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Interview

Slowy & 12Vince

"Ich fin­de Auf­trags­graf­fi­ti grund­le­gend erst mal schei­ße. Da benut­zen oft Eigen­tü­mer von Gebäu­den Graf­fi­ti auf lega­le Art und Wei­se, um sich die 'Schmier­fin­ke' vom Leib zu hal­ten." – Slo­wy & 12Vince im Inter­view über Graf­fi­ti, Ras­sis­mus und Anti­se­mi­tis­mus in der Rap­sze­ne und das Album "Deja­vu".

Wer über die Kom­bi­na­ti­on aus Rap und Graf­fi­ti in Deutsch­land spricht, kommt an Slo­wy & 12Vince nicht vor­bei. Gemein­sam mit Müns­ters Aus­hän­ge­schild Azu­demSK bil­den die Ham­bur­ger die Speer­spit­ze in der deut­schen Sze­ne, was Lyrics über Tags, Throw Ups und Pie­ces angeht. Neben den Tex­ten sowie der authen­ti­schen und unauf­ge­reg­ten Art des Duos zeich­nen die Trademark-​Instrumentals für den wach­sen­den Erfolg ver­ant­wort­lich. Doch bei aller Lie­be zu Graf­fi­ti – Slo­wy & 12Vince ste­hen für mehr. So zeigt der Rap­per auf der neu­en Plat­te "Deja­vu" noch kla­rer Hal­tung als zuvor, bei­spiels­wei­se gegen die AfD und Ras­sis­mus. Im Inter­view spra­chen wir mit den bei­den über anti­se­mi­ti­sche Ten­den­zen und den Hang zu Ver­schwö­rungs­theo­rien in Tei­len der deut­schen Rap­sze­ne. Außer­dem dis­ku­tier­ten wir den Unter­schied zwi­schen Auf­trags­graf­fi­ti und der Kunst­form an sich. Und natür­lich waren auch das vor kur­zer Zeit erschie­ne­ne neue Album "Deja­vu" und die Reak­tio­nen dar­auf Thema.

MZEE​.com​: Auf der letz­ten Plat­te hast du gerappt, dass bei euch "mal mehr Beats, mal mehr Rhy­mes, zur­zeit ein biss­chen mehr Sprays" die meis­te Zeit ein­neh­men. Wie sieht es aktu­ell aus?

Slo­wy: Das sind immer Pha­sen. Ich mache im Win­ter eher die zeit­rau­ben­den Pro­jek­te wie Auf­neh­men, Mischen und so wei­ter. Das mache ich nicht so ger­ne im Som­mer, wenn die Son­ne scheint, son­dern lie­ber bei Regen­wet­ter, im Win­ter oder im Früh­jahr. Schrei­ben und Malen fin­det eigent­lich immer statt.

12Vince: Beat­s­ma­chen ist eigent­lich auch immer, die gan­ze Zeit. Ich samm­le Mate­ri­al und wenn schlech­tes Wet­ter ist, schick' ich Slo­wy die Sachen rüber.

MZEE​.com​: Ein Fan hat unter einem eurer Vide­os geschrie­ben: "Dan­ke, dass es euch gibt, habe dank euren Plat­ten nach 20 Jah­ren wie­der ein neu­es Black­book". Wie füh­len sich sol­che Kom­men­ta­re an? Freut es euch, wenn ihr Leu­te dazu inspi­riert, zu malen?

Slo­wy: Es wäre, glau­be ich, tat­säch­lich schwer, mit uns eine DISSLIKE-​Folge zu fül­len. Man muss sich nega­ti­ve Kom­men­ta­re und Hater natür­lich auch ver­die­nen, sagt man immer, aber dafür sind wir wahr­schein­lich noch nicht bekannt genug. Wir bekom­men eigent­lich immer sehr posi­ti­ves Feed­back auf unse­re Musik. Wir krie­gen auf Insta­gram auch vie­le Dank­sa­gun­gen und so wei­ter. Tat­säch­lich haben wir schon oft erlebt, dass 15-, 16-​jährige Leu­te auf unse­ren Kon­zer­ten ste­hen und sich 'ne Plat­te kau­fen. Die schrei­ben uns dann spä­ter, dass sie sich für das Album einen Plat­ten­spie­ler gekauft haben oder mit ande­ren Din­gen ange­fan­gen haben. Das ist natür­lich immer ein sehr schö­nes Feedback.

