Nic Knatterton – ein Künstlername, bei dem manche schmunzeln und vielleicht auch an die gleichnamige Comicfigur denken mögen. Doch Nic Knatterton ist mehr als Namensvetter eines Comicdetektivs. Er ist Rapper, Künstler, Vater und Therapeut. Sein musikalischer Werdegang ist geprägt von der Zusammenarbeit mit unterschiedlichsten Musikern. Dazu zählen mehrere Alben mit seiner Frau und die Zeit bei der Anti Alles Aktion. Nach zahlreichen gemeinschaftlichen Produktionen hat er sich nun entschieden, wieder ein Solo-Album zu releasen. Mit "Schnitzereien auf einer Parkbank" zeigt der Künstler, dass er auch ohne große mediale Präsenz seine Leidenschaft – das Rappen – weiterhin verfolgt und sich selbst treu bleibt. Im Interview sprachen wir mit ihm über Veränderungen im deutschen Rap, den Unterschied zwischen Rap und Graffiti als Ausdrucksform und das Gefährliche an Verschwörungstheorien.
MZEE.com: Das Erste, was mir bei dir auffiel, war dein Künstlername – da musste ich direkt an den fiktiven Meisterdetektiv denken. Welche Verbindung hast du zu der gleichnamigen Comicfigur?
Nic Knatterton: Als ich klein war, hat meine Tante mich immer so genannt. Als ich Anfang der 90er angefangen habe, zu rappen und zu freestylen, habe ich oft schnell gerappt, also Doubletime-Passagen. Das nannte man damals noch nicht so. Für mich war es halt schnelles Geknatter. Da hat es ganz gut gepasst, diesen Künstlernamen zu wählen. Ganz am Anfang war mir nicht wirklich bewusst, dass es diese Comicfigur gibt. Mittlerweile habe ich auch mal ein paar Comics von dem gelesen.
MZEE.com: Du bist in verschiedenen Kunst- und Ausdrucksformen tätig, beispielsweise Graffiti. Was kannst du damit ausdrücken, was dir mit Rap nicht gelingt?
Nic Knatterton: Ich male mittlerweile überhaupt kein Graffiti mehr. Ich habe damals im Prinzip parallel damit angefangen, so 1993 bis 1994. Hier in Aachen gab's überhaupt keine Rapmusik. Wir haben ab und zu im Park ein bisschen gefreestylt. Das Hauptding war eher Graffiti. Da war ich dann auch in der Szene, bis ich 23 war. Das ist 16 Jahre her. Es hat schon einen anderen Charakter. Gerade illegales Graffiti bringt ganz andere Hormone und Adrenalin-Ausstöße mit sich, als auf einer Bühne zu stehen. Man muss vorsichtig sein und aufpassen. Das ist ja etwas anderes, als wenn man irgendwo gebucht ist, seinen Kram macht, wieder geht und im Endeffekt nichts verbrochen hat. Ich habe fünf Kinder, lebe hier mit meiner Frau, da bin ich mit dem legalen Weg mittlerweile ganz zufrieden. Auch wenn ich es total bewundernswert finde, wenn Leute in meinem Alter immer noch rausgehen und Züge rocken. (lacht) Es gibt ja hier in Aachen noch einige, mit denen ich damals angefangen hab', die jetzt ihren ganz normalen Job machen und trotzdem noch jedes Wochenende irgendwohin fahren. Davor habe ich wirklich Respekt. Die, die mir einfallen, haben allerdings auch keine Kinder. Ich weiß' nicht, ob das mit einfließt. Ich hätte ein bisschen Schiss, mit einem Bein im Knast zu stehen – das wäre mir zu turbulent.
MZEE.com: Einem Text auf deiner Website lässt sich entnehmen, dass du "zurückgebliebenen Rap" mit deinen eigenen Wertvorstellungen beeinflussen willst. Was genau ist mit "zurückgeblieben" gemeint?
