Wer den Namen Lord Folter zum ersten Mal hört, wird ihn nicht unbedingt mit Rapmusik in Verbindung bringen. Auch wenn es sich bei ihm zweifelsfrei um einen Rapper handelt, bricht seine Musik genauso wie das von ihm gewählte Pseudonym die Konventionen des Genres. Der in Düsseldorf lebende Künstler bezeichnet sich selbst als "Antagonist der Herzen" und "Protagonist der Schmerzen" – eine Charakterisierung, die sich gleichermaßen in seiner Klangästhetik und Lyrik abzeichnet. Für unser Interview trafen wir uns in einem kalten Kellerraum voller alter Sofas, dessen größte Wand durch ein gewaltiges Gemälde von einer idyllischen Waldlandschaft geziert wurde. Ein Ort, der ähnlich viele Diskrepanzen wie die Musik des Rappers aufweist. Dort sprachen wir mit Lord Folter über seine musikalischen Anfänge, die künstlerische Entwicklung und aktuelle Projekte. Außerdem befragten wir den Kunststudenten über das Verhältnis von Musik und freier Kunst.
MZEE.com: Du bist trotz mehrerer Releases noch ein ziemlicher Geheimtipp. Um dich ein wenig einordnen zu können: Gab es bestimmte Künstler oder Künstlerinnen, durch die du mit Rap sozialisiert wurdest?
Lord Folter: Als Kind auf jeden Fall Eminem, aber das darf man eigentlich gar nicht sagen. Ich bin 92er Jahrgang, Aggro Berlin und Bushido waren meine ersten Kontakte mit deutschem Rap. An den M.O.R.-Sachen bin ich komplett vorbeigeschwappt und habe das im Nachhinein wiederholt. "Electro Ghetto" oder "Carlo Cokxxx Nutten II", da erinnere ich mich noch dran. "Nie ein Rapper" höre ich heute noch ab und zu, auch wenn man den Typen nicht gerne unterstützen mag.
MZEE.com: Man nimmt dich ja in einer ganz anderen Richtung wahr, beispielsweise in Verbindung mit AzudemSK. Waren das auch die Leute, die du dann selbst gepumpt hast?
Lord Folter: AzudemSK ist ja eigentlich erst recht spät gekommen. Wir haben uns vor zwei Jahren in Siegen auf der Schießstand Jam kennengelernt, davor habe ich auch schon zwei Jahre Konzerte gespielt und Mucke gemacht. Man verbindet mich häufig mit ihm, weil es wahrscheinlich der bekannteste Künstler ist, mit dem ich kollaboriert habe. Aber wir wollen natürlich Joe Space nicht vergessen. Das war eigentlich der erste Kollaborateur, bei dem ich mich darauf eingelassen habe, eine Platte zu machen.
MZEE.com: Deine Musik klingt auf jeden Fall eher nach Untergrund, wenn man es so bezeichnen möchte. Aggro Berlin hört man da nicht so viel raus.
Lord Folter: Aggro war damals ja auch noch Untergrund. (grinst) Ich rappe teilweise schon sehr aggressiv, vor allem live. Wahrscheinlich würde man es am ehesten in die Conscious Rap-Ecke stellen, was ich aber irgendwie nervig finde. So nach dem Motto: "Der macht sich Gedanken um irgendwas, der braucht bestimmt total lange und ist voll romantisch." Es gibt viele Interpretationsweisen und ich würde schon sagen, dass ich ein aggressiver MC bin, auch wenn man das auf Platte nicht mehr hört. Aber klar, es ist Untergrund-Rap.
MZEE.com: In Genres packen ist immer etwas nervig, aber viele brauchen das dennoch.
Lord Folter: Klar, man kann darüber kurz erklären, woran man überhaupt ist, wenn man jemandem beispielsweise neue Musik zeigt oder darüber spricht. Man braucht es aber nicht, um die Musik am Ende zu bewerten.
MZEE.com: In unserem Format "MZEE Tape" nanntest du vorwiegend ausländische Tracks, dafür aber soundtechnisch ziemlich breit gefächerte. Wenn du deutsche Musik empfiehlst, handelt es sich meistens eher um Rap aus dem Boom bap-Kontext. Macht die Sprache da für dich einen klaren Unterschied?