MZEE​.com​: Das zeigt auch, dass eure Inhal­te einen Ein­fluss haben. In der medi­al groß­flä­chig abge­bil­de­ten Rap­sze­ne spielt zum Bei­spiel Graf­fi­ti kei­ne außer­or­dent­li­che Rolle.

Slo­wy: Das stimmt. Es ist halt ein Lieb­haber­ding. Wahr­schein­lich ist es ein­fa­cher, Mar­ken­kla­mot­ten zu kon­su­mie­ren und dar­über zu rap­pen, als ein zeit­auf­wen­di­ges Hob­by wie Graf­fi­ti zu betrei­ben. Das ist ja auch sehr viel Arbeit, mit der man eigent­lich nur Minus macht. Sub­kul­tur eben.

MZEE​.com​: Zum The­ma Nach­rich­ten bei Insta­gram: Du hast in Tracks schon häu­fi­ger anklin­gen las­sen, dass du Gesprä­che nach Kon­zer­ten teil­wei­se unan­ge­nehm fin­dest, wenn es in Rich­tung Per­so­nen­kult geht. Ist das bei Insta­gram angenehmer?

12Vince: Es ist ganz prak­tisch, dass es die­se Emo­jis gibt. Da kann man halt ein­fach schnell ein "Dan­ke" oder 'ne Flam­me zurück­schi­cken. (lacht)

MZEE​.com​: Da freu­en sich die Leu­te wahr­schein­lich auch.

12Vince: Klar, du hast ja dann dar­auf reagiert. Das kos­tet nicht viel Zeit. Es ist natür­lich nicht so per­sön­lich wie nach einem Kon­zert. Die Sachen, die du ange­spro­chen hast, sind aber die Spit­zen, die man in Songs aus­ar­bei­tet. Grund­le­gend haben wir ja total net­te und dank­ba­re Fans. Da macht es auch Spaß, nach der Show am Merch mit denen zu sprechen.

Slo­wy: Ja, voll. Das soll auch nie­man­den abschre­cken. Ich hab' schon ein paar Nach­rich­ten bekom­men, in denen sich Leu­te auf Text­zei­len bezo­gen haben und so mein­ten: "Hey, ich will dich jetzt über­haupt nicht hoch­he­ben, aber ich woll­te dir mal dies und das sagen." Dann den­ke ich mir manch­mal, dass ich viel­leicht schon zu viel gesagt habe oder eben zu viel hin­ein­in­ter­pre­tiert wird. Wie gesagt, größ­ten­teils haben wir echt sehr net­te Leu­te auf unse­ren Kon­zer­ten. Es fühlt sich manch­mal komisch an, wenn Men­schen einen auf ein Podest heben. Gera­de jün­ge­re Leu­te, die das alles noch so krass fin­den. Wir kom­men halt aus ver­schie­de­nen Sze­nen, in denen jeder sein Ding macht und Respekt vor dem hat, was der ande­re macht. Aber alle kochen mit Was­ser und sind nor­ma­le Men­schen. Wenn ande­re einen dann so hoch­he­ben, was man aus dem All­tag gar nicht kennt, weil man ja doch sei­nem nor­ma­len Job nach­geht und so wei­ter, ist das natür­lich total nett gemeint, aber ein biss­chen komisch. Aber mit den meis­ten Leu­ten ist man auf Augen­hö­he. Dann gehst du in eine ande­re Stadt, triffst Sprü­her auf den Kon­zer­ten und tauschst dich mit denen aus. Das sind ganz nor­ma­le Kon­tak­te. In den meis­ten Städ­ten haben wir ja auch Freun­de, mit denen wir uns nach dem Kon­zert tref­fen und noch irgend­was machen. Das ist alles ganz entspannt.