Nic Knatterton: Ach, das ist eher ein Satire-Text. Den habe ich nicht selbst geschrieben und der ist schon uralt, aber es würde ja auch heute noch zu diesem Trap-Zeug passen. Das kommt jetzt ein bisschen von oben herab. Ich find', das hat natürlich seine Daseinsberechtigung und Leute, die das gerne hören möchten, sollen sich darüber freuen. Mein größter Sohn, der hört eigentlich nur Capital Bra und so Autotune-Gedudel – irgendwie machen es sich die Leute mit der Kunst manchmal ein bisschen einfach. Das ist immer der gleiche Flow und am Ende ist mehr Kopie als Kunst vorhanden. Wobei ich da auch nicht so drauf rumreiten will, weil diese Formulierungsweise etwas Überhebliches hat.
MZEE.com: Dir geht es also vielmehr um das Generische und darum, dass nach einem Schema gearbeitet wird als um eine stilistische Ausrichtung?
Nic Knatterton: Genau, Musik nach Schema F. Das heißt nicht, dass das alles schlecht ist. Fatoni oder Juse Ju machen ja Trap-lastiges Zeug, das find' ich total geil. Sachen von Edgar Wasser oder LGoony kann ich mir auch gut anhören. Da merkt man, hier hat sich jemand damit auseinandergesetzt und versucht, das zu interpretieren. Würde man diesen Ansatz komplett weglassen, gäbe es überhaupt keine HipHop-Musik. Die lebt ja immer davon, Samples zu verwenden. Das war damals ein neuer Style, diese Dipset-Welle … Auch schon bestimmt zehn bis zwölf Jahre her, als plötzlich alle so rappen mussten. Das war eine Modeerscheinung wie jetzt dieses ganze Autotune-Zeug. Trotzdem kamen supergeile Sachen bei raus wie zum Beispiel Snaga und Pillath, das habe ich sehr gerne gehört. Es kommt immer drauf an, wie das interpretiert wird und wie viel eigener Anteil mit drinsteckt. Es gibt so viel Musik – das habe ich bei der Promo für das Album gemerkt. Wenn ich vor 15 Jahren ein Album rausgebracht habe, hat schon jemand eine Review geschrieben. Man brauchte sich gar nicht wirklich viel drum zu kümmern. Jetzt haben wir die große Promoagentur – macheete aus Berlin – mit eingeschaltet und es ist sehr, sehr müßig, in den Medien präsent zu sein. Was natürlich auch daran liegt, dass es unglaublich viel Musik gibt, die zumindest meinen persönlichen Geschmack nicht trifft.
MZEE.com: Würdest du sagen, dass du durch deinen ältesten Sohn Rap auch ein bisschen anders wahrnimmst? Siehst du dadurch Komponenten, die dir vorher nicht aufgefallen sind?
Nic Knatterton: Ja, ich kriege zumindest noch was mit. Ich hör' mir das an und versuche, zu verstehen, was er daran gut findet. Insofern schon, weil ich sonst mit dieser Musik wahrscheinlich überhaupt keinen Kontakt hätte. Also, ich würde irgendwo mitkriegen, dass es das gibt, ich kriege das ja auch in meiner Praxis mit. Die ganzen Kids reden natürlich davon. Aber viel interessanter finde ich es beispielsweise, wenn er mir Battle-Zeug von Leuten zeigt, die ich sonst niemals gehört hätte. Darüber habe ich zum Beispiel GReeeN kennengelernt. Jetzt verkauft der auch seine Platten. Den höre ich mir noch an. Da bin ich dann, hoffe ich, offen genug, sowas zu übernehmen. Das ist natürlich eher Popmusik, aber das kann ich mir ganz gut geben.
MZEE.com: Du arbeitest eng mit deiner Frau Johanna zusammen – ihr habt gemeinsam vier Alben aufgenommen. Wird eure Musik besonders durch eure enge Beziehung beeinflusst?
