommuniziert, damit es zu einem besseren Zusammenhalt und einer besseren Gesellschaft führt. Ich hab' gemerkt, dass die Leute irgendwann raus sind, wenn man immer nur erzählt. Es ist anstrengend, weil sie nicht wissen, was sie machen sollen. So eine gewisse Ohnmacht: "Ich bin privilegiert und Weiß. Was soll ich jetzt tun? Poste ich etwas zu Black Lives Matter oder komme ich mir dabei heuchlerisch vor?" Ich glaube, es geht immer mehr in die richtige Richtung. Es gibt immer mehr PoCs, die eine Stimme haben, darüber schreiben und versuchen, Leute zu informieren. Ich bin durch das jahrelange Darüberreden ein bisschen abgefuckt. Ich will lieber 'ne geile Story erzählen. Rassismus ist eine riesige Eisenkugel am Fuß, die dich die ganze Zeit aufhält, während alle anderen im Hopserlauf über die Wiese springen. Ich will diese Kugel nicht die ganze Zeit am Bein haben. Das ist der Trick von Rassismus: Du hältst dich damit auf, indem du Leuten erklärst, wie das ist. Man glaubt voll lange, dass mit einem etwas nicht stimmt und denkt, man müsste noch mehr an sich arbeiten. Bis du irgendwann merkst, dass mit dir alles stimmt, aber manche Leute nicht so weit sind. Ich glaube, das wird jetzt immer deutlicher. Ich will, dass in unserer Zeit niemandem mehr der Eintritt in eine Bar verwehrt wird, weil er Schwarz ist. Letztens wollte ein Schauspieler in Köln mit Kumpels in eine Bar und wurde deswegen nicht reingelassen. Dass es sowas immer noch gibt, ist so krass. Ich hab' das ja auch erlebt. Ich bin in ein Taxi gestiegen und der Fahrer wollte mich nicht zum Görlitzer Park fahren. Als ich ihn nach dem Grund gefragt habe, meinte er, ich sei zu nett und zu schmalzig für ihn. Dabei hab' ich ihn einfach nur gefragt, wie es ihm geht. Ich hab' das alles auf Instagram live aufgenommen. Da gab es einen riesigen Shitstorm von Leuten, die gesagt haben: "Wer weiß, was du vorher getan hast." Ich dachte: "Krass, ich habe nichts getan, ich war einfach nur nett." Ich bereue, dass ich den nicht angezeigt habe. Aber ich wollte nicht, dass er noch mehr Hass auf Menschen wie mich schiebt. Ich hätte es eigentlich machen sollen. Solche Sachen passieren immer wieder. Ich hoffe, dass das weniger wird und die Leute ein bisschen vorsichtiger sind, wenn sie anderen sagen, sie würden sich in eine Opferrolle begeben wollen. Keiner hat Bock darauf, das Opfer zu sein.
MZEE.com: Zum Abschluss habe ich dir folgendes Zitat von Martin Luther King mitgebracht: "Wir müssen lernen, entweder als Brüder miteinander zu leben oder als Narren unterzugehen." – Ist das deiner Meinung nach anwendbar auf die aktuelle Lage, in der sich die Welt befindet?
Chefket: Ich glaube, Martin Luther King hat immer versucht, positiv zu sein. Er hat versucht, die Weißen mitzunehmen. Und wurde erschossen. Ich glaube, der Ansatz ist positiv, bin mir aber nicht sicher, ob das möglich ist. Wenn ich von mir ausgehe, dann gerne. (lacht) Ganz ehrlich, wenn ich jemand Älteres sehe, dem es nicht gut geht, stelle ich mir vor, dass das mein Vater oder meine Mutter wäre. Wenn man aber realistisch ist, wird es für viele nicht der Fall sein, dass sie mich als ihren Bruder sehen. Viele verstehen kulturelle Sachen, die in meinem Leben stattfinden, als Angriff auf ihre eigene Kultur. Es wird nicht gesagt "Okay, da ist jemand, der Ideale hat und auf diese Art und Weise lebt", sondern: "Er lebt gegen meine Art und Weise." Sagen wir mal, ich würde keinen Alkohol trinken – was nicht stimmt. Dann würde es Menschen geben, die behaupten, ich wäre dagegen, dass sie Alkohol trinken. Das sieht natürlich nicht jeder so. Ich hab' jetzt auch ein paarmal meinen Weißen Freunden gesagt, dass 2050 die jetzige Minderheit die Mehrheit sein wird. Wollt ihr eine Gesellschaft haben, die diskriminiert und ungerecht behandelt wurde und traumatisiert ist? Oder wollt ihr eine Mehrheitsgesellschaft, die sagt: "Damals, als es uns nicht gut ging, waren alle solidarisch und haben zusammengehalten." Wenn die nächsten Generationen kommen, Weiße in der Minderheit sind und die Mehrheitsgesellschaft sich so verhält, wie sich die jetzige Mehrheitsgesellschaft gegenüber der Minderheit verhält, wird es richtig, richtig scheiße. Wir sollten lieber jetzt darauf achten und versuchen, zu verstehen, wie sich Leute fühlen. Muslimische Einrichtungen werden durchschnittlich zweimal pro Woche zum Ziel von Anschlägen. Im Jahr 2019 gab es 128 Angriffe auf Moscheen. Antimuslimischer Rassismus ist real. Ich hoffe, die Polizei schützt die Moscheen so, wie sie in Berlin Synagogen vor Angriffen schützen.
(Sicko)
(Fotos von Huan Chi)