MZEE​.com​: Auf "Leben" the­ma­ti­siert ihr unter ande­rem die recht­li­chen Risi­ken, die mit ille­ga­lem Sprü­hen ein­her­ge­hen kön­nen – im schlimms­ten Fal­le sogar Haus­durch­su­chun­gen. Wie oft kam es schon dazu? Und wie­so macht ihr trotz­dem weiter?

Slo­wy: Da muss man jetzt nicht zu sehr ins Detail gehen, sage ich mal. Aber natür­lich hat das alles auch sei­ne Schat­ten­sei­ten. Tat­säch­lich gehen wir auf der Plat­te teil­wei­se schon ganz gut ins Detail. Ich glau­be, man macht wei­ter, weil der Antrieb ein­fach da ist. Aber wenn die nega­ti­ven Sei­ten zuneh­men oder sogar über­wie­gen, hat man natür­lich auch Gedan­ken, das Gan­ze ein biss­chen herunterzufahren.

MZEE​.com​: Zu Beginn von "Leben" lässt du anklin­gen, dass dein Umfeld unter dei­ner Graffiti-​Tätigkeit gelit­ten hat. Spielt das sogar eine grö­ße­re Rol­le als bei­spiels­wei­se Hausdurchsuchungen?

Slo­wy: Ja, defi­ni­tiv. Das ist eigent­lich das viel Wich­ti­ge­re. Fami­lie und Freun­des­kreis ste­hen vor allem ande­ren und das merkt man auch im All­tag. Manch­mal ver­sucht man, mehr unter einen Hut zu brin­gen, als man kann. Dann eckt man natür­lich manch­mal an. Aber in ers­ter Linie ist es wich­tig, dass im All­tag und im Umfeld alles ange­nehm ist. Es muss ja auch immer noch Spaß machen. Wenn etwas, mit dem man den gan­zen rest­li­chen Tag beschäf­tigt ist, dar­un­ter lei­det, dass man eine zwei­stün­di­ge Aus­zeit nimmt, steht das nicht so im Verhältnis.

MZEE​.com​: Eini­ge Städ­te wie Lis­sa­bon, Athen und Mün­chen geben mitt­ler­wei­le in gro­ßem Stil Graffiti-​Aufträge her­aus, um das Stadt­bild zu ver­schö­nern, wäh­rend gleich­zei­tig Sprü­her mas­siv ver­folgt wer­den. Was hal­tet ihr davon? Hat das etwas mit dem Grund­ge­dan­ken von Graf­fi­ti zu tun?

12Vince: Ich fin­de Auf­trags­graf­fi­ti grund­le­gend erst mal schei­ße. Da benut­zen dann oft Eigen­tü­mer von Gebäu­den Graf­fi­ti auf lega­le Art und Wei­se, um sich die "Schmier­fin­ke" vom Leib zu hal­ten. Das ist die eine Sache. Die ande­re ist die extre­me Kom­mer­zia­li­sie­rung der gan­zen Geschich­te. Dann wer­den Wer­bun­gen für gro­ße Unter­neh­men gesprayt und es fließt viel Geld – und dafür wer­den die alten Bil­der dar­un­ter geop­fert. Ich bin da sehr anti, um ehr­lich zu sein. Es ist ein­fach wie Wer­bung und gehört eigent­lich nicht ins Stadtbild.