Lord Folter: Die Argonautiks zum Beispiel. (Lord Folter zieht seinen Pulli hoch und zeigt ein Argonautiks-Shirt) Die haben ein krasses Album rausgehauen! Da war ich echt geflasht. Aber im Allgemeinen: Was soll ich machen? Soll ich mir irgendein Genre aussuchen? Ich versuche mal, irgendwie zu erklären, wie das zustande kommt. Ich finde, es macht eigentlich nur Sinn, dass jemand, der in einer Szene steckt, gar nichts konsumiert, was in dieser Szene stattfindet. Du suchst dir automatisch Konkurrenten, vergleichst dich und so weiter. Das mache ich schon oft genug. Ich interessiere mich einfach für englischsprachige Musik, ich bin damit irgendwie groß geworden, ohne viel darüber nachzudenken, englische Raptexte zu schreiben. Die im Tape erwähnten Songs waren einfach Sachen, die mich dieses Jahr wirklich geflasht haben. Letztes Jahr wäre es vielleicht auch etwas Deutsches gewesen, da habe ich aber dieses Jahr nichts gehabt.
MZEE.com: Wenn ich Rap auf Deutsch höre, ist es auch viel aus dieser speziellen Richtung, aber fast sämtliche andere Musik, die ich höre, ist auf Englisch.
Lord Folter: Ich höre auch gerne französischen Rap. Da gibt es richtig gute Sachen. Ichon beispielsweise hat wirklich geile Musik rausgebracht, der macht jetzt so Vaporwave-Kram, aber ist auch ein geiler MC. Oder die La Base-Jungs aus Biel, das ist krasser französischsprachiger Rap aus der Schweiz. Richtig üble Gs, die müsst ihr euch anhören. La Base und Tru Comers, da geht es wirklich um Flavour. Die haben so ein Züngeln, ein Kauderwelsch. Der Sound ist einfach krass, die hätte ich letztes Jahr bei dem MZEE Tape genannt. (lacht)
MZEE.com: Bevor du begonnen hast zu rappen, hast du in Punk-Bands gespielt. Unter welchem Namen warst du damals aktiv?
Lord Folter: Da war ich auch schon mit ihm hier unterwegs. (zeigt auf DJ Sex) Das war schon fast Crossover. Es war ziemlich hart, irgendwas zwischen Punk und Post-Hardcore. Wir hatten aber keinen Namen. Wir haben ein Jahr geprobt, wirklich jede Woche bei einem Kollegen, der unser Drummer war. Der Vater hatte eine Musikschule und die hatten da Proberäume. Wir hatten einen richtig fähigen Schlagzeuger, DJ Sex hat Gitarre mit der Loop-Station gespielt, sehr virtuos. Habt ihn auf dem Schirm, DJ Sex. Und Malte, der heute Bass bei AnnenMayKantereit spielt, war dabei, ist dann allerdings ins Ausland gegangen. Das alles hat sich dann nach und nach aufgelöst.
MZEE.com: Warum habt ihr in dem Zeitraum nichts releast?
Lord Folter: Na ja, wenn du einen miserablen Sänger wie mich hast … (überlegt) Ich habe halt gute Texte geschrieben, aber ich konnte immer besser brüllen als singen. Dennoch hatte ich den Anspruch, zu singen und es hatten alle immer sehr verschiedene Ideen. Dann ging der erste, ich habe mein Studium abgeschlossen, bin nach Düsseldorf, er ist nach Köln gegangen. Es hat sich einfach auseinander geformt und es hat uns gereicht, das einfach nur für uns zu machen.
MZEE.com: War das dann für dich der Grund, mit dem Rappen zu beginnen?
Lord Folter: Auf jeden Fall, weil ich einfach keine Musiker um mich herum hatte und mir einen Weg gesucht habe, Musik machen zu können. Ich habe immer Texte schreiben wollen und kannte im damaligen Studium einen Typen, der ein Mikrofon zu Hause hatte. Ich wurde zu ihm eingeladen und wir haben sofort in einer Nacht einen Track geschrieben. Das war direkt ein Doubletimer mit so einem Splatter-Part. (lacht) Dann habe ich einfach immer bei dem aufgenommen und irgendwann bin ich in Köln mit den Jungs in Kontakt gekommen, also mit Atvanz, der auch auf der Brach-EP produziert hat. Und so ging es einfach irgendwie weiter.
MZEE.com: Und das waren auch deine ersten richtigen Rap-Versuche?
Lord Folter: Ich habe vorher vielleicht drei Songs aufgenommen, die aber nie veröffentlicht wurden, die kennt man nicht. Danach habe ich die Brach-EP aufgenommen und rausgehauen.
MZEE.com: Wir haben schon über verschiedene Stile gesprochen. Gibt es noch andere Genres, die dich als Künstler besonders reizen?
