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Interview

Chefket – ein Gespräch über Zusammenhalt

"Leu­te, ihr ver­dient Geld mit einer Kul­tur, die von Schwar­zen kommt. Wie kann man da still sein?" ‒ Chef­ket im Inter­view unter ande­rem dar­über, wie­so es für Rap­per wich­tig ist, sich mit der Black Lives Matter-​Bewegung zu solidarisieren.

Wenn es in die­sem Jahr etwas gibt, was beson­ders wich­tig ist, dann ist es Zusam­men­halt. Sei es, sich mit Schwar­zen und Peo­p­le of Color zu soli­da­ri­sie­ren, um Hal­tung gegen Ras­sis­mus zu zei­gen oder eine Mas­ke zu tra­gen. Vie­le Men­schen machen genau das – lei­der gibt es jedoch auch eini­ge, die das nicht tun. Chef­ket ist kein Teil davon. Er ist ein Rap­per, der weiß, was Zusam­men­halt bedeu­tet. Nicht zuletzt bewies er das durch sei­ne Teil­nah­me an der "#ver­ant­wor­tung­tra­gen"-Initia­ti­ve von DOJO Rui­ned My Life, um die zivi­le See­not­ret­tung zu unter­stüt­zen. Wer den Künst­ler auf Insta­gram ver­folgt, merkt außer­dem, dass er in Bezug auf Ras­sis­mus kein Blatt vor den Mund nimmt. Mit Zei­len wie "Der Virus wär' ein Ein­zel­tä­ter, wenn er einen deut­schen Namen hät­te" ver­teilt er lyrisch ver­pack­te Sei­ten­hie­be, die sei­ne Hal­tung unter­strei­chen. Doch wie defi­niert er Zusam­men­halt? Und wie hat er ihn die­ses Jahr in sei­nem Umfeld erlebt? Wir baten Chef­ket zum Inter­view, um her­aus­zu­fin­den, wel­chen Zusam­men­halt er durch die Green Berlin-​Crew erfährt und war­um es ihm trotz­dem wich­tig ist, gewis­se Din­ge als Ein­zel­kämp­fer zu bestrei­ten. Außer­dem ging es um die Black Lives Matter-​Bewegung und wel­cher Zusam­men­halt durch gemein­sa­me Dis­kri­mi­nie­rungs­er­fah­run­gen entsteht.

MZEE​.com: Zu Beginn möch­te ich von dir wis­sen, ob es spe­zi­fi­sche Momen­te in dei­nem Leben gab, in denen dir so rich­tig bewusst gewor­den ist, wie wich­tig Zusam­men­halt ist.