Slo­wy: Ich hab' mich natür­lich viel damit beschäf­tigt und auch damit zu tun. Freun­de von mir malen auch Auf­trä­ge und man freut sich schon für die, dass die sich mit ihrer Selbst­stän­dig­keit eine Basis für ihr Leben geschaf­fen haben. Aus deren Sicht ist es ja schön, dass das geht. Aber Graf­fi­ti ist für mich eben das, was es ist – und ille­gal. An einer Hall of Fame ist es noch mal was ande­res, wenn es legal ist – das sind halt Flä­chen für Graf­fi­ti. Das ande­re ist Wer­bung. Ob da jetzt jemand eine Gra­fik auf ein rie­si­ges Stoff­pla­kat druckt oder die glei­che Gra­fik mit einem Ras­ter an die Wand sprüht … Das machen ja inzwi­schen in allen Groß­städ­ten Leu­te foto­rea­lis­tisch mit wahn­sin­nig kras­ser Tech­nik. Aber im Prin­zip ist das nur ein gro­ßer Druck von einem Ent­wurf, den jemand am Com­pu­ter gemacht hat. Inso­fern ist das für mich bei­des Wer­bung. Das Sprü­hen von ille­ga­len Bil­dern hat ja auch mit dem alten Kreis­lauf der Gen­tri­fi­zie­rung zu tun. Irgend­wo gibt es einen Stadt­teil, der arm ist. Dann kom­men die Stu­den­ten und Künst­ler dahin und hin­ter­las­sen ihre Tags und Bil­der. Der Stadt­teil wird hip und bunt, es kom­men die rei­chen Inves­to­ren und bau­en da ihre gan­zen Geschäf­te und Rie­sen­häu­ser rein. Irgend­wann stö­ren die Bil­der die Inves­to­ren, weil die das nicht ken­nen, obwohl sie von die­ser Hip­ness pro­fi­tie­ren, was sie wahr­schein­lich manch­mal gar nicht rea­li­sie­ren. Des­halb las­sen sie die Bil­der dann mit schi­cke­ren Sachen über­ma­len, weil das eher passt. Da gibt es ja schon vie­le Bewe­gun­gen, bei uns in der Stadt und, ich glau­be, auch woan­ders. Die über­ma­len Auf­trags­ar­bei­ten ille­gal, um sich die­sen Platz in der Stadt zurück­zu­ho­len. Das fin­de ich per­sön­lich völ­lig in Ord­nung. Der Auf­trags­ma­ler ist für mich in der Hin­sicht nur ein Dienst­leis­ter. Der hat sein Geld dafür bekom­men. Ich glau­be, die Leu­te, die das machen, haben es teil­wei­se auch sehr schwer in der Stadt. Die wol­len oft noch in der Graffiti-​Szene statt­fin­den und iden­ti­fi­zie­ren sich damit, bekom­men dann aber eben ihre Pro­ble­me, wenn sie Leu­te über­ma­len, die orga­ni­siert sind und gleich­zei­tig den­ken, dass sie sich bei der nächs­ten Gale­rie damit brüs­ten kön­nen. Das ist ein schwie­ri­ges The­ma, denn zwi­schen den Grup­pen gibt's ja auch Schnitt­men­gen. Das führt schon häu­fi­ger zu Pro­ble­men in der Stadt.

MZEE​.com​: In unse­rem letz­ten Inter­view haben wir über die ver­gan­ge­ne Zeit zwi­schen "Ulti­ma Radio" und "Under­co­ver Blues" gespro­chen. Zählt man euer Crew-​Release mit, habt ihr in den letz­ten drei Jah­ren drei Plat­ten her­aus­ge­bracht. Hat sich etwas an eurer Her­an­ge­hens­wei­se geän­dert, sodass ihr pro­duk­ti­ver denn je seid?

12Vince: Ich glau­be, es war am Anfang grund­le­gend ein biss­chen schwe­rer, eine Plat­te zu machen und erst mal in die­sen Arbeits­pro­zess rein­zu­fin­den. Wenn man das ein paar Mal gemacht hat, weiß man unge­fähr, wie das funk­tio­niert. Außer­dem häuft sich auch ordent­lich Mate­ri­al an, wenn man ein paar Jah­re Musik macht. Dann puz­zelt sich vie­les zusam­men. Bei vie­len Sachen weißt du direkt, wofür du sie ver­wen­den willst. Da kann es schon mal vor­kom­men, dass sich die Releases ein biss­chen mehr häu­fen und es eine höhe­re Fre­quenz gibt. Wobei ich trotz­dem sagen wür­de, dass wir im Ver­gleich zu ande­ren Leu­ten immer noch nicht so sehr viel releasen.

MZEE​.com​: Viel­leicht wird auch ein­fach mehr Musik eurem eige­nen Anspruch gerecht.