Nic Knatterton: Die Zeit, in der wir zusammen Musik gemacht haben, hat unglaublichen Einfluss darauf genommen. Johanna hat früher auch mal ein bisschen gerappt, aber nur, weil ich halt gesagt habe: "Komm, schreib doch mal 'ne Strophe." Ich wollte das mal ausprobieren, aber ihr Ding sind eher gesungene Hooks und Background-Gesang. Sowas hatte ich vorher noch gar nicht versucht. Eine lange Zeit haben wir gemeinsam die Musik und die Beats ausgewählt. Das ging in so eine Richtung, dass man etwas Melodiöseres damit machen konnte. Sie ist auch immer mit auf die Konzerte gefahren, bis unser Sohn Mio da war. Den haben wir sogar noch mitgenommen, meistens in Antifa-Schuppen, irgendwelche AZs, die über Deutschland und Österreich verteilt sind. Je mehr Kinder wir hatten, desto anstrengender ist das geworden, bis sie irgendwann gesagt hat, sie spielt keine Konzerte mehr mit. Sie hat noch eine Zeit lang Aufnahmen gemacht und meinte schließlich, das wäre jetzt nicht mehr ihr Ding. Sie macht immer noch ihren Kram, spielt Klavier und so. Johanna kommt aus einer klassischen Ecke. Als ich sie kennengelernt hab', war sie zarte 17 Jahre alt und hat gewissermaßen noch nie Rapmusik gehört. Sie ist bei mir in diese Antifa-Rap-Ecke reingestolpert als behütetes Mädchen. Das war schon ganz spannend, was daraus für Musik erwachsen konnte, weil ich mit diesem klassischen Zeug bis dato nichts zu tun hatte. Das war eine supertolle Zeit, in der wirklich schöne Songs entstanden sind. Auf der anderen Seite fand ich es total spannend, nach dieser Zeit neue Sachen auszuprobieren. Ich musste auch überlegen, wie ich live weitermachen will. Ich bin anschließend eine Zeit lang mit verschiedenen Freunden als Back Up-MCs durch die Gegend gereist. Seit drei Jahren habe ich eine Band, die mit mir Konzerte spielt – mit einem Saxophon, einem Schlagzeug und Background-Sängern. Das konnte wahrscheinlich nur entstehen, weil diese Phase mit Johanna zu Ende war. Sonst hätte ich wahrscheinlich einfach so weitergemacht, wie ich es gewohnt war. Die alten Songs werden jetzt durch die anderen Musiker unterschiedlich interpretiert. Mit Funk- und Ska-Elementen, die von ihnen umgesetzt werden – damit bin ich ganz zufrieden. Nach dieser Geschichte war ich aber auch froh, das aktuelle Album einfach mal alleine machen zu können. Selbst zu überlegen, welche Beats ich nehme, keine Kompromisse schließen zu müssen. Einfach die Hook so zu schreiben, wie es mir gefällt und im Endeffekt ein Album zu machen, das ich mir selbst gut anhören kann. Ohne große Absprachen mit anderen Musikern treffen zu müssen, so bereichernd das sonst bestimmt sein mag.
MZEE.com: Wie bereits von dir angedeutet, bist du ein alter Hase in der deutschen Rapszene. Warst du Rap im Laufe der Jahrzehnte immer treu oder gab es auch mal eine Zeit, in der du gedacht hast, dass die Musik nicht mehr zu dir passt?
Nic Knatterton: (überlegt) Es gab schon immer mal wieder musikalisch depressive Episoden, sag' ich mal vorsichtig … Aber ich war nie so weit, die Musik an den Nagel zu hängen. Eher so, dass ich überlegt habe: "Ergibt es Sinn, darüber meinen Selbstwert regulieren zu wollen?" Nach dem Motto: Ich muss Konzerte spielen und wenn ich nicht jeden Monat mindestens ein Konzert spiele, dann kann ich meine Identität nicht mehr über das Rapper-Dasein definieren. Das ist manchmal ganz schön anstrengend, wenn man nicht irgendwann in einer Position ist wie die Antilopen Gang oder Ähnliche, in der es einfach von alleine rollt und man auch merkt, dass es Sinn ergibt. Wie viele Leute machen in meinem Alter noch immer Musik, obwohl sie nie wirklichen Erfolg damit hatten? Ich kenne da relativ wenige. Die meisten machen das eine Zeit lang, ein paar kriegen dann Angebote und können davon leben und die anderen hören meistens irgendwann auf. Insofern ist das natürlich eine anstrengende Sache, neben Beruf und Familie immer weiter Musik zu machen. Es ist einerseits ein Ausgleich, andererseits auch ganz schön viel Zeit, die dabei draufgeht. Da habe ich mich immer wieder gefragt: "Soll ich nicht lieber angeln oder tanzen gehen oder sowas?" (lacht) Aber das war nie so verlockend, dass ich das in die Tat umgesetzt hätte.