Chef­ket: Ich weiß, dass Zusam­men­halt sehr, sehr wich­tig ist, habe aber immer ver­sucht, mei­nen Tisch erst mal allei­ne zu decken. Dann kannst du Leu­te ein­la­den, die ihre Zuta­ten hin­zu­fü­gen und gemein­sam mit ihnen essen. Ich hab' aber auch gemerkt, dass der Hokus­po­kus um die Indi­vi­dua­li­tät eine klei­ne Fal­le sein kann. Jeder will so indi­vi­du­ell wie mög­lich sein, sich ver­wirk­li­chen und ver­passt etwas, was die­ses Kol­lek­tiv­ge­fühl betrifft. Ich bin seit unge­fähr zehn Jah­ren bei Green Ber­lin. Da hab' ich gemerkt, wie wich­tig Zusam­men­halt ist, wenn man mit allen im Stu­dio ist und Musik macht. Man hilft sich gegen­sei­tig – vier Ohren hören mehr als zwei. Du kannst so gut sein, wie du willst, wenn du kein gutes Team um dich her­um hast, ist es wirk­lich schwie­rig, vor allem mit der Musik. Abge­se­hen davon wis­sen wir alle, wie wich­tig Zusam­men­halt in der Fami­lie ist. Ich hab' damals mit DJ Werd, Ame­wu und Kenji451 Mucke gemacht. Wir haben nie dar­über gere­det, wer woher kommt. DJ Werd kommt aus Ame­ri­ka, Ame­wu ist ghanaisch-​deutsch, Ken­ji ist Korea­ner, ich hab' tür­ki­sche Wur­zeln … Das war nie ein The­ma. Mir ist in Ber­lin auf­ge­fal­len, dass es hier eine ande­re Art von Zusam­men­halt gibt. Die Leu­te sind ein biss­chen poli­ti­scher, weil die Stadt es her­gibt. Ich wur­de auf Ver­an­stal­tun­gen ein­ge­la­den, die eher links ein­zu­ord­nen sind. Bei Podi­ums­dis­kus­sio­nen hab' ich gemerkt, dass ich anschei­nend links bin. Ich dach­te aber immer, ich wäre ein­fach Huma­nist. Da habe ich Zusam­men­halt mit­be­kom­men. Die Men­schen hier set­zen sich für die­je­ni­gen ein, die weni­ger haben oder eine Stim­me brau­chen. Kreuz­berg hat mir auch gezeigt, was Zusam­men­halt bedeu­tet. Ich kom­me hier hin, aus dem Dorf Hei­den­heim mit 50 000 Ein­woh­nern, und bin fremd in der Stadt. In Kreuz­berg leben Leu­te, die damals an die Mau­er gedrängt wur­den, weil es dort güns­tig war. Dann fiel die Mau­er und die waren plötz­lich mit­ten­drin. Sie haben die Ecke, in die sie gedrängt wur­den, rund gemacht. Es gibt Flo­ris­ten, Juwe­lie­re, Restau­rants und älte­re Her­ren, die in Cafés sit­zen und alle grü­ßen. Das war für mich ein Ort, an dem ich mei­ne Ener­gie auf­la­den konn­te. Hier habe ich gemerkt, dass ich nicht allei­ne war. Wenn ich bro­ke war, war das rich­tig wich­tig für mich, weil ich hier 'ne Kip­pe für zehn Cent im Späti kau­fen konn­te. Ich konn­te auch für 50 Cent 'ne Stun­de im Inter­net sur­fen und mei­ne Sachen bei Myspace hoch­la­den. (lacht) Ber­lin hat mir auf jeden Fall gezeigt, dass es das gibt.

MZEE​.com: 2020 ist ein Jahr, das beson­ders viel Zusam­men­halt for­dert. Sei es im Umgang mit der Pan­de­mie oder Ras­sis­mus und der Black Lives Matter-​Bewegung. Wie hast du das in dei­nem per­sön­li­chen Umfeld erlebt?

Chef­ket: Ich bin Anfang Febru­ar nach Tai­wan geflo­gen. Als ich dort ankam, wur­de mei­ne Tem­pe­ra­tur gemes­sen und alle Men­schen haben Schutz­mas­ken getra­gen. Wir reden hier über Febru­ar – da war das in Deutsch­land noch gar kein The­ma oder es wur­de sich dar­über lus­tig gemacht. Ich kom­me also da an und die Leu­te haben alle Mas­ken auf, des­in­fi­zie­ren sich die gan­ze Zeit und hal­ten Abstand. Alles funk­tio­niert. Wir sind in eine Apo­the­ke gegan­gen, weil wir uns auch Schutz­mas­ken kau­fen woll­ten. Da war eine rie­si­ge Schlan­ge. Die hat­ten alle einen Pass in der Hand und haben uns klar­ge­macht, dass nur die, die ver­si­chert sind, Schutz­mas­ken bekom­men. Trotz­dem haben alle mit­ge­zo­gen und waren kol­lek­tiv dar­an betei­ligt, die­sen Virus ein­zu­däm­men. Ich konn­te es ein­fach nicht glau­ben. Die haben auch gar kei­ne Müll­ei­mer drau­ßen ste­hen, weil alle ihren Müll mit nach Hau­se neh­men und recy­clen. Die sind so weit. (lacht) Dann kom­me ich zwei Mona­te spä­ter zurück nach Ber­lin, geh' mit Schutz­mas­ke in einen Laden und alle gucken mich komisch an. Der Kas­sie­rer sag­te: "Du weißt schon, dass die Mas­ke dich nicht schützt?" Ich hab' ihm gesagt, dass sie ja viel­leicht ihn schützt, falls ich krank sein soll­te. Mich hat des­we­gen in den zwei Mona­ten in Asi­en nie­mand von der Sei­te ange­quatscht. Es ist ein biss­chen scha­de, dass es hier so lan­ge gedau­ert hat. An der Black Lives Matter-​Bewegung hat man gemerkt, dass es wich­tig ist, zusam­men­zu­hal­ten. Dass man sich ein­setzt, auch wenn es einen nicht betrifft. Als ich wäh­rend der BLM-​Demo auf dem Alex­an­der­platz stand und zum ers­ten Mal ganz laut "Black Lives Mat­ter" geschrien hab', ist mir erst rich­tig klar gewor­den, wie trau­rig es ist, dass man das über­haupt sagen muss. Wenn wir bei dem größ­ten Pro­blem anfan­gen, Ras­sis­mus gegen Schwar­ze, kann man von da aus wei­ter­ge­hen, inter­sek­tio­nal den­ken und auch Ras­sis­mus gegen Peo­p­le of Color und Homo­pho­bie thematisieren.