Slo­wy: Wir waren eigent­lich immer schon sehr selbst­kri­tisch und haben nie Sachen releast, hin­ter denen wir nicht ste­hen konn­ten. Da haben wir lie­ber weni­ger und das dann ordent­lich gemacht. Oder wir haben mehr Tracks auf die Plat­ten gepackt, anstatt infla­tio­när Releases raus­zu­hau­en. Müss­ten wir im All­tag nicht arbei­ten, wür­den wir wahr­schein­lich viel schnel­ler neue Plat­ten machen kön­nen. Aber man muss sich in den Pha­sen halt echt zusam­men­rei­ßen und 'ne Plat­te fer­tig machen, weil man Bock hat, damit im nächs­ten Jahr live zu spie­len. Die Musik ent­steht neben­bei skiz­zen­haft und liegt dann her­um. Aber der Arbeits­pro­zess, zu recor­den, die Beats noch mal anzu­pas­sen und alles zu mischen – das sind die Sachen, die nicht so viel Spaß machen, weil sie nicht krea­tiv sind. Dar­in liegt aber der größ­te Arbeits­auf­wand. Da muss man sich ein paar Wochen oder auch Mona­te am Stück dran­set­zen, um alles fertigzukriegen.

12Vince: Büro­ar­beit ist es dann halt auch. Wir machen ja alles sel­ber und haben kein exter­nes Label oder Ange­stell­te, die Din­ge für uns erle­di­gen. So bleibt der gan­ze Arbeits­auf­wand eines Releases bei uns hän­gen – vom Denk­pro­zess, wie irgend­et­was aus­se­hen soll über Tele­fo­na­te mit dem Press­werk bis hin zu Kon­takt mit den Händ­lern und dem Abar­bei­ten von Vor­be­stel­lun­gen. In der Zeit könn­te man rein theo­re­tisch auch Musik machen, aber den Weg haben wir halt gewählt.

MZEE​.com​: Slo­wy, du lässt in vie­len Zei­len, unter ande­rem auf "Sil­ves­ter", Resi­gna­ti­on über gesell­schaft­li­che und welt­po­li­ti­sche Zustän­de durch­schei­nen. Fühlst du dich, auch ange­sichts des Auf­stiegs von popu­lis­ti­schen Bewe­gun­gen wie der AfD, oft rat- und hilf­los? Oder ist der Track als Auf­ruf zu ver­ste­hen, etwas zu tun?

Slo­wy: Wir sind grund­sätz­lich nicht so die kras­sen Zeigefinger-​Menschen. Aber ab und zu fin­de ich es schon wich­tig, Din­ge zu for­mu­lie­ren und aus­zu­spre­chen. Die­se Gedan­ken hat man natür­lich im All­tag. Hilf­lo­sig­keit ist es jetzt nicht unbe­dingt. Ich den­ke, dass man mit der Kri­tik an den Zustän­den die Leu­te, die man errei­chen möch­te, schon auf Din­ge auf­merk­sam machen – und viel­leicht sogar etwas ändern kann.

12Vince: Wür­de man kei­ne Musik machen, hät­te man natür­lich Zeit, sich inten­si­ver mit ande­ren Din­gen zu beschäf­ti­gen und etwas mehr Akti­vis­mus an den Tag zu legen. Ich ken­ne vie­le Leu­te, die poli­tisch aktiv sind, mit denen man auch viel spricht und dis­ku­tiert. Wobei ich selbst in der Aus­ein­an­der­set­zung mit The­men sehr viel ler­ne – egal, wel­che es sind. Resi­gna­ti­on schwingt schon immer mit. Aber allein die Aus­ein­an­der­set­zung mit den The­men zeigt ja schon, dass man nicht kom­plett resi­gniert hat. Es könn­te schlim­mer sein, sodass man sich über­haupt nicht mehr für irgend­et­was inter­es­siert und sein gan­zes Leben vom Kon­sum len­ken lässt und dem Geld hin­ter­her­he­chelt. Ich glau­be, man hört in der Musik schon, dass wir gewis­se Wer­te ver­tre­ten und uns mit so etwas aus­ein­an­der­set­zen, ohne uns jetzt auf die Fah­ne zu schrei­ben, dass wir poli­ti­sche Musik machen.