Lord Folter: R'n'B finde ich supergeil. Früher habe ich immer so ganz schäbigen R'n'B gehört, Omarion und sowas. Ich fand diese kitschigen Melodien ganz geil. Aber ich finde es halt auch gut, wenn es nicht diese poppige Instrumentierung hat. Wobei das beispielsweise Frank Ocean gut macht. Er hat poppige Instrumentals, will R'n'B singen, hat aber gar nicht die Stimme, um der perfekte R'n'B-Sänger zu sein. Er bedient dabei in einem Crossover mehrere Genres, das macht es so spannend. Mittlerweile ist es bei mir zu einem Interesse für Musik gewechselt. Eigentlich würde ich mich gar nicht auf einem Rap-Festival sehen, sondern auf einem Musik-Festival. Es wird alles offener und das ist auch supergeil. Ich finde auch fast alle Boom bap-Heads gut, BlabberMouf kann ich mir beispielsweise immer geben. Supercooler Typ und es ist beachtlich, wie er das alles mit seiner Stimme macht. Figub-Beats kann ich mir auch immer anhören. Aber es gibt einfach noch viel mehr und das ist so weit gestreut. Selbst die Argonautiks machen jetzt nicht den klassischen Sound, das ist so weit von M.O.R. oder Berlin entfernt und trotzdem vergleichen die alle damit. Die haben schon ihren eigenen Style. Das ist ein total kaltes Master, sehr klobig und dann kommen diese Jungs und knallen so ultra virtuose Parts dahin. Ich finde das Form-technisch einfach geil, die haben immer super Bridges und sind wirklich gute Rapper – guter Flavour irgendwie. Die haben ja auch schon mehrere Sachen veröffentlicht, die ich mir noch gar nicht angehört habe, aber dieses Gaffa-Album ist echt übergeil. Ich höre wirklich weniger deutschen Rap mittlerweile, aber das hat mich total geflasht.
MZEE.com: Du selbst hast eine relativ spezielle Art, zu betonen und Worte zu wählen, was sicherlich auch dazu geführt hat, dass du mittlerweile eine Art Geheimtipp bist. Hattest du es dadurch früher schwerer, Gehör zu finden und Leute für deine Musik zu begeistern?
Lord Folter: Ich kann mir ziemlich gut Leute aussuchen, die mir ähnlich gesinnt sind. Die haben das eigentlich immer gemocht. Ich habe auch Contra bekommen, aber ich habe selten gehört, dass es ganz schlimm sei. Natürlich hab' ich gehört, dass man nichts damit anfangen könne oder dass ich mehr wie die 187 Strassenbande rappen solle. Nach dem Motto: "Du bist ja zwei Meter groß, geh doch mehr pumpen, baller dir zwei Pistols auf die Brust, das kannst du auch!" Keine Ahnung, ich bin halt so ein lieber Kerl. Ich komme gut behütet aus einem Mittelstandshaushalt, was soll ich jetzt einen auf G machen? Selbst, wenn ich kiffen oder Schwarzgeld verdienen würde. Ich hatte ein Interesse an Kunst, an Lyrik und Poesie, da hat mich vieles an deutschem Rap nicht interessiert. Das ist für mich einfach fernab von lyrischer Qualität.
MZEE.com: Wie sieht das hinsichtlich der Artikulation aus? Morlockk Dilemma wird teilweise darauf angesprochen, warum er denn auf so eine spezielle Art rappt. Machst du dir darüber überhaupt Gedanken?
Lord Folter: Schon, ja. Ich mache meine Musik jetzt seit einem Dreivierteljahr fast komplett selbst. Ich bin Mixing- und Mastering-technisch noch nicht so gut drauf, deshalb brauche ich noch die Hilfe meiner befreundeten Produzenten, aber der Sound, die Chords und die Drums sind von mir. Da entsteht gerade tatsächlich auch Gesangliches. Ich rappe zwar noch immer auf einfache Sample-Loops, aber ich merke schon, dass ich ein Interesse daran habe, nicht immer nur diese monotone Stimme zu nutzen. Das war aber auch nie die Intention. Wenn du die Zeit einfach Revue passieren lässt und siehst, dass ich erst seit vier, fünf Jahren release, ist ja noch lange nicht das letzte Wort gesprochen. Was in weiteren fünf Jahren passieren wird und wie oft sich meine Stimme in irgendwelche Richtungen wandeln kann, weiß ich noch nicht. Ich kann aber sagen, dass auf jeden Fall etwas kommen wird, das ganz anders ist. Ich werde heute (Anm. d. Red.: Interview wurde kurz vor einem Auftritt geführt) auch etwas anderes spielen und habe mega Schiss davor, ehrlich gesagt. Ich bin nicht der beste Sänger und versuche, es trotzdem sängerisch zu machen. Wenn ich das für mich alleine aufnehme, dann geht das. Live zu rappen, ist aber etwas ganz anderes, als live zu singen, das sind zwei komplett verschiedene Grundstimmungen. Im Rap geht es häufig darum, zu pressen und das Zwerchfell zu benutzen, also ordentlich Druck hinter der Stimme zu haben. Das mögen Leute, wenn jemand wie Gzuz rappt. Aber wirklich sensitiv einen sehr persönlichen Track zu machen und den live zu singen … (überlegt) Wenn ich versucht habe, das zu machen, hatte ich immer das Gefühl, dass Stimmen kamen, die meinten, ich solle aufhören zu singen. Selbst wenn die Leute alle etwas anderes wollen, kann ich als Künstler selbst entscheiden, ob ich woanders reingucken oder etwas probieren möchte. Das ist ja auch eine Progression. Man kann mich dafür fertig machen, aber es muss zumindest probiert werden. Ich bin heute mutig, mal sehen, was daraus wird. (grinst)
MZEE.com: Bei dir läuft ja generell vieles anders ab. Du hast beispielsweise das Cover deiner Brach-EP selbst gezeichnet. Siehst du Elemente wie das Artwork als Material, durch das ein Release erst vollständig wird?