MZEE​.com: Es gibt vie­le Men­schen, denen es egal zu sein scheint, was auf der Welt pas­siert. Wor­an, denkst du, könn­te das liegen?

Chef­ket: Auf dem Weg zur BLM-​Demo am Alex hab' ich mit dem Taxi­fah­rer gere­det. Als ich ihm gesagt habe, wohin ich fah­ren möch­te, frag­te er: "Ah! Bringt das was?" Ich glau­be, man­che haben vie­le Demos gese­hen, bei denen anschlie­ßend kei­ne Ver­än­de­rung statt­ge­fun­den hat. Man resi­gniert. Die sehen viel­leicht gar nicht die Power, die es haben kann, wenn man sich mit ande­ren zusam­men­tut. Natür­lich hat es zusätz­lich damit zu tun, dass der Taxi­fah­rer ganz ande­re Pro­ble­me und kei­ne Zeit für sowas hat, weil er sei­nen eige­nen Arsch ret­ten muss. Das sieht man auch an den ver­schie­de­nen Com­mu­ni­ties. Wenn Demos gegen Nazis statt­fin­den, sind meis­tens kei­ne PoCs dabei. Die haben ein ganz ande­res Leben und viel­leicht lebens­not­wen­di­ge Sachen zu tun. Viel­leicht haben die gar nicht das Pri­vi­leg, dar­über nach­zu­den­ken. Ich glau­be, das ist das Pro­blem. Ich bin Musi­ker und hab' die Zeit, nach­zu­den­ken. Es gibt Stu­den­ten, die die­se auch dafür auf­brin­gen kön­nen. Durch Coro­na waren es viel­leicht mehr Leu­te, die Zeit hat­ten. Es ist auch krass, dass es jetzt zu die­ser Zeit pas­siert ist. Viel­leicht wäre es nicht so groß gewe­sen, wenn jeder sei­nen nor­ma­len Job hät­te machen müssen.

MZEE​.com: Kri­sen­si­tua­tio­nen kön­nen den Zusam­men­halt för­dern, indem man sich gegen­sei­tig hilft oder stär­ker auf Unge­rech­tig­kei­ten auf­merk­sam macht. Glaubst du, dass die­se Kri­sen unse­ren Umgang mit­ein­an­der nach­hal­tig stär­ken können? 

Chef­ket: Ich glau­be schon, dass es so bleibt. Als ich die ers­te Zeit durch mei­ne Nach­bar­schaft gelau­fen bin, hab' ich Leu­te drau­ßen sit­zen sehen, die kein Han­dy auf dem Tisch oder in der Hand hat­ten. Die waren so froh, wie­der Leu­te zu tref­fen und mit ihnen reden zu kön­nen. Du hast gese­hen, dass die rich­tig Rede­be­darf hat­ten. (lacht) Die hat­ten gar kei­nen Bock mehr, die gan­ze Zeit aufs Han­dy zu gucken. Ansons­ten hab' ich gemerkt, dass der Zusam­men­halt anfangs sehr posi­tiv war. Dann kamen die Leu­te, die unbe­dingt ihre Gedan­ken in die sozia­len Medi­en hus­ten und ande­re noch mehr ver­wir­ren woll­ten. Ich weiß nicht, ob die Mas­ke etwas bringt, aber ich trag' die jetzt ein­fach mal. Der Arzt trägt die auch den gan­zen Tag. Ich glaub', dass irgend­wann ein Umschwung kam, nach dem es sich plötz­lich nicht mehr nach Zusam­men­halt ange­fühlt hat. Die Leu­te woll­ten sich wich­tig­ma­chen. Das hat sich aber gelegt und mitt­ler­wei­le sehe ich nur noch Men­schen, die eine Mas­ke tragen.