Slo­wy: Die­se Zei­len sind oft auch ein­fach Reak­tio­nen, die wäh­rend des Schreib­pro­zes­ses ganz aktu­ell sind und dann durch­kom­men. Gera­de in Ham­burg hat man ja wenig Pro­ble­me mit rech­ten Ten­den­zen. Die Stadt ist sehr links und sehr tole­rant, im All­tag kriegst du Din­ge, die du über die Medi­en über ande­re Städ­te erfährst, hier eigent­lich gar nicht mit. Man kann das natür­lich alles schön fil­tern, sich der­ar­ti­ge Inhal­te nicht rein­zie­hen und dann geht es einem mit sei­nem Umfeld in die­ser Stadt ganz gut. Aber teil­wei­se bekommst du natür­lich doch Din­ge mit, die sich häu­fen. Irgend­wann muss es raus, wenn du dir mal wie­der denkst, dass das alles eigent­lich nicht wahr sein kann.

MZEE​.com​: Nicht zu resi­gnie­ren, fällt auf jeden Fall schwer, wenn du mit Leu­ten gar nicht mehr sach­lich dis­ku­tie­ren kannst, fin­de ich. Wenn zum Bei­spiel wis­sen­schaft­lich bestä­tig­te Fak­ten ein­fach nicht geglaubt werden.

Slo­wy: Ja, manch­mal ist es auch schwer, Men­schen zu über­zeu­gen, die ein­fach dumm sind – so blöd das klingt. Ich will mich damit gar nicht über vie­le Men­schen stel­len und sagen, ich sei super­schlau, aber gefühlt sind lei­der sehr vie­le Men­schen ein­fach dumm oder von gesell­schaft­li­chen Umstän­den ver­dummt worden.

MZEE​.com​: Rechts­extre­me Gewalt­ta­ten wie zuletzt in Hal­le an der Saa­le las­sen sich auch mit Wor­dings von Par­tei­en wie der AfD in Ver­bin­dung brin­gen. Der Täter hat in einem Video anti­se­mi­ti­sche Umvol­kungs­fan­ta­sien ver­brei­tet, bevor er getö­tet hat.

Slo­wy: Du hörst ja selbst im Rap­be­reich Leu­te anti­se­mi­ti­sche The­sen oder sons­ti­ge Ver­schwö­rungs­theo­rien auf­stel­len. Leu­te, die Mil­lio­nen von Fol­lo­wern haben und so vie­le Men­schen beein­flus­sen. Das mei­ne ich mit ver­dum­men. Wenn du mit dei­ner Macht ande­re Men­schen so "erziehst". Ich hab' mich damit auch nur teil­wei­se beschäf­tigt. Da kam es dann doch nach gerau­mer Zeit zu einer gewis­sen Resi­gna­ti­on. Aber damit kann man sich natür­lich stun­den­lang beschäf­ti­gen. Das sind Leu­te, deren Musik ich jetzt nicht höre, aber über Social Media bekommt man dann doch mal was mit. Das ist alles schon ziem­lich krass bei Künst­lern, die zur HipHop-​Szene gezählt wer­den, die ja eigent­lich welt­of­fen und mul­ti­kul­tu­rell ist. Von expli­zit rech­tem Rap und so wei­ter ganz zu schwei­gen. Das gibt es ja auch noch.

MZEE​.com​: Fin­det ihr, dass die Sze­ne dies­be­züg­lich extre­mer gewor­den ist?

Slo­wy: Ja, das ist defi­ni­tiv mehr gewor­den. Es sei denn, die­se Leu­te haben die Musik alle im stil­len Käm­mer­lein gemacht und wur­den nicht wahr­ge­nom­men. Wir sind ja auch nicht mehr die Aller­jüngs­ten und neh­men die Deutschrap-​Szene schon seit ihrem Bestehen wahr.