MZEE.com: Gibt es denn noch andere Sachen, die dich interessieren oder reizen?
Nic Knatterton: Interessieren und reizen total, aber ich kann nichts anderes. In meiner Jugend fand' ich Breakdance superspannend. Ich habe das nie selbst gemacht, aber Freunde von mir. Die haben früher so mit 14, 15, 16 aktiv getanzt. Irgendwann ging das nicht mehr, weil sie chronische Sehnenscheidenentzündungen hatten. Die sind zum Beispiel zu Graffiti gewechselt, weil das körperlich leichter möglich war. Ich selbst bin künstlerisch mittlerweile nur noch in dem Rapding aktiv. Mein ältester Sohn Mio, von dem ich eben bereits gesprochen hab', macht Breakdance bei Sugar Rae. Das ist der Tanzlehrer von Julien Bam, einem YouTuber, der auch aus Aachen kommt. (lacht) Das findet Mio natürlich spannend, bei der Berühmtheit tanzen zu lernen.
MZEE.com: Du warst unter anderem im Umfeld der Anti Alles Aktion aktiv, aus der die Antilopen Gang entstanden ist. Inwiefern hat diese Zeit deinen musikalischen Werdegang geprägt?
Nic Knatterton: Genauso wie die anderen musikalischen Phasen in meinem Leben auch. Das war ja damals keine feste Crew, sondern eher ein Zusammenschluss von Künstlern. Da sind gute Songs entstanden. Ich habe immer gerne mit Tobi, Kolja, Daniel und Jakob (Anm. der Red.: Panik Panzer, Koljah, Danger Dan & NMZS) Musik gemacht. Es war allerdings im Endeffekt für mich eine relativ anstrengende Zeit, weil ich immer das Gefühl hatte, bestimmte Dinge abliefern zu müssen. Dadurch habe ich mich unter Druck gesetzt. Ich glaube, dass das auch von mir ausging. Ich will das nicht auf die Jungs von damals schieben, aber ich hatte halt diesen Druck: "So, die haben einen Song mit dem und dem politischen Thema gemacht, da will ich auch eine Strophe drüber schreiben. Jetzt muss ich mich aber anstrengen und mir dazu irgendwas aus dem Kopf drücken." Obwohl das vielleicht zu diesem Zeitpunkt gar nicht so meins war. Als diese Zeit vorbei gewesen ist, war es nicht so einfach für das Selbstwertgefühl im Sinne von: "Oh, jetzt werden die berühmt und ich tucker' hier immer noch rum." Insofern war es schwierig, aber auch recht entlastend, weil ich diesen Druck nicht mehr hatte und viel freier in meinem Ausdruck und meinen Gestaltungsformen werden konnte. In einer Gruppe kriegst du immer sehr direkt Feedback: "Aber das klingt ja ein bisschen lasch, kannst du da nicht etwas mehr Aggression reinstecken?" Okay, nehme ich das noch mal auf: "Oh, aber der Reim am Ende, da geht doch noch ein bisschen was Kreativeres." Besonders Jakob war sehr streng, was zum Beispiel Technik angeht. Der hat eben supergeile Musik gemacht. Da hat es sich schon gelohnt, perfektionistisch zu sein.
MZEE.com: Hast du noch Kontakt zu Leuten von damals oder ist das im Sand verlaufen?
Nic Knatterton: Eher Zweiteres. Irgendwann war Fatoni mal in Aachen und ich war auch da. Tobi war ebenfalls dort und wenn wir uns sehen, ist alles schön. Wir begrüßen uns, quatschen ein bisschen, aber darüber hinaus haben wir keinen Kontakt.
