An dieser Stelle möchten wir Gedanken zu aktuellen Geschehnissen aus dem Deutschrap-Kosmos zum Ausdruck bringen. Die jeweils dargestellte Meinung ist die des Autors und entspricht nicht zwangsläufig der der gesamten Redaktion – dennoch möchten wir auch Einzelstimmen Raum geben.
Im Folgenden beschäftigt sich unser Redakteur Wende mit der Einordnung von Graffiti.
Augsburg: eine öde weiße Häuserwand. Ein kleines schwarzes Herz dient als Wurzel. Ein lang gezogener, schlängelnder schwarzer Strich als Blumenstil und als Abschluss fungiert eine schwarze fünfblättrige Blüte. Fertig ist die Augsburgblume. Dieses Motiv ist inzwischen so etwas wie ein Markenzeichen der Fuggerstadt. Man kann das Piece an vielen Ecken finden und es wurde bereits auf T-Shirts oder Bieretiketten vermarktet. Selbst das Stadtmarketing wollte mit der Augsburgblume werben. Der 33-jährige Sprayer Trum ist Schöpfer dieses Motivs. Kürzlich ist er wegen der zahlreichen gesprühten Augsburgblumen und weiterer Delikte zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Gefühlt ein zu hohes Strafmaß. Trum ist bereits vorbestraft und meint über sich selbst, dass das Sprayen eine Art Sucht sei. Es stellt sich die Frage: Wenn ein Logo wie die Augsburgblume bereits als ein Kulturgut angesehen und von der Mehrheit geschätzt wird, warum muss der Gesetzgeber dann trotzdem von Sachbeschädigung ausgehen?
Das Problem ist bekannt: Graffiti ist nur auf freigegeben Flächen legal. Wie die rechtliche Beurteilung gehandhabt werden kann, haben wir bereits in einer Reportage thematisiert. Bei dem Thema Graffiti stehen sich diverse Werte, Normen und Gesetze gegenüber. Das Recht auf Eigentum trifft auf Kunstfreiheit, Künstler auf Hausbesitzer. Der eine will gestalten, der andere sein Recht auf Eigentum gewahrt wissen. Auch bei anderen Sprayern, etwa der 1UP-Crew, tritt das Problem divergierender Werte und Normen auf. Sie verstehen Graffiti auch als eine politische und gesellschaftskritische Aktion, wenn zum Beispiel auf die verheerenden Missstände in Moria aufmerksam gemacht wird. Gerade durch die Illegalität gewinnt es an Brisanz, schafft Aufmerksamkeit und vielleicht auch Bewusstsein.
Moralisch stößt ein solcher Hinweis bei einem Großteil der Bevölkerung vermutlich auf ein zustimmendes Nicken. Auch die Augsburgblume ist ein Beispiel für ein Piece, welches eine hohe Akzeptanz und Zustimmung erhält und trotzdem muss Trum eine Haftstrafe verbüßen. Dies scheint unangemessen und irgendwie absurd. Eine schlichte Blume führt dazu, dass jemand seine persönliche Freiheit aufgeben muss. Doch wie soll entschieden werden, wann ein Graffiti wegsollte, und wer soll dies beschließen?
Die Redewendung "Schönheit liegt im Auge des Betrachters" hilft hier nicht wirklich weiter. Auf dieser Grundlage ist wohl kaum eine Entscheidung zu treffen. Eine Lösung könnte ein Dialog, am besten vor der Aktion, zwischen Eigentümer und Sprayer sein: Gefällt es dem Eigentümer, bleibt das Graffiti. Gefällt es nicht, muss es halt weg. Außerdem könnten Farben verwendet werden, die verblassen. So wäre beispielsweise ein politisches Statement plakativ zu sehen, aber eben nur temporär und ohne Verletzung fremden Eigentums. Über diesen Vorschlag kann man streiten, denn ein solches Piece hat ja gerade zur Aufgabe, zu stören. Ein Wegschauen soll durch unangenehme Platzierung eben nicht möglich sein. Der Zwiespalt scheint hier nicht auflösbar.
Der Fall der Augsburgblume sollte Städte motivieren, neue Möglichkeiten zu finden, mit ähnlichen Pieces umzugehen. Es könnten weitere Flächen dafür freigegeben werden und damit meine ich nicht nur irgendeine weitere belanglose und abgelegene Unterführung. Graffiti kann und soll gerade den grauen Alltag aufwerten und dazu wären auch Flächen an prominenten Stellen schön. Des Weiteren könnten graue Betonklötze oder langweilige Stromkästen durch farbenfrohe, kritische und spielerische Graffitis gestaltet und damit künstlerisch aufgewertet werden.
Der Preis, den Trum für die Augsburgblume zahlt, ist sehr hoch. Es ist nur eine Blume. Trotzdem bleibt es eine Straftat. Dieser Fall macht die Absurdität der Gesetzeslage deutlich. Ein schönes und freundliches Piece, welches von einem Großteil der Bevölkerung angenommen und geschätzt wird. Ein lebensfrohes Motiv, das trotz seiner Illegalität geachtet wurde. Eine schlichte schwarze Blume, die das Stadtbild aufgewertet und verschönert hat. Trotzdem muss der Künstler ins Gefängnis. Das ist unangemessen. Hier besteht Verbesserungsbedarf.
Nachtrag der Redaktion (21.12.2020): Der Sprayer Trum muss nicht allein wegen seiner Augsburgblumen eine Haftstrafe antreten. Wegen dieser und anderer Delikte hatte er bereits Bewährungs- und Haftstrafen bekommen. Da er nun wieder beim Malen von großflächigen Motiven erwischt wurde und die aktuelle Bewährungsstrafe noch nicht abgegolten war, folgte nun die Haft.
(Wende)
(Grafik von Daniel Fersch)