"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem Künstler oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der Gesprächspartner ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
Wir schreiben das Jahr 2005: Deutscher Rap hat gerade den Eko-Savas-Beef hinter sich. Meine Eltern verstehen die musikalische Welt nicht. Aus dem Kinderzimmer ertönt Gangster-Rap, bis MTV "Helden weinen nicht" spielt und sich alles ändert. Eine neue Welt öffnet sich mir mit "Nichts ist umsonst" von Tefla & Jaleel – einem der prägendsten Alben meiner Jugend.
"Wie promote ich das Album ohne Diss im Track? Ganz einfach: indem man nur die Wahrheit spricht im Rap!" Das ist nur eine Line, die ich heute noch mitrappen kann. Hier wird die Brücke zwischen oberflächlichem Straßen- und weichem Studentenrap geschlagen – etwas, das mir in der damaligen Zeit unmöglich schien. Dazu die basslastigen Beats mit hochgepitchten Vocalsamples von den Phlatline-Produzenten DJ Ron & DJ Shusta sowie Jaleel selbst, die mich immer noch aus den Socken hauen. Der amerikanische Einfluss wird hier deutlich: So greifen "Kids" und "Ich Schein'" Klassiker von Capone-N-Noreaga oder Warren G auf, sind aber so stark produziert und gerappt, dass sie nicht wie schlechte Kopien wirken. Textlich schießen die beiden MCs auch mal übers Ziel hinaus mit ihrem wiederholt geteilten Frust über die Szene. Eine Auffälligkeit, die sich aber schnell im Kontext eines durchweg ehrlichen Albums verliert. Das gnadenlose Offenlegen aller Stärken und Schwächen scheint mir nicht nur im musikalischen Sinne revolutionär: "Ich halt' mein Herz in meinen Händen" ist sowohl in Jaleels erstem Part auf der LP zu hören, als auch ein roter Faden, der sich durch das gesamte Werk zieht.
Tefla & Jaleel legen hier einen Seelen-Striptease hin, der sie sehr nahbar macht. Es bildet sich immer wieder ein starker Kontrast zu den damaligen Mainstream-Rappern, die sich an Härte kaum noch überbieten konnten. Ich durchlebe alle Gefühlslagen, wenn die ehrlichen Emotionen der beiden gepaart mit den Harlem-inspirierten Beats durch die Kopfhörer schallen. Das fasziniert mich heute noch genauso wie 2005.
(Blan P)