Nach den Ohrwürmern "Videomusik" und "Auf Null" beweisen Der Plot und Projekt Gummizelle mit ihrer abwechslungsreichen EP "Stimmt so" erneut, wie gut sie musikalisch miteinander harmonieren. Ob bekannt durch Videobattleturniere oder Auftritte mit Rapgrößen aus Amerika – beide Crews haben sich ihren Platz in der HipHop-Szene streitig gemacht. Nachdem es lange Zeit still um sie war, treten sie mit ihrer von verschiedenen Einflüssen geprägten Musik nun zurück ans Mic. Zwischen ihren gerade veröffentlichten und noch bevorstehenden Projekten war es uns möglich, mit dreien der vier Rapper ein anregendes Gespräch über ihre freundschaftliche Zusammenarbeit, die allgegenwärtige Thematik des Rausches im Rap und selbstinitiierte Zensur als politisches Statement zu sprechen.
MZEE.com: Auf dem Cover eurer EP sieht man den Titel "Stimmt so" in einem aufgebrochenen Glückskeks liegen. Was ist der dümmste Spruch, der bei euch je in einem Glückskeks stand?
Niels: Ich war mal mit meiner damaligen Freundin bei einem Thai-Imbiss und wir haben uns Glückskekse geholt. Sie meinte, dass bei mir bestimmt voll die Scheiße drin steht, aber der Spruch lautete "Dein Leben wird sehr erfolgreich verlaufen." Das war mein größtes Erfolgserlebnis mit Glückskeksen, aber an die dummen Sprüche kann man sich meistens nicht erinnern.
Kgee: Seitdem läuft's bei Niels.
CONNY: Ich weiß es ehrlich gesagt auch nicht mehr, aber für die Fotosession mit diesen Glückskeksen mussten wir einige aufbrechen, um sie für das Cover zu drapieren. Wir haben uns über viele Sprüche totgelacht. Ich kann mal nachschauen. Ich habe irgendwann besoffen einen Glückskeks in unsere WhatsApp-Gruppe geschickt.
Niels: Ich sammle in meinem Portemonnaie die guten Sprüche. Ich hole die mal raus.
CONNY: Ach, du hast die alle noch? Großartig!
Niels: Ja, ich hebe diese Zettel seit besagtem Spruch abergläubisch auf. Hier steht zum Beispiel: "Mit ihren Argumenten sind Sie unschlagbar." oder "Der Gesunde weiß nicht, wie reich er ist."
MZEE.com: Bedeuten dir diese Sprüche also tatsächlich etwas?
Niels: Ich habe schon bestimmte Ticks. Wenn ich zum Beispiel ein Fußballer wäre, würde ich mir den rechten Schuh immer zuerst binden. Aber ich denke nicht, dass mein Leben davon abhängt. Man tut gut daran, sich diese Sprüche ab und zu ins Gewissen zu rufen, würde ich sagen.
MZEE.com: Im Rahmen des Releases habt ihr eine Spotify-Playlist erstellt. In diesem Zusammenhang bezeichnet ihr eure Musik als "German Lauch Rap". Was kann man sich darunter vorstellen?
Kgee: Leider ist Max nicht da, der hat die gemacht. Wir haben während der Produktion mit vielen EP-Titeln gearbeitet und der Favorit war ganz lange "Fokus auf den Lauch". Weil wir vielleicht nicht wie die typischen Straßenrap-Gangster aussehen, sind wir auf "German Lauch Rap" gekommen. Das ist die nächste große Strömung nach Trap und Straßenrap. Wir bringen den Lauchrap zurück. Hardcore Edition. (lacht)
Niels: Unsere WhatsApp-Gruppe hat sogar ein "Fokus auf den Lauch"-Cover.
CONNY: Wir bekommen auch mit, was in der restlichen Deutschrapszene angesagt ist und es fällt einem natürlich auf, dass man nicht gerade die trendigste Mucke macht. Da fragt man sich schon mal: Ist das jetzt Backpackrap? Ist das Studentenrap? Was machen wir da eigentlich? Irgendwann kommt man dann auf die Deutschenwitze und da taucht zwangsläufig der Lauch auf. In dieser Suppe haben wir uns ganz wohl gefühlt, deswegen hatten wir "Fokus auf den Lauch" im Blick. Das hatte Max in der Benennung der Playlist zelebrieren wollen, er war nämlich ziemlich traurig, dass es nicht dieser Titel geworden ist. (lacht)
MZEE.com: Gibt es auch ein amerikanisches Pendant zum "German Lauch Rap"?