12Vince: Ich den­ke, es ist allein dadurch viel mehr gewor­den, wie ein­fach man sich sol­che Infor­ma­tio­nen beschaf­fen kann. Frü­her muss­te man wahr­schein­lich irgend­wel­che kras­sen Netz­wer­ke haben, um an Lite­ra­tur in der Rich­tung her­an­zu­kom­men. Heut­zu­ta­ge kannst du ja alles goog­len und zu allen Ver­schwö­rungs­theo­rien etwas fin­den – dem­entspre­chend ist der Zugang viel ein­fa­cher gewor­den. Noch dazu sind vie­le Leu­te bereit, auf sol­che Köder anzu­sprin­gen und Ideo­lo­gien zu verfolgen.

Slo­wy: Viel­leicht gab es aber frü­her auch ein­fach mehr Men­schen, die die­se Mei­nun­gen am Stamm­tisch ver­tre­ten haben, anstatt das in der Musik zu tun. Es machen ja ein­fach viel mehr Leu­te Musik und Rap. Als wir ange­fan­gen haben, Deutschrap zu hören, gab es hier viel­leicht 100 Künst­ler. Jetzt ist es wahr­schein­lich eine sechs­stel­li­ge Zahl. Aktu­ell wer­den die Leu­te mit Instagram-​Videos bekannt. Die haben dann auf ein­mal 100 000 Fol­lower und Men­schen, zu denen sie spre­chen und die sie in ihrer Mei­nung prä­gen kön­nen. Und das sind zum Groß­teil jün­ge­re Kids, die denen natür­lich die komischs­ten Sachen glau­ben. Die hal­ten den Künst­ler für ihren Mes­si­as. Es ist sicher auch gut, dass jeder im Inter­net eine Stim­me hat, aber in die­sen Kon­tex­ten birgt es 'ne Gefahr.

MZEE​.com​: Was die Grö­ße der Sze­ne angeht, gibt es ja zum Glück sehr viel mehr guten Stuff.

12Vince: Ja, total. Das kannst du ja direkt gegen­über­stel­len. Die Infra­struk­tur, die wir heu­te für unse­re Zwe­cke nut­zen kön­nen, um Leu­te zu errei­chen, ist natür­lich viel bes­ser als zum Bei­spiel in den 90ern. Gleich­zei­tig gibt es irgend­wel­che Neonazi-​Bands, die die­se Struk­tu­ren nut­zen kön­nen, um mehr Leu­te zu errei­chen. Aber das gilt eben auch für Leu­te, die ver­nünf­ti­ge Sicht­wei­sen ver­tre­ten. Oder für Aus­stei­ger aus rechts­extre­men Sze­nen, die Leu­te auf­klä­ren und posi­tiv beein­flus­sen wol­len, anstatt Hass zu verbreiten.

MZEE​.com​: Zum Abschluss: Auf dem Album schei­nen neben Graf­fi­ti vor allem Freund­schaft und eure Jungs als gro­ße The­ma­ta auf. Ist Freund­schaft für euch das Wich­tigs­te im Leben?

Slo­wy: Fami­lie steht auf jeden Fall ganz vor­ne. Und mei­ne bes­ten Freun­de zäh­le ich auch qua­si zu mei­ner Fami­lie oder zu dem, was wir so nen­nen. Das enge Umfeld, Leu­te, denen man über lan­ge Zeit ver­trau­en kann. Bei denen man weiß, dass man da auf jeden Fall einen Rück­halt hat, wenn alles ande­re kaputt­geht. Das ist das Wich­tigs­te, die Basis.

12Vince: Das seh' ich genau­so. Ich hat­te vor­ges­tern erst ein lan­ges Gespräch mit mei­ner Freun­din dar­über. Da ging's um Arbeit, wie man sei­ne Zeit ein­teilt und was einem tat­säch­lich wich­tig ist. Im End­ef­fekt sind Job, Geld und so wei­ter immer nur zweit­ran­gig. Freun­de und gute Bezie­hun­gen sind viel wich­ti­ger. Freun­de­kau­fen bringt einen auch nicht wei­ter. Da sind ehr­li­che Freund­schaf­ten und Leu­te, auf die man sich ver­las­sen kann, schon das Wichtigste.

(Yas­mi­na Ross­meisl & Alex­an­der Hollenhorst)
(Fotos von MADEINCHINA)