MZEE​.com: Vie­le Künst­ler haben sich an der BLM-​Bewegung betei­ligt und soli­da­risch geäu­ßert. Wie viel davon, denkst du, war rein für die Außenwirkung?

Chef­ket: Das kann ich gar nicht ein­schät­zen. Ich glau­be aber, dass es egal ist – Haupt­sa­che, sie haben es gemacht. Vor allem die, die gar nicht davon betrof­fen sind. Vie­le haben sich damit aus­ein­an­der­ge­setzt, Bücher emp­foh­len und gele­sen, obwohl sie Weiß sind und aus der Mehr­heits­ge­sell­schaft kom­men. Das fand ich cool. Als Rap­per war es für mich natür­lich wich­tig, das noch mal zu beto­nen. Ich mei­ne, wer mei­ne Musik kennt, weiß, dass ich nicht erst seit ges­tern mei­ne Stim­me gegen Miss­stän­de erhe­be. Mir war es aber wich­tig, den Bogen zu Hip­Hop zu span­nen. Leu­te, ihr ver­dient Geld mit einer Kul­tur, die von Schwar­zen kommt. Wie kann man da still sein? Ich hab' nicht genau ver­folgt, wer was gepos­tet hat und wer nicht – aber es hät­ten noch mehr sein können.

MZEE​.com: Reden wir mal über dei­ne Musik und dein Umfeld. Du bist schon lan­ge Teil der Green Berlin-​Crew. Wie wirkt sich der Zusam­men­halt bei euch auf dei­ne Musik aus? Kannst du dich frei­er ent­fal­ten, wenn du weißt, dass du dei­ne Crew im Rücken hast, die dich bedin­gungs­los unterstützt?

Chef­ket: Ich glau­be, bedin­gungs­los wäre das fal­sche Wort. Es muss ja auch alles geil sein, ne. (lacht) Wir haben alle einen guten Geschmack und wei­sen uns dar­auf hin, wenn etwas nicht geil ist. Wack ist es nie, aber viel­leicht gibt es Din­ge, an denen man etwas machen kann. Im Grun­de genom­men ist es ein­fach eine Freund­schaft, die seit unge­fähr zehn Jah­ren besteht. Es ist gut, in der Musik­sze­ne einen Freun­des­kreis zu haben, in dem alle einen ähn­li­chen Vibe haben und Din­ge ähn­lich sehen. Wir sind sehr erfah­ren in dem, was wir machen und kön­nen das auch alles umset­zen. Es geht jetzt erst rich­tig los. Wir machen ein­fach nur Musik, brin­gen gei­le Sachen raus und die Leu­te, die uns fol­gen, ver­ste­hen es auch. Wenn man zu sehr auf den Tel­ler von ande­ren guckt, wird das eige­ne Essen kalt. Und wir gucken eben, dass wir zusam­men gutes Essen machen. Fünf Ster­ne Restau­rant. Kein Fast Food.

MZEE​.com: Gor­don Ramsay Type Beat.

Chef­ket: (lacht) Genau!

MZEE​.com: Wodurch wird für dich unbe­ding­ter Zusam­men­halt deutlich?

Chef­ket: Wenn ich mich zum Bei­spiel einen Tag vor­her dazu ent­schei­de, einen Text zu ver­än­dern, obwohl schon alles gemas­tert ist und sich jemand die Zeit nimmt und sagt: "Ja klar, machen wir, kein Pro­blem." Wenn die Leu­te nicht abge­fuckt sind von mei­nem Hin und Her. (lacht) Die wis­sen, dass ich so bin und anders­her­um ist es genau­so. Wenn irgend­et­was gebraucht wird, bin ich direkt dabei. Das Wort Loya­li­tät wird so oft benutzt, aber das sind wir in jeder Hinsicht.