Kgee: Logic ist auf jeden Fall "American Lauch Rap"!
CONNY: Wie heißt denn noch mal der Typ, der dieses krasse Video mit dem Gehirn hatte?
Kgee: Lil Dicky?
CONNY: Ja genau, Lil Dicky! Der ist auf jeden Fall auch richtiger Lauchrap.
Niels: Asher Roth ist auch zu einhundert Millionen Prozent Lauchrap!
Kgee: Und Masta Ace! Wir haben festgestellt: Wenn man Englisch lernen will, hört man sich alte Masta Ace-Texte an. Der spricht richtig klares und deutliches Schulenglisch. Das hat schon auch so den Lauchswag.
CONNY: Mit den Leuten sehen wir uns auf jeden Fall auf einer Stufe. Das ist genau unsere Kragenweite.
MZEE.com: Beim Plot sind laut eigenen Aussagen alle Mitglieder an Entscheidungen beteiligt und mit Projekt Gummizelle sind zwei weitere Personen dazugekommen. Euer Pressetext betont, dass ihr keine Kompromisse gemacht habt. Lief die Zusammenarbeit ausnahmslos unbeschwert ab?
Niels: Zuerst haben wir uns nur zu viert – also CONNY, Max, Kgee und ich – getroffen und es sind ein oder zwei Songs aus einer Idee entstanden. Man merkt schon an diesem Lauchding, dass wir erst mal nur rumalbern und viel lachen, bevor Musik gemacht wird. Was den kreativen Prozess und den Entschluss angeht, eine EP zu machen, hatte jeder eine gewisse Kompetenz. Dafür bekam derjenige sozusagen die Hoheit, wie zum Beispiel Max für das Video. Gott sei Dank konnten wir alle viel zurücktreten. Die Songs waren teilweise zu lang und wir haben gemerkt, dass nicht jedes Mal alle vier einen 16er rappen können. Sonst wären die alle vier Minuten lang geworden. Deswegen hat einer angefangen zu sagen: "Komm, schmeiß mich einfach von dem Song runter. Mein Part ist sowieso nicht so geil." Das hat dann eine Welle der Bescheidenheit ausgelöst und jeder hat einen Part von einem Song gekickt. Dementsprechend konnten wir uns in vielen Punkten ziemlich schnell arrangieren.
Kgee: Das war sowieso das Credo bei der ganzen Musikmacherei. Bei vier Rappern muss jeder sein Ego ein bisschen zurücknehmen und man muss schauen, was für den Song am besten ist.
CONNY: Wichtig vielleicht zum Verständnis: Wenn wir hier von "Der Plot" sprechen, sind nur Elmäx und ich gemeint. Unsere Bandjungs waren in diesem Fall nicht am Projekt beteiligt.
MZEE.com: Also hatte jeder sein Spezialgebiet, bei dem er den Ton angegeben hat und die anderen haben sich zurückgenommen?
CONNY: Zum einen ja, aber wir waren auch einfach glücklich, wenn sich einer von uns um eine bestimmte Sache gekümmert hat. Wir haben alle viel um die Ohren und es ist leider vorbei mit dem schönen Studentenleben und jeden Tag bis zwölf Uhr pennen können. Deswegen war ich zum Beispiel richtig happy, dass ich mit dem Video nichts am Hut hatte. Im Gegensatz zu früher hat sich nur die Frage gestellt, wem man Geld überweisen muss, damit es rechtzeitig fertig wird. Die Grundstruktur und Stimmung war jedem sehr wichtig, aber da waren wir uns schnell einig, in welche Richtung es geht.
Kgee: Das hat auch nur funktioniert, weil wir schon sehr lange gut befreundet sind und uns auf Augenhöhe begegnen. Wenn sich jemand um etwas gekümmert hat, musste man nicht nachhaken und konnte dem anderen vertrauen. Wir sind alle Menschen, die ungern Sachen aus der Hand geben, wenn wir nicht wissen, ob das gut gemacht wird. Aber jetzt war es sehr befreit.