Lord Folter: Nicht zu sehr, ehrlich gesagt. Es ist einfach eine persönliche Geste. Ich wollte das Cover für meine erste Platte machen und fand die Zeichnung von dieser Wolfs- oder Hundefigur – was auch immer man da jetzt hineininterpretieren möchte – immer toll. Der weitere Werdegang war einfach eine Zusammenarbeit mit befreundeten Künstlern, von denen ich ein Bild als Cover wollte. Bei der Rouge-LP war das Fabian Herkenhoener, das ist ein Maler aus Düsseldorf beziehungsweise Berlin, der mittlerweile überall ausstellt, in Rom et cetera. Der macht richtig geile Sachen und ich wollte unbedingt ein Cover von ihm haben. Das Haut-Cover hat auch wieder eine eigene Geschichte, aber das dauert zu lange. Es muss immer eine persönliche Verbindung haben, ganz virtuos. Wenn ich früher an das Platten- oder CD-Regal gegangen bin, habe ich mir häufig einfach CDs nach dem Cover gekauft. So habe ich Oceansize entdeckt, eine der besten Post-Progressive Bands, die es auf der Welt gibt. Das wollte ich auch so haben: Wenn jemand meine Platte sieht, dann soll er oder sie sich für das Cover entscheiden können.
MZEE.com: Das ist ja auch ein toller Aspekt bei Vinyl, dass das Artwork so groß ist.
Lord Folter: Nur deswegen mache ich das, glaube ich. Dieser Objekt-Charakter ist einfach spannend. Das ist so ein kleines Kunstwerk in der Hand. Natürlich ist das auch etwas kleinstädtisch-studentisch, wenn ich mein Cover selbst zeichne, aber für mich hat es einfach Sinn gemacht, weil ich es studiert habe. Ich fand dieses sandige Cover mit der Figur perfekt für Brach. Kunstgeschichtliche Referenzen ergeben auch Sinn irgendwie.
MZEE.com: Gibt es denn dort eine konkrete Referenz?
Lord Folter: Es gibt Bezüge aus der Romantik. Caspar David Friedrich hat beim "Wanderer im Nebelmeer" zwar den Rücken der Figur dargestellt, aber ich finde schon, dass es ein ähnlicher Stand ist, eine ähnliche Ponderation. Ponderation ist ein ganz wichtiges Wort, das könnt ihr direkt ins Interview aufnehmen. (grinst) Das bezeichnet in der Kunstgeschichte den Stand einer Skulptur oder einer Figur im Allgemeinen. Es geht um den ausgeglichenen Stand und den dabei entstehenden goldenen Schnitt.
MZEE.com: Du bist auch in der freien Kunst tätig. Dabei arbeitest du unter anderem mit Versatzstücken – beispielsweise setzt du aus den Stümpfen mehrerer Bäume einen neuen Baum zusammen. Gehst du bei deinen Texten ähnlich vor?
Lord Folter: Ja, ich schreibe skulptural. Wenn ich Kritik bekomme, dann sagen mir Leute: "Pass doch mal auf, dass du nicht nur Phrasen drischst. Sag doch auch irgendwas, was nicht wichtig ist." Ich kann tatsächlich keine Texte rausgeben, bei denen nicht jede Zeile für sich steht. Das würde ich jetzt so frech behaupten.
MZEE.com: Schreibst du dann immer nur einzelne Zeilen und entscheidest später, was du zusammenpackst?