MZEE.com: In dem Song "Aluhut" rappst du über Verschwörungstheorien. Was ist deiner Meinung nach das Gefährlichste daran?
Nic Knatterton: Das Gefährlichste ist vermutlich diese allgemeine Gesellschaftstauglichkeit, also dass es so konform ist, bestimmte Formen von Verschwörungen für wahr zu halten. Es muss jetzt nicht mal um Chemtrails oder Echsenmenschen gehen, das fängt ja schon viel früher an. Wenn Projektionen gemacht werden, da fängt häufig der strukturelle Antisemitismus an: die bösen Leute, die oben in Banken oder den großen Firmen sitzen und für unser Leid verantwortlich sind. Wenn man eine Menschengruppierung für das eigene Leid verantwortlich macht, weil man es halt ansonsten nicht mehr aushält. Diese Gedankengänge sind ja viel gesellschaftskonformer, als wenn man anderes abgedrehtes Zeugs schwafelt. Ich kenn' auch in meinem Umkreis einige, die solches Gedankengut haben und das finde ich auf Dauer schon schwierig, weil der Sprung zum richtigen Antisemitismus oft nicht mehr weit ist.
MZEE.com: Was denkst du, wie man junge Menschen am besten über unsichere Quellen aufklären kann?
Nic Knatterton: (überlegt) Das ist eine gute Frage. Wenn ich das rausfinde, melde ich darauf ein Patent an, glaube ich. Mit meinen Kindern und in der Praxis mit den jungen Patienten spreche ich natürlich individuell darüber, aber ich glaube, wenn man schon halb drin hängt, wird jede Aufklärung als Lüge angesehen und somit ist es relativ schwierig. Es müsste schon früher anfangen, was aber aufgrund dieser hohen Mediendichte unglaublich schwer ist. Ich glaube, dass gute Beziehungen und aufklärende, ehrliche Gespräche und eine Bindungssicherheit mit dazu beitragen, dass es gar nicht mehr nötig sein muss, sich über spalterische Projektionen zu schützen. Das hat ja auch etwas mit Ängsten zu tun. Wenn man verängstigt ist und denkt "Oh, der Klimawandel, die Welt geht unter" und was weiß ich was, dann sucht man Erklärungen für das Leid, das tatsächlich da ist. Das ist ja die Gefahr bei den meisten Verschwörungstheorien. Irgendwo gibt es zumindest einen wahren Kern, ein gewisses Leid, das nicht in Ordnung ist. Das war selbst vor dem dritten Reich so. Da gab es eine Wirtschaftskrise, die Leute waren arbeitslos und wenn man es selbst nicht aushält, muss ein Verantwortlicher gesucht werden. Vielleicht wäre es ein Weg, den Leuten schon früh das richtige Rüstzeug mitzugeben, dass sie psychisch so stabil sind, dass das nicht mehr notwendig ist. Aber das ist natürlich eine Utopie, das ist mir schon klar.
MZEE.com: Deutschsprachigem Rap wird immer wieder nachgesagt, verschwörungstheoretische Inhalte zu verbreiten oder antisemitisches Gedankengut zu stärken. Wie stufst du zum Beispiel bei deinem Sohn das Gefährdungspotenzial ein, dass er etwas hört und unreflektiert aufnehmen könnte?