MZEE.com: Die Kompromisslosigkeit aus dem Pressetext macht sich auch in eurem Video bemerkbar: Ihr habt keinen konkreten Song ausgekoppelt, sondern verschiedene Parts der EP zusammengeschnitten. Warum habt ihr euch dafür entschieden?
CONNY: Wir haben recht lange überlegt, zu welchem Song wir ein Video drehen wollen. Es gibt von der Kombination Plot und Projekt Gummizelle bereits zwei ältere Musikvideos und das sind eher klassische Streetvideos, in denen wir durch die Stadt laufen und in die Kamera rappen. Wir wollten nicht noch mal das Gleiche machen. Daraufhin habe ich mit Max zusammengesessen, der das mit dem Video gerne übernehmen wollte, da er sich beruflich in Richtung Film entwickelt. Wir haben gebrainstormt und viele gute Ideen gehabt, so hat sich das herauskristallisiert. Allerdings wollten wir nur ein Video machen und hatten deswegen die Überlegung, bei dieser "Stimmt so"-Attitüde zu bleiben und vier Videos in einem zu machen.
Kgee: Das war auf jeden Fall eine superinnovative Idee.
CONNY: Wir hatten ein bisschen Angst, dass es ein Video-Snippet wird. Das konnten wir vermeiden, indem wir uns eine Story dazu überlegt haben. Max fängt an, in diesem Capital Bra- und Juju-Setting zu rappen und wird dann von Projekt Gummizelle entführt. Das Ganze endet nach einem Drogentrip in einem Unfall. So haben wir in die Themenwelt der Platte eingeführt.
MZEE.com: Der Track "Toter Winkel" hat es nicht in das Video geschafft. Darauf beschwert ihr euch darüber, im musikalisch toten Winkel zu liegen und das, obwohl man immer mehr Möglichkeiten hat, Informationen zu beziehen. Habt ihr das Gefühl, dass die Menschen immer weniger Freude daran haben, neue Dinge zu entdecken?
CONNY: Es besteht natürlich die Gefahr der Reizüberflutung. Die Leute bekommen so viele Informationen angeboten, dass häufig die Zeit fehlt, diese in der Tiefe zu checken. Das bedeutet gerade im Zeitalter der Playlists, dass man vielleicht einen Song hört, den man gut findet, aber sich den Künstler nicht noch mal im Detail anhören wird. Dadurch kann man viele einzelne Streams generieren, aber das konvertiert nicht direkt in neue, feste Hörer. So ist es, glaube ich, mit vielen Informationen, die gestreut werden. Die Leute schnappen etwas auf, aber die wenigsten werden sich das Thema in der Tiefe reinziehen. Das kann auf politischer Ebene passieren, wie das in meinem Part fokussiert wird, oder aber auch auf musikalischer Ebene, wie es Niels und Max ansprechen.
Niels: "Toter Winkel" war der erste Song, den wir gemacht haben, da war richtig Druck auf dem Kessel. Es gab auch die Überlegung, den als erste Single auszukoppeln, aber wir hatten Angst, wie die Realness-Polizei rüberzukommen, auch wenn wir viele Menschen in unserem Alter damit abgeholt hätten. Uns allen war bei diesem Release extrem wichtig, nicht wie die verbitterten HipHop-Opas zu klingen. Um das zu vermeiden, haben wir uns auch dazu entschieden, das Video so abwechslungsreich zu gestalten. Das enthält ernste, witzige und neumodische Elemente.
MZEE.com: Thematisch knüpft ihr auf der EP immer wieder an das Thema Rausch an. Findet ihr es bedenklich, dass Drogen und Alkohol im Rap oft glorifiziert werden und selten reflektiert darüber gesprochen wird?