MZEE​.com: Auf "Ego­trip" jedoch rappst du "Jeder gegen jeden, jeder hatet, jeder gegen dich" und "Ich bin allein, nein, ich hal­te mich an nie­mand". – Fällt es dir leich­ter, Zie­le als Ein­zel­kämp­fer zu erreichen?

Chef­ket: "Ego­trip" war für mich ein kras­ser Befrei­ungs­schlag, weil ich beim Major nicht zufrie­den war und mich nicht wohl­fühl­te. Ich muss­te da raus und hab' wäh­rend Coro­na mein eige­nes Label gegrün­det, damit ich Musik so her­aus­brin­gen kann, wie ich es will. Das war der posi­ti­ve Ego­trip, den ich damit mein­te. Ich hab' es aber extra nicht so aus­ge­drückt. Ich woll­te, dass die­ser Ego­trip erst mal nega­tiv wahr­ge­nom­men wird. Sich an nie­man­den zu hal­ten, bedeu­tet aber nicht zwangs­läu­fig etwas Nega­ti­ves. Wenn jemand zu mir sagt "Du kommst aus Hei­den­heim, was willst du denn jetzt in Ber­lin? Da kennst du nie­man­den!", gehe ich dahin und mache mein Ding. Oder es wird gesagt: "Ey, beim Major ist es doch gemüt­lich, da kriegst du das gan­ze Geld und die pushen das." Ich will das aber selbst machen, weil ich kei­ne Lust dar­auf habe, irgend­wel­chen Leu­ten Musik vor­zu­spie­len, die ich nicht mag. Manch­mal muss man das ein­fach machen, um Hal­tung zu zei­gen und zu mer­ken, dass man Leu­te mit­zie­hen kann. Wenn ich kei­ne Hal­tung habe, kann ich nie­man­den von mei­ner Visi­on überzeugen.

MZEE​.com: Ich möch­te mit dir noch über dei­nen Gast­bei­trag in David Mayon­gas Buch "Ein Neger darf nicht neben mir sit­zen" reden. Dort schreibst du Fol­gen­des: "Die Ein­zi­gen, die mich ver­stan­den haben, waren Frau­en. Weil sie auch nie genug sind." – Denkst du, dass Dis­kri­mi­nie­rung Men­schen auto­ma­tisch zusammenschweißt?