Nic Knatterton: Hm. Rap ist ja immer ein Spiegel von dem, was ansonsten los ist. Bei Capital Bra habe ich das jetzt noch nicht so gehört, aber ich höre das halt auch nicht viel, ehrlich gesagt. (lacht) Ich habe vor Jahren bei Haftbefehl davon mitbekommen – die bösen Leute in den Banken, die Rothschild-Theorie und so weiter. Das hatte Mio damals ebenfalls gehört und kam damit an. Das war im Endeffekt positiv, weil wir darüber sprechen konnten, was es mit diesen Verschwörungen in Bezug auf die Rothschild-Familie auf sich hat, die ja eine Grundlage für Antisemitismus sein können. Daraus ist ein gutes Gespräch erwachsen. Was es auf lange Sicht bei ihm bewirkt, das weiß ich nicht. Aber ich mache mir schon ein bisschen Sorgen. Auch, weil diese Blasen durch Social Media immer enger werden. Wenn man sich in bestimmten Bereichen bewegt, bekommt man nur noch das Gleiche mit. Ich bin da zum Beispiel sehr vorsichtig, Mio hat jetzt noch kein Instagram, Facebook oder sonst was. Wir kriegen immer Ärger von ihm, aber wir warten lieber noch, bis er etwas älter ist. Es ist natürlich nur ein Pseudoschutz. Er kriegt das alles trotzdem in der Schule mit und die Kids hören diese Musik. Jemandem bestimmte Themen vorzuenthalten, ist auf Dauer eigentlich auch nicht sinnig.
MZEE.com: Neben der politischen Orientierung sind deine Texte auch von deiner Lebensweise geprägt. Vegetarismus und eine links-politische Einstellung werden in sozialen Medien oft diskutiert – wirst du häufig damit konfrontiert?
Nic Knatterton: Wenn Johanna und ich vor ein paar Jahren in irgendeinem AZ gespielt haben, hieß es immer wieder: "Ein paar Straßen weiter versammeln sich irgendwelche Faschos, die wollen unsere Veranstaltung sprengen, lass mal dahingehen und uns dagegenstellen." (überlegt) Wirklich was passiert ist zum Glück nie. Das hing natürlich nicht alleine mit meiner Musik zusammen, aber ich wurde ja gebucht, weil ich solche Themen behandelt habe. Und das fand ich manchmal schon ein bisschen beängstigend. Beim letzten Release, auf dem auch der "Aluhut"-Track zu finden ist, gab es sehr viele Hasskommentare und sowas wie: "Ach, du steckst doch mit denen unter einer Decke." Das hat mir eher bestätigt, wie wichtig es ist, auf solche Themen aufmerksam zu machen, weil genau das diese Verwirrung ist, die aus diesen Verschwörungstheorien spricht. Ich hab' auf dem neuen Album versucht, klare Statements in einer verständlicheren Sprache auszudrücken. Trotzdem nehmen sowohl meine Haltung, meine politischen Statements als auch meine buddhistische Einstellung Einfluss auf die Musik. Wenn ich einen Song wie "Aluhut" einem Verschwörungstheoretiker ins Gesicht rappe, machen die Leute natürlich eher dicht. Eigentlich habe ich nichts bewirkt, außer vielleicht die Leute zu erfreuen, die sowieso schon meiner Meinung sind. Wenn ich das mit einer Wortwahl versuche, die nicht so polemisch auf den Punkt gebracht ist, hat es etwas von einer Art trojanischem Pferd. Bestimmte Inhalte wirken dann vielleicht erst ein bisschen später, ohne dass die Abwehr sofort hochgefahren wird, weil man das Gefühl hat, der Typ will mir was.
MZEE.com: In dem Song "Auf Honigsüß folgt Bittergall" thematisierst du den unausweichlichen Tod und die Sinnlosigkeit des Seins. Was bewegt dich dazu, trotz einer solchen Sichtweise Künstler zu sein?
Nic Knatterton: Also, ich würde gar nicht sagen, dass ich trotz dieser Sichtweise ein Künstler sein kann, sondern vielleicht gerade deswegen. Diese Sichtweise klingt erst mal traurig. Der Song drückt eigentlich etwas Buddhistisches aus, ohne dass ich die ganze Zeit auf diesen Termini rumreiten muss. Das ist der einzige Song mit Johanna. Zu wissen, das Leben ist irgendwann zu Ende, gibt zumindest mir eher die Kraft, darauf zu achten, was wirklich wichtig ist. Ich kann eh nicht steuern, wie lange ich hier noch rumlaufe. Aus diesem Grund muss ich doch schauen, was ich jetzt gerade daraus machen kann. Wenn aus solchen Gedanken Kunst entsteht, die ja nicht nur bei mir, sondern generell häufig aus einem Leid resultiert. Wie bei einer Lotusblüte, die aus dem Schlamm herauswächst. Dann kann am Ende etwas Schönes daraus werden wie ein Lotus. Wir haben das Wissen, dass alles endet und versuchen daher, unser Leben für uns und andere gut zu gestalten. Denn nur, wenn es anderen gut geht, kann ich mich auch wohlfühlen. Im Endeffekt ist es so, dass dieses Wissen um die Vergänglichkeit eher das Potential im Jetzt fördert.
MZEE.com: Eine ungesunde Haltung zum Thema Hilfsbereitschaft sprichst du auf "Helfersyndrom" an. Dazu haben wir dir ein Zitat von Galileo Galilei mitgebracht: "Man kann einen Menschen nichts lehren, man kann ihm nur helfen, es in sich selbst zu entdecken." – Würdest du dich dem anschließen?
Nic Knatterton: Definitiv. Das ist ganz meine Sichtweise, hundertprozentig. Darum geht's ja in dem Song. Dieses Gefühl, übertrieben zu helfen, auch wenn es gerade gar nicht gewollt wird, dient eher zur Selbstbeweihräucherung und entsteht aus egoistischen und egozentrischen Motiven. Freud hat eine ähnliche Metapher benutzt, dass eine Psychoanalyse sowas wie Hebammenarbeit ist. Es geht nicht darum, etwas Neues zu schaffen, das der Patient vorher nicht hatte, also ihm eine Gesundung einzupflanzen. Sondern darum, alles freizuschaufeln und dabei zu sein, wenn der Patient entdeckt, dass er eigentlich schon immer gesund war. Da lässt sich wieder der Bogen zur buddhistischen Sichtweise schlagen. Jedem Wesen wohnt eine Buddha-Natur inne. Die Wesen sind gerade nur nicht in der Lage, zu erkennen, wie kostbar und reichhaltig das Dasein und das Leben eigentlich ist. Die Aufgabe als Helfer, Psychotherapeut, Sozialarbeiter oder auch nur als guter Freund ist es, dem Gegenüber dazu zu verhelfen, dass es checkt, wie toll das eigentlich alles ist. Das passt ja sehr gut zu dieser Aussage.
MZEE.com: Das ist schon ein klassisches Sozialarbeiter-Ding – Hilfe zur Selbsthilfe.
Nic Knatterton: Genau, richtig. Es ist ja auch eine Anknüpfung an meinen Song "Sozialarbeiter im Sonnenschein". Da wollte ich erzählen, was ich beruflich so erlebe. Jetzt mache ich aber selbst gar keine Sozialarbeit mehr, sondern bin nur noch in der Praxis und daraus ist der Song entstanden. Es ist sozusagen der zweite Teil von "Sozialarbeiter im Sonnenschein".
MZEE.com: Zum Abschluss: Was ist deine Motivation dahinter, anderen Menschen mit deinen Werten und deiner Musik zu helfen?
Nic Knatterton: (überlegt) Ich habe das Gefühl, dass viele Menschen in dieser Verirrung, über die wir eben gesprochen haben, völlig gefangen sind. Man ist aufgrund seiner Neurosen so überschüttet mit dem ganzen Alltagsscheiß. Ich ebenso, ich nehme mich da nicht raus … Natürlich bin auch ich irgendwo von meinen Neurosen gesteuert, aber deswegen bin ich sehr dankbar, wenn ich einen Supervisor habe, der mir sagt: "Okay, guck mal, da sind deine Punkte, schau doch noch mal hin." Nicht, weil das etwas Neues ist, sondern weil es mir hilft, vielleicht einen blinden Fleck zu erkennen. Und ja, das ist meine Motivation, den Leuten, die ich erreichen kann – sei es mit Musik, mit meiner Arbeit oder einfach als Mensch – insofern nützlich zu sein, dass es denen vielleicht einen Tick besser in ihrem Leben gehen kann. Und genauso wünsche ich mir das auch von meinen Mitmenschen.
(Sicko und Jens Paepke)
(Fotos: Nic Knatterton/PR)