Kgee: Im Großteil des Mainstreamraps sind das immer noch Filme, glaube ich. Man darf das alles nicht so ernst nehmen. Ein Actionfilm thematisiert das genauso, da muss die Reflexion auch beim Konsumenten stattfinden. Es gibt natürlich die "Ich verticke mein Kokain am Block"-Platten, aber das nutzt sich auch für Jugendliche irgendwann ab. Ich glaube, dass ältere Menschen, die dazu keinen Zugang haben, eine viel größere Gefahr darin sehen, als eigentlich vorhanden ist. Die Kids fangen deswegen nicht alle an, Koks zu verticken. Wir haben zum Beispiel den Track "Gib mir Rausch" geschrieben, da wir alle schon Erfahrungen damit gesammelt haben. Es gibt dann im Video aber auch auf der Metaebene die sozialkritische Komponente, dass man auf Drogen besser nicht Auto fahren sollte, weil sonst Unfälle passieren.
Niels: Ich finde, das ein superschwieriges Thema. Einerseits ist es bedenklich, wenn mir 20-jährige Mädels erzählen, dass sie ihr Abitur auf Ritalin geschrieben haben, weil sie es sonst nicht geschafft hätten. Ich habe mein Studium auch durchgekriegt, ohne einmal Speed oder Ritalin zu nehmen. Auf der anderen Seite war uns aber auch klar, dass es nicht nach erhobenem Zeigefinger klingen soll, wenn wir darüber sprechen. Es sollte einen ironischen Touch haben und nicht kritisch rüberkommen. Es ist, glaube ich, wichtig zu sagen, dass coole Musik nicht entsteht, weil man Drogen nimmt. In dem Moment fühlt es sich vielleicht intensiver an, aber wirklich nachhaltige Kunst entsteht durch Arbeit und Kreativität. Das hat eigentlich nichts mit Rausch zu tun.
Kgee: Das ist allerdings kein Thema von Rap, sondern eher ein gesellschaftliches Problem. Es gibt auch anderen Rap, der das nicht thematisiert, aber der findet kaum in den Medien statt, weil sich Gewalt, Sex und Drogen immer noch besser verkaufen. Ich finde es auch bedenklich, wenn in jedem zweiten Song über Lean gerappt wird und sich Jugendliche Hustensaft mit Sprite reinkippen. Um sich danach mit Wodka aus dem Leben zu schießen, weil sie das in irgendwelchen Gangsterrap-Videos gesehen haben.
CONNY: Es wäre grundsätzlich wichtig, eine Gesprächskultur zu schaffen, in der es möglich ist, ernsthaft über solche Themen zu reden, ohne direkt verlacht zu werden. Da geht es nicht nur um die Problematik "Drogen", sondern auch um eine frauenverachtende Attitüde oder schwulenfeindliche Sprechweise, um Beispiele zu nennen. Es gibt genug Leute, die auf Social Media-Plattformen immer wieder Statements posten, aber in der Musik selbst passiert das doch eher selten. Wenn wir in der Lage sein wollen, eine inhaltlich wertvolle Diskussion zu führen, ist es hinderlich, sich erst Gedanken machen zu müssen, ob es peinlich rüberkommt, darüber zu reden. Wenn man sich gemeinsam hinsetzen würde, um einen Text zu schreiben und einer vorschlägt, über die negativen Folgen von Tabak und Alkohol zu rappen, würde man sich nur fragen, wie das geht, ohne dabei peinlich zu sein. Und solange diese Frage voransteht, wird in den wenigsten Fällen eine sinnvolle Auseinandersetzung stattfinden, denke ich.
MZEE.com: Ihr habt recht, gesellschaftlich wird es oft als peinlich wahrgenommen, wenn darüber gesprochen wird. Ein Beispiel dafür ist die "Kenn dein Limit"-Kampagne. Trotzdem gibt es für Rapper ein großes Potenzial, mit ihrer Musik junge Menschen auch im Bezug auf diese Themen zu erreichen.
Niels: Da stimme ich dir zu, aber das kann, glaube ich, nur auf einem Mac Miller-Niveau passieren. Damit das jemand ernst zu nehmend machen kann, muss er selbst abgestürzt sein. Nur ein Rapper, der selber von Lean abhängig war, könnte einen Song darüber machen, wie dich so ein Opiat fickt und genauso kaputtmacht wie Heroin. Ein Rapper, der erklärt, dass er keine Musik mehr machen konnte, weil er so in diesem Rausch gefangen war. Das würde niemals funktionieren, wenn der 35-Jährige, der sein Leben lang nur Alkohol getrunken und zwei Joints geraucht hat, darüber eine Debatte anfängt. Dann kommt nämlich sowas wie "Kenn dein Limit" dabei heraus, übertrieben gesagt.