Lord Folter: Ja, genau. Was ich jeweils zusammenpacke, entscheide ich nach Gefühl. Manchmal bin ich direkt geflasht davon, was dabei rauskommt. Seit Längerem kommt das nicht mehr so vor. Das ist ein langwieriger Prozess. Aber worüber schreibt man schon heutzutage? Ich habe keine Lust, politische Musik zu machen, das interessiert mich nicht. Ich habe auch keine Lust, Battlerap zu machen. Wie erklärt man, was man für Texte schreiben will? Ich würde gerne Impressionen und schöne oder auch dramatische Situationen zusammenpressen. Das sprachlich zu erfinden, dauert einfach. Da kommt einem manchmal ein Geistesblitz oder eine Zeile aus einem Dialog, den man mit irgendwem hat und das passt dann in einen Text. Das ist aber komplett unterschiedlich und manche Texte brauchen auch zwei Jahre. Manchmal geht es aber auch anders: Als ich mit Torky Tork für "Love Of My Life" im Studio saß, habe ich es tatsächlich geschafft, 16 Zeilen komplett vor Ort zu schreiben – in sieben Stunden. (lacht) Torky und Malte haben den Beat von Anfang an produziert und ich habe es irgendwie hinbekommen, gleichzeitig zu schreiben. Außerdem hatte ich noch acht Zeilen aus einer vorherigen Session mit der Band von AnnenMayKantereit – viele Grüße. Sowas ist aber eher selten.
MZEE.com: Wir haben dir noch ein Zitat mitgebracht. Der österreichische Schriftsteller und Dichter Hugo von Hofmannsthal fragte mal: "Ist der Dichter nicht ein Täter, den wir durchs Schlüsselloch belauschen?" – Wie würdest du darauf antworten und warum?
Lord Folter: Meine Antwort dazu lautet: "Es ist immer der Täter, der spricht." Das ist eine Zeile von mir, die habe ich vor zwei Monaten geschrieben. (grinst)
MZEE.com: Deine Texte haben ja allgemein einen recht philosophischen Anstrich. Du rappst beispielsweise auf "Lichterloh": "Verwundetes Wild, finde mich unter dem Schilf, versunken in Gedanken unter Wasser wandelnd." – Woher kommt dieser Hang zum Grüblerischen und Abstrakten?
Lord Folter: Ich glaube, ich wurde echt durch ein paar Bekanntschaften getriggert, dass ich irgendwie das Gefühl habe, Leuten zeigen zu wollen, was ich sprachlich drauf habe. Der Kollege, von dem ich eben erzählt habe, liest wirklich jeden Scheiß an Philosophie, auch den wirklich harten Tobak. Mit dem kann ich kein Gespräch darüber führen, weil ich nicht genügend Wissen dafür habe. Und ich habe irgendwie den Anspruch, den Leuten etwas zu beweisen. Mal nicht körperlich der Macker sein und zu Gzuz werden. Leute totschlagen, aber mit Sprache.
MZEE.com: Schauen wir zum Abschluss in die Zukunft: Könntest du dir vorstellen, deine Musik und deine bildende Kunst miteinander zu verknüpfen?
Lord Folter: Das ist die härteste und beschissenste Frage, die ich immer wieder gestellt bekomme. Wirklich, ich finde das echt hart. Mein Professor hat zu mir gesagt: "Kunst und Musik? Sie können doch nicht beides machen, dann haben Sie immer nur Ihre halbe Konzentration auf beides verlagert. Machen Sie doch lieber eine Sache richtig." Das hat auf jeden Fall gesessen und richtig wehgetan. Da habe ich mich gefragt, für wen ich das eigentlich mache. Als ich ins Kolloquium kam, hab' ich gesagt, dass ich eine Platte gemacht habe. Es kamen in der Zeit eben keine Videos oder Skulpturen und er kann mit Musik nichts anfangen. Das hat mich echt erschlagen. Ich weiß aber nicht, was da noch passiert. Ich habe oft darüber nachgedacht, Installationen zu machen. Ein Auftritt kann auch etwas Performatives haben und gängige Strukturen durchbrechen. Ich muss ja nicht auf die Bühne kommen und "Yo! Yo!" sagen, sondern kann auch auf einem scheiß Eber einreiten, dann ist das auch wieder etwas anderes. Den Mittelweg habe ich aber noch nicht im Kopf. Ich finde, dass es eine schwierige Sache ist. Wenn ich das mache, soll die Geste reinscheppern und konzentriert sein.
(Alexander Hollenhorst & Jens Paepke)
(Fotos von David Henselder)