Chef­ket: Es ist ein coo­ler Neben­ef­fekt. Man muss sich dann aber auch damit aus­ein­an­der­set­zen. Als ich das Buch "Alte wei­ße Män­ner: Ein Schlich­tungs­ver­such" von Sophie Pass­mann gele­sen hab', konn­te ich sehr vie­le Par­al­le­len zu ande­ren Dis­kri­mi­nie­rungs­for­men sehen. Ich habe gemerkt, dass der Femi­nis­mus wei­ter ist, weil vie­le wis­sen­schaft­li­che Begrif­fe benutzt wer­den und du ein Wort hast, das alles erklärt: Inter­sek­tio­na­li­tät. Woher soll ich das wis­sen? Man kann viel bes­ser dar­über reden, wenn die Bil­dung da ist. Das ist in der Gesell­schaft lei­der noch nicht der Fall. Die nächs­ten Gene­ra­tio­nen der PoCs sind da schon wei­ter­ge­kom­men, es ist aber noch nicht so wis­sen­schaft­lich. Man kann vom Femi­nis­mus sehr viel ler­nen. Auch wie man mit Dis­kri­mi­nie­rung umge­hen kann und wie man dar­über redet, ohne gesagt zu bekom­men, dass man sich in der Opfer­rol­le wohl­füh­len wür­de. Man kann sagen "Guck mal, das und das ist unge­recht. Wie seht ihr das?", um einen Dis­kurs zu begin­nen. Vie­les ist emo­tio­nal auf­ge­la­den und man kann als Nicht-​Betroffener nichts dazu sagen. Bei einer Ver­an­stal­tung für Rap for Refu­gees habe ich zum ers­ten Mal einen trans Mann ken­nen­ge­lernt. Der hat gerappt und ich bin danach zu ihm hin und hab' gesagt: "Ey, das ist voll cool, was ihr gerappt habt." Er hat mir sei­ne Sto­ry erzählt und es ging auch um Dis­kri­mi­nie­rung. Zusam­men mit einer trans Frau, die dabei war, hat er mir sehr vie­le Sachen erzählt. Ich war echt geschockt. Die wer­den bespuckt und geschla­gen. Am nächs­ten Tag beim Früh­stück im Hotel saßen die bei­den am Tisch und haben wie­der dar­über gere­det. Ich war dann raus und hab' gemerkt, dass es so wohl den Wei­ßen gehen muss, die von den Pro­ble­men von Schwar­zen und PoCs hören und irgend­wann sagen: "Ja, was soll ich jetzt machen? Du hast mir das erzählt, aber ich weiß nicht, was ich machen soll." Der Punkt muss kom­men, an dem man Leu­ten ein Buch emp­feh­len kann. Aber nicht als Kultur-​Informant. Wir kön­nen den Leu­ten in zehn Jah­ren ja nicht davon erzäh­len, wie wir gelebt haben und einen Gefühl­spor­no dahin­le­gen, wie wir dis­kri­mi­niert wur­den. Es ist wich­tig, her­aus­zu­fin­den, wie man kom­mu­ni­ziert, damit es zu einem bes­se­ren Zusam­men­halt und einer bes­se­ren Gesell­schaft führt. Ich hab' gemerkt, dass die Leu­te irgend­wann raus sind, wenn man immer nur erzählt. Es ist anstren­gend, weil sie nicht wis­sen, was sie machen sol­len. So eine gewis­se Ohn­macht: "Ich bin pri­vi­le­giert und Weiß. Was soll ich jetzt tun? Pos­te ich etwas zu Black Lives Mat­ter oder kom­me ich mir dabei heuch­le­risch vor?" Ich glau­be, es geht immer mehr in die rich­ti­ge Rich­tung. Es gibt immer mehr PoCs, die eine Stim­me haben, dar­über schrei­ben und ver­su­chen, Leu­te zu infor­mie­ren. Ich bin durch das jah­re­lan­ge Dar­über­re­den ein biss­chen abge­fuckt. Ich will lie­ber 'ne gei­le Sto­ry erzäh­len. Ras­sis­mus ist eine rie­si­ge Eisen­ku­gel am Fuß, die dich die gan­ze Zeit auf­hält, wäh­rend alle ande­ren im Hop­ser­lauf über die Wie­se sprin­gen. Ich will die­se Kugel nicht die gan­ze Zeit am Bein haben. Das ist der Trick von Ras­sis­mus: Du hältst dich damit auf, indem du Leu­ten erklärst, wie das ist. Man glaubt voll lan­ge, dass mit einem etwas nicht stimmt und denkt, man müss­te noch mehr an sich arbei­ten. Bis du irgend­wann merkst, dass mit dir alles stimmt, aber man­che Leu­te nicht so weit sind. Ich glau­be, das wird jetzt immer deut­li­cher. Ich will, dass in unse­rer Zeit nie­man­dem mehr der Ein­tritt in eine Bar ver­wehrt wird, weil er Schwarz ist. Letz­tens woll­te ein Schau­spie­ler in Köln mit Kum­pels in eine Bar und wur­de des­we­gen nicht rein­ge­las­sen. Dass es sowas immer noch gibt, ist so krass. Ich hab' das ja auch erlebt. Ich bin in ein Taxi gestie­gen und der Fah­rer woll­te mich nicht zum Gör­lit­zer Park fah­ren. Als ich ihn nach dem Grund gefragt habe, mein­te er, ich sei zu nett und zu schmal­zig für ihn. Dabei hab' ich ihn ein­fach nur gefragt, wie es ihm geht. Ich hab' das alles auf Insta­gram live auf­ge­nom­men. Da gab es einen rie­si­gen Shit­s­torm von Leu­ten, die gesagt haben: "Wer weiß, was du vor­her getan hast." Ich dach­te: "Krass, ich habe nichts getan, ich war ein­fach nur nett." Ich bereue, dass ich den nicht ange­zeigt habe. Aber ich woll­te nicht, dass er noch mehr Hass auf Men­schen wie mich schiebt. Ich hät­te es eigent­lich machen sol­len. Sol­che Sachen pas­sie­ren immer wie­der. Ich hof­fe, dass das weni­ger wird und die Leu­te ein biss­chen vor­sich­ti­ger sind, wenn sie ande­ren sagen, sie wür­den sich in eine Opfer­rol­le bege­ben wol­len. Kei­ner hat Bock dar­auf, das Opfer zu sein.