Kgee: Die Angst vor dem Zeigefinger ist bei Rappern, glaube ich, immer da, das ist schwer rauszukriegen. Es gab irgendwann einen Tweet von Bonez MC, bei dem er ganz klar geschrieben hat, wie scheiße das alles ist. Er meinte, dass das überzüchtete Gras paranoid und das Koks dann alles nur noch schlimmer mache und dass er am liebsten damit aufhören würde. Keine Ahnung, wo das herkam, aber das war real und damit hat er bestimmt mehr Leute erreicht als irgendwelche Medienleute mit so einer hippen Anti-Drogenkampagne in der Schule. Ich habe mir auch schwer vorstellen können, dass die bei Jugendlichen greift, dafür war das nicht genug auf deren Level. Das haben Menschen über 40 konzipiert, die nicht mehr verstehen, wie man Kids anspricht.
CONNY: Grundsätzlich würde ich mir auch wünschen, dass man nicht wie $ick von "Shore, Stein, Papier" komplett durch die Heroinabhängigkeit gelaufen sein muss, um in einer Debatte mitsprechen zu können, in der es um Prävention geht. Das meinte ich auch mit der Gesprächskultur. Es ist häufig so, dass diese Autoritätsargumente gefordert werden. Da sind wir schnell bei einem Christian Lindner, der ein Umweltwissenschaftler-Diplom fordert, um über die eigene Zukunft zu sprechen. Das ist auch nicht die richtige Basis, um miteinander zu reden. Natürlich hat es einen ganz anderen Impact, wenn ich mir einen Song von Mac Miller anhöre und über Drogen nachdenke, weil das viel näher dran ist und der das alles erlebt hat, ich will das gar nicht schmälern. Aber an vielen Stellen winken die Menschen zu schnell ab, weil der Gegenüber das nicht selbst erlebt hat und deswegen keine Ahnung haben soll. Beide Seiten müssen sich einander annähern und sich gemeinsam an einen Tisch setzen. Dann könnten Menschen, die solche Kampagnen machen, mit Leuten, die solche Probleme hatten, zusammenarbeiten.
Niels: Ich habe neulich ein Bausa-Video gesehen, in dem er darüber spricht, nicht mit dem Trinken aufhören zu können, auch wenn das natürlich wieder kitschig verpackt war.
CONNY: Es ist auch ein Unterschied, ob jemand sowieso schon präsent ist und dann sein Innerstes preisgibt, um die Hörer noch mehr zu erreichen. Auf diesem Level sind wir als Künstler nicht mal ansatzweise. Wenn wir das machen, würde es daran kein Interesse geben.
MZEE.com: Ein Song, auf dem ihr dieses Thema behandelt, heißt "Nein, Danke!". Elmäx rappt auf diesem eine Line, in der ein Name gepiept wird. Wir haben euch ein Zitat von Heinrich Heine dazu mitgebracht: "In den Zeitungen wurden die von den Zensoren beanstandeten Stellen durch Striche angedeutet. Ludwig Börne nannte sie Leichensteine." – Findet ihr, dass selbstinitiierte Zensur ein gutes Mittel ist, um Menschen oder Themen bewusst keine Plattform zu bieten?
CONNY: An der Stelle wird der Name R. Kelly zensiert, der gerade im Radio läuft. Max hatte diese Zeile geschrieben, weil das für ihn ein Sommergefühl zum Ausdruck gebracht hat. Als wir die Platte fertig gemacht haben, gab es allerdings die Kampagne "#MuteRKelly". Das Thema war gerade groß in den Medien und es ging viel um den Prozess. Max und ich haben darüber geredet, wie wir mit dieser Stelle umgehen wollen. Für uns war seinen Namen zu muten eine Möglichkeit, um unsere Solidarität mit dieser Kampagne auszudrücken. Wir finden, dass dieser Künstler in den Medien nicht mehr stattfinden sollte und somit konnten wir im Kleinen unseren Teil dazu beitragen. Auf meiner EP mit Pimf habe ich zufälligerweise auch eine Zeile gerappt, in der R. Kelly vorkommt. Obwohl die Platten mit nur zwei Wochen Abstand releast wurden, war "Stadtlandflucht" schon viel früher beim Abmischen und somit hatte ich keine Möglichkeit, das noch zu ändern oder einzugreifen, sonst hätte ich das ebenfalls gemacht. Auch wenn wir nur für die wenigsten ein sichtbares Statement gesetzt haben, war das eine politisch relevante Entscheidung, die wir für uns getroffen haben.