MZEE​.com: Zum Abschluss habe ich dir fol­gen­des Zitat von Mar­tin Luther King mit­ge­bracht: "Wir müs­sen ler­nen, ent­we­der als Brü­der mit­ein­an­der zu leben oder als Nar­ren unter­zu­ge­hen." – Ist das dei­ner Mei­nung nach anwend­bar auf die aktu­el­le Lage, in der sich die Welt befindet?

Chef­ket: Ich glau­be, Mar­tin Luther King hat immer ver­sucht, posi­tiv zu sein. Er hat ver­sucht, die Wei­ßen mit­zu­neh­men. Und wur­de erschos­sen. Ich glau­be, der Ansatz ist posi­tiv, bin mir aber nicht sicher, ob das mög­lich ist. Wenn ich von mir aus­ge­he, dann ger­ne. (lacht) Ganz ehr­lich, wenn ich jemand Älte­res sehe, dem es nicht gut geht, stel­le ich mir vor, dass das mein Vater oder mei­ne Mut­ter wäre. Wenn man aber rea­lis­tisch ist, wird es für vie­le nicht der Fall sein, dass sie mich als ihren Bru­der sehen. Vie­le ver­ste­hen kul­tu­rel­le Sachen, die in mei­nem Leben statt­fin­den, als Angriff auf ihre eige­ne Kul­tur. Es wird nicht gesagt "Okay, da ist jemand, der Idea­le hat und auf die­se Art und Wei­se lebt", son­dern: "Er lebt gegen mei­ne Art und Wei­se." Sagen wir mal, ich wür­de kei­nen Alko­hol trin­ken – was nicht stimmt. Dann wür­de es Men­schen geben, die behaup­ten, ich wäre dage­gen, dass sie Alko­hol trin­ken. Das sieht natür­lich nicht jeder so. Ich hab' jetzt auch ein paar­mal mei­nen Wei­ßen Freun­den gesagt, dass 2050 die jet­zi­ge Min­der­heit die Mehr­heit sein wird. Wollt ihr eine Gesell­schaft haben, die dis­kri­mi­niert und unge­recht behan­delt wur­de und trau­ma­ti­siert ist? Oder wollt ihr eine Mehr­heits­ge­sell­schaft, die sagt: "Damals, als es uns nicht gut ging, waren alle soli­da­risch und haben zusam­men­ge­hal­ten." Wenn die nächs­ten Gene­ra­tio­nen kom­men, Wei­ße in der Min­der­heit sind und die Mehr­heits­ge­sell­schaft sich so ver­hält, wie sich die jet­zi­ge Mehr­heits­ge­sell­schaft gegen­über der Min­der­heit ver­hält, wird es rich­tig, rich­tig schei­ße. Wir soll­ten lie­ber jetzt dar­auf ach­ten und ver­su­chen, zu ver­ste­hen, wie sich Leu­te füh­len. Mus­li­mi­sche Ein­rich­tun­gen wer­den durch­schnitt­lich zwei­mal pro Woche zum Ziel von Anschlä­gen. Im Jahr 2019 gab es 128 Angrif­fe auf Moscheen. Anti­mus­li­mi­scher Ras­sis­mus ist real. Ich hof­fe, die Poli­zei schützt die Moscheen so, wie sie in Ber­lin Syn­ago­gen vor Angrif­fen schützen.

(Sicko)
(Fotos von Huan Chi)