Kgee: Wenn man im Video genau hinsieht, gibt es einen kleinen Hinweis. Das Logo von der "#MuteRKelly"-Kampagne ist in dem Moment auf Max' Mund zu sehen.
Niels: Wir haben schon darüber diskutiert. Ich habe dafür plädiert, dass wir es drin lassen. Erstens versuche ich immer, Beispiele zu verwenden, die nachhaltig sind und für mich war in dem Moment klar, dass gerade eine Welle auf R. Kelly hereinbricht. Wenn man aber den Song in zwei Jahren hört, wird sich niemand sofort daran erinnern, warum wir das gemutet haben. Und zweitens steht die Zeile, unabhängig davon, was R. Kelly vorgeworfen wird, für ein Gefühl, das Max beschreibt. Dementsprechend ist für mich die Anklage und die Beschreibung, dass er im Radio läuft, voneinander zu trennen. Ich habe das einmal so angesprochen. Max und Conny waren aber dafür, das zu muten und da es Max' Part ist, war natürlich auch klar, dass ich damit überstimmt bin.
MZEE.com: Ihr wolltet hier ein bewusstes politisches Statement setzen, aber die Entscheidung, sich gegen R. Kelly zu stellen, wird vom Hörer nicht unbedingt bemerkt. Was für einen politischen Impact hat das dann?
Kgee: Der Song ist zeitlos. Man kann da immer den neuesten #MeToo-Skandalrapper einfügen. In fünf Jahren kommt ja eh der Nächste. Das ist sozusagen der "Leichenstein" in der Textskizze. (lacht) Nein, es kann ja auch einen Diskurs anregen, wenn Leute rätseln müssen. Vielleicht recherchiert jemand und findet es durch das Video raus.
CONNY: Eine gute Freundin hat mal zu mir gesagt, dass die Beschwörung der Stärke einer Frau zugleich auch immer die Beschwörung ihrer Schwäche sei. Wenn ich also ständig hervorhebe, dass eine gewisse Frau stark ist, impliziert das, dass es etwas Besonderes ist, weil Frauen eigentlich die Schwachen wären. Ich finde, da ist ein ähnlicher Mechanismus vorhanden. Der Ansatz dieser Kampagne ist, diese Person einfach nicht mehr stattfinden zu lassen. Aber wenn ich die ganze Zeit darüber diskutiere, diese Person nicht stattfinden zu lassen, findet sie trotzdem statt. Ich denke, die Idee dahinter ist, diesen Künstler einfach komplett stumm zu schalten, sodass er nicht mehr vorhanden ist. Sonst halte ich ihn am Leben.
Kgee: Da kann ich mich nur anschließen. Und wenn das bedeutet, dass in letzter Instanz der Hörer nicht versteht, was in dieser Zeile stattfindet, dann ist das so. Ich spiele auch keine R. Kelly-Songs mehr, wenn ich auflege.
CONNY: Du stellst aber auch kein Schild daneben, auf dem steht, dass Kgee heute Abend kein R. Kelly auflegt. Das wäre ja bescheuert. (lacht)
Niels: Man kann das auch gut als Stilmittel verwenden. Kgee und ich haben beim Durchhören unserer Diskographie festgestellt, dass wir mit den Jahren immer weniger erklären in unseren Texten. Das liegt auch an der heutigen Zeit und daran, dass durch das Internet so viele Informationen verfügbar sind. Früher hätte ich zum Beispiel nie über das Odonien gerappt, weil nur ein Bruchteil der Leute, die in Köln feiern gehen, das Odonien kennen. Im Zweifelsfall wird aber jemand googeln und herausfinden, was das ist. Das ist dann wie ein Überraschungsei. Wenn ein Künstler so etwas in einem Song versteckt und ich das herausfinde, habe ich noch mal eine andere Beziehung zu diesem Lied. Das finde ich gut.
MZEE.com: Ist für euch Zensur von außen vertretbar? Welche Grenzen hat sie für euch?
Niels: Ich habe das Gefühl, dass weniger zensiert wird als früher. Das viel größere Problem ist, dass Leute nicht mehr in den Dialog miteinander treten. Das ist auch eine Art von Zensur, aber das geht zu weit, weil das jetzt wieder so politisch wird. Aber selbst, wenn ein Album auf dem Index landen würde, könnte man es noch irgendwo im Internet finden.
CONNY: Das macht das Ganze nur noch interessanter. Wichtig ist, dass eine sinnvolle Berichterstattung über solche Inhalte stattfindet, damit Leute, die nicht so viele Gedanken in solche Texte gesteckt haben, dabei unterstützt werden, eine Meinung dazu zu finden.
MZEE.com: Findet ihr, dass der HipHop-Journalismus das gut hinbekommt?
CONNY: Nach meinem Gefühl werden die News kürzer. Mir wird immer wieder der ALL GOOD-Podcast von Jan Wehn ans Herz gelegt, weil in dem eine Auseinandersetzung mit solchen Inhalten in der Tiefe stattzufinden scheint. Ich habe leider noch nicht reingehört und auch schon länger nicht mehr die JUICE gelesen. Kann sein, dass in manchen Medien ausreichend darüber geredet wird, ich habe das aber nicht mitbekommen. Vielleicht habe ich aber auch nur etwas verpasst.
Niels: Das ist nicht mal den Medien oder Inhaltsmachern vorzuwerfen, sondern den jeweiligen Plattformen. Wenn ich über eine Stunde ein Interview mit einem Künstler führe, ist genug Platz um tiefgründigere Sachen zu besprechen. In einem langen Tua-Interview finden wahrscheinlich tiefere Themen Platz als in einem langen Fler-Interview – da findet Fler statt, um das an einem Klischee festzumachen. Das Fler-Interview bekommt wahrscheinlich 300 000 Klicks, aber das Tua-Interview vermutlich höchstens 30 000 Klicks. Ich bekomme bei YouTube auch nur Fler reingespielt, weil durch unsere Like- und Algorithmuskultur nur das wahrgenommen wird, was am lautesten ist. Dadurch werden die Peaks immer ausdrucksstärker und die Thesen und das Besprochene müssen immer radikaler sein, damit sie Gehör finden. Die Medien beugen sich dem auch nur.
MZEE.com: In solchen Formaten wird mit den Künstlern vor allem über Themen gesprochen, mit denen sie sich bereits beschäftigen. Natürlich wird da nicht eine Stunde mit Gzuz über Sexismus geredet.
Niels: Wäre aber geil.
CONNY: Wir haben sogar eine Gzuz-Referenz auf der Platte. Max sagt auf "Toast Hawaii": "Was zur Hölle soll Tocotronic sein?" Das basiert auf einer Instagram-Story von Gzuz, in der er einen Zeitungsartikel über sich selbst liest. Das ist dieses Highlevel an Ignoranz, das einfach perfekt für diesen Song war, der der Inbegriff davon ist.
MZEE.com: Ganz nach Battlemanier habt ihr einige Referenzen auf der Platte und im Video. Neben Gzuz wird zum Beispiel auch Kay One erwähnt. Hättet ihr an gewissen Stellen im Nachhinein lieber einen anderen Namen genannt, der aktueller ist?
Kgee: Klar, das könnte man endlos so weiterführen, aber eine EP ist immer eine Momentaufnahme. Zu der Zeit war es eben das.
CONNY: Es wäre einfach gewesen, einen Stich gegen einen Mero oder Eno zu machen und damit auch aktuell zu sein, aber damit käme auch ganz schnell die Gefahr, zu verbittert und neidisch auf deren Hype zu wirken.
Kgee: Man macht sich beim Schreiben auch keine großen Gedanken, was man für Namen nennt. Das ist eine Momentaufnahme und dann landet halt Kay One auf einem Track.
(Jens Paepke & Yasmina Rossmeisl)
(Fotos: Frederic